Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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61 Die egyptischen Ereignisse.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Auf die Gefahr hin, Sie in Ihrer Sommerruhe zu stören, bitten wir Sie, sich für das Ereigniß des Tages, den egyptischen Conflict, zu interessiren und uns baldthunlichst mit möglichst sensationellen Nachrichten zu versehen. Allerdings schrieben Sie uns neulich, daß Sie sich ein Paar Alpenschuhe kaufen wollten, um eine Reise mit der Gotthardbahn zu machen und, wie Sie sich ausdrückten, Mars Bellona sein zu lassen. Wir gönnten Ihnen gewiß die gewünschte Erholung, indeß geben wir Ihnen zu bedenken, daß Ihnen dieselbe ja nicht entgeht, indem Sie sie etwas später aufsuchen. Bereiten Sie uns also keine 62 Verlegenheit und erfreuen Sie uns bald mit einem ersten Bericht.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 8. Juni 1882.

Ihr geschätzter Brief hat mir einen Schreck verursacht, der mir durch Mark und Pfennig ging. Ich war wie vom Donner und Doria gerührt. Mir träumte schon, wie ich, von Bergketten gefesselt, unter dem ewigen Schnee des heiligen Sanct Gotthard, auf einem Eckplatz des Dampfrosses, vorüber an schläfrig gähnenden Felsschluchten dahinbrauste, umtobt von einer Lawine, welche wie das Mädchen aus der Fremde in einem Thal bei armen Hirten die Hütten zertrümmerte. Wie selig machte mich der Gedanke, einmal den Süden in vollen Zügen zu durchreisen! Ich kenne von der Schweiz bisher nur den Käse, – jetzt wollte ich die Stätte aufsuchen, wo die drei Männer im feurigen Rütli den Eid leisteten, wo Tell den unsterblichen Apfel erzielte, wo die tyrannische Uhr Geßler's so schlimm ablief. Wenn die Zeit es gestattete, wollte ich auch – verzeihen Sie das harte Wort! – nach Küßnacht. Von dort wäre ich nach Venedig geeilt, wo der Mohr leider von dem scheußlichen Mord nicht weiß zu waschen ist und Shylock mit dem Pfunde Antonios 63 so schrecklich wucherte. Dann wollte ich Italien bis nach Neapel durchstreifen, – ach, immer klingt in mir das alte Wort: Vedi Napoli e pur si muove! Wie sehnte ich mich nach dem ewig lachenden Vesuv! Da kommt Ihr geschätztes Schreiben, und dahin sind alle meine Träume! Nun kann ich dieselben vertagen, bis der griechische Kalender schwarz wird, nun muß ich hier bleiben, in Bernaus schwüler Luft an der Panke, welche wahrlich kein Odeur Cologne merken läßt. Mit Schiller's Andromache können Sie mich ansingen: »Müßig liegt Dein Felleisen in der Halle!«

So werde ich denn also nicht reisen, sondern die Ehre (perennius?) haben, Ihre Leser mit den egyptischen Ereignissen auf dem Laufenden zu erhalten. Da ich aber weder Lust noch Zeit zu einem langen Kriege habe, so werde ich denselben auf die kurze Bank schieben und vorläufig an Stelle der Kriegsfurie den Friedensengel die Fackel schwingen lassen. Es wäre ja dinte- und federleicht, eine Landung der englischen und französischen Schiffe zu bewerkstelligen und damit ein neues orientalisches Blutbad zu veranstalten. Dann aber säßen wir wieder im Herbst auf dem Trockenen.

Einliegend mein erster Bericht. Sie werden finden, daß ich den Conflict auf die schwere Achsel nahm, während ihn andere Berichterstatter, die mir in den goldenen Boden pfuschen, auf die leichte nehmen. Ich behandle ihn einfach als den Conflict zwischen Pharao und Moses, der überall bekannt und daher allgemein verständlich ist. Denn wer weiß, um 64 was eigentlich der Sultan, der Khedive und Arabi Bey, diese drei Gorgonen, sich augenblicklich in den Schlangenhaaren liegen?

Und nun noch eins. Ich lese, daß es so schwer sei, die neuen 50-Markscheine auszugeben. Ich wette nun mit Ihnen um 10 Mark, daß ich einen solchen loswerde. Senden Sie mir in Summa 60 Mark, denn Sie werden die Wette verlieren.

* * *

Kairo, den 6. Juni 1882.

W. Bevor ich die Feder eintauche, will ich bemerken: Das ai in Kairo wird nicht wie in Aida, oder in Lais, sondern wie in Maier ausgesprochen.

Als ich vorgestern hier angekommen und im »Hotel zu den vier Dardanellen« abgestiegen war, suchte ich sofort einen alten Priester Namens Sarastro auf, um mich von ihm direkt in die medias res der Dinge einweihen zu lassen. Als er mich erblickte, berührte er sofort mit der Stirn den Erdboden und bot mir eine bequeme Steinplatte zum Sitzen an. Dann sagte er: »Die Sachen liegen sehr ernst. Wenn der Khedive nicht nachgiebt, so hilft ihm kein Isis und kein Osiris.« Als ich ihn fragte, worin der Khedive nachgeben solle, antwortete er: »Das weiß ich nicht, das weiß kein geborener Egypter, aber daß er nachgeben muß, darauf kann er uns verlassen. Der Weg zum Widerstand geht nur über unsere Mumien. 65 Wie der Türke, so haben auch wir unser Kismetchen, welches uns zuruft, daß wir siegen werden, wenn »der wilde, eiserne Knobelcomment« beginnt. Eine Einmischung Frankreichs und Englands dulden wir nicht, das sind Quos-Egoisten der schlimmsten Sorte!« Er hatte dies in seiner schlichten Hieroglyphensprache gesagt und den Eindruck der starrsten Entschlossenheit auf mich gemacht. Die Zeit scheint mir allerdings vorüber, wo man in diesen heiligen Hallen die Rache nicht kannte, und, wenn den Egyptern ein Khedive nicht gefallen wollte, durch Liebe ihn zur Pflicht führte.

Gestern nun ging Arabi Bey in das Schloß und redete Tewfik mit den Worten an: »Vice, gieb nach!« Dieser fragte: »Was soll ich denn nachgeben?« Arabi Bey antwortete: »Das weiß ich nicht, Vice, aber so Du nicht nachgiebst, wirst Du mit Plagen aller Art heimgesucht werden.«

Im höchsten Zorn zog Tewfik sein Scepter und wollte nach Arabi Bey schlagen, zum Zeichen, daß die Audienz zu Ende sei, worauf der Bedrohte davonging.

Aber gegen Abend kehrte Arabi Bey mit seinem Stabe zurück und wiederholte seine Forderung. Abermals rief er: »Gieb nach, Vice!« und abermals vermochte er aus dem Ofen des Khedive nur die Worte zu locken: »Nachgeben? Was denn?« So plagen sie ihn unausgesetzt, aber mir scheint Arabi doch nicht der Finger zu sein, um den sich der Khedive wickeln läßt.

Heute Morgen fand die dritte Audienz statt. Dieselbe 66 verlief sehr stürmisch. Da wieder Keiner wußte, worin nachgegeben werden sollte, zeigte der Khedive dem Arabi mit einem heftigen Salem alek! die Thür.

Die Stadt ist heute seit dem ersten Ton der Memnonssäule auf den Beinen der Bewohner. Es herrscht die tollste Aufregung. Als ich gegen Mittag an einem Harem vorüberging, fiel mir aus einem Fenster desselben ein Selam zu Füßen. Ein reizendes Thierchen.

Eben fährt der Khedive mit seinen sämmtlichen Frauen in 300 Wagen durch die Stadt. Auch die Damen scheinen nicht zu wissen, worin ihr hoher Gebieter nachgeben soll.

Sobald ich etwas Näheres erfahre, depeschire ich.


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