Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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134 Herrn Wippchen in Bernau.

Die ägyptische Conferenz hat ihr Ende erreicht, und wir wiederholen unsere Bitte um Anekdoten, zu denen ja das Zusammensein von Diplomaten stets den Stoff bietet. Deren zu erfinden, wird Ihnen leicht sein, wir vertrauen in dieser Beziehung Ihrer unermüdlichen Phantasie vollkommen. Hiermit wäre denn auch Ihr Vorschlag, uns noch etliche Sitzungen zu liefern, völlig erledigt, denn nachdem die Conferenz auf den Antrag Englands hin auf unbestimmte Zeit vertagt, d. h. definitiv geschlossen worden ist, können Sie doch unmöglich, gewissermaßen zu Ihrem Privatvergnügen, weitere Sitzungen stattfinden lassen. Sie werden dies hoffentlich einsehen.

In Erwartung eines Packets Anekdoten grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

135 Bernau, den 7. August 1884.

Ich will mich in der Beantwortung Ihres lieben Schreibens kurz fassen, da mir, mich lang zu fassen, die Lust fehlt. Denn im Sommer liebe ich meinen Rücken nur, weil ich ihn dem Schreibtisch kehren kann, das Schreiben ist mir schrecklich, wenn mir die Sonne auf den Nägeln brennt und meine Stirn mit einem Diadem von Schweißperlen schmückt. Darum will ich auch nicht wie der Tiger in Schiller's Handschuh mit dem Umschweif einen furchtbaren Reif schlagen, sondern Ihnen einfach erklären, daß ich nicht, wie Sie behaupten, zu meinem Privatvergnügen die Conferenz verlängern wollte. Privatvergnügen in solchen Dingen liegt mir überhaupt fern. Zu meinem Privatvergnügen breche ich von Zeit zu Zeit einer Flasche den Hals oder hänge mich an den eines Weibes, nie aber habe ich zu meinem Privatvergnügen einen Congreß oder eine Conferenz in die lange Bank gezogen, oder gar dem Mars das Lebenslicht eingeblasen. Das hätte sich am allerwenigsten für den Nestor senior der Kriegskorrespondenten, als welchen ich mich betrachten darf, geschickt. Stets habe ich das Ziel vor Augen und blicke weder rechts, noch – verzeihen Sie das harte Wort! – links. Ich bin bei Leibe kein Philister, ich bin eher ein Spaß-, als ein Ernstvogel. Wenn irgendwo etwas los ist und sei es eine Schraube, so bin ich dabei, und wenn ich einen Sparren zu viel habe, so trete ich ihn gerne Jedem ab, der in meiner Gesellschaft allzu 136 untermüthig ist. Trübsal ist ein Instrument, welches ich nicht blase. Wo aber mein Beruf anfängt, da braucht kein Witz zu fürchten, von mir gerissen zu werden.

Wenn ich also den Congreß noch etwas verlängern wollte, so geschah dies zur Beruhigung der Leser. Die plötzliche Vertagung, sagte ich mir, wird über Europa das Bockshorn ausschütten, alle Welt wird das Scheitern der Conferenz für ein böses Vor-Omen halten und überall die Haare sehen, in denen sich die Großmächte liegen. Dies wollte ich verhindern, aber ich hatte die Rechnung ohne Ihren Strich gemacht, und so mag denn die Conferenz geschlossen bleiben.

Ich sende Ihnen anbei die gewünschten diplomatischen Anekdoten.

Hierbei fällt mir eine reizende ernste Anekdote ein, welche mir selbst gestern passirte. Einer meiner Freunde redete mich auf der Straße so freundlich an, daß ich, um ihm gleichfalls einen Beweis meiner Herzlichkeit zu geben, ihn sofort bat, mir bis zum 10. dreißig Mark zu leihen, ich würde sie ihm von dem Vorschuß, den ich bis dahin von Ihnen erhielte, zurückzahlen. Er schlug es mir bereitwilligst ab, freute sich sehr, selbst kein Geld zu haben, und sprach die Hoffnung aus, daß ich wohl den Vorschuß nicht erhalten würde. Wetten Sie, daß ich ihn bekomme? fragte ich. »Ich wette fünf Mark,« rief er, »daß Sie ihn nicht bekommen.« So schieden wir, und ich bitte Sie nun, so leid es mir thut, mir 137 umgehend 50 Mark Vorschuß zu senden, damit ich den Freund in das Absurdum führen kann, in das er gehört.

* * *

London, den 3. August 1884.

W. Gestern schloß England selbst der ägyptischen Conferenz die Augen, stieß Frankreich ihr den letzten Athemzug aus, schlummerte Deutschland sie sanft hinüber, versammelte Rußland sie zu ihren Vätern, segnete ihr Oesterreich das Zeitliche und schlug ihr Italien das letzte Stündlein. Und heute ist nichts mehr von ihr übrig geblieben, als kein Hahn, der nach ihr kräht. Zwar heißt es, die Conferenz sei nur vertagt, aber das ist doch nur Wind, den Europa längst davon bekommen hat, daß die Conferenz für immerdar verschwunden ist. Ein klägliches Ende, wenn man bedenkt, mit welchem Feuer voll Kastanien England die Conferenz in Scene setzte. Hier bewahrheitet sich wieder einmal das alte Sprüchwort: Wer zuerst lacht, lacht am schlechtesten!

Mir bleibt nichts mehr zu thun übrig, als einige Anekdoten nachzutragen, welche während der Conferenz die in allen Kreisen so beliebte Runde machten.

In der dritten Sitzung waren die Gesandten in Streit gerathen. Sie konnten ihre eigenen Verbalinjurien nicht hören. Einige vergaßen sich sogar derart, daß sie sich nicht erinnern konnten, jemals solchen Lärm gehört zu haben. Etliche Diplomaten hatten ihre Salondegen gezogen, andere 138 warfen mit Portefeuilles, Aktenstücken und Staatssiegeln. Da, in der höchsten Noth, schlich sich der deutsche Gesandte aus dem Saal, öffnete die Thür und schrie hinein: »Bismarck kommt!«

Dies wirkte. Die Gesellschaft eilte auf die Plätze und that, als sei nichts vorgefallen.

* * *

Nach den Sitzungen versammelten sich die Gesandten in den drei Hexen, in einem Wirthshaus, welches schon zu Macbeths Zeiten bekannt war. Hier saßen sie traulich beisammen und tranken ein Stehgläschen. Man sprach nicht von Politik, sondern plauderte, rauchte und knobelte das Getränk aus. Bei einer solchen Gelegenheit hatte der spanische Gesandte mit großem Pech gespielt und schrie in übelster Laune den mit ihm spielenden griechischen Collegen an: »Herr, kucken Sie mir nicht in die Würfel!«

»Herr Graf,« sagte der Grieche. »hier ist meine Karte!« und warf ein Spiel Whistkarten auf den Tisch.

Man lachte über den gelungenen Spaß, und der Friede war wieder hergestellt.

* * *

Es war im Hause eines reichen Lords. Sämmtliche Gesandte waren eingeladen. Plötzlich trat der Vertreter des 139 türkischen Divans, Techtel Pascha, auf den Gastgeber zu und fragte ihn: »Wieviel Töchter haben Sie?«

»Sechs,« antwortete der Lord.

»Ich bitte darum!« sagte der Türke.

Die Umstehenden drückten dem Schwiegervater und seinem neuen Schwiegersohn voller Neid eine Gratulation in die Hand.

* * *

Die Herren waren nach Windsor zu Mr. Fluth eingeladen und amüsirten sich sehr, da recht viele lustige Weiber unter den Anwesenden waren. Vor Allen erheiterte die Dame des Hauses, eine buchstäbliche Primadonna, mit ihren Bravourarien und Duetten den illustigen Kreis. Der Schweizer Gesandte, welcher die großbritanische Zunge nur unfertig radebrach, wollte wissen, was für eine Geborene Frau Fluth sei, und fragte den Gastgeber: Welch eine Miß-Geburt ist Ihre Gattin?

Man kann sich denken, wie das Zwerchfell Aller die Wände des Saales erzittern machte.

* * *

Der türkische Gesandte ritt eines Tages im Hyde-Park (sprich Hyde-Park) spazieren, als sein schwedischer College auf ihn zutrat und ihn einem Kaufmann von Venedig mit dem Zusatz vorstellte: Pascha von drei Roßschweifen.

140 Bitte: von vier, sagte der Türke. Wenn ich zu Pferde bin, sind es vier.

Stimmt! sagte der schnellrechnende Antonio, überrascht von der Geistesgegenwart des Vormittagländers.

* * *

Der Vertreter der französischen Republik hatte natürlich einen Dorn im Auge, der dem deutschen Gesandten zum Verwechseln ähnlich sah. Schon in der ersten Sitzung machte er aus seinem gespannten Fuß kein Hehl Er wartete nur auf ein Hühnchen, um es mit dem deutschen Gesandten zu pflücken. Dies fand sich denn auch: aus Versehen machte ihm der Deutsche einen Klecks auf sein Protokoll. »Das kann nur mit Blut abgewaschen werden!« rief der Franzose. Da klingelte Graf Münster und bestellte bei dem eintretenden Diener etwas Blut. Dies goß dann der Graf auf den Klecks und sagte sein: »Sehen Sie, Waddington, der schwarze Klecks, das weiße Papier, das rothe Blut, das sind die Farben des deutschen Kaiserreichs, ich danke Ihnen.« Dabei drückte er Waddington die Hand, und die übrigen Herren waren ganz entzückt von dem Bestreben Deutschlands, den Frieden Europas zu erhalten.


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