Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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26 Die Berliner Botschafter-Conferenz.

Herrn Wippchen in Bernau.

Was wir Ihnen zu sagen nicht gewagt hatten, gestehen Sie zu unserer Freude nun selbst ein: Sie haben den russisch-chinesischen Krieg zu frühzeitig begonnen. Wir sind natürlich ganz damit einverstanden, daß Sie ihn vorläufig nicht fortsetzen, um ihn zu einer gelegeneren Zeit wieder aufzunehmen.

Nicht minder dankbar sind wir Ihnen für den Vorschlag, über die Berliner Botschafter-Conferenz zu berichten und uns täglich, obschon Sie wie keiner Ihrer bereits eingetroffenen Collegen irgend etwas aus den Verhandlungen erfahren können, einen mindestens acht Seiten langen Bericht zu senden. Beginnen Sie sofort.

27 Sie nehmen es uns hoffentlich nicht übel, wenn wir Ihr einleitendes Feuilleton, »Hellas« betitelt, nicht zum Abdruck bringen. Ihren Zweck, den Lesern unseres Blattes Näheres über die Sitten der heutigen Griechen mitzutheilen, erreichen Sie dadurch nicht. Denn Sie erzählen z. B., um den Hof des jetzigen Königs von Griechenland zu schildern, genau den Inhalt der Offenbachschen schönen Helena, wodurch das Publikum denn doch allzu leichtfertig irregeführt wird.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 17. Juni 1880.

Es thut mir natürlich leid, daß es Ihnen beliebte, mein Feuilleton über Hellas zu unterschlagen, wie der Türke seine Beine. Denn Sie werden mir doch zugestehen, daß die schöne Helena ein sehr reizendes Libretto ist und daß das Publikum nur das vom grauen Griechenland weiß, was ihm Offenbach mit Hülfe seines Violinschlüssels erschlossen hat. So hätten sich denn die Leser gewiß sehr gefreut, wenn sie sich bei der Lectüre meines Artikels hätten sagen 28 können, daß sie doch eigentlich sehr unterrichtet seien. Und das schmeichelt natürlich jedem Durchschnitts-Sapiens, dem der Homer denn doch ein Dichter mit sieben Siegeln ist und bleiben wird.

Indeß will ich meine Galle zähmen, da ich ja doch weiß, daß ich meine Worte in die Windsbraut spreche, aber traurig ist es doch, daß Sie mich immer zwingen, wie ein rechtes Abscheusal zu erscheinen, indem ich Sie fast in jedem Brief meines Bessern belehren und Ihnen reinen Wein in die Augen streuen muß. Sie können sich aber darauf verlassen, daß Sie nur wie Shylock in Ihr eigenes Pfund Fleisch schneiden, wenn Sie sich meinem richtigen Instinkt mit Nasenrümpfen entgegenstemmen. Ich kann Ihnen nur sagen: Gehen Sie meiner Wege und Sie werden es niemals – verzeihen Sie das harte Wort! – bereuen. Andernfalls werde ich eines Tages denn doch dieser Sklaverei müde sein, wie Friedrich der große Fritz, nachdem er mit seinen Feinden das siebenjährige Hühnchen gepflückt hatte.

Nun an die Arbeit der Botschafter-Conferenz. Ich freue mich sehr, daß sich die Mitglieder derselben verpflichtet haben, einander den Mund zu halten und von ihren Verhandlungen nichts in die Fama gelangen zu lassen. Es erinnert mich an die schöne Zeit des 78er Berliner Congresses. Denn jetzt wie damals wird keiner meiner Collegilitonen irgend etwas erfahren, und so hat meine Phantasie ganz freies Spiel und kann Alles auf Eine 29 Karte setzen. Und Manches erfährt man im Nothfall ja doch, denn es gilt wie damals auch heute das ewig wahre Wort: Keine sub rosa ohne Dornen!

Indeß glaube ich mich doch gegen alle Bestechungsversuche irgend einer Großmacht panzern zu müssen, indem ich Sie um einen Vorschuß von vier Zwanzigmarkstücken bitte. Und, daß ich es nicht vergesse, noch eins: macht also fünf.

* * *

Berlin, den 16. Juni 1880.

W. Von einem durchbläuten Himmel begünstigt, wohnte ich heute Nachmittag 2 Uhr der Auffahrt der Botschafter bei. Der Wilhelmsplatz. wo das Ministerium des Auswärtigen steht, war brechend leer, und es war keine leichte Aufgabe, sich durch die Menschenmassen hindurch zu winden, da solche nicht vorhanden waren. Selbst mehrere Schutzleute waren nicht im Stande, einen Zusammenlauf von Neugierigen herbeizuführen. Nach zehn Minuten war es schon ganz unmöglich, keinen Platz zu finden.

Zuerst erschien der italienische Botschafter, Graf Launay, im offenen Zufuß, dann fuhren der Geh. Legationsrath Busch, – nicht zu verwechseln mit dem Dichter des »Max und seine Leute«, – und Graf Mony vor. Hinter ihnen kam Lord Russel in lebhaftem Selbstgespräch, die Rolle, die er zu spielen haben wird, tragend. Ihm folgten der Leiter 30 der Conferenz, Fürst Hohenlohe, und der französische Botschafter, der heilige Vallier, von denen jeder eine mächtige Karte in der Hand hatte, in die er aber den andern nicht blicken ließ. Dann erschien Herr von Saburoff in einer eleganten Kibitke, und den Schluß machte der österreichische Botschafter, Graf Szechenyi. Jeder, der ihn sah, mußte sich sagen, daß sich Graf Andrassy in den letzten zwei Jahren sehr verändert hatte. Alle Herren erschienen in schwarzem Frack und weißen Binden und Bandagen.

Ein Tiras, wie im Jahre 1878, fand nicht statt: nicht ein einziger Botschafter wurde gebissen, wie denn überhaupt Alles weniger feierlich zugeht. Gegen Abend ist Tafel im Palast des Reichskanzlers, wo die Botschafter einige Eröffnungen des Fürsten Bismarck diniren werden.

Im Conferenzsaal bildeten die Diplomaten bunte Reihen, indem sich zwischen zwei Kahlköpfe immer einer setzte, welcher noch Haare hatte. Als auf diese Weise der türkische neben den griechischen Gesandten zu sitzen kam, erklärte Fürst Hohenlohe, daß dies nicht ginge und die beiden Herren sich auseinandersetzen sollten, denn dies sei der specielle Zweck der Conferenz

Die eigentlichen Verhandlungen sollen morgen beginnen, heute sind die Botschafter nur eröffnet worden. Wie ich heute von einem derselben, der mich hoffentlich nicht namhaft machen wird, höre, handelt es sich darum, Janina von der Türkei ab- und Griechenland anzutrennen. Griechenland wird Ja! 31 die Türkei Nie! und der Fürst Hohenlohe Na! sagen, und dann wird das Hauptgeschäft der Conferenz beendet sein.

Rhangabé, der griechische Gesandte, scheint mit diesem Ausgleich sehr einverstanden zu sein. Heute begrüßte ich ihn, er sieht mit Toga, Sandalen und kurzem Schwert überaus interessant aus. In Hexametern versprach er sich den besten Erfolg Ich mußte ihm aber mein Wort geben, wegen der ihm zur Pflicht gemachten Discretion keinen Gebrauch von dieser Aeußerung zu machen.


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