Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Siebentes Kapitel.

Durch Nacht zum Licht.

Die Gräfin Szmoltopska née Siebenklietsch konnte nicht tiefer sinken: der gähnende Abgrund war zu Ende.

Schreckliches Zischen von Schlangen, Molchen, Eidechsen, Ringelnattern empfing sie. Blutgierige Vampyre umflatterten sie. Wasserratten schmatzten sie fleischlüstern an. Alles Gethier war hungrig, durstig auf das warme pulsirende Blut der schönen Emma, noch gieriger als der Doktor Habicht auf das Blut und Rückgrat seiner Opfer.

Emma schauderte. – Aber nicht lange.

Das Otterngezücht wagte nicht, sie zu berühren.

Sie war zu schön.

»Ha!« rief sie, »das giftige Gewürm beugt sich vor der siegreichen Schönheit eines tugendhaften Mädchens; Kröten und Salamander, Unken und Basilisken bemitleiden mich. Nur der Mensch ist schlecht, der hat Intriguen und Fallklappen.Thatsächlich von Virchow nachgewiesen.

»Durch eine solche bin ich gefallen.

»Und wie lange. Ich, wie lange. Eine Ewigkeit.«

Und qualvoll rief sie:

»Nun bin ich gefallen.«

Das Gewürm wimmerte mit ihr. Es empfand die an Emma verübte Schlechtigkeit in ihrer ganzen Erbärmlichkeit.

Eine alte dicke Blindschleiche kroch an Emma in die Höhe und drückte ihr einen kalten Kuß auf die warmen rosigen Lippen.

»Ich kann Eure Liebe nicht vergelten,« rief Emma. »Aber hier nehmt, es sind Pralin és von Kranzler. Esset sie und laßt mich Hungers sterben. Habe ich auch nichts weiter gerettet, so habe ich doch meine Tugend und mein Dienstbuch

Dies hatte sie Gottlob nicht verloren, während sie in den stockfinsteren Abgrund fiel.

Und kein Künstler und keine Künstlerin ist in Zukunft etwas ohne Dienstbuch. Dienst ist eben Alles.

Das Gewürm aß die Pralin és; Emma zu Liebe. Es mochte die Todgeweihte durch Verschmähen der Gabe nicht kränken.

Aber der Bissen ward ihnen groß im Munde. Eine alte Wasserratte, Großmutter zahllosen Geschlechtes, erstickte daran.

»Wohlan,« sagte Emma, »die Stunde ist gekommen. Ich hoffte einen guten Dienst zu erlangen . . . schändliche Ränke verwehren mir diesen Wunsch. Mein Dienstherr ist der Tod.«

Das Gewürm brach in klagendes Geheul aus, das schaudervoll von dem bluttriefenden Gewölbe wiederhallte.

»Ich singe mein Sterbelied,« flüsterte sie, und leise begann sie den ergreifenden Sang aus der »Fledermaus«:

»O je, o je, wie rührt mich das . . .«

Das Gewürm fiel mit Brummstimmen ein in diesen Abschied vom Leben.

Plötzlich drang ein Lichtstrahl durch eine Spalte des Gemäuers. Der Spalt erweiterte sich.

Emma blickte in ein erleuchtetes Gemach. Darin lag auf einem orientalischen Ruhebett, mit eisernen Ketten an den Händen und einem himmlischen Lächeln auf den Lippen, ein Jüngling.

»Emma,« lispelte er im Traume.

»Nordhäuser,« rief sie und wollte auf den Gespielen der Jugend vom Koppenplatz zustürzen, denn er war es.

In diesem Augenblick trat ein Eremit zwischen sie und den Schlummernden.

»Halt,« rief der Eremit, »keine Uebereilung! Jeder unbesonnene Laut macht die Rettung unmöglich. Wir befinden uns unmittelbar unter dem Kriminalgebäude auf dem Alexanderplatz und die Polizei hat wachsame Ohren!«

»Wer sind Sie?« sagte Emma.

»Eremit und Leutnant der Reserve,« sprach der Mann in dem härenen Gewande. »Haben Sie Furcht?«

»Nie in Gegenwart von Militär,« antwortete Emma mit muthigem Lächeln. »Aber sagen Sie, warum leben Sie unterirdisch?«

»Das Jesuitengesetz ist noch nicht durch,« entgegnete der Eremit mit tiefer Beziehung.

»Ich verstehe,« sprach sie und warf ihm einen vielsagenden Blick politischer Erkenntniß zu.

Der Eremit fuhr mit gewinnender Schlauheit fort:

»Sie suchen einen Dienst. Wir sind von jeder Thatsache unterrichtet, die sich in den fünf Welttheilen vollzieht. Würde Ihnen ein Platz als Mädchen für Alles im Auswärtigen Amt zusagen?«

»Unter einer Bedingung . . .«

»Erlauben Sie,« fiel ihr der Eremit mit feiner Ueberlegenheit in das Wort, »wir stellen die Bedingungen. Schwören Sie mir und dem Orden . . .«

»Nie!« rief Emma.

Der Eremit riß seinen Degen von der Seite und zückte ihn auf die nackte Brust des Schlafenden. Die Schlangen und Molche züngelten lüstern nach ihrem Opfer.

Mit furchtbarer Stimme rief er: »Emma Siebenklietsch, falsche Gräfin Szmoltopska, bei dem Leben dieses Jünglings, schwöre mir und dem Orden unweigerlichen Gehorsam« und senkte die scharfe Spitze des blitzenden Degens tiefer und tiefer. Schon berührte die funkelnde Schneide die Stelle der entblößten Brust, die durch regelmäßiges Heben und Senken die Lage des linken Lungenflügels verrieth, unter dem das, ach, so treue Herz Nordhäusers selbst im Traume für die Heißgeliebte schlug, schon ritzte der scharfe Stahl die jugendfrische Haut des Schlummernden, schon drangen Blutstropfen hervor und rieselten in rubinrothen Streifen an den atlasglänzenden Rippenfurchen des Jünglings herab . . .

»Ich schwöre!« stieß Emma mit letzter Anstrengung hervor.

Die Sinne verließen sie und bewußtlos sank sie nieder.

»Wehe, Wehe!« heulte das Gewürm.

Der Eremit schlug eine gellende Lache auf. Er schleuderte seinen Degen und den immer noch schlummernden Nordhäuser in eine Ecke des unterirdischen Gemaches und berührte eine verborgene Feder. Das Licht erlosch, der Spalt in der Mauer schloß sich.

Der Eremit riß seinen falschen Bart ab und entledigte sich des grauen, mit einem Stricke zusammengehaltenen Einsiedlergewandes.

Mit teuflischem Grinsen blickte er auf die besinnungslos am Boden liegende Gräfin.

Welch ein Glück für Emma, daß ihre Augen von den mitleidigen Händen einer tiefen Ohnmacht unauflösbar zugedrückt wurden, denn wer weiß, welchen entsetzlichen Schaden ihr Nervensystem erlitten hätte, wenn sie den in dämonischer Freude sich die Hände reibenden Mann erkannt hätte?

Es war der Kutscher des Grafen Szmoltopski.


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