Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


 
Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Im Reiche der Mitte.

Emma hatte nicht viel Zeit über das Ende des bleichen Mannes nachzudenken – sie dachte gern und inhaltreich, wenn sie gerade etwas zu denken hatte – denn Stimmengewirr kam näher und gar bald war ihr Boot von gelben Menschen mit Schlitzaugen und langen schwarzen Zöpfen umringt.

Nun kannte sie sich aus, sie war in dem Reiche Altoums, des ältesten Königs von China.

Emma erwartete, daß die Leute sofort mit aufgerichteten Zeigefingern einen komischen Wackeltanz aufführten, wie man überall sieht, wo Chinesen dargestellt werden, aber das geschah nicht; sie benahmen sich ehrerbietig, holten einen echt chinesischen Palankin und trugen sie in den nahen Ort in das Haus des Obermandarinen, der dort den Landrath vertritt.

Chinesenfrauen nahmen sich Emma's an, gaben ihr Thee, Kuchen aus schneeweißem Reismehl, kleine Butterbröte mit kaltem Pudelbraten belegt, und kandirten Ingwer und führten sie nach dieser Erquickung in den Sitzungssaal, wo gerade Gericht gehalten wurde.

Ein Opiumwirth, der die Polizeistunde übertreten hatte – es darf nur von 2 bis 4 und von 6 bis 8 Uhr geraucht werden – wurde zur Quetschmühle verurtheilt, (siehe untenstehende Abbildung) denn wenn das öffentliche Berauschen nicht in den von der Regierung vorgeschriebenen Stunden geschieht, ist es ungesund. –

 


Der Opiumwirth in der Quetsche.

 

Ein Flugblatthändler verlängerte gegen hundert Ta ëls seine Konzession zum Vertrieb eines Hetzblattes, das die herrschenden Sitten, die Religion und die Ehre wehrloser Bürger in hämischer Weise angriff, denn Wer immer in China eine Zeitung gründet und sei er ein Schubjak, der hat auch das Recht zur Kritik und besteht auf seinem Rechte unter dem Schutze des sogenannten berechtigten Interesses.

Sehr schlimm weg kam ein Händler, der mit Zimmt gewürzten Kirschlikör feil gehalten hatte. Ein in uralten tibetanischen Rechtsschriften studirt habender Mandarinenlehrling bewies in zweistündiger Rede, daß Zimmt Zimmt wäre und nicht Kirsche und als schamlose Fälschung anzusprechen sei. Wohl versicherte der Händler, daß seit Erbauung der großen Mauer Zimmt zum Kirschlikör genommen würde, da er den Geschmack verfeinere und den Magen erwärme, doch das Gericht verurtheilte ihn wegen Fahrlässigkeit gegen das Leben seiner Mitmenschen zur Entziehung der Fälscherhände und dies um so mehr, als er schon einmal Himbeersaft zur Aufmunterung der Farbe mit Blaubeerensaft versetzt habe, ein Verbrechen, das mitleidlose Sühne heische.

Der Nachrichter, ein riesenhafter Mongole mit hyänenartigem Gesicht drehte dem Unglücklichen beide Hände ab, nähte sie ihm mit brauner Seide an die Ohren und stellte ihn an den Pranger. Dann wurde er so lange mit einem Bambus auf den Nabel geschlagen, bis er unter hörbarem Pfeifen seinen Geist aufgab.

Emma schauderte, aber sie sah ein, daß Verbrechen gegen die leibliche Gesundheit des Volkes nicht hart genug geahndet werden können und bedauerte nur, daß nicht gleiche Strenge auch Verderber der Seelen träfe.Wer nachgerade Emma's innerstes Wesen begreift, stimmt ihr bei, zumal ja Bambus genug wächst. Aber wer versteht das Seelengift rechtzeitig an das Licht zu ziehen? Das ist nicht so chemisch nachzuweisen wie z. B. Grünspahn und der übrige Zimmt.

Der Obermandarine wandte sich jetzt an Emma: »Hiu-iu-eul-ian.« (Ich habe mit Dir zu reden.)

Mit dem neubegründeten Stolze einer deutschen Reichsangehörigen antwortete e abweisend: »I-wo-ol-le-schao-te.« (Ich nicht mit Dir, alter Herr.)

»Kiao-nho-ho! (Sage mir, wer Du bist.) Ho-tci pepi? Ni-tao.« (Wohin gehst Du, Weißhäutige? Sag' an.)

»Ein-gal-shnu-pe!« (Das kann Dir einerlei sein) erwiderte Emma unnahbar.

Dem Obermandarinen ward klar, daß eine Dame, die einem Beamten schnöde kam, eine Auswärtige von hohem Range sein müsse. Darum machte er ohne Weiteres Kotau, indem er sich platt auf die Erde streckte und sprach: »Tien-niu (Tochter des Himmels), shan-te (Berg der Tugend), mian-gi (Antlitz der Sonne), mein elendes Dach ist zu niedrig für Deine erhabene Schönheit. Nur im Palast zu Peking ist Dein Platz. Es ist soeben ein Erlaß gegeben, daß fünfhundert der schönsten Goldlilien dem tien-tse, dem Sohne des Himmels, vorgeführt werden sollen, damit er sich eine Gattin wähle. Ich werde Dich hinführen. Du, o Kleinod des Verlangens, wirst Kaiserin und ich erhalte die gelbe Ehrenjacke und den langgeschwänzten Drachenorden dreimal um den Hals. Der Erfolg ist sicher. Hao sse gin tci-so hiu. (Der Genuß eines schönen Weibes ist das, was die Menschen wünschen.) Eul ho gou?« (Was meinst Du?)

»Pie-pe ka-lei-ka!« (Dein Geschwätz ist mir gleichgültig) erwiderte Emma von oben herab.

In der Hoffnung auf hundertfachen Ersatz, ließ der Obermandarin Kiuan-shi die kostbarsten seidengestickten Gewänder bringen, Schmuck und Zierrath, um Emma in die bildschönste Chinesin zu verwandeln, die je das Reich der Mitte betrat. Pin-yang, des Mandarinen Gattin, half Emma.

»Ach,« sagte sie, »Du bist schön, aber leider unvollkommen im chinesischen Stil, denn, ach, Dir passen nicht die Schuhe, für die unsere Füße von Kindheit an mit Wickeln zusammengepreßt werden.«

Emma lächelte. Sie nahm die Schuhe, die nicht größer waren als Cigarettendosen und zog sie mit graziösester Leichtigkeit an.

Pin-yang fiel vor Erstaunen auf den Rücken.

Emma aber pries im Stillen die Vorsehung, die den Sultan getrieben hatte, ihr beide Zehen abzubeißen, denn ohne diese Verkleinerung ihres an sich schon kleinen Füßchens, wäre der jetzt einzuschlagende Weg des Lebens für sie ungangbar gewesen.

Goldlilien nennen die Chinesen ihre Frauen mit den stengelartigen Unterenden, wie aber hätten sie jetzt Emma heißen müssen? Mindestens doppelte oder gefüllte Goldlilie.

Als Kiuan-shi sie in dem echt chinesischen Elite-Pracht-Kostüm erblickte, fiel er um und kroch zu dem Haustempelschrein, dessen Thüren er öffnete, daß der darin hockende ungeheuerliche Bronze-Götze sichtbar ward.

»HulDurchaus richtig, da die Chinesen kein r in ihrer Sprache haben. Sie sagen statt Europa – Eu-lo-pa; statt Amerika – Ai-me-li-kia; statt bregenklieterig – bia-le-jen-kia-liete-lia-lich. Bedenkt man, daß 400 Millionen Menschen so zurück sind, kribbelt es einen ordentlich, sie zu zivilisiren. -jeh!« rief Emma mit der ihr angeborenen feinen Empfindung gegen Alles Mißschaffene. »Daran kann man sich ja versehen.«

»Pal-don, Lichtrand der Morgenwolke,« sagte der Mandarin, »dies Bild ist von unermeßlichem Kunstwerthe.« Dabei verbrannte er Goldpapierstreifen vor dem Götzen als Bittopfer.

»Dann braucht es ja nicht schön zu sein, wenn es Kunst ist,« entgegnete Emma mit dem ihr angeborenen Gefühl für Verständniß und befahl hieran schließend hocharistokratisch: »Machen Sie die Klappe zu; so mit Papier zu sengen, ist doch keine Beschäftigung für Erwachsene! Rüsten Sie den Palankin, ich will jetzt an den Hof. Dal-li, dal-li!«

»Sin! Sin!« (Sofort) rief Kiuan-shi und eine Viertelstunde darauf war Emma mit großer Begleitung unterwegs nach Peking.

Hat sie wirklich die Absicht, Kaiserin von China zu werden?

Wo bleibt da die Treue, Emma?

Und wo die Tugend?

Wir müssen gestehen, daß wir an einem bedenklichen Wendepunkt angelangt sind.


 << zurück weiter >>