Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Matthias, der große Räuber und Bandit.

In einem kühlen Grunde des schönen Bayernlandes liegt die ebenso romantische wie malerische Schachermühle.

Dort lebte in rührender Vorsorge für die Seinigen der Müller Vinzenz Kneißl, der nur das Nothdürftigste erwarb, denn das Dampfmehl that ihm großen Schaden.

Schon so Manchem that der Dampf den Dampf an, wie man volksthümlich zu sagen pflegt.

Unser Vinzenz Kneißl aber war guten Muthes und fing eine Bierwirtschaft an und sprach scherzhaft:

»Bier ist flüssiges Brot; es ist wohl eines Müllers Art, es zu verkaufen.«

Ein trauliches Familienleben herrschte in der freundlichen Mühle. Die Mutter war leider verhaftet, um so inniger schlossen sich die Geschwister aneinander. Da waren der Alois, die Cäcilie, der Matthias und die jüngsten: Hans'l, Pold'l und Gund'l, alle drei von gleichem Alter, denn sie waren Drillinge.

Von den Kindern des alten Kneißl war der Matthias der begabteste und aller Liebling. Freilich in der Schule, bei den Büchern und in der Christenlehr' beim Herrn Pfarrer, da war der Matthias nicht der Erste, aber beim Schlingenstellen, beim Wildern, beim Jagdfreveln, da nahm er es mit den Geübtesten auf. Dies war auch kein Wunder, denn sein Oheim mütterlicherseits, der Pascolini, der war ein großer Wildschütz gewesen und ein sehr gefürchteter Räuberhauptmann in Oberbayern. Wenn die Mutter Abends am trauten Herdfeuer von den Thaten ihres Bruders erzählte, rief Matthias mit leuchtenden Augen: »So einer will ich auch werden. Ich will den bayrischen Hiesel in jeder Beziehung übertreffen. Ueber mich muß ein dickes Buch geschrieben werden.«

Der Alois, der sich bereits mit Erfolg als Einbrecher ausbildete und schon einige Jahre Zuchthaus abgemacht hatte, sprach dann: »Die Sach' ist gefährlich wegen die Schandimuckel.«

Worauf der Matthias antwortete: »Die knall' ich nieder.«

Da sprach der alte Kneißl: »Du mußt nicht auf die Gensdarmen schießen, denn die sind auch Menschen, zumeist Familienväter. Wenn man einen solchen Mann erschießt, belastet man sein Gewissen, da man eine Familie ihres Ernährers beraubt.«Genau nach den Prozeßakten, wie überhaupt dies düstere Sittenbild auf gerichtlichen Verhandlungen und unumstößlichen Berichten der Presse beruht.

Da gelobte ihm der Matthias mit erhobenen Schwurfingern, sein Gewissen rein zu erhalten und nie einen Gensdarm zu tödten.

Aber es nahten seine beiden bösen Engel, der Dienstknecht Schrenk und der Flecklbauer Michl Rieger, sowie der Holzleitner.

Mit rührender Liebe hing Matthias an den Drillingen, die in ihrem Bettchen nach Nahrung weinten.

»Ja, Ihr Armen,« rief Matthias, »die herzlose Regierung hat Euch die Ernährer genommen. Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen ihren Kleinen auf dem Aas und die fade Regierung gönnt Euch nicht mal das! O falsche, heuchlerische Krokodilenbrut. Aber, dies schwöre ich in die Schauder der Mitternacht, ich verlasse Euch nicht. Wer mir jetzt ein Schwert in die Hand gäb' – er sei mein Freund.«

Darauf sagte der Holzleitner: »Komm mit uns in die bayrischen Wälder. Wir wollen eine Räuberbande sammeln.«

»Du sollst unser Hauptmann sein,« rief der Schrenk.

»Sklaven und Memmen,« murmelte der Rieger.

Mit lärmendem Toben schrieen Alle: »Es lebe der Matthias!!«

»Bis ich ihm hinhelfe!« grollte Rieger vor sich hin.

»Kommt,« rief Matthias mit furchtbarer Stimme, »laßt uns gehen.«

Bei diesen Worten hing er sein Gewehr um, steckte fünf geladene Pistolen in seinen Gürtel, lud die Drillinge auf seinen Arm und schritt voran in die düstere Nacht.

Die Uebrigen folgten mit dem wehmüthigen Gesange: »So leb' denn wohl, du stilles Haus.«

Nur der Flecklbauer lachte höhnisch. »Dein Register hat ein Loch!« sprach er vor sich hin. »Du hast die Schandimuckel vergessen.«

Auf diese Weise gelangten sie bald an die Chaussee, wo ihnen der Sattlergeselle Dannhofer begegnete. Diesem schlugen sie mit dem Gewehrkolben auf den Kopf und nahmen ihm seine ganze Baarschaft ab. Da die wenigen Groschen jedoch zur Proviantirung der Bande nicht langten, gingen der Holzleitner und der Matthias nach dem Gehöft der Ottilie Scheurer. Diese wollte zetern, aber der Holzleitner warf sie auf das Bett und fuchtelte mit einem Revolver vor ihrem Gesicht, indem er drohte: »Wenn Ihr einen Laut von Euch gebt, schieße ich und Ihr seid hin

Während der Holzleitner fuchtelte, brach der Matthias die Kisten und Kasten auf, aus denen er einen Pfandbrief von 2000 Mark, einen dito von 500 Mark, fünf Hundertmarkscheine und sämmtlichen Schmuck nahm. Im Keller fanden sie nichts als die Sachen von dem Hütbuben. Diese wollte der Holzleitner auch rauben, aber der Matthias sagte: »Laß dem armen Hütbuben seine Sachen.«

Der Kneißl war eben durch und durch gerecht und von humaner Gesinnung. Und diese Herzensbildung trug ihm auch später, als er im Gefängniß saß, so viele schwärmerische Liebesbriefe von einer Anzahl selbst hochstehender Damen ein.Thatsache nach den Prozeßverhandlungen, worüber in den Zeitungen schmähende Bemerkungen gemacht wurden und zwar mit Unrecht. Denn wie sagt Goethe? »Gefühl ist Alles.« Und die Damen, welche Goethe begriffen hatten, spürten jetzt das Verlangen, den Kneißl zu begreifen. Dies konnte, da sie nicht zu ihm gelassen wurden, nur auf brieflichem Wege geschehen und ist psychologisch erklär- und dadurch entschuldbar.

Doch wir wollen den Ereignissen nicht vorauseilen, sondern folgen den Räubern nach ihrem Rastplatze in den bayrischen Wäldern.

Die Räuber lagerten auf einer Anhöhe unter Bäumen. »Dort kommt der Hauptmann!« rief der Flecklbauer.

Mühevollen Schrittes nahte Kneißl, die nie versagende Flinte auf dem Rücken, die Drillinge auf dem Arme. Ihm folgte der Holzleitner mit der Beute.

Vorsichtig lud Kneißl die Drillinge ins weiche Moos ab und warf sich selbst auf die Erde. »Hier muß ich liegen bleiben!« sprach er. »Meine Glieder sind wie abgeschlagen, meine Zunge trocken wie ein Scherben.«

»Der Wein ist all' in unseren Schläuchen!« sagte der Riegler.

Da trat aus dem Tannendickicht eine anmuthige Gestalt. Rothe Schnürstiefel umschlossen ihre zierlichen Füßchen, das lichtgrüne, seidene, kurze Kleid ließ ein Paar wohlgebauter, weißbestrumpfter Waden sehen. Eine mit Schwan besetzte Ulanka aus braunem Sammt schmiegte sich in entzückender Knappheit um eine tadellose Büste und auf dem lichtblonden Wellenscheitel saß neckisch eine scharlachrothe Confederatka mit langer Goldtroddel. An der linken Seite trug sie an einem hellblauen Moir éebande ein zierliches Fäßchen, worauf in Brandmalerei der Spruch zu lesen war:

Alle für Eine;
Eine für Alle.

Kneißl wollte sich erheben, allein er war zu schwach . . . er hatte als Bayer zu lange gedurstet.

»Meine Herren, verzeihen Sie!« sprach Elliorina – denn sie war es, »ich suche den berühmten Räuber Kneißl.«

»Hier ist er!« krächzte der Kneißl mit ausgedorrter Kehle. »Hast Du zu trinken?«

»Hier, mein Hauptmann!« sprach Elliorina und zapfte aus ihrem Fäßchen.

»Dein Getränk ist gut!« sagte Kneißl, nachdem er sich gelabt und auch den Drillingen gegeben hatte.

»Es ist echter Angostura!« erwiderte Elliorina und schänkte den übrigen Räubern ein, die an dem würzigen Bittern großen Gefallen fanden.

»Du bleibst bei uns als Marketenderin!« befahl Kneißl. »Nun aber erzähle uns die Geschichte Deines Unglücks, das Dich zu uns geführt.«

Elliorina erzählte, was der geneigte Leser bereits weiß. Einfach legte sie die Kabalen klar, denen sie ausgesetzt worden war.

»Pfui Teifel!« schrie der Kneißl, als sie geendet, »bringt mir meine Klampfen.«

Man gab dem Hauptmann die Zither. Mit geübter Hand griff er in die Saiten und sang:

»Von den Bergen da drob'n
Spuck i hinab auf die Welt.
Den Herrgott muß ma lob'n,
Der s' so hoch hat hing'stellt.
    Holdrio, dueliäh!«

Er war eben voller Gemüth, der Kneißl.

Ihm antwortete Elliorina mit einem schelmischen Gestanzl:

»Der Kneißl ist a Rauber,
Für die Männer halt a Schreck.
Aber weil er blitzsauber,
San die Weiber in ihn weg!
    Holdrio, dueliäh, dueliäh!«

»Juhu!« riefen die Räuber und stimmten in den Jodler ein.

»Juhu!« erscholl es aus dem Walde.

»Das sind der Schrenk und der Lorenz!« rief der Kneißl. »Gott geb', daß sie geraubt haben, was wir am nothwendigsten gebrauchen.«

Langsam kamen die Beiden, schwer mit einem Schiebkarren, auf dem ein großes Faß lag. Ein Faß Versand-Hofbräu!

Der Jubel kannte keine Grenzen. Das Faß wurde angesteckt und bald floß das schäumende Naß in die Krüge und in die Kehlen. Auch die Drillinge bekamen ihren Antheil, denn der Kneißl hatte geschworen, für sie zu sorgen. Und dann begann der Schuhplattler, den sie mit seltener Verve tanzten.

Friedlich lächelnd schaute der Vollmond auf dies koloristisch volksthümliche Bild harmloser Freude, wie sie nur sich offenbart, wo die Unebenheiten und Schärfen des Charakters durch wahre Natürlichkeit ausgeglichen werden.

Elliorina war froh, dem kalten, herzlosen Norden entronnen zu sein und in dem gemüthreichen Süden eine Zuflucht gefunden zu haben.

Zum Dank hierfür deklamirte sie eine neue freiherrliche, mit vierzehn Ahnenkraft verfaßte Ueberbrettldichtung, betitelt: »Die verbogene Gießkanne«, die jedoch sehr wenig Anklang fand. So viel natürliche Anlage zur Poesie die Räuber auch besaßen, fehlte ihnen zum rechten Verständniß dieser Gabe doch die nöthige literarische Durchbildung. Auch hatten sie weder ein Cabaret, noch einen Conférencier.

Gerade in diesem Augenblicke als Elliorina den symbolischen Schluß des Gedichtes sprach:

Und Plimperimplimm plim Plotscheplatsch . . .
Da saß er in der Pitsche-Patsch . . . . .

schwirrte eine feurige Rakete aus dem Nebengebüsche in den schwarzen Nachthimmel.

»Was war das?« rief der Kneißl.

»Nichts!« erwiderte der Rieger, der soeben aus dem nämlichen Tannicht hervorschlich. »Ich dacht', weil wir so vergnügt beisammen sein, thät das Raket'l die Lustigkeit erhöhen.«

Forschend blickte der Kneißl ihn an.

»Flecklbauer, ich kenn Dich!« sagte er stirnrunzelnd.

»I Di a!« antwortete der Flecklbauer in dem herzgewinnenden Dialekt seiner heimathlichen Berge und schlug dem Kneißl mit der biederben Rechten auf die Freundesschulter.

»Schon guat!« entgegnete der Kneißl. »I woaß, Du bist a Sau-Lump, aber ich trau' Dir wegen Deinem Gemüath.«

Wir werden erfahren, was jenes geheimnißvolle Zeichen zu bedeuten hatte.


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