Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zehntes Kapitel.

Der Graf in der Poliklinik.

In Dr. E. Millers Poliklinik war so viel zu thun, daß er für die einfacheren chirurgischen Operationen, wie Arm- und Bein-Abnehmen sich einer mit Dampf betriebenen Bandsäge bediente, die dreihundertundfunfzig Umdrehungen in der Minute machte. Eine von einem geprüften Feuerwehrmann geleitete Dampfspritze lieferte das dazu erforderliche Karbolwasser; das Jodoform wurde, um es billiger zu haben, sackweis bezogen, denn der Doktor theilte seine ärztliche Kunst umsonst aus. Da mußte er auf den Groschen sehen, um es zu etwas zu bringen.

Seitdem Emma verschwunden war, stand der Graf Szmoltopski dem sozialen Nichts gegenüber; er hatte nicht einmal so viel Geld, sich einen neuen Unterkiefer machen zu lassen.

In seiner Verzweiflung wandet er sich an Dr. E. Miller, der auch sofort Ja sagte, wenn der Graf Jemand stellen könnte, der soviel lebende Haut hergäbe, als zum Ueberziehen des Kiefers erforderlich sei, dessen Knochentheile der Doktor aus Celluloid herzustellen gedachte.

Wer aber giebt heute seine Haut her, wenn sie ihm nicht mit Gewalt abgezogen wird? Wer?

Szmoltopski sann. Wo waren seine Freunde aus der Zeit, als er noch vierspännig fuhr? – Durchgebrannt wie die Pferde.

Aber einer war; einer. Der würde es ihr zu Gefallen thun, ihr, der bildschönen Emma, der er seine keusche Neigung gewidmet hatte. Dieser eine war Gottfried Nordhäuser.

Deshalb schrieb der Graf den Brief, den wir kennen, er schrieb ihn im Namen Emma's. Rechtlichdenkende würden hierin eine Fälschung erblickt haben, der Graf aber nicht, denn seine Absichten waren edel, wie die eines Hofpredigers a. D., vielleicht noch edler, denn er wollte nicht das gänzliche Verderben eines Menschen, sondern nur sein Fell. –

Pünktlich wie immer erschien Gottfried und mit Freudenzähren willigte er ein. Konnte er doch so durch des Grafen Mund Emma'n seine stille Huldigung darbringen.

Dr. E. Miller hatte mit geschickter Hand einen Kiefer gearbeitet, der zum Gebrauch fast zu schön war. Er ging mit dem Grafen und Nordhäuser, nur von einem neu angestellten Heilgehülfen Namens Perleberg, der sich durch Gewandtheit auszeichnete, begleitet, in seinen Privatschneidesaal, der ganz aus Glas, vollkommen bazillenfrei war, so daß er hierin die kühnsten Operationen vornehmen konnte. Der Graf wurde auf den verstellbaren Glastisch gebettet. Nordhäuser mußte auf einem gläsernen Armstuhl Platz nehmen. Perleberg seifte ein.

Dr. E. Miller verwendet kein Chloroform, sondern schläferte die Patienten nach der sogenannten musiko-hypnotischen MethodeBroschüren und Atteste sind gegen Einsendung von 1 Mark – auch in fremden Postwerthzeichen – vom Erfinder zu beziehen. ein.

Bei schweren Fällen bedient er sich einer besonders gestimmten Ziehharmonika, bei leichteren genügt seine liebliche Stimme allein. Er singt dem Kranken eine oder zwei Arien aus der Oper »Ivanhoe« vor und sie liegen in gefühllosem Schlafe.

Nordhäuser schnarchte aus Pflicht schon nach einer halben Arie; der Graf gebrauchte mehr, weil er schon zu viel durchgefallene Musik gewohnt war.

Als er schlief, fügte der Doktor ihm den künstlichen Kiefer ein. Er saß wie angegossen. Dann schnitt er Nordhäuser'n einen großen, halbmondförmigen Hautlappen von der treuen Brust und überzog damit den Kiefer des Grafen. In kaum zehn Minuten war dies Alles geschehen.

Nordhäuser wurde entlassen, der Graf mußte bis zur vollkommenen Anheilung in der Poliklinik verbleiben.

Nach drei Wochen konnte er sprechen, kauen, pfeifen und . . . . küssen.

Aber, ach, Emma fehlte ihm.

Nur ungern schied der Graf, er hatte den Dr. E. Miller schätzen und achten gelernt. Als er ging, sagte der Doktor wissenschaftlich vorbeugend: »Lieber Herr Graf, einen Rath gebe ich Ihnen mit auf den Weg. Rauchen Sie nur lange Pfeifen, nie Cigaretten, keinesfalls aber Cigarrenstummel. Bedenken Sie, Ihr Kiefer ist aus Celluloid. Kommt Feuer daran – – – nur ein Funke – – – explodieren Sie.«

Der Graf hätte Perleberg'en liebend gern ein Trinkgeld gegeben, wenn er des Baaren nicht so gänzlich bar gewesen wäre.

»Wir nehmen hier nichts,« wehrte Perleberg ab, als der Graf umsonst in seinen Taschen suchte, »im Gegentheil, wir gegen noch zu. Darf ich Ihnen diese Cigarren verehren, sie brennen schlecht und sind deshalb ungefährlich für Sie!«

Als der Graf dankerfüllt ging, blickte Perleberg ihm schadenfroh nach.

»Ha, ha,« rief er, »Du glaubst uns Emma wieder zu entreißen mit Deiner neuen Larve? O, Du Thor! Rauche nur, rauche. In jeder Cigarre ist eine geheime Zündschnur verborgen. Emma gehört uns!«

Kein Anderer war Perleberg als . . . der Eremit.


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