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Sechzehntes Kapitel.
Es wird Zeit, daß wir uns nach Nordhäuser umsehen.
Wie nicht anders zu erwarten, war seine Regierung in Westostafrika eine segensreiche und glückliche.
Die Residenzstadt Assessoria blühte auf. Er hatte die Stadt in zwei Theile getheilt. In dem einen war Schutzzoll, in dem anderen Freihandel und dabei herrschte größte Freizügigkeit. So konnte sich jeder aussuchen, was er wollte.
Im Parlament ging es auf das Angenehmste zu. Die Beschlüsse wurden einfach ausgewürfelt. Dadurch war jeder Parteihader zu Ende.
Das Militär hatte er abgeschafft. Er sprach das große Wort aus: »Einer muß mit der Abrüstung anfangen«.
Und dieser Eine war Nordhäuser.
Dafür versorgte er sein Volk mit weitgehendster Unfallverhütung. – Alles, was gefährlich werden konnte, ließ er roth anstreichen. Messer und Gabeln mußten rothe Hefte haben. Kein Elephant durfte sich ohne rothe Zähne zeigen. Die Hufe der Pferde wurden roth gemalt. Denn wie leicht kann ein Pferd hinten ausschlagen.Er wollte anfangs die Pferde ganz verbieten, aber die Zweiräder sind zum Pflügen noch nicht vervollkommnet genug. Auch waren rothe Räder an den Bier- und Schlächterwagen obligatorisch.
Seit dieser Zeit wurde kein Kind mehr überfahren.
So volksbeglückend wirkte die rothe Farbe.
Im Innern war das Lang glücklich. Nicht aber am Rande. Mit Neid und Scheelsucht blickten die Nachbarn auf den glücklichen Staat, der fortwährend unter Nordhäuser stand; mit vollen Händen warfen sie die Saat der Zwietracht über die Grenze.
Immer weiter griff die künstlich geschürte Empörung um sich.
Nur Nordhäuser ahnte nichts.
»Ich halten jeden Menschenfresser für einen guten und harmlosen Staatsbürger, bis er mich vom Gegentheil überzeugt,« sagte er mit jenem, in der XXXIX. Gemeindeschule erworbenen echten Freisinn, der eine Hauptsäule der Humanität bildet.
Schrecklich war daher sein Erwachen, als die Rebellen sich am frühen Morgen vor seiner Wohnung zusammenrotteten und schrieen:
Wir wollen keinen Nordhäuser mehr.
Sie mußten mehr als von Sinnen sein.
»Du bist verloren, o Herr!« rief dringlich sein treuer Leibsklave Abu-Daemel, »wenn Du Dich nicht rasch an die Spitze Deiner Truppen stellt.«
»O Daemel!« rief Nordhäuser, »ich habe ja keine mehr. Aber die Engländer werden mir beistehen mit Infanterie und Kavallerie.«
»Herr!« schrie Abu-Daemel, »weißt Du nicht, wie gefährlich die sind? Sie haben ja rothe Röcke an.«
»Schrecklich, aber wahr,« sagte Nordhäuser. »Und ich traute ihnen. – Aber wüßte ich doch blos, woher die Wilden die schönen Schießgewehre haben, womit sie die Ansiedler und Schutztruppen niederknallen?«
»Von Euch selber,« erklärte Abu-Daemel. »Was Euer Land mit dem Schacher verdient, bezahlen seine Söhne mit Blut und Leben.«
»Aber Menschenkind, wie können Waffenindustrie und Export ohne Absatz an unsere Todfeinde gedeihen? Du bist zu dämlich, Abu-Daemel!«
Die Insurgenten drangen ein. Nordhäuser wurde gefesselt und in ihre Mitte genommen.
»Wohin führt ihr mich?« fragte er.
»Das wirst Du sehen,« rief ein Schwarzer und schmatzte blubbernd mit den dicken Lippen, wie im Vorgefühle eines leckeren Mahles.
Langsam bewegte sich der Zug zur Stadt hinaus, durch Palmenwälder bis in ein Thal des Gebirges, wo Halt gemacht wurde.
Nordhäuser blickte um sich; er kannte jetzt sein Schicksal.
Ueppig grüne Sträucher sah er mit herrlich leuchtenden rothen Früchten, sorgsam angepflanzt um einen freien runden Platz. Es war die Tomate der Kannibalen, aus denen sie die Sauce zu ihren grauenvollen Schmäusen bereiten.Solanum anthropophagorum, L. Siehe Leunis Synopsis der Pflanzenkunde § 643. 1.
»Emma,« flüsterte er, »lebe ewig wohl. Nur Dich habe ich geliebt. Diese Tomaten sind mein Tod.«
Die Wilden zündeten Feuer an, stellten einen Kessel darüber, in den die Weiber die Früchte hineinschnitten. Auch Rosinen thaten sie dazu und Mandeln, sowie Pfefferkuchen.
»Polnisch!« sagte Nordhäuser und gedachte wehmüthig der heimathlichen Bierkarpfen.
Jetzt trat der Oberschlächter mit gezücktem Messer auf ihn zu.
Freiwillig, mit dem Muthe eines deutschen Jünglings vom Koppenplatze, bot Nordhäuser seine entblößte Brust dem blitzenden Mordstahl dar.
Der Schlächter stieß aber nicht zu, sondern einen lauten Ruf der Verwunderung aus. Er stürzte platt auf die Erde.
Seinem Beispiele folgten die Uebrigen.
»Heil! Heil!« riefen sie. »Nordhäuser ist unser echter König. Er allein, er der Sohn des Mondes.«
»Heil! Heil!«
Was war geschehen? Woher kam diese plötzliche Wandlung der Gemüther?
Ist die Gunst des Volkes nur eine Schaukel?
O nein. Hier lagen Thatsachen vor, denn die Unterthanen erblickten auf der Brust Nordhäusers einen deutlich erkennbaren Halbmond.
Der freundliche Leser weiß, wie Nordhäuser aus Liebe zu Emma einen halbmondförmigen Hautlappen für die Herstellung von Szmoltopski's Unterkiefer bereitwillig hergab. Die Narbe hob sich scharf umrissen ab.
So rettete die edle That von damals ihn jetzt vor dem Gemetzeltwerden.
Eine gute That ist wie Lavendel, der bekanntlich lebenslänglich riecht.
Das Volk jauchzte ihm zu, denn es glaubte, Nordhäuser sei wirklich der Sohn des Mondes. Im Jubel brachte man ihn in die Stadt zurück. Die Glocken läuteten, die Kanonen wurden ununterbrochen gelöst, so daß die größte Freude herrschte.
Nur Einer war traurig inmitten der glänzenden Lustbarkeiten.
Nordhäuser. Und schwer regte sich sein Gewissen.
An der Pforte des Todes, mit dem letzten Athemzuge, hatte er sich eingestanden, daß er Emma liebte.
Dies war erklärlich, aber sündhaft, denn Emma war verheirathet!
»Abu-Daemel,« fragte er seinen treuen Leibsklaven, »weißt Du einen Ausweg?«
Abu-Daemel schüttelte sein schwarzes Haupt.
»Du bist wirklich, wie Du heißt,« sagte Nordhäuser. »Aber Du hast ein reines Herz. Das meinige ist schuldbeladen. Ach, nie kann Emma meine Gattin werden.«
Nordhäuser wußte jedoch nicht, daß Szmoltopski, Emma's Gemahl, auf einem Eckstein am Schiffbauerdamm saß und die von den Jesuiten mit Sprengpetroleum gefüllte Zigarre soeben in Brand setzte.
Harre aus in Rechtlichkeit, Nordhäuser, und herrlicher Lohn krönt Dein Streben.