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Wenn ich sage: tanzten, so ist das nicht so zu verstehen, als ob noch viel von Rhythmus, von Vergnügen der Bewegung, von Lust der Körper und was sonst das Wesen des Tanzens ausdrücken mag, darin zu sehen gewesen wäre.
Es waren lebendige Leichname, die da unten herumwankten, torkelten und taumelten, Leichen, die sich paarweise aneinanderkrallten, um nicht umzufallen. Ein Tanz von Gespenstern, angestachelt durch eine Zaubermusik, die sie aus Gräbern herausgetrieben hat, eine Art zäher Besessenheit, hervorgerufen durch den Klang von zweitausend Pfund, die dem Sieger versprochen waren. Sie hatten vor fünf Tagen zu tanzen begonnen und tanzten heute noch, hatten all die Tage und Nächte durchgetanzt, im langsamen Takt der Musik zwar, aber ohne Aufhören, immer im gleichen mörderischen grellen Licht und in der lauen Wärme dieses klebrigen Getönes.
»Das ist schrecklich«, sagte Thea an meiner Seite.
Und nach einer Weile: »Das ist abscheulich!«
Irgendwie hatte sich auch Paul Nosters Jaguar endlich davongemacht. Paul trat vor, stützte sich auf die Logenbrüstung wie ein Festredner und fragte verwundert: »Ja, was machen denn die Leute da unten?«
»Sehen Sie«, erläuterte ich, »dort in den rotweiß gestreiften Zelten, die rings um den Saal aufgestellt sind, da werden die Maschinen frisch geölt. Zwei Stunden müssen sie tanzen, dann dürfen sie eine Viertelstunde lang auf den Feldbetten, die dort aufgestellt sind, ruhen und sich flach ausstrecken. Das ergibt zweieinhalb Stunden Ruhe auf einen Tag und eine Nacht Tanzen. Dann, nach fünfzehn Minuten, kriegen sie Kognak eingeflößt, werden mit heißen Tüchern gerieben und geschlagen wie Boxer, oder man spritzt ihnen Eiswasser ins Gesicht. Dann müssen sie wieder hinaus in das Licht und die Musik. Sie dürfen sich auch während des Tanzens den elektrischen Massagegürtel umlegen lassen oder die Tabletten nehmen, die ihnen die Krankenpflegerinnen in den Mund schieben, aber ihr Partner muß sie dabei immer in Tanzstellung halten, und sie müssen die Schritte machen ... immer Tanzschritte. Und hier sitzen die Zuschauer, dort unten haben Sie die Berichterstatter der Zeitungen. Die dürfen aufstehen und hinausgehen ans Büfett, essen ein Lachsbrötchen, trinken ein Glas Wein und kommen wieder zurück. wenn es ihnen zu langweilig wird, packen sie zusammen und fahren heim. Die anderen müssen tanzen ... aber übrigens, ich glaube, als ich vor zwei Tagen zum erstenmal hier war, da gab es etliche Paare mehr als heute. Es müssen einige ausgeschieden sein. Mit hundertzwanzig Paaren hat es begonnen ...«
Wie um meine Vermutung zu bestätigen, fiel in diesem Augenblick mitten im Saal eines der Paare auf den spiegelnden Boden hin, gerade unter der riesenhaften Uhr, die da ausgestellt war, und deren großer Zeiger im grellen Licht ruckweise von Minute zu Minute sprang, während der kleine mit tödlicher Langsamkeit vorwärts schlich.
Das Paar sank einfach zusammen, als hätte es in diesem lauen Geplätscher von Musik seinen Lebenssaft verströmt, als seien ihm Blut, Wille, Vernunft, Bewußtsein ausgeronnen, und nun lagen Tänzer und Tänzerin übereinander wie ein unordentliches Bündel Kleider. Ein Arzt kam aus einem der Zelte hervor, fühlte den Puls, zwei Krankenpflegerinnen in weißen Kleidschürzen und Häubchen machten sich um die Gefallenen zu schaffen. Dann brachten auf den Wink des Arztes einige Diener Bahren herbei, nahmen das Bündel auseinander und trugen die Erledigten zum Saal hinaus, während die Wiederantretenden von Ordnern aus den Zelten herangebracht wurden wie Automaten, die man auf den Platz führt, wo sie ihr Spiel beginnen sollen.
»Sehen Sie nur«, fuhr ich fort, »sie tanzen mit geschlossenen Augen, die Lider sind dick verschwollen, der Mund steht ihnen offen, die Finger sind starr wie aus Holz.«
»Nein«, erschauerte Thea, »das ist grauenhaft!«
Mister Forst, der neben mir saß, hatte sich vom Logenschließer ein Opernglas geben lassen und schien einem Paare unverwandt mit den Blicken zu folgen. Ich glaubte zu bemerken, daß seine Aufmerksamkeit einer jungen Frauensperson galt, einem Mädchen von einer seltsamen, ausländischen Schönheit, das auch mir schon vor zwei Tagen bei meinem früheren Besuch aufgefallen war. Sie hatte einen breitschulterigen Neger zum Tänzer und war von einer Gelöstheit und Preisgabe ihres Selbst, als wollte sie es in völliges Vergessen dahinschmelzen lassen.
»Es ist merkwürdig«, sagte ich, »daß gerade die schlanksten Frauen, die am zartesten aussehen, wie die da unten ... ja, die ... die mit dem braunen, feingeschnittenen Gesicht ... es muß eine Malaiin oder Indianerin oder dergleichen sein ... die mit dem Neger ..., daß die am ausdauerndsten und am widerstandsfähigsten sind. Der Neger hat Filzpantoffeln an, aber sie trägt nicht einmal eine Knöchelbinde wie die anderen. Und wie sie tanzt ... es ist eine Art Selbstmord!«
»Kommen Sie fort«, sagte Thea, »das halte ich nicht aus!«
Ich begann, etwas spät, einzusehen, daß ich meine Freunde an einen einigermaßen vergnüglicheren Ort hätte bringen sollen. Aber vor zwei Tagen war es noch gar nicht so schlimm gewesen. Da hatten die Damen in der Freiviertelstunde sogar noch die Kleider gewechselt oder sich drüben im »Schönheitssalon« neben dem Eingang ondulieren, pudern und schminken lassen. Jetzt war es jedoch wirklich kein erträglicher Anblick mehr. Und ich versuchte mich mit meinem guten Willen zu trösten, mit der lebhaften Absicht, Paul Noster durch dieses Schauspiel zu einer Vergleichung mit einem Übermaß in allerlei anderen Dingen zu veranlassen, etwa zum Beispiel in der mexikanischen Archäologie. Aber ich hatte offenbar kein Talent fürs Lehrhafte, und die Umstände waren nicht danach angetan, daß ich die beabsichtigte Nutzanwendung jetzt hätte laut und deutlich aussprechen dürfen.
Paul Noster fiel die Parallele jedenfalls nicht von selber ein. Er stand noch immer in der Haltung eines Festredners an der Brüstung und fragte verschüchtert: »Ja, aber warum machen das die Leute da unten?«
Mister Forst streckte den Zeigefinger bedeutungsvoll vom Opernglas empor, ohne es von den Augen zu nehmen: »Zweitausend Pfund!« sagte er in einem Ton erregter Verbitterung. »Übrigens ... übrigens, ich glaube ... ja, da unten im ersten Rang über dem dritten Zelt von links sitzt der Mann, der das Ganze veranstaltet hat, ein Mister Brög, ein Amerikaner.« Und er fügte mit einem höhnischen Lachen hinzu: »Steinreich ... Einer von denen, die glauben, sich alles gestatten zu können, und die alle Menschenschicksale durcheinanderschieben möchten wie Dominosteine.«
Damit reichte er mir das Opernglas herüber, und ich sah mir den Mann an, der das Ganze veranstaltet hatte. Er saß in seiner Loge, die nur um zwei Meter über dem Tanzboden erhöht war, hatte einen Sherry-Cobler vor sich aus der Brüstung stehen und sog von Zeit zu Zeit an dem Strohhalm. Wenn er nicht an dem Strohhalm sog, dann putzte er seine Nägel mit den Instrumenten eines Täschchens für Handpflege, das neben dem Sherry-Cobler lag. Er tat ganz so, als ob er bei sich zu Hause wäre, und es schien ihm ebenso gleichgültig zu sein, daß man ihm dabei zuschaute, wie, daß sich inzwischen eine Anzahl von Menschen um einen Scheck auf zweitausend Pfund willen vor ihm in ein besseres Jenseits hinübertanzte. Wenn diese Gleichgültigkeit und Gelangweiltheit nicht gemacht war, dann besaß er jedenfalls das Gemüt eines Fleischhackerhundes und ebensolche Umgangsformen.
Ich betrachtete ihn durch das Opernglas lange und gründlich, und je länger ich ihn betrachtete, desto mehr ging meine entrüstete Anteilnahme aus dem Allgemeinen ins Besondere über. Schließlich hatte sich meine Vermutung so verdichtet, daß sie nahezu Gewißheit geworden war.
»Du, Paul«, sagte ich, indem ich das Glas an Noster weitergab, »ich weiß nicht ... ich glaube ... mir ist ...«
»Was denn?« fragte Noster und untersuchte mit dem Glas beharrlich eine Loge am entgegengesetzten Ende des Saales, in der zwei ältere Damen saßen.
»Dein Vitzliputzli soll mich in der tust zerreißen ...«
»Ich bitte dich, sag nicht immer Vitzliputzli wie die Schulkinder, der Gott heißt Huitzilopochtli!«
»Also, der oder ein anderer soll mich holen, wenn das nicht unser Brög ist.«
»Was für ein unser Brög?«
»Na – unser Brög, mit dem wir in Krems auf der Schulbank gesessen haben.«
»Nicht möglich!«
»Sag nicht unmöglich, bevor du ihn dir nicht angesehen hast.« Und damit gab ich seinem Glas die Richtung auf den Gentleman mit dem Sherry-Cobler und der Nagelfeile.
Paul zwinkerte eine Weile durch das Glas, drehte es um, betrachtete das Objektiv, als ob er einen Verdacht gegen seine Objektivität hätte, setzte abermals an und zwinkerte noch eine Weile.
Dann sagte er. »Ich weiß nicht ... ich glaube fast auch ... eine Ähnlichkeit ist gewiß vorhanden. Soweit man nach so viel Jahren und auf diese Entfernung – ...«
»Das muß jedenfalls festgestellt werden!« sagte ich mit plötzlichem Entschluß.
Paul war plötzlichen Entschlüssen wenig gewogen. »Wie willst du das feststellen?«
»Man könnte ihn doch einfach fragen, ob er's ist.«
»Und wenn er's nun nicht ist?« wandte Paul bedachtsam ein.
»Es kann uns nichts weiter passieren, als daß er's nicht ist. Gib deine Karte her!«
Während Paul seine Karte aus einem Wust von Zetteln hervorgrub, die seiner Brieftasche den Umfang einer Aktenmappe gaben, zückte ich die meine und schrieb drei Worte darauf.
Ich schrieb darauf: »Sei nicht so!«
Das war das Schibboleth unserer Lausbubenzeit gewesen, das geheime Kenn- und Losungswort unseres Triumvirats, eine jener belanglosen Redensarten, die, immer wiederholt und in wechselnden Betonungen auf die verschiedensten Fälle angewandt, schließlich zu einer Art verblödeter Tätowierung des Geistes führen, die ein ganzes weiteres Menschenleben nicht mehr auszulöschen vermag.
Sodann rief ich den Logendiener und gab ihm mit den Karten meinen Auftrag, und nun warteten wir, ob der Pfeil sitzen würde.
Mister Forst war unseren Verhandlungen mit Spannung gefolgt und fragte jetzt: »Kennen den Mann, wie?«
»Ich glaube nicht zu irren, daß er unser Mitschüler gewesen ist.«
»Nicht unmöglich. Soviel ich weiß, ist er ein geborener Deutscher oder Österreicher oder so was.«
»Kennen Sie ihn denn auch?«
»Beiläufig! Ist der Neffe unsres Direktors Breadsley. Da war ja seine Mutter! Breadsleys Schwester! Eine Engländerin!«
»Oder so was!« fügte ich gereizt hinzu; in dem Ton des Mannes war etwas Geringschätziges, das meine Galle aufregte.
Ich hatte indessen nicht Zeit, das Geplänkel fortzusetzen, denn inzwischen war der Diener unten in die Loge des Mannes getreten und hielt ihm würdevoll wie ein Zeremonienmeister die beiden Karten hin. Der Mann ließ den Strohhalm aus den Zähnen, nahm mit nachlässiger Gebärde die Karten in Empfang und schaute im nächsten Augenblick überrascht auf. Ich konnte durch das Glas deutlich beobachten, daß er eine Frage an den Diener richtete, sah den wohlerzogenen älteren Herrn mit dem Kopf nach unserer Loge deuten, und dann stand der Mann unten auf. Er nickte, noch immer seiner Sache nicht genau gewiß, zu uns empor. Ich nahm das Glas von den Augen und nickte zurück.
»Es ist wirklich Brög«, sagte ich.
Ja, es war unser Brög, der zwei Minuten später in unsere Loge trat.
Es gibt Menschen, die ihrem Gesicht das ganze Leben hindurch etwas Jungenhaftes bewahren, etwas Freches, Schnippisches, Ungezogenes, eine weiche Bildung der Nase, des Mundes, des Kinns, die im Laufe der Jahre erstarrt, aber die Form nicht wesentlich ändert. So einer war Brög, und da er bartlos geblieben war – schon deshalb, weil ihm ein Bart überhaupt nicht wuchs, und wir hatten es ihm vorausgesagt und ihn damit aufgezogen –, so brauchte ich mir auf meine Scharfsichtigkeit nicht allzuviel einzubilden, wenn das Dasein etwas an diesem Gesicht gewandelt und gehärtet hatte, so war es die Stirn und vor allem natürlich die Augen, die manchmal einen Blick wie grauer Stahl hatten.
Er breitete seine Arme aus. »Paul!« sagte er mit etwas wackeligem Ton, als seien die Stimmbänder nicht fest genug angezogen, und dann: »Bernhard!« Und dann tat er etwas, was für die Olympia Hall, für London, für ganz England einschließlich der Dominions völlig unerhört war, er zog uns an sich und gab jedem von uns zwei Küsse von schallender Brüderlichkeit auf die Wangen, ganz so, wie wir drei Triumvirn uns nach den Ferien zu begrüßen pflegten.
»Männer von Athen!« rief er, und sein Jungengesicht schwamm in Verzückung wie ein rosiger Schinken in Madeiratunke. »Männer von Athen, welch günstiger Wind hat euch an diese Küste geweht?«
Es war keine Spur von Gleichgültigkeit und Langeweile mehr vorhanden, der ganze Mensch sprühte Freude und Begeisterung, und es dauerte eine gute Weile, ehe wir dazu kamen, ihn Fräulein Siebertz vorzustellen. Für Mister Forst hatte er eine gemessene Verbeugung flüchtigen Bekanntseins, der ich entnahm, daß die gegenseitige Einstellung ungefähr die gleiche war.
»Aber daß wir einander gerade hier begegnen müssen«, sagte er, als er sich etwas beruhigt hatte, »der Genius dieses Ortes paßt wenig zu einem so wundersamen Wiederfinden. O Männer von Athen, wir wandern aus!«
Ich konnte ihm nur recht geben, und wir brachen auf.
Eben als wir die Loge verließen, entstand unten auf dem Tanzboden ein kleines Getümmel.
Es war eine Tänzerin zusammengebrochen, die Braune, Schlanke, die so tollwütig selbstzerstörerisch getanzt hatte. Jetzt hatte sie ihr Teil weg. Sie hing schlaff mit gelösten Gliedern und baumelndem Kopf in den Armen des Negers, aber der stand auch nicht fest auf seinen Filzpantoffeln, er schwankte, und schließlich ließ er seine Last aus den Parkettboden niedergleiten.
»Das arme Ding!« sagte Thea mit einem Laut des Bedauerns.
Ich mahnte sie durch eine leise Berührung zum Gehen, und dabei streifte mein Blick zufällig Mister Forst. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß dieser hier so gar nicht ungewöhnliche Vorfall seinen übertriebenen Gleichmut in eine solche Erregung verwandeln könnte. Er war ganz grün geworden und starrte in den Saal hinab, und ich hatte den Eindruck, es fehlte wenig daran, daß er aus unserer Loge mit einem Satz auf den Tanzboden gesprungen wäre.
Dann stieß er uns beiseite, drängte zur Tür und lief die Treppe hinunter. Wir folgten ihm in den Saal und kamen gerade dazu, als das junge Mädchen von den Dienern auf die Bahre geladen und zwischen den Beinen der Tanzenden, die ihr Getorkel nicht unterbrechen durften, in eines der Zelte geschafft wurde.
Mister Forst schlug vor den Trägern den Zeltvorhang auseinander, und ich weiß nicht, was uns antrieb, hinter ihm gleichfalls einzutreten. Vielleicht war es Theas so plötzlich erwachtes Mitgefühl, das auch auf uns überging und uns an dem Schicksal der Tänzerin teilnehmen ließ.
Das Mädchen sah in seiner tiefen Bewußtlosigkeit erbarmungswürdig aus, ihre Augen lagen in schwarzblauen Höhlen, ihre Nase war spitz und blaß, und aus dem Mund kam ein dünner rötlicher Faden mit Speichel vermischten Blutes hervor. Aber all das vermochte nicht völlig ihre fremdartige, rätselhafte Schönheit zu zerstören, diese Schönheit eines kranken Vogels aus fremdem Land, der sich unter unserem Himmel voll Telegraphendrähten und Bogenlampen den Tod geholt hat.
Forst stand neben dem Feldbett, auf das man sie gelegt hatte, und sein Gesicht war eine stumme Frage der Angst an den Arzt.
»Ja«, sagte dieser, indem er das Hörrohr von der Brust der Bewußtlosen nahm, »ich habe sie gewarnt ... ich habe ihr das Weitertanzen sogar verboten ... aber sie wollte nichts hören ... in ihrem Zustand ...«
»Wird sie wieder ...?« stotterte Forst.
»Mein Gott ... es ist die Lunge und das Herz! Ich habe die Verantwortung abgelehnt. Sie war nicht zu halten. ›Lassen Sie mich, was liegt an meinem Leben‹ ... und was so dumme Redensarten sind, als wäre sie eine Selbstmordkandidatin ... Es ist eine Art Wahnsinn ...!«
Eine der Krankenpflegerinnen reichte ihm ein kleine silberne Spritze, eine andere betupfte eine Stelle des Armes mit Jod, und dann stach der Arzt die dünne Nadel in das Fleisch und drückte den Kolben langsam herab.
Nach einigen bangen Minuten schlug die Kranke die Augen aus, große, dunkle, mit dem Glanz des Fiebers über einer Brunnentiefe äußerster Erschöpfung.
»Anita!« sagte Forst, indem er ihre Hand erfaßte.
Sie schaute ihn an, ihr Blick wanderte gleichgültig von ihm fort, dann sah sie uns, und da bewegten sich die Tiefen dieser Augen, ihre Lippen bewegten sich, versuchten Laute zu formen.
Thea war ganz leise an sie herangetreten, hatte ihre Hand genommen und sich über sie gebeugt. Inmitten der berufsmäßigen, gemessenen, leisen Pflichterfüllung der Pflegerinnen strömte aus ihrem Herzen die Fülle fraulichen Mitleidens.
»Wo ist ...?« vernahmen wir endlich eine schleierzarte, gehauchte, matte Stimme.
»Wer?« fragte Thea mit unendlicher Sanftheit.
»Der Herr ... aus Ihrer Loge ...«
Es fiel uns jetzt erst auf, daß Brög nicht mit uns in das Zelt eingetreten war.
»Anita!« sagte Forst mit einem Beben in der Kehle.
»Ich will ihn holen«, erbot sich Thea und lief hinaus, und das Mädchen faltete die Hände über der Brust und lag wie in Erwartung einer großen Seligkeit, fast mit dem Schimmer eines Lächelns auf dem eingefallenen Gesicht.
Aber Thea kam ohne Brög zurück, etwas kleinlaut und verlegen, wie mir schien. »Er ist nicht mehr da ... man hat ihn geholt, er ist eben fortgefahren.«
Das Versinken des Schimmers von Lächeln in die Abgründe von Enttäuschung war ein trauriger Anblick. Und dabei sah die Kranke Thea fest an, eindringlich forschend, als wolle sie dahinterkommen, was alles man ihr aus Mitleid verschwieg; und dann schob sie ihre Hand über die Theas, die sich auf den Rand des Feldbettes stützte.
»Sie sind gut!« sagte sie und wandte den Kopf der Zeltleinwand zu, und der Arzt machte uns ein Zeichen, zu gehen. Mister Forst schien bleiben zu wollen, er zögerte, aber das Zeichen galt auch für ihn, und er mußte uns folgen.
Draußen vor dem Säulenportal stand Richard unter dem lausenden Lichtband, auf dem die Worte: »Wett-Dauertanz! – Preis zweitausend Pfund! – Fünfter Tag!« einander unablässig folgten, und rauchte eine Zigarette.
»Warum sind Sie nicht mit hineingekommen!« fragte Thea vorwurfsvoll.
Richard warf die Zigarette fort. »Das ist eine zu lange Geschichte, um sie Ihnen zu erklären«, brummte er beinahe unartig. »Aber glauben Sie mir, es war besser so, daß sie mich nicht zu sehen bekommen hat.«
»Eigentlich sind sie es«, sagte Mister Forst so heftig und haßerfüllt, daß es klang, als führe er einen Streich, »Sie sind es, der für das alles die Verantwortung trägt.«
»Wenn sich Narren und Närrinnen finden, die mitmachen«, meinte Richard gemütlich, und dann nannte er dem Türsteher die Nummer seines Autos.