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Dreizehntes Kapitel.
Purzelchen strickt seidene Strümpfe und erhält eine erhabne Bestimmung

Drei Tage sind eine lange Zeit, und wenn man glaubt, man könne sie glatt überstehen, so merkt man bald, daß die Ewigkeit dagegen ein Pappenstiel ist.

Außer dem atembeengenden Warten brachte sie auch noch Quälereien in Menge.

Zuerst einmal Gudrun: »Wenn ich nur wüßte, woher ich deinen Herrn von Nadolny schon kenne! Und mag er mich noch so sehr vergessen haben oder vielleicht gar verleugnen, begegnet bin ich ihm, und gesprochen hab' ich auch mit ihm, darauf könnt' ich Gift nehmen. Die Stimme liegt mir noch immer im Ohr.«

›Kunststück,‹ dachte Purzelchen, ›die liebe Waldhornstimme soll einer vergessen.‹ Und dabei schlug ihr das Herz bis zum Halse empor.

»Übrigens sehr elegant ist er nicht,« fuhr Gudrun fort. »Einen adligen Großgrundbesitzer hab' ich mir immer patenter gedacht. Blau trägt doch jetzt – außer beim Segeln – kein Mensch mehr.«

Hätte sie gar noch die Strümpfe gesehen! Aber dieses Schrecknis schien unbemerkt an ihr vorübergegangen.

Purzelchen beschloß, auf der Stelle die geplanten Maßregeln zu ergreifen, die eine Wiederkehr dieser Gefahr aus der Welt schaffen mußten. Das einfachste wäre gewesen, ihm zu sagen: »Du, so was hat man nicht!« Aber zu einer solchen Dreistigkeit wäre sie niemals imstande gewesen. Ebensowenig ging es an, ihm ein Paar als Geschenk mitzubringen, denn das hätte er leicht als Beleidigung betrachtet.

Aber etwas anderes bot sich als Ausweg: man mußte die Strümpfe selber stricken. Dann wurden sie zu einem Liebeszeichen wie Schlummerkissen und Häkelkrawatte und konnten nicht abgelehnt werden.

»Liebes Mamachen, ich möchte so gern etwas Häusliches lernen. Das würde Herrn Gerberding sehr gefallen. Könntest du mir zum Beispiel nicht zeigen, wie man so Strümpfe strickt?«

Mama machte ein sehr erstauntes Gesicht. »Aber, mein Kind, Strümpfe strickt man schon lange nicht mehr. Das ist ganz aus der Mode gekommen. Da kauft man doch besser die fertig gewebten.«

»Aber in Südamerika ist man vielleicht noch gar nicht so weit. Da gibt es ja immer noch Wilde. Auf alle Fälle: zeig es mir doch.«

Das war für Mama eine schwere Prüfung, denn seit ihrer Kinderzeit hatte sie kein Strickzeug mehr in der Hand gehabt.

Doch als sie die dunkelbordeauxfarbene Seide sah, die Purzelchen als zu dem blauen Anzug passend schon eingekauft hatte, da erwachte der Ehrgeiz in ihr. Sie ergriff die Nadeln, die auch schon bereit lagen, und die Lehrstunde konnte beginnen: »Zuerst schlägt man auf vier Nadeln Maschen auf. So … Und dann muß man mit der fünften die Nadeln eins und vier zusammenstricken.«

»Was heißt das: Zusammenstricken?« fragte Purzelchen.

»Sagen kann ich es auch nicht,« erwiderte Mama, »aber vormachen kann ich's vielleicht.«

Fürs erste ging auch das Vormachen schlecht, aber schließlich kamen die Erinnerungen wieder, so daß die erste Reihe leidlich gelang.

»Immer eine Masche glatt und eine Masche kraus,« sagte Mama, »denn für die Borte ist das notwendig.«

»Aber wie unterscheidet sich das Glatte von dem Krausen?«

»Du mußt eben hübsch aufpassen, wie ich das mache,« sagte Mama, stolz auf das bisher gelungene Werk. »Erklären läßt es sich nicht.«

Oh, es war schwer. Sehr schwer war's. Aber man leidet gerne für den, den man liebt. Und als die Schlafenszeit kam, da erklärte sie in ihrem Eifer, noch ein paar Stunden aufbleiben zu wollen, um das Frischgelernte fest werden zu lassen.

Mama war's zufrieden. »Wenn Herr Gerberding heimkommt,« sagte sie, »dann wirst du ihm das Paar vielleicht schon überreichen können. Zum Zeichen, wie liebevoll du seiner gedacht hast.«

Jawohl. Als zweites: Herr Gerberding.

Keine Feder vermag zu schildern, welche Marter es war, den fälligen Brief zu verfassen.

Zweimal in der Woche kamen seine Episteln auf blauem Geschäftspapier mit Firma und Bankausweis und wollten ebenso häufig beantwortet sein.

Bisher war es leidlich gegangen. Kleck und Linienblatt taten das ihre, und wenn man nicht weiter wußte, fragte man Mama oder Gudrun, die einem die fehlenden Ausdrücke sagten.

Aber jetzt. Um Gottes willen! So leer war plötzlich das Hirn, daß man von keinem Satz auch nur den Anfang wußte.

»Sei nett, Gudrun. Du hast mir schon oft aus der Patsche geholfen, und heute bin ich total vernagelt.«

»Na, schön,« sagte Gudrun, gutherzig wie immer, »ich werd' dir den ganzen Zimt diktieren.«

»Ach, wie herrlich!« jubelte Purzelchen.

Und Gudrun begann: »Lieber, lieber Herr Gerberding!«

»Sonst schreibe ich bloß immer einmal ›lieber‹,« warf Purzelchen ein.

»Darum gerade mußt du's jetzt zweimal schreiben,« sagte die Schwester. »Wenn man einen Neuen liebt und den Alten nicht abschaffen kann, muß man zu dem doppelt so lieblich sein. Sonst riecht er am Ende noch Lunte.«

»Welchen Neuen?« fragte Purzelchen mit dem schwachen Versuche, sich dumm zu stellen.

»Hab dich nicht,« erwiderte Gudrun. »Der Abend hat ja uns beiden was Liebes gebracht. Viel wird zwar aus meinem nicht werden. Oh, feiner Junge! … Hat Kinderstube, badet in russischer Eau de Cologne und reitet nur Vollblut: Aber es ist ein Aber dabei! Er ist so ans Geldausgeben gewöhnt, daß er sich eine Geliebte ohne Eigenheim und Auto und Zobelpelz gar nicht vorstellen kann. Mit so was mag er Revuegirls oder Portiertöchtern imponieren, aber nicht mir. Und außerdem soll man ihm auch noch treu sein. Nich zu machen, mein Liebes!«

›Ich möcht' meinem Fritz so gerne treu sein,‹ seufzte Purzelchen schweigend in sich hinein, indem sie mit Schaudern des Doktors gedachte.

Und dies war das Dritte, das Schlimmste. Wieviel Seelenkämpfe quollen daraus hervor! Wieviel verzweifelte Entschlüsse wurden aus Furcht und Reue geboren!

Hätte man nicht – wäre man nicht –! Kaum auszumessen die Wonne, die nun für ewig verspielt war. –

In Mamas Kommodenschublade lag unter alten Bändern und Rüschen eine Hutnadel – eine von den mörderisch spitzen, vor deren Gebrauch einstmals, ehe man die Topfhüte trug, der Polizeipräsident selber gewarnt hatte.

Dies wußte Purzelchen von Mama, und ehe sie am Morgen nach jenem Feste den Weg zu ihrem Tagewerk antrat, hatte sie diese Nadel an sich genommen und in ihrer Frühstücksmappe versteckt.

Wenn der Doktor sie attackierte, dann trug sie doch eine Waffe bei sich.

›Er oder ich!‹ Einer mußte daranglauben. Entweder sie stieß ihm die Nadel ins Herz, oder – wenn seine Kraft dies nicht zuließ, dann – dann –! Nicht umsonst hatte sie in der Schule die Geschichte von der tugendhaften Virginia gelernt. Wiewohl sie nicht so tugendhaft war, sterben konnte auch sie. Und dann würde er in der Abenddämmerung zu ihrem Grabe pilgern und weinen und weinen. Bei allem Unglück war dieser Gedanke so schön, daß ihr die Augen voll Wasser standen, sobald sie ihn nur zu denken versuchte.

Aber Gott sei gelobt. Es kam anders.

Der Doktor, der sie seit ihrem ersten bittenden Widerstande in Ruhe gelassen hatte, dachte auch jetzt nicht wieder daran, sich ihr mit Zärtlichkeiten zu nähern. Er hatte ja Freundinnen übergenug, und wenn er nach ihnen düster schmachtende Blicke warf oder gar mit dieser und jener nach dem Röntgenzimmer verschwand, dann stieg ihr stets ein Dankgebet aus der Seele. Doch ihre Angst blieb die gleiche. Und bevor die erste Patientin kam oder nachdem die letzte gegangen war, fühlte sie immer ein Zittern angesichts der Gefahr, die in jedem Augenblick über sie herfallen konnte.

So gingen in Not und Hoffen die drei Tage dahin. Und wenn auch in dem angefangenen Strumpfe manche fallengelassene Masche sich vorfand – ein Greuel, der nur mit der Nähnadel hernach aus der Welt geschafft werden konnte –, bei fleißiger Nachtschicht war die Röhre schon fast bis zum Hackenrande gediehen.

Welch ein Stolz und welch ein Glück, daß man für ihn hatte arbeiten dürfen!

Und jetzt war die Stunde da.

Wie verschieden von damals! Heller Tag und hochstehende Sonne! Aber sie hatten ja nichts zu verstecken! Herr Gerberding fuhr in den Industriebezirken nach Optionen herum. Und der Doktor konnte ihr sonst was. Als richtiggehende Liebesleute hätten sie ruhig Arm in Arm legen können, wäre nur – wäre nur der Ring nicht gewesen, den er am Finger trug.

Doch was er durfte, das mußte er besser wissen als sie.

Und da kam er. O Gott, da kam er. In demselben blauen Anzug – wie gut er ihm stand, obwohl er schon aus der Mode war! – und in steifgerandetem Hute. Ein mattgelber, zackig geflochtener Strohhut, wie die feinsten Herren ihn tragen – und nicht mehr jenes Jägerkapottchen, das viel zu sehr an die »grüne Woche« gemahnte. Von den Wollstrümpfen aber war überhaupt nichts zu sehen.

Und »Fritz« durfte sie sagen, als sie ihm die Hände entgegenstreckte. Ganz einfach »Fritz«, als ob dies seit Weltbeginn so gewesen wäre.

In seiner Linken trug er drei Rosen wie einstmals, die reichte er ihr lieb lächelnd und sagte: »Zur Erinnerung an den Savignyplatz.«

Und sie dankte und sagte: »Eigentlich müßt' ich nachträglich eifersüchtig werden auf Gudrun, wie sie jetzt im geheimen eifersüchtig auf mich ist, denn sie fragt immerzu: ›Wo bin ich ihm schon begegnet? Wo bin ich ihm schon begegnet?‹ Wenn sie's bloß nicht herauskriegt!«

Worauf er erwiderte: »Und ich müßte mich eigentlich schämen, daß ich so leichtsinnig angebandelt hatte mit ihr.«

» Sie hatte angebandelt mit dir,« verteidigte Purzelchen ihn vor sich selber, »denn ich kenne doch Gudrun. Die ist nun mal so. Und sie kleidet es auch.«

»Aber du bist nicht so?« fragte er bittend und streichelte ihre Hand, die noch in der seinigen lag.

»O Gott,« sagte sie, »wenn mich einer anspricht, dann sterb' ich schon immer vor Angst.«

Damit schien er befriedigt. Und dann gingen sie los.

»Ob wir unsere Bank noch finden werden?« fragte sie.

»Was ist da viel zu finden?« erwiderte er. »Ich habe manches Mal noch darauf gesessen und an dich gedacht.«

Wie glücklich sie auch hierüber war, so schämte sie sich doch ein wenig, daß er ihr augenscheinlich mehr Liebe bewahrt hatte als sie ihm, denn die Bank ausfindig zu machen, auf den Gedanken war sie niemals gekommen.

Und sie nahm sich vor, es ihm tausendfach zu vergelten.

Freilich, als die Bank da war, sah sie, daß sie sie niemals wiedererkannt hätte. Beide Male war es stockdunkel gewesen, und sie hatte sich auch ganz seiner Führung anvertraut.

Nun saßen sie wieder dicht beisammen in dem einstigen Nest, aber die Vorübergehenden nahmen ihnen die Ruhe, so daß es schwer war, sich aneinander zu freuen.

»Wir wollen gar nicht auf sie achten,« riet Fritz, und sie versuchte es auch, aber die musternden Blicke blieben ein ewiger Zwang.

»Zuerst erzähl mir von deinem Leben noch mehr,« sagte er, »denn was ich damals erfuhr, war nicht sehr viel.«

Sie raffte sich zusammen, und diesmal log sie auch gar nicht, sondern erzählte drauflos von Kindheit und Kriegszeit, von Eltern und Schule und ebenso von Herbert und Gudrun, doch was die beiden betraf, mußte sie vorsichtig sein, damit er nichts Schlechtes von ihnen dachte – und Schlechtes vielleicht auch von ihr.

Und als das letzte Jahr an die Reihe kam, da war's mit der Aufrichtigkeit vollends zu Ende. Aus dem Doktor wurde ein edler Mann, der rein väterlich um sie besorgt war, und Herrn Gerberdings Eroberernatur erstrahlte in saftigsten Farben. Viel fehlte nicht, daß er bereits den halben Erdball in Händen hielt.

Erst als sie merkte, daß Fritz über ihre Begeisterung traurig zusammensank, wurde ihr klar, daß sie sich in diesen Lobeserhebungen mächtig vergriffen hatte. Und rasch lenkte sie ein.

»Aber das alles ist mir nicht mehr wert als schwarz unter dem Nagel,« fügte sie lachend hinzu. »Ich habe nur dich lieb, und seit du wieder bei mir bist, kann der ganze Herr Gerberding mir gestohlen bleiben.«

»Ach nein,« erwiderte er und sah ihr mit seinen ehrlichen Augen fest ins Gesicht. »So liegen die Dinge nicht. Ich bin als ein Störenfried in dein Leben getreten und müßte eigentlich darauf bedacht sein, so rasch als möglich zum zweitenmal daraus zu verschwinden. Ich habe dir gar nichts zu bieten. An meine Verlobte bin ich gefesselt – stärker, als dieser Ring es wohl mit sich bringt. Und selbst, könnte ich jemals noch frei werden – dich in das Leben hineinzulocken, das du dann mit mir als kleine Inspektorsfrau führen müßtest, wär' ein Verbrechen, das ich nicht auf mich nehmen könnte, gerade weil ich dich liebhab'! … Von Rechts wegen müßt' ich dir dort an der Ecke des Zoo die Hand zum Abschiede geben – geradeso wie damals.«

»Um Gottes willen nicht!« schrie sie auf.

»Nein, nein,« sagte er. »Auch wenn ich wollte, ich kann es nicht mehr. Schilt mich einen Waschlappen, ich kann's einfach nicht. Die ganzen Tage lang hab' ich darüber gegrübelt, wie sich's einrichten ließe, daß ich wenigstens die drei Monate über, die du noch hier bist, was von dir habe.«

»Ich von dir! Ich von dir!« rief sie und wollte seine Hände umklammern, aber da kam gerade einer vorbei und blickte sehr höhnisch auf dieses zärtliche Sichergießen herab. Drum zuckte sie schnell noch zurück.

»Eigentlich sind es ja viere,« fuhr sie fort, »denn im November ist mein Geburtstag, und wahrscheinlich wird er auch mein Hochzeitstag sein. Bis dahin bin ich frei. Das heißt, wenn Herr Gerberding zurückkommt, bin ich nur selten noch frei, und solange die Sache nicht offiziell ist, kann ich auch die Stelle beim Doktor nicht aufgeben; die ist für alle Fälle mein Rückhalt. Aber so viel Zeit werd' ich mir immer zusammenschwindeln, daß wir ein paarmal in der Woche beieinander sein können. Davon werd' ich dann zehren mein Leben lang.«

»Genau dasselbe hab' ich mir auch gedacht,« entgegnete er. »Nur, wie wir's einrichten, ist noch die Frage. Sich hier im Tiergarten 'rumtreiben, das geht für die Dauer nicht –«

»Pfui, nein!« rief sie und wies voll Empörung auf den Mann hin, der eben vorübergegangen war und jetzt umkehrte, um das Liebespaar noch etwas schärfer ins Auge zu fassen.

»In den Gasthäusern ist es dieselbe Geschichte,« fuhr er fort, »und weiter aufs Land hinaus kann ich nicht, denn« – er sah seufzend nach seiner Uhr – »ich bin abends oftmals gebunden. Das beste würde schon sein, du kämst zu mir.«

»Au fein!« jauchzte sie auf. » Darf ich denn das?«

»Versteh mich recht,« erwiderte er. »Ich würde nicht wagen, dir diesen Vorschlag zu machen, wenn ich meiner nicht sicher wäre – und deiner natürlich erst recht. Du bist das Keuscheste, das Unschuldigste, was es auf Erden nur geben kann.«

›O Gott!‹ dachte sie und biß sich in ihrem Schreck die Lippen beinahe entzwei.

»Deswegen lieb' ich dich so, und darum wird's mir auch gar nicht schwer fallen, dich in Ehren zu halten. Nicht einmal küssen will ich dich. Das schwör' ich mir zu. Wie eine kleine Schwester sollst du mir sein. Mein Hausgeist, mein Heiligtum sollst du sein. Sollst mir mein bißchen Armut verklären. Sollst bei mir hoch unter dem Dach schalten und walten, wie es dir paßt.«

»Hast du denn keine Zimmerwirtin?« fragte sie ängstlich, denn sie wußte durch Gudrun längst, was eine sturmfreie Bude ist und was nicht.

»Gott sei Dank, nein,« sagte er, »denn ich wohne in meinen eigenen Möbeln. Als wir das Gut aufgeben mußten, da wurde die Einrichtung des Herrenhauses unter uns alle verteilt. Und was ich brauchen konnte, das nahm ich mit mir. Es ist bloß altes Gerümpel, aber ich lieb' es so sehr, daß ich mit Herrn Samuels Pracht ums Leben nicht tauschen möchte. Und wenn du erst alles betreuen wirst, dann noch viel weniger.«

Sie sagte gar nichts. Sie war so erfüllt von dem seligen Gedanken, daß jedes Wort ihn abgeschwächt hätte.

Wenn nur der Ring nicht gewesen wäre, der dumme, eklige Ring! Aber schließlich hatte sie ja ihren Herrn Gerberding, der auch nicht gerade ein Liebling war. Man mußte sich fügen. Das Schicksal verlangte es so.

Fritz hatte wohl bemerkt, daß ihre Blicke sich an dem Ringe festgehakt hatten, denn plötzlich begann er: »Nun müßt' ich dir wohl von der erzählen, die jetzt mein Leben beherrscht. Aber verzeih mir. Ich kann es auch heute nicht. Mir ist, als würd' ich damit einen Trennungsstrich machen zwischen uns beiden.«

»Eigentlich will ich es gar nicht mal wissen,« sagte sie. Und in diesem Augenblick schien es ihr wirklich so, wiewohl sie sonst vor Neugier beinahe verbrannte.

»Wenn du oben bei mir sitzen wirst,« erwiderte er, »dann ist immer noch Zeit genug. Und in der Stille dort wirst du alles besser verstehen und verzeihen.«

›Was hätte ich ihm wohl zu verzeihen!‹ dachte sie und freute sich auf die verheißene Stille.

Und dann wurde abgemacht, daß sie am übermorgigen Tage – morgen war er nicht frei – von der Sprechstunde aus zu ihm hinaufkommen sollte.

In der Leibnizstraße wohnte er. Gar nicht sehr weit von ihr, so daß sie, wenn sie einen Augenblick Zeit hatte, immer zu ihm hinwutschen konnte. Auch späterhin, wenn Herr Gerberding da war. –

Nicht auszudenken dies Glück! Ein Reigen immerwährender Feste. Was dazwischen lag, das zählte nicht mit.

Und daß er aufstand und sagte: »Jetzt muß ich fort,« das zählte erst recht nicht. Sie wußte ja, daß er mit seinen Gedanken bei ihr sein würde in jeder Sekunde, ehe übermorgen das Ende der Sprechzeit sie vom Alleinsein erlöste.

Bis zum großen Stern kam sie noch mit, dann fuhr er von dannen. Sein winkender Hut leuchtete von der Plattform aus durch die Dämmerung.

Da die Abendbrotzeit doch schon vorüber war, ging sie noch längst nicht nach Hause, sondern lief in dem Tiergartendunkel umher, das ein Gewimmel liebender Pärchen schattenhaft füllte.

Lief zu der Bank zurück, zu »unserer« Bank, wie er schon einstmals gesagt hatte, und träumte dort selig ins Leere. –

Welch heilige Pflichten warteten ihrer! Seine Freundin, seine Gefährtin, sein guter Engel würde sie sein. Frieden- und Freudenspenderin, die für sich selber gar nichts begehrte. Körperlos gleichsam würde sie segnend über ihm schweben. Kein irdisches Verlangen sollte jemals entweihend ihre Seele durchirren, und selbst dem Küssen entsagte sie gern. Losgelöst von Schmerz und Luft würde sie wie ein himmlischer Gast sich niederlassen in seinem Leben und, wenn es sein mußte, daraus entschwinden, als wäre sie niemals gewesen.

So träumte sie an jenem Abend, so träumte sie den ganzen folgenden Tag hindurch. Kein Doktor, keine Patientin, kein Röntgenzimmer war da. Nichts war da als ihre erhabne Bestimmung.

Als sie nach Schluß der Arbeitszeit zum Damentrost ging, um sich für das morgige Zusammensein – nun doch einmal – die Haare ondulieren zu lassen, sah sie im Schaufenster eines Wäschegeschäfts zufällig eine Kombineeschen in lichtblauer Milanese, mit mattgelben Spitzen besäumt und mit Achselbändern von Atlas. Und weil Milanese fast ebenso zart und dabei billiger ist als Crêpe de Chine, so ging sie hinein und kaufte das süße Ding in kleinerer Nummer für vierzehn Mark fünfzig.

Gudrun würde staunen über den günstigen Einkauf.

Und – man konnte nie wissen.


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