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Als die Familie in Rom angekommen war, richtete sie sich in ihrer einfachen Wohnung wieder auf die frühere Weise ein. Es fehlte nicht an Besuchen, als die Römer erfahren hatten, daß alle aus Tivoli zurückgekehrt seien. Die Mutter suchte sogleich ihre mächtigen Beschützer in Anspruch zu nehmen, um ihren unglücklichen Sohn von der Schande oder einem noch härteren Lose zu befreien. Sie fand aber jetzt mehr Schwierigkeiten, als sie sich dort in ihrer ländlichen Einsamkeit hatte vorbilden können, denn fast alle Parteien waren einstimmig der Meinung, die Gerichte wären bis jetzt zu nachgiebig gewesen, und es sei zum Wohl des Ganzen notwendig, dem Volke wie den Räubern ein auffallendes und abschreckendes Beispiel zu geben. Am schwierigsten zeigte sich, was die Mutter am wenigsten vermutet hatte, der mächtige Kardinal Farnese, der vieljährige Freund und Beschützer der Familie. Die Fürstin Margareta von Parma hatte sich auf dringendes Ansuchen des Grafen Pepoli persönlich an den Kardinal gewendet, ihr und der guten Sache in diesem schändlichen Handel beizustehn und wenigstens den Anstalten, welche die Regierung für notwendig halten würde, nichts in den Weg zu legen. Farnese war so aufrichtig und mitteilend, daß er der Matrone selbst den Brief der Fürstin zu lesen übergab. »Die letzte Äußerung, werte Freundin,« sagte er dann lächelnd, »werdet Ihr ebensogut begreifen als ich selber. Wie vielen Verdruß haben mir meine Feinde, vorzüglich die Partei der Mediceer, erregt, weil sie mich mehr als einmal beschuldiget haben, daß ich mit verschiedenen Anführern der Banden in Verbindung stände, um meinen Gegnern Schaden zuzufügen. Meinen großen Prozeß wegen der abgeschickten Banditen, die mich draußen in meiner Villa von Caprarosa auf Anstiften dieser Partei und des Großherzogs hatten ermorden wollen, kennt Ihr ja; Ihr werdet Euch auch des traurigen Ausganges dieses Handels erinnern, der mir, meinem Ruf und Ansehn so nachteilig wurde, weil geschickte und verschmitzte Advokaten die Sache so zu drehen wußten, daß viele einzusehen glaubten, von mir selbst rühre dies Komplott her, ich habe die Bösewichter angestiftet, um dem Großherzog und dem Hause der Medici einen empfindlichen Schlag beizubringen. Nun hat jetzt der Kardinal Ferdinand, der Bruder des Fürsten, mehr Einfluß gewonnen als je, er hat sich mit dem frommen Karl Borromeo verbunden, und diesen beiden, die den Ruf großer Tugend sich verschafft haben, folgen viele andre, die auch für rechtlich gelten möchten. Alle diese haben sich gleichsam das Wort gegeben, mir gemeinsam entgegenzuhandeln. Der alte gebrechliche Montalto hat sich ebenfalls ihnen beigesellt, der Schleichende, der, wenn er auch nicht nutzen kann, doch wohl zu schaden vermag. Der Heilige Vater selbst ist froh, wenn er von allen diesen Geschichten nichts vernimmt, um seinen Studien, der Angelegenheit der Religion und seinem geliebten Sohn, dem General und Gubernator von Rom, zu leben. Beim Papst vermag ich, in dieser Zeit wenigstens, vollends nichts auszurichten, weil er mit der größten Eifersucht in mir seinen etwanigen Nachfolger zu sehn wähnt und fürchtet, daß ich nach seinem Tode seiner Familie allen möglichen Schaden zufügen möchte. Seht, so sehr hat es mir geschadet, daß man mich seit Jahren den Mächtigen, den Einflußreichsten, ja den Despoten genannt hat, der das Kollegium der Kardinäle eigensinnig beherrscht. Geschadet hat es mir, daß ich beim letzten Konklave so viele Stimmen für mich hatte. Also beruhigt Euch, ich will überlegen, wie man der bösen Sache auf irgendeinem Wege beikommen kann. – Aber warum setzt uns auch Euer Sohn in diese Verlegenheit? Es ist zu verdrüßlich, wegen eines Verbrechers, der nicht zu den großen Häusern gehört, Autorität und Macht auf das Spiel zu setzen. – Weint nicht, geehrte Frau; so viel werden wir vermögen, und dahin will ich viele meiner Kreaturen stimmen, den Prozeß in die Länge zu ziehn, daß es nicht so bald zum Spruch und zur Entscheidung kommt, und Ihr wißt wohl, in manchen Fällen heißt es mit Recht, Zeit gewonnen, alles gewonnen. Indessen kann in einem oder zwei Monaten sich vieles ändern, und stehe ich einmal auf einem andern Platze. so können alle meine Freunde, zu denen Ihr gehört, meines Schutzes gewiß sein.«
Donna Julia fühlte wohl, wieviel sie selber beim Kardinal durch die schlechte Aufführung ihres Sohnes verloren hatte. Sie sah ein, daß der mächtige Mann nicht eines ganz unbedeutenden jungen Menschen wegen etwas Auffallendes tun oder sein Ansehn für seine Rettung wagen könne: Farnese konnte also nur noch handeln als persönlicher Freund des Hauses, und insofern konnte sie noch auf Wohlwollen, Unterstützung, aber nicht auf das Einwirken des Kardinals rechnen.
Als dieser ihre tiefe Bekümmernis sah, faßte er ihre Hand und sagte freundlich: »Mir fällt etwas ein; geht doch einmal, zum Überflusse, zum Montalto; der Alte setzt etwas darein, für hülfreich zu gelten, er bekehrt gern die Sünder und tröstet die Leidenden; er kann vielleicht den Mediceer und dieser den Borromeo und den Gouverneur zu Eurem Besten stimmen, so daß die Richter nachher durch die Finger sehn oder im äußersten Fall den Delinquenten entspringen lassen.«
Mit so geringen Hoffnungen mußte die Donna den Palast verlassen, und sie überlegte unterwegs, wer von ihren Bekannten wohl am fähigsten sei, sie auf eine würdige Art beim Kardinal Montalto einzuführen, dessen Bekanntschaft sie noch nie gemacht, den sie in keiner Gesellschaft sah, weil er sehr zurückgezogen lebte, sich nur den geistlichen Pflichten widmete und seiner Kränklichkeit wegen die Mußestunden in seinem Garten zubrachte. –
Vittoria hatte indessen bei Freundinnen einige Besuche gemacht, war dann in der Kirche Maria Maggiore gewesen und ging nun, von ihrer Amme und dem alten Diener begleitet, nach ihrem Hause zurück. Als sie sich von dem Tempel nach der nächsten Straße wendete, kam ihr ein Zug von geputzten jungen Leuten entgegen. In ihrer Mitte wandelte mit leichtsinnigem Ausdruck ein Jüngling von mittler Größe, schlank, aber schwach gebaut, mit ganz hellblondem Haar, das er nur wenig gekräuselt auf den Schultern schweben ließ; sein Auge war blau und der Ausdruck seines Gesichtes kein bedeutender. Vittoria war im Begriff, ihn anzurufen, so ähnlich erschien er dem wohlbekannten Camillo: doch noch einen Schritt näher, und sie sah, wie sehr sie sich getäuscht hatte; denn in diesem Jüngling war keine Spur jener bäurischen Treuherzigkeit, die ihr an ihrem Jugendgespielen immer so wohl gefallen hatte, und sie erschrak fast, als sich in diesem Augenblick sein schwebendes, unbedeutendes Lächeln in einen Ausdruck von rohem Trotz und Gemeinheit verwandelte; denn er zankte plötzlich mit einem seiner Begleiter und drohte diesem, einem großen, starken Menschen, sogar mit der Faust. Vittoria war getröstet und beruhigt, als sich unerwartet der alte Hausfreund Caporale zu ihr gesellte. Indem beide nach der Wohnung der Accoromboni gingen, fragte sie: »Wer ist dieser junge Bursche, der sich so seltsam gebärdet? Er scheint eins von jenen verzogenen adligen Muttersöhnchen, die sich durch Erbärmlichkeiten wichtig machen wollen. Solche alberne Kreaturen fangen oft aus leerem langweiligen Mutwillen Händel an, die zu Unglück und Verderben ausschlagen.«
»So ist dieser nicht,« antwortete Don Cesare; »er ist das friedfertigste Gemüt auf Erden und meint nur als römischer Neuling, er müsse sich doch vor jenen jugendlichen Schmeichlern und Dienern durch Mienen, lebhaftes Gespräch, scheinbaren Eigensinn und nicht ernstgemeinten Zank ein Ansehn geben; am eifrigsten so bemüht, wenn Fremde ihn beobachten oder gar eine Dame ihn ihrer Aufmerksamkeit würdiget. Und so war es nur ein kleines, improvisiertes Schauspiel, was er Eurer schönen Gegenwart als Huldigung darbot.«
Vittoria lachte, und der Dichter fuhr fort: »Dieses Bürschchen ist der Abkömmling von armen Bauersleuten, sein Oheim hat ihn unterhalten und ihn in einem ganz kleinen Städtchen die Schule besuchen lassen; dann haben ihn Mönche in die Zucht genommen und unterrichtet, und endlich, da er ganz erwachsen ist, hat ihn derselbe Oheim nach Rom kommen lassen, um zu sehn, was aus ihm zu machen wäre. Dieser Vormund ist nämlich kein anderer als der alte, hinfällige Kardinal Montalto, der vor seinem Ende diesen Neffen wenigstens noch anständig versorgt sehn möchte. Er wollte ihn zum Geistlichen machen, weil er, da ihm Reichtum und liegende Besitztümer fehlen, ihn in der Kirche am leichtesten emporbringen konnte. Davon will aber der schwache Mensch, in dem Punkte eigensinnig, nichts wissen, und Ihr habt selbst gesehen, wie wenig er zum Priester geeignet ist.«
Indem entstand hinter ihnen ein großes Geschrei, und sowie sich Caporale umwendete, stürzte ihm zu seiner großen Verwunderung derselbe Jüngling, von welchem sie eben gesprochen hatten, leichenblaß und mit allem Ausdruck der Angst an die Brust, indem er laut schrie: »Er kommt! er kommt!« Vittoria blickte um und zog mit ruhiger Bewegung den Dichter noch zur rechten Zeit auf die Seite, welchem der junge Bursche mechanisch folgte, der sich noch immer mit dem Alten fest umarmt hielt. Einer von den Stieren, die frei, an langen nachschleppenden Seilen in Rom von mehreren Reitern, die im Trabe oder Galopp nebenbei rennen, eingeführt werden, war seinen Aufsehern entsprungen und rannte nun die Gassen hinab, Schlächter, Jungen und Alte hinterdrein, die Menschen, die entgegenkamen, zur Seite springend, um nicht beschädigt zu werden.
»Die Gefahr ist vorüber, mein Herr Peretti,« sagte der Dichter; »faßt Euch, Ihr zittert und seid fast ohnmächtig.«
»Wir sind unserer Wohnung ganz nahe,« sagte Vittoria, »tretet zu uns ein und erqnickt und erfrischt Euch.«
»Sehr gnädig, Signora,« sagte der Jüngling; »es ist aber schändlich, wie meine Freunde und Begleiter entflohen sind und mich im Stich gelassen haben.«
Sie traten in den frischen, kühlen Saal, und die Magd flüsterte ihrer Herrschaft zu: »Es ist schon einer drinnen, der gnädige Herr, die Exzellenz, der mächtige Don Ludovico Orsini.«
Vittoria erblaßte und sagte nur leise vor sich hin: »Dies Untier ist gefährlicher als jenes.« Ein großer, kräftiger junger Mann trat ihnen jetzt mit dem Ausdruck eines frechen Übermutes entgegen. Er begrüßte die übrigen nur ganz leicht, indem ein verachtender Blick schnell über den jungen Peretti hinstreifte, und als der Diener Stühle gesetzt hatte, wendete er sich, stark betonend, mit den Worten zu Vittoria: »Ihr werdet meinen Brief erhalten haben.«
»Ja«, erwiderte diese nicht ohne Verlegenheit. –
»Und?« fragte der Graf fast in schreiendem Ton.
»Wie kann ich Euch antworten? was Euch sagen?« sprach Vittoria, »Ihr kennt meine Gesinnungen; an jenem Abende, ehe wir nach Tivoli gingen, habe ich, Ihr müßt es Euch erinnern, meine Überzeugung erklärt. Warum soll ich noch öfter wiederholen, was mir peinlich ist auszusprechen?«
»Ha ha ha! seltsam genug!« rief der Graf mit schallendem Gelächter; »ich, aus einem der ältesten Häuser, reich, von Einfluß, ich, vor dem Hunderte zittern, biete einer unbedeutenden Bürgerin meine Hand und mit dieser mein Vermögen und meinen Rang, und sie kann mir nichts dagegen schenken als ein artiges Lärvchen, einen schlanken Wuchs und weiße Gliedmaßen: bin ich denn rasend, da ich in den Familien der Herzöge und Fürsten nur wählen darf?«
»So wählet doch!« rief Vittoria, die jetzt ihren Stolz und Mut wiedergefunden hatte; »wer zwingt Euch, ein armes, unbedeutendes Bürgermädchen zu belästigen? Ich werde es für Gnade von Euch und wahren Gewinn achten, wenn ich Euer Antlitz niemals wiedersehe.«
»So?« rief der rohe Mensch im höchsten Zorne, »es kann sich aber doch fügen, daß ich dich noch zu meinen Füßen kniend im Staube sehe, um deinen verehrten Bruder vom Galgen loszubitten.«
»Das ist zu viel!« schrie Vittoria ganz außer sich; »Elender! entferne dich gleich, gleich jetzt in diesem Augenblick! So ein Armseliger, Verächtlicher will vorgeben, sich herausnehmen, sich so stolz dünken, noch lieben zu dürfen! Er, für den jede Dorfmagd noch zu gut ist, er, den ich so tief verachte, daß der Galeerensklave in meinen Augen höher steht.«
Orsini sprang auf, und man konnte fürchten, daß der freche Mensch etwas Schreckliches unternehmen könne. Caporale eilte ihm entgegen und hielt ihn gewaltsam zurück. Mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung wendete sich der Graf um und betrachtete stillschweigend den alten Mann: »Elender Versedreher,« sagte er dann, »Ihr wagt es, mich körperlich anzugreifen.«
»O ja,« rief dieser erzürnt, »solange ich Hand oder Fuß rühren kann, werde ich als Mann auch mit meinem Blut eine Dame, meine Freundin, gegen Gewalttätigkeiten schützen.«
»Sklave!« rief der Graf und machte sich aus der Umarmung Caporales frei.
»Herr Graf,« erwiderte Caporale ruhig, »ich bin unabhängig, frei, man hat mich gewürdiget, mich in der Provinz zum Governadore zu ernennen.«
»O ja,« sagte jener, »von ein paar armseligen Burgflecken. Und wenn ich zwanzig meiner Leute hinsende, so brennen sie dem Herrn Gouverneur seine Wohnung ab und schleppen ihn in Ketten und Banden auf mein Schloß. Ihr seid mir aber zu verächtlich, um mit Euresgleichen Krieg zu führen. – Und Euch, Accorombona, laß ich nicht, und wenn Ihr mich noch schimpflicher behandelt. Die Worte eines Weibes verletzen nicht; und der Teufel, der mich in Glut für Euch entzündet hat, wird mir auch Mittel und Wege zeigen, Euch zu besitzen. So oder so müßt Ihr die Meinige werden.«
Er stürmte fort und rannte fast die Mutter um, die ihm in der Tür entgegentrat. Vittoria warf sich laut schluchzend an den mütterlichen Busen, diese aber kam ihr auch mit Tränen entgegen. Caporale tröstete, soviel er vermochte, doch wußte er für den Augenblick keinen Rat. Jetzt empfahl sich der junge Peretti den Frauen, indem er höflich um die Gunst ersuchte, seinen Besuch wiederholen zu dürfen und die Bekanntschaft, die unter so seltsamen Umständen begonnen hatte, fortzusetzen. In der Tür sagte er halb für sich: »Eine schlechte Polizei in Rom; die wilden Stiere stoßen die Menschen in den Straßen um, und die rasenden Grafen rennen in die Häuser hinein.«