Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Fünftes Kapitel

Nach vielfältigen Verhandlungen, Widersprüchen, Annäherungen und in Ausübung jener Künste, welche immerdar die Geschichte der Konklaven, wenn sie umständlich und wahrhaft erzählt sein konnten, so lehrreich machen, ward endlich der Kardinal Montalto zum Papst gewählt, welcher den Namen Sixtus' des Fünften annahm.

Viele hatten ihre Stimme für ihn gegeben, weil sie ihn für so schwach und unbedeutend hielten, daß sie glaubten, in seiner Stelle und seinem Namen regieren zu können. Einige gaben in der Überzeugung nach, er sei so alt und krank, daß er unmöglich lange leben könne und daß also der Stuhl bald wieder erledigt sei und ihnen eine neue Hoffnung aufgehn würde. Viele waren für ihn, um nur dem klugen, ehrgeizigen Farnese entgegenzustreben, und so geschah endlich, was der Mediceer vom Anbeginn gewollt hatte, daß Montalto die höchste geistliche Würde der Christenheit erhielt.

Es hatte dem Greise auch die Hochachtung bei der Wahl geholfen, die er sich durch seine ruhige Fassung beim Tode seines Neffen Peretti erworben hatte. Und so sah denn Montalto den ehrgeizigen Wundertraum seiner Kindheit erfüllt, daß er zum Teil durch seine Klugheit und Beharrlichkeit auf dem Throne saß, vor welchem alle zu seinen Füßen knien mußten.

Aber wie erschrak das Kollegium, als sie statt eines schwachen, kranken, zaghaften Greises nun plötzlich einen rüstigen, starken, gebietenden Kirchenfürsten vor sich sahn, der gleich in den ersten Augenblicken deutlich zeigte, daß er zu befehlen wisse und Kraft besitze, seine Gebote geltend zu machen. Viele, die ihm zu seiner Würde geholfen hatten, wünschten, daß es möglich sei, die Wahl rückgängig zu machen, und Farnese sowie manche andre, die dem schwachen, stets schweigenden Montalto so oft ihre Verachtung gezeigt hatten, waren jetzt sehr verlegen, als sie sich vor ihm demütigen mußten.

Auch in der Stadt verbreitete sich sogleich Furcht und Entsetzen. Es war althergebrachte Sitte, daß am Tage, wenn der neue Papst gekrönt ward, allen Verbrechern in den Gefängnissen Gnade widerfuhr. Dies wurde auch jetzt allgemein erwartet. Viele Verbannte stellten sich freiwillig, um so an der Amnestie teilzunehmen und für die Lebenszeit wegen früherer, oft vergessener Verbrechen freigesprochen zu werden. Sixtus aber, dessen fester Vorsatz war, diesen Untaten für immer einen Damm entgegenzusetzen, ließ alle des Todes Würdigen, selbst am Tage seiner Krönung, öffentlich hinrichten. Alle Vorbitten, Einreden waren vergeblich. Einen Burschen, der nur mäßig sich gegen einen Häscher im Wortgezänk verteidigt hatte, ließ er, so sehr auch selbst die vornehmsten Kardinäle sich für den Unglücklichen verwendeten, hängen. – Alle, die sich im stillen mancher Vergehen bewußt waren, entflohen aus der Stadt. Auf dem Lande wurde auf seinen strengsten Befehl ebenso unerbittlich verfahren, denn diejenigen, die seine Gebote nicht befolgten oder nur lau und lässig sie ausrichteten, wurden selbst für das Gesetz in Anspruch genommen, und er ließ keinem, der solcher Fehler überwiesen war, Gnade widerfahren.

Jedermann sah ein, daß man sich in der Person des gebrechlichen, alten und hinfälligen Montalto geirrt hatte und daß man, fast wider Willen, einen strengen und wahren Regenten der Kirche gewählt habe, einen echten Papst, der auch, ohne zu zagen, wenn er es für notwendig hielt, den Tyrannen spielen würde. Es entdeckte sich nun auch, daß er bis jetzt sein Lebensalter vorsätzlich zu hoch angegeben hatte, denn seinen Jahren nach sowie seiner jetzt entwickelten Kraft und Rüstigkeit war die Aussicht, daß er lange den päpstlichen Stuhl besitzen könne.

Als die große Audienz angesagt war, begab sich auch der Herzog Bracciano mit den andern Großen in den Palast des Vatikans. Es schien, daß der Papst ihn gar nicht beachtete, er redete ihn nicht an, übersah ihn, und Bracciano mußte glauben, daß dies vorsätzlich geschehe und ein Zeichen seiner Ungnade sei.

Beunruhigt wendete sich der Herzog an den Kardinal Ferdinand von Florenz; er ersuchte diesen, ihm eine Privataudienz bei Sixtus zu verschaffen. »Der Papst«, sagte dieser, »ist natürlich ungehalten, daß Eure Exzellenz, gegen Euer feierliches Versprechen, sich mit Vittoria dennoch vermählt hat.«

»Ich gab dies Versprechen«, erwiderte Bracciano, »nur dem Papst Gregor, der nicht mehr ist. Ich gab es, weil ich sah, daß der erzürnte Greis es außerdem zu gefährlichen Extremen treiben würde, die, wenn er ohne Rücksicht handelte, mich zwängen, offen als Rebell ihm gegenüberzutreten. Dann war das Dasein meiner Gemahlin gefährdet, und alle meine öffentlichen wie heimlichen Feinde hätten schnell diesen rechtlichen Vorwand benutzt, auch mich zu stürzen und zu vernichten; denn es war wohl deutlich, daß die Kabale mehr gegen mich als gegen die arme Vittoria gerichtet war: denn sie wurde dem Papst nur hingestellt, um den Verblendeten, der den Zusammenhang nicht kannte, zu Gewaltschritten anzureizen, damit ich in Gefahr käme. Und wer weiß, wie es diesem Farnese und andern geriet, wenn sie durch ihren heroischen Mut nicht diesen Hauptfeind schamrot gemacht und gedemütiget hätte.«

»Gesteh ich es nur, geehrter Schwager, daß ich mich Euch auch nicht völlig versöhnen kann«, erwiderte der Mediceer. »Ist sie denn so vorzüglich, großartig und tugendhaft, als Ihr sie wähnt? Hat Euch die Leidenschaft nicht verblendet und zu einem unziemlichen Schritte verleitet? Ich rede jetzt nicht vom Tode meiner Schwester, sie ist ihrem Schicksal erlegen, sei es Strafe, sei es Krankheit, sie hatte sich tief gegen Euch verschuldet, und Ihr wißt es selbst, wie weder der Fürst, mein Bruder, noch ich Euch nach diesem Unglück unsre Freundschaft entzogen. Wir verbanden uns im Gegenteil inniger mit Euch und Eurem Interesse. Eures Sohnes wegen und auf Euren Wunsch strengten wir Mittel und Kredit an, um Eure Güter von der Schuldenlast zu befreien, die Euch drückte, die durch Eure Großmut und Freigebigkeit so angehäuft war. Ihr verspracht auch mir, Vittoria aufzugeben.«

»Eminenz!« rief Bracciano, »seid billig und setzt mich nicht auf diese Weise in Verlegenheit, indem Ihr Worte und Versprechungen anders nehmt, als sie jemals gemeint sein konnten. Bedenkt doch, was meine Liebe und Leidenschaft bedeuten könnte, wenn ich so ruhig auf immer diesem Besitz meiner angebeteten Gemahlin hätte entsagen mögen. Ich mußte ja notwendig voraussetzen, daß Ihr, als ein weiser Mann, mein Wort so nahmt, wie es nur gemeint sein konnte: daß ich in diesem Zwiespalt, in diesem kritischen Moment ihr entsagte und es duldete, daß die Unschuldige eingekerkert wurde. Und sie, Vittoria? Ja, wäre sie eine Bianka Capello oder nur entfernt ihr ähnlich, so wäre der Handel mit einer listigen Buhlerin bald geschlossen gewesen; sie hätte dann die günstigen Umstände wie jene abgewartet, falls meine Schwachheit für sie, wie bei jener des Gemahls, fortgewährt hätte. Denn Ihr wißt und bedauert es gewiß, verehrter Freund und Schwager, was Euer erlauchter Bruder sich alles für jene hat zuschulden kommen lassen. Dort werdet Ihr zu sorgen haben, daß nicht untergeschobene Kinder Eure Rechte kränken. Nicht soll mein Virginio je darunter leiden, daß ich mich in meinem Alter noch den glücklichsten aller Menschen nennen darf. Und Euer großer Vater: gab er nicht in Krankheit und Schwäche noch einer Leidenschaft nach, die auch viele, selbst von seinen Freunden, tadeln wollten? Ich bin Euch und Eurem Bruder verbunden, daß Ihr Ordnung in mein Hauswesen und Vermögen habt einführen wollen; es wird meinen Kindern zugute kommen. Aber arm, ohne Rang und Titel, ein Bettler möchte ich lieber sein, als den Besitz meiner Vittoria aufgeben, die noch tiefer in mein Herz eingewurzelt ist, die ich noch leidenschaftlicher liebe, seit ich sie meine Gattin nenne. Ihr selber würdet sie verehren, wenn Ihr sie näher kennen lerntet.« –

Der Mediceer schien mit dieser Auseinandersetzung nicht unzufrieden, und er mußte sich gestehn, daß Vittoria von fast ebenso edler Abkunft wie jene ihm verhaßte Bianka war und daß ihre Schönheit, Betragen, Tugend und edle Weise weit über die Eigenschaften jener vorragten und die gealterte Buhlerin in den Schatten stellten. –

Sixtus bewilligte das Gespräch, um welches Bracciano angesucht hatte. Dieser mußte einige Zeit im Vorsaal warten, was seinen Stolz aufreizte, indem er sich jener Zeiten erinnerte, in welchen er mit Geringschätzung auf diesen Montalto hinabgesehen hatte. Er wurde eingeführt und traf den Papst allein, in seinem Sessel sitzend. Als der Herzog die herkömmliche Veneration geübt hatte, sah ihn Sixtus mit seinem scharfen hellgrauen Auge blitzend an, doch Bracciano war gefaßt und vorbereitet: »Indem ich Euren Segen, Heiligster Vater, für mich und die Meinigen erflehe,« sprach er, »empfehle ich mich und uns alle in Euern Schutz und Eure Gnade. Die Gnade aber, die ich am höchsten stelle, ist, daß Ihr meinen Sohn Virginio, der sich den reifen Jahren nähert, würdiget, daß er der Gemahl Eurer Nepotin, der Tochter Eurer verehrten Schwester Kamilla, werden möge. Dann sichert Ihr auf immer das Wohl meiner Familie, und ich kann ruhig sterben.«

»Ihr seht nicht aus wie ein Mann des Todes,« antwortete Sixtus, »und ein neuverehlichter Gatte sollte nicht vom Sterben sprechen. Was Euren Sohn und meine geliebte Nichte betrifft, so danke ich Euch für Euer Anerbieten, durch welches Ihr sie ehrt. Und so wünsche ich Euch auch zu Eurer Verbindung alles Glück, obgleich mir diese schöne Vittoria mehr gefallen würde, wenn sie damals, als sich jenes Unglück ereignete, sich in ein Kloster als fromme Schwester verborgen und der sündigen Welt völlig entsagt hätte.«

Jetzt stand der Papst auf und ging mit schnellen Schritten durch den Saal. Soeben wurden Verbrecher auf dem Platze hingerichtet. Er trat an das Fenster und rief den Herzog zu sich hinan: »Seht!« rief er, »auch Banditen und Mörder, denen ich niemals, unter keiner Bedingung, Gnade erweisen werde! – Ja!« rief er aus, indem seine kräftige Stimme wie Donner tönte und sein blitzendes Auge wilder in das Gesicht des Herzogs sah, – »und wenn ein regierender Fürst, der durchlauchtigste, so vor mir stände, so würde ich ihm ungesäumt sein Urteil sprechen und ebenso dort unten an ihm vollstrecken lassen! – Alles sei vergessen, was meinen Neffen betrifft, – aber jeder neue Frevel, jede Verbindung mit Banditen, jede Gewalttat in meinen Staaten – bei Gott und meiner Ehre und der des Stuhls« – er schlug heftig mit der Faust auf seine Brust – »nur Strang und Beil sollen sie richten, ohne Ansehn der Person!«

Bracciano, so kühn er sich fühlte, erschrak und mußte vor diesem Feuerblick sein Auge scheu niederschlagen. Die Kämmerer im Vorsaal entsetzten sich, weil sie nicht wußten, was vorging, und sie diese Donnerstimme des Papstes von ihm noch niemals vernommen hatten. – Mit der gewöhnlichen Zeremonie entfernte sich Bracciano. –

»Was ist dir, Geliebter?« fragte Vittoria besorgt, als der Herzog in seinen Palast zurückgekommen war; »du siehst bleich aus, dein Auge ist ohne Glanz: du wirst erkranken.«

»Laß, Liebste,« erwiderte der Gatte, »ich bin wohl und gesund, und diese Erschütterung wird bald vorübergehn. Aber wir verlassen Rom, schon morgen mit der Frühe.«

Vittoria erstaunte. »Ja,« sagte Bracciano, »ich habe in Schlachten dicht vor den morderfüllten Kanonen gestanden, türkische Säbel blitzten tödlich nahe über meinem Haupte, aber bis heute wußte ich nicht, was Zittern sei. Doch der Alte dort im Vatikan brüllt wie ein wütiger Löwe und hat den Blick eines Tigers. Er lechzt nach Blut und Mord: ihm wage ich nicht gegenüberzustehn.«

»Dieser alte, milde, schwächliche Montalto?« sagte Vittoria lächelnd.

»Zum Drachen ist er hinausgewachsen,« sagte der Herzog; »unser Untergang, unsre Hinrichtung würde ihn mit trunkner Lust erfüllen, und wie leicht, daß einer meiner Anhänger sich vergißt, daß selbst dein Bruder, der Marcello, mich in Gefahr bringt, daß die Geschichte vom Tode Perettis wieder aufwacht, die er nun nicht, wie damals, beschwichtigen wird. Wir müssen fort von hier, je weiter, je besser, bis an die Grenzen der Schweiz und Deutschlands. Dort oben, am schönen Gardasee, in Salo, besitze ich ein anmutiges Sommerhaus: der Frühling hat erst begonnen, dort wollen wir in schöner warmer Zeit bis zum Spätherbst uns selbst und der Liebe leben: ein Paradies ist dort; Menschen bedürfen wir nicht, Musik und Bücher nehmen wir mit uns und, das höchste Kleinod, die Liebe.« –

Vittoria, als sie ihr Erstaunen überwunden hatte, fügte sich gern dem plötzlichen Entschluß, und der folgende Tag sah sie schon auf der Reise. –

Sie verweilten in Bologna beim Grafen Pepoli, der entzückt war, in seinem Palast so edle Gäste aufnehmen zu können.

Beim frohen Gastmahl sagte der Herzog wie im Scherz: »Mich jagt der wütende Sixtus aus meinen römischen Besitzungen hinweg, obgleich er mein Schwager geworden ist und ich meinen Sohn ihm mit der Tochter seiner Schwester verlobt habe. Ja, mir dünkt noch dies Bologna, als ihm gehörend, unheimlich, und ich werde eilen, diese mit Blut gefärbten Staaten zu verlassen.«

»Wie erfreulich,« sagte Pepoli, »wenn ein Mann und Fürst, der hohe und mutigste, sich in solchen Scherzen ergeht. Es ist, als wenn der Mond sich wirklich fürchtete, von den thessalischen Zauberinnen auf die Erde herabgezogen zu werden.«

»Ei, Freund!« sagte der Herzog, »der Zauberkünste und Formeln gibt es gar viele und mannigfaltige. Die Wirkung kommt, künstlich und magisch vorbereitet, so unerwartet um eine unschuldige Felsenecke wie eine kriechende Schlange schleichend heran, und plötzlich sieht sich Laokoon mit seinen Söhnen verstrickt, unentrinnbar, und der Tod grinst hämisch da, wo vor Minuten noch Gesundheit und Übermut lachten.« –

Noch am Abend, als eine kleine Gesellschaft sich versammelt hatte, brachte der Kammerdiener dem Grafen ein versiegeltes Blatt. Er eröffnete es in Gegenwart des Herzogs, und es enthielt nichts als eine Chiffre. »Aha!« rief Pepoli aus, »da werde ich nach Jahren an ein feierliches Versprechen gemahnt, das ich um alles nicht brechen darf.«

Er rief dem Haushofmeister. Dieser mußte sogleich ein Fuhrwerk besorgen, um in Begleitung zweier Diener diejenigen, die sich so rätselhaft angemeldet hatten, noch in der Nacht weiterzuschaffen. Er ließ ihnen schnell ein Gastmahl anrichten, damit sie erquickt und gestärkt die nächtliche Reise unternehmen könnten, um in der Landschaft auf einem einsam gelegenen Kastell einige Tage zu verweilen.

Als sie allein waren, sagte der Graf: »Ihr dürft es wohl erfahren, daß die Fremden von jenen proskribierten Verbannten sind, die der Papst mit unerbittlichem Sinne zu vertilgen sucht. Ein guter Mann, Ascanio, ist mit einem ehemaligen Barigell, Antonio, unten in meinem Hause. Jetzt darf ich davon sprechen, da die Zeit alles Geheimnis jener Sache längst entkleidet hat. Dieser Ascanio hat mir in jener Zeit, als ich einen alten Verwandten im Sabinergebirge aufsuchte, auf eine edle Art das Leben gerettet. Dem berüchtigten Piccolomini mußte ich als Ersatz dafür mit einem feierlichen Handschlag versprechen, diejenigen zu retten, die sich mir mit dieser Chiffre anmelden würden. Nun muß der weichherzige Ascanio doch wieder in die schlimme Verbrüderung durch Unglücksfälle geraten sein, da er meine Hülfe in Anspruch nimmt.«

»Aber«, fiel Bracciano ein, »Ihr setzt Euch durch Euer Mitleid einer Gefahr aus.«

»Die strengen Edikte des neuen Papstes«, antwortete Pepoli, »sind auch zu uns hierher gekommen; ich werde es auch niemals wagen, hier in Bologna einen Verbannten aufzunehmen und zu beschützen. Ich sende sie nach dem Kastell dort, das außerhalb des päpstlichen Gebietes liegt und das unter Schutzherrschaft des deutschen Kaisers steht, dessen Vasall ich ebenfalls bin.«

Man beschloß, sich am folgenden Tage nach diesem Schlosse zu begeben, denn Bracciano zog es vor, so viel als möglich das päpstliche Gebiet sowie das florentinische zu vermeiden, weil er unter den jetzigen Umständen, in Begleitung der jungen Gemahlin, mit seinen Verwandten dort weder in freundliche noch zornige Berührung kommen wollte.

Bracciano wie Vittoria freuten sich über die Verehrung und Liebe, die ihr Freund Pepoli in Bologna genoß. Erst an diesem Tage hatte er eine Menge verwaister Kinder beiderlei Geschlechts reichlich ausgestattet und ihnen den Eintritt in das Leben erleichtert. Er sorgte großmütig für Blinde und hülflose Alte. Jeder Arme, der rechtlich war und den Unglück gebeugt hatte, wandte sich mit Vertrauen an den edlen Grafen, und keiner ging ungetröstet von ihm. So nannten ihn die Bedürftigen, Bettler und Kranke nur den Schutzgeist von Bologna, und wenn er sich öffentlich zeigte, drängte sich das Volk um ihn, um ihm ihre Liebe und Verehrung kundzutun. Nicht minder achtete ihn seines menschenfreundlichen Wesens halb der ältere und jüngere Adel, er galt allen für ein Muster, nach dem sich der Jüngling bilden müsse. Auch Priester und Gelehrte schätzten ihn hoch, weil er die Wissenschaften ebenfalls auf alle Weise unterstützte. Kurz, er konnte für das Vorbild eines sanften, edlen, wohltätigen Mannes gelten. Er war unvermählt und hatte bis jetzt die Anmutung, sich zu verheiraten, abgewiesen, weil er fürchtete, daß er doch als Gatte, so groß sein Vermögen war, in seiner Wohltätigkeit gehemmt werden dürfte; obgleich seine Freunde auf seine nächsten Verwandten hindeuteten, die, falls er ohne Erben stürbe, seine Reichtümer auf ganz entgegengesetzte Weise anwenden möchten.

Mit der Frühe reiseten die drei befreundeten Wesen von Bologna ab, um sich nach jenem Kastell des Grafen zu begeben. Unterwegs sagte Pepoli: »Ihr werdet einen sonderbaren alten Verwandten von mir kennen lernen: diesen Velluti, den ich damals mit einiger Anstrengung befreite. Er war früher der Ausbund eines übermütigen Mannes, keine Unternehmung war ihm zu kühn, man nannte ihn in der kleinen Stadt nur den tollkühnen Alten. So war er denn auch den Banditen dort sehr gefährlich, die vor seinem Namen zitterten, bis es den Bösewichtern gelang, ihn aus dem eignen Hause wegzurauben und ihn unter stündlicher Todesbedrohung viele Tage im innern Gebirge zu verstecken. Seitdem denkt, sieht und hört der Arme nichts als Banditen, denkt und träumt nur Mord und Brand, und aus dem verwegensten Menschen ist die feigste Seele geworden.«

Sie gelangten an das Schloß, das in einer schönen, grünen Einsamkeit sich stattlich zeigte. Es war fest, wie es die damaligen unruhigen Zeiten notwendig machten, da Kampf und Überfall täglich sich ereignen konnten.

Schon vor dem Tore kam ihnen der zitternde Velluti entgegen. Weinend küßte er die Hand des Grafen und rief bewegt: »O mein Wohltäter! so sehe ich Euch doch noch einmal in meinem Leben wieder. Ich dachte Euer liebes Angesicht nicht wieder zu erblicken. O nein, ich muß vergehn in meiner Angst, und Ihr werdet sterben, mein Hochverehrter. Ach! da sind zwei greuliche Menschen unten im Schloß, zwei von denen, die Ihr auch wohl in den schrecklichen Bergen kennen lerntet. Kommt ihnen nicht zu nahe, laßt Euch mit ihnen nicht ein, wechselt kein Wort mit den Bösewichtern.«

Sie betraten unter fröhlicher Begrüßung der Dienerschaft das Schloß. In den untern Gemächern traf Pepoli die beiden Flüchtigen. Der riesengroße Antonio war, wie immer, ruhig und barsch: »Ich dachte nicht,« sagte er mit grobem Ton, »daß ich noch einmal so herunterkommen würde, Eure Hülfe in Anspruch nehmen zu müssen, aber der Sixtus ist schlimmer als ein toller Eber, so daß sich auch der wilde Piccolomini von ihm hat ins Bockshorn jagen lassen. Und so sind wir, so gut wir auch organisiert waren, ausgerissen, denn der verrückte Pfaffe weiß sich nichts Köstlicheres als Rädern, Köpfen, Verbrennen und Strangulieren. Das ist sein Konfekt des Nachtisches, die Folterqualen selber mit anzusehn. O, wohin ist unsre goldne Freiheit?«

Ascanio erzählte wehklagend eine traurige Geschichte, wie klägliche Umstände ihn wieder jener früheren Verbrüderung zugeführt hätten. Der Graf gab ihnen bedeutende Summen, um sich mit diesen in das Venezianische oder nach Korfu und Dalmatien oder selbst nach Deutschland zu begeben. Sie eilten von dem freien Gebiete, wo ihnen keine Gefahr drohte, nach fernliegender Zuflucht, um dort ein neues Leben zu versuchen.

Als die Herrschaften in heitern Gesprächen beim Abendessen saßen, stürzten atemlos und bleich einige Diener herein. »Was gibt es«, fragte der Graf. »Ist ein Unglück geschehn?«

»O weh!« schrie der eine, »das Haus ist mit Soldaten und Truppen umstellt.«

»Und der alte Velluti«, rief der andre, »ringt schon mit dem Tode; so hat er sich über diesen Anblick entsetzt.«

Alle erhoben sich vom Tische. »Was ist das?« rief der Graf; »was kann man von mir wollen? – Sind es denn Kaiserliche?«

»Nein,« stammelte der Diener; »römische Krieger und Häscher.«

In der Verwirrung hatte man den Anführer schon in das Haus gelassen; er trat höflich grüßend herein und mahnte den Grafen, sich mit ihm nach Bologna zu begeben.

»Weshalb? Was hat es zu bedeuten?«

»Ihr wißt«, fuhr jener fort, »die strengen, geschärften Befehle unsers Heiligen Vaters: wie jeder, der Banditen eine Freistätte gewährt, dem Gesetz verfallen ist.«

»Wißt Ihr auch,« sagte der Graf stolz und fest, »daß ich hier in diesem meinem Kastell der Vasall des römischen Kaisers bin? Daß in diesem Distrikt hier der Papst nicht mein Oberherr ist und er mir hier gar nichts zu verbieten oder zu befehlen hat?«

»Ich folge der Order meiner Obern,« antwortete der Barigello; »mich kommandiert mein General, Graf Cordori, dieser steht unter dem Kardinal Salviati, welcher im Bolognesischen die Befehle des Heiligen Vaters mit aller Strenge auszuüben hat. Wollt Ihr uns nun, Herr Graf, gutwillig folgen, oder sollen meine Leute Euch mit Gewalt fortführen?«

»Dieser Friedensbruch«, sagte jetzt Bracciano, »und Verletzung des Bannes ist in der Geschichte unerhört.«

»Ich bitte um Antwort«, sagte der Barigello.

Man übersah aus dem Fenster die ansehnliche Mannschaft der Soldaten und Häscher, alle zum Kampf gewaffnet; an Widerstand war also nicht zu denken, an Flucht noch weniger. »Ich muß mich ergeben,« sagte Pepoli, »ich hoffe am Kardinal Salviati, der mir persönlich bekannt ist, einen verständigen Richter zu finden.«

»Salviati ist mir von alter Zeit befreundet,« sagte der Herzog, »und ich begleite Euch zurück nach Bologna. Er wird Vernunft hören und annehmen. Kann er oder der Papst den deutschen Kaiser so mutwillig kränken und beleidigen wollen?«

Vittoria sah die beiden Männer mit Erstaunen und Wehmut an. Sie begriff eigentlich den Handel nicht. Unten lag Velluti als Leiche. Er hatte sterbend seinen Wohltäter grüßen lassen.

Traurig, finster kam Bracciano am folgenden Tage zurück. »Die Unmenschen!« rief er der erschreckten Gemahlin zu; »sie haben ihn sogleich als überführt im Gefängnis erdrosselt. Möchten die Erben doch ihre Klage bei Papst und Kaiser erheben, sagte der blutdürstige Salviati; – o welcher Tiger, dieser Sixtus. – Als ich zornig sprach, drohte man mir selbst als einem Banditenfreunde! – Laß uns dem Schlachthause entfliehen.«


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