Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Peretti mußte noch viel darüber sinnen, wer jener Fremde gewesen sei, der ihn so erschreckt und sich so verdächtig in seinem Hause versteckt habe. Er riet auf viele, konnte aber nirgends eine sichere Vermutung finden. In seiner Verlegenheit und Angst war er unklug genug, dem Kardinal Farnese den Vorfall zu erzählen, und wurde noch verwirrter, als dieser in Schreck und Zorn ihn heftig anließ, daß dergleichen in seinem Hause möglich sei. »Wie?« rief er aus, »Ihr verlockt mich in stiller finstrer Nacht in Euer Haus, ich folge Euch in unziemlicher Verkleidung, weil ich Euch mein unbedingtes Vertrauen schenke: – und in unserer Nähe lauert ein Mörder oder wenigstens ein Verdächtiger, ein Unbekannter! Wie leicht war es ihm, so ohne Diener, unbewaffnet wie wir waren, uns zu ermorden – und welchen Ruf erwarb mir dann in der Welt dieser verdächtige Tod! Bedenkt, Peretti, ob es mir wohl zu verargen wäre, wenn ich Euch selbst für einen verruchten Bösewicht und Verräter hielte, der im Komplott meiner Feinde mir boshaft Schlingen legte und mir nach dem Leben stellte. Erinnere ich mich Eures sonderbaren Benehmens, so wird der Argwohn fast zur Wahrscheinlichkeit. Wie? Ihr beredet mich, Euch verkleidet nach jenem Festino zu folgen, um mir dort wichtige Entdeckungen und Vorschläge mitzuteilen? Damals wart Ihr noch nicht berauscht und konntet also wissen, daß Ihr mir etwas Unmögliches versprachet und verhießet. Nun also waren wir auch bei der spätern Beratung, als Ihr etwas mehr zur Vernunft gekommen wart, nicht allein: sagt selbst, ob ich im Unrecht bin, wenn ich Euch für einen Verräter halte?«

Peretti bereute herzlich seine unbesonnene Mitteilung, denn statt Rat und Hülfe bei seinem Beschützer zu finden, mußte er diese Vorwürfe hören und die Rache des Kardinals befürchten. Er entschuldigte sich, so gut er konnte, und beteuerte seine Redlichkeit und seinen Diensteifer. »Ich will Euch glauben,« sagte endlich der Alte, »und Eure Unschuld könnt Ihr mir dadurch beweisen, daß noch in dieser Woche Euer Umzug nach Tivoli stattfindet. Dann muß ich genau Stunde und Minute der Abreise erfahren: ich werde die Meinigen anstellen und es so einrichten, daß fürerst nicht der mindeste Verdacht auf mich fallen kann. Späterhin ist es gleichgültig. Gelingt die Sache, so sind wir völlig ausgesöhnt, und ich schenke Euch meine Freundschaft und mein unbedingtes Vertrauen. Finde ich Euch falsch und unwahr, mit meinen Feinden im Bündnis, so werdet Ihr meiner Rache nicht entgehen, und der Mächtigste soll Euch vor meinem weitreichenden Arm nicht schützen können, geschweige Euer schwacher Oheim.«

Dies Gespräch fiel am Montage vor, und Peretti verhieß, da schon vorläufige Anstalten getroffen, einige Diener schon hinausgesendet waren, die manche Bequemlichkeit hinübergeschafft hatten, gewiß Freitags früh mit seiner Familie nach dem Landhause und der lieblichen Gegend aufzubrechen.

Vittoria saß, da das Wetter so schön war, mit ihrer Mutter und dem treuherzigen Caporale in der kühlen Laube ihres Gartens. Er war, da er sich von Rom nicht entwöhnen konnte, wieder aus seiner Landschaft herübergekommen und befand sich am liebsten in dieser Familie, die ihm seit Jahren in Rom am meisten befreundet war. »Ihr seid so ernst, Donna Julia,« sagte er jetzt, »und ich finde schon seit lange Eure Stimmung anders als ehemals, und doch seid Ihr nebst den Eurigen wohl und gesund.«

»Und mein Sohn Marcello?« erwiderte sie; »kann ich ihn denn vergessen und das Schwert nicht sehn, das ihm immerdar über dem Haupte hängt? Kann ich mit Ottavio zufrieden sein? Seitdem wir höher hinaufgestiegen sind, fühle ich mich beklemmter, und mir ist immerdar so zumute, als wenn plötzlich aus irgendeinem Winkel ein erschreckendes Unglück hervorbrechen würde.«

»Nun reisen wir ja«, sagte Vittoria tröstend, »schon am Freitage nach unserm geliebten Tivoli. Da wirst du dich wieder im Freien ergehn, deine Lieblingsplätze besuchen. Dort wollen wir uns erfreuen und erfrischen, und ich werde mich jenem betäubenden Wasserabgrunde nicht wieder nähern.«

»Du zittertest damals,« sagte die Mutter, »nach der Stadt zu reisen, und hattest eine Vorahnung von etwas Entsetzlichem, was dich hier betreffen müsse: diese Furcht ist nicht erfüllt worden, und so, möchte ich hoffen, kann es vielleicht auch mit meinem Gefühle sein. Denn ich gestehe, ich bebe in Angst vor dieser Reise und schelte selbst meine blinde Weiberfurcht kindisch und kann doch dieses Grauen, das mir auf jedem Schritte nachschleicht, nicht verscheuchen.«

»Wie damals meine Angst«, sagte Vittoria mit einem sonderbaren Ton, »mir nur großes, unerwartetes Glück bedeutete, so wird es dir auch widerfahren, Teuerste, und du wirst dich mit frischer Kraft dort in Tivoli deines Lebens erfreuen. – Doch muß ich dich jetzt verlassen; ich selber muß nach allen meinen Musiksachen und nach meinen Schreibereien sehn, daß nichts verloren geht oder in unrechte Hände kommt.«

Sie hüpfte fort, und die Mutter sah mit einem langen wehmütigen Blick der schönen dahinschwebenden Gestalt nach. »Ich glaube,« sagte sie nach einer Weile mit schwermütigem Ton, »diese meine Augen werden Tivoli niemals wiedersehn. Geschieht es, so fürchte ich, wahnsinnig zu werden.« –

Caporale war in Verlegenheit, was er der aufgereizten Frau antworten sollte, die ihm krank zu sein schien, denn ihr großes Auge hatte den ehemaligen Glanz verloren, sie war bleicher als sonst, und die Wangen waren eingefallen. »Ihr verwundert Euch über mich,« fuhr sie nach einiger Zeit fort, – »ach! ich weiß am besten, was ich seither gelitten habe. Glaubt mir, alter Freund, gewisse Erschütterungen unserer Natur, wenn wir auch nachher wieder gleichgültig weiterleben, zittern und unterhöhlen fort und fort in unsrer Seele, bis von der dauernden Anstrengung und dem Umsichfressen des Giftes die Schale zerbricht. So hat meine Tochter, meine beiden Söhne, der boshafte Farnese, jetzt dieser Peretti, alle haben wetteifernd diese zersprengenden Angstgefühle in meinen Geist geschüttet. Kann man diese Ehe ohne Furcht und Grauen betrachten? Wie soll es enden? Der Gemahl entzieht sich uns und ist ein Knecht des Farnese, so wie mein ältester Sohn. Und was will dieser Bracciano in unserm Hause? Wird der Gewalttätige vielleicht die Rolle des jüngern Vetters, jenes Luigi, fortsetzen wollen, der jetzt ruhig und vermählt ist? Ich zittre, sooft ich die hohe mächtige Gestalt hier sehe und mein Auge seinem herrschenden Königsblick begegnet. Ja, diese Orsini! seit meiner frühen Jugend haben sie sich wie böse Dämonen in den ruhigen Lauf meines Lebens hineingedrängt; und so hat mich der schlaue Kardinal mit einer Jugenderinnerung geschreckt, mit einer Begebenheit, die ich längst vergessen glaubte.«

Caporale ersuchte sie, da sie doch Vertrauen zu ihm habe, welches er nie mißbrauchen könne, ihm etwas davon mitzuteilen, und sie begann: »Ihr wißt es, Freund, daß ich von dem alten Geschlecht der Agubio abstamme. Mein Vater war nicht reich, aber was ihm an Vermögen abging, schien er durch Stolz ersetzen zu wollen. Früh ward in unserm Hause auf unserm Gut der bekannte und berüchtigte Graf Nicola Pitigliano eingeführt, der zu der Familie Orsini gehört, so wie Bracciano, so wie jener Luigi und noch viele andere unbändige Gemüter, wie es Euch bekannt ist. Diesen Graf Nicola, welcher nachher verräterisch seinen armen Vater durch einen Überfall von seinem Schlosse vertrieb und ihn dann dem Elende preisgab, der nachher seinen leiblichen Bruder meuchlerisch ermorden wollte, dieser, der es jetzt mit den Banditen hält und der Anführer einer großen Bande ist, dieser böse Mensch, der nun ebenfalls (denn die Gerechtigkeit des Himmels vergißt niemals die Wiedervergeltung) von seinem eignen Sohn durch Verrat aus seinem Besitztum vertrieben ist, dieser Nicola war als Jüngling eine anmutige, ja eine schöne Erscheinung. Ich darf und kann es nicht leugnen, er gewann mein junges, unerfahrenes Herz. Mein Vater aber, der seinen bösen Charakter genauer kannte, war ihm entgegen. In unserm Hause war seit kurzem ein junger, stiller, liebenswürdiger Mann wohnhaft, der als Rechtsgelehrter die verwickelten Geschäfte meines Vaters besorgte und in Ordnung brachte: das Muster eines verständigen, geregelten Mannes, angenehm im Umgang, unterrichtet und von zarter und einnehmender, wenn auch nicht schöner Bildung. Es ist die Art der jungen, übermütigen Mädchen, wenn sie im Aufblühen sind, sich zu erfreuen, wie auf Männer von verschiedenem Charakter ihre Reize Eindruck machen. So überließ ich mich diesem Mutwillen und hörte weder auf die ernsten Warnungen meines Vaters noch meiner Mutter. Die Zeit ging hin, der Graf ward immer ungestümer und Federigo mit jedem Tage schwermütiger.

Der Stolz meines Vaters hinderte ihn, die Liebe des jungen Rechtsgelehrten, die er wohl bemerkte, weil sie durch seinen Tiefsinn nur allzu auffallend wurde, mit einem guten Auge anzusehn. Mir war dieses Seufzen und Wehklagen unerträglich, und mein unbändiger Sinn neigte sich immer mehr dem wilden Grafen zu. Gestehe ich es nur, daß auch viel Stolz und Hochmut sich in meine Leidenschaft mischte und ich zum Teil seines Standes wegen den Bürgerlichen so unbedingt verschmähte.

Meine Mutter sah es wohl, wie der Gram und die Eifersucht das Herz des Armen verzehrte, aber wenn mein krausgelockter hoher Graf mich anlächelte, so war mir jeder Mensch, alles Leiden und die ganze Welt gleichgültig. Wie oft habe ich nachher über das Unbegreifliche dieser heftigen Leidenschaft nachdenken müssen, die alle unsere Kräfte, Vernunft und Wohlwollen, Gewissen und Frömmigkeit, alle Freiheit unsers Wesens so völlig unterjocht, daß es nur dem furchtbaren Bann eines unzerreißbaren Zaubers zu vergleichen ist. So gingen denn Tage, Wochen und Monden hin, und ich kann wohl meinen Zustand so bezeichnen, daß ich mir selber ganz abhanden gekommen war und mich in manchen Momenten einer aufdämmernden Besinnung hätte umsehen mögen, wo denn mein früheres Selbst geblieben sei.

Völlig entzog ich mich der Liebe meiner Eltern und ihrer Aufsicht; wenn der Geliebte nicht zu uns kommen konnte, erhielt ich Briefe von ihm; es war, ich gestehe es zu meiner Beschämung, nur Zufall oder Gnade des Himmels, daß ich nicht der Leidenschaft erlag, wenn wir uns selbst im Garten oder im Zimmer allein überlassen waren. Mein guter Engel hatte mich völlig verlassen, wenn er mich nicht mit den Argusaugen der Eifersucht, in der Person Federigos, bewacht und beobachtet hätte. Dieser kannte und wußte alle meine Taten, Schritte und Entschlüsse, er, ohne sich meinen Eltern mitzuteilen, kämpfte dem bösen Genius entgegen.

Die Nacht war bestimmt, in welcher ich meinem Hause entfliehen und durch vertraute Menschen in die Arme Pitiglianos geführt werden sollte. Es geschah; ich fuhr ab, in stiller Mitternacht, meine mir unbekannten Begleiter waren stumm: der Morgen dämmerte empor, als wir den Ort der Bestimmung, ein einsames Haus im Gebirge, erreicht hatten. Ich war allein, auf den Geliebten harrend, im Zimmer, als Federigo hereintrat. – Ich mag die Szene nicht schildern, die sich nun entwickelte. Er hatte um alles gewußt und jene ruchlose Entführung in eine Rettung verwandelt: er selbst hatte mich begleitet, mit andern verhüllt und unerkannt: früher als das des Grafen war er mit dem Fuhrwerk an dem bezeichneten Ort erschienen, und ich hatte mich täuschen lassen. Aber mit welchem Schmerz, welcher Raserei, ja Verzweiflung nahm ich diese Täuschung auf: es gab keine beschimpfende Benennung, mit der ich ihn nicht kränkte, keinen Fluch, den ich nicht auf mich selber herabrief. Es half dem Treuen nichts, daß er mir erzählte und bewies, wie der Graf an diesem nämlichen Tage seine Hochzeit mit einer Erbin aus einem alten Hause feiere und er mich nur aus Hohn und Mutwillen in der nämlichen Zeit, um mich und meine Familie zu schänden, als seine Buhlerin habe entführen wollen. Als ich erst imstande war zu sehen und zu hören, konnte ich den Briefen, den Zeugnissen, die mir der tugendhafte Mann vorwies, nichts entgegensetzen. Aber mein Zorn steigerte sich über diesen seinen Triumph so ungeheuer, daß ich ihm diese Dokumente, die mich beschämen sollten, vor die Füße warf und dreist, ja frech erklärte, auch unter dieser entehrenden Bedingung würde ich dem Grafen auf sein Schloß gefolgt sein. So tief war ich nicht gesunken, daß dies meine wahre Empfindung hätte sein können, ich stieß diesen Unsinn nur heraus, um den Getreuen recht empfindlich zu demütigen.

›Und Ihr könnt, Ihr werdet mich niemals lieben?‹ – ›Solange ich meiner Vernunft mächtig bin, niemals!‹ rief ich ihm entgegen. Ich hätte aber wohl fühlen können, daß ich jetzt und seit lange schon vom Unsinn befangen sei. – Federigo war jetzt auch in Verzweiflung, und unter Tränen und demütigem Flehen schwur er mir, daß, wenn ich jede Hoffnung für alle Zeiten ihm raubte, er sich vor meinen Augen ermorden würde. – Ich lachte höhnisch über dieses Wort und erwiderte ihm, wie das die abgenutzte Phrase, die veraltete Drohung aller verschmähten Liebhaber sei und daß dergleichen Aberwitz mein festes Herz am allerwenigsten rühren könne. – Plötzlich aber stieß er, zu meinem Entsetzen, sich einen großen Dolch in die Brust und sank zugleich blutend zu meinen Füßen nieder. – Ich war so bestürzt, gerührt und außer Fassung, daß ich erst nach einiger Zeit um Hülfe rufen konnte, um die Wunde, welche tödlich schien, verbinden zu lassen. Zum Glück war ein durchreisender Arzt im Hause, der aber für das Leben des Ohnmächtigen nicht einstehn wollte. Um die Verwirrung zu erhöhen, kam mein Vater an, in Wut, denn sein Stolz war auf das empfindlichste gekränkt worden.

So von allen Leidenschaften zerrissen, versank ich in einen betäubenden Stumpfsinn, so daß ich auf einige Wochen mein Leben fast verlor. Ich war nicht gesund, ohne doch krank zu sein. Mein Vater, der von dem Zustande des Federigo Accoromboni innigst gerührt war, rief mir immer wieder zu: ›Sieh, du Verwilderte, Undankbare, dies ist echte Treue und Liebe!‹ – Als die Stürme der Leidenschaft hinter mir lagen, bemächtigte sich ein unendliches Mitleiden meines Gemütes, und ich mußte das Herz, das für mich schon geblutet hatte, in das meinige schließen. – So ward ich eine Accorombona und durch diesen wackern, tugendhaften Mann die Mutter von vielen Kindern. – Meine leidenschaftliche Liebe aber hat er nie besessen. – Lebt wohl, teurer Freund; wir sehn uns, vielleicht, in Tivoli wieder.« –

Sie verfügte sich in das Haus, um auch zur nahen Abreise Anstalten zu treffen.


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