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In der Familie Accoromboni und Peretti hatte indessen Friede und Ruhe geherrscht, und alle Mitglieder derselben genossen eines anscheinenden Glückes. Viele angesehene Männer und Frauen besuchten gern das wohlhabende Haus, und der junge Peretti verlor nach und nach jenen Anschein unreifer Unmännlichkeit, konnte den Gesprächen Verständiger leichter folgen und lernte in ihrem Umgange mehr und mehr ein anständiges Betragen. So segnete denn mit beruhigtem Gemüt der Oheim Montalto diese Ehe und war nur darüber verstimmt, daß, ohngeachtet aller Warnungen, der Neffe sich immer bestimmter zum hinterlistigen Kardinal Farnese hinneigte, der ihn durch Schmeichelei und glänzende Verheißungen gewann.
Der Herzog Bracciano wiederholte seine Besuche, und bald war die Familie mit ihm auf den Ton eines vertrauten Freundes gekommen, denn er hatte sich der Mutter dadurch empfohlen, daß er mit einem reichlichen Gehalt den jüngsten Sohn Flaminio als vertrauten Sekretär in seinen Dienst genommen. Manchem Beobachter war diese Versorgung auffallend, da um dieselbe Zeit Flaminio sehr vorteilhafte Anerbietungen des Farnese von sich gewiesen hatte. So waren die Mitglieder der Familie auffallend in zwei Parteien geteilt, indem Peretti und der Bischof Ottavio ganz dem Farnese, die übrigen dem mächtigen Paul Giordano ergeben waren. Vittoria verschloß gegen jedermann ihre Gefühle, und nur Bracciano verstand ihren Sinn.
Der Graf Pepoli hatte sich wieder wichtiger Geschäfte halber nach Rom begeben. Er erstaunte nicht wenig, als er im Palaste Medici einen schönen und edlen Jüngling wiederfand, den er sogleich für jenen Anführer der Banditen erkannte, der ihm vor einiger Zeit im Gebirge das Leben gerettet hatte. Die Räubereien der Banditen und ihre Unternehmungen der Rache waren zu einem wirklichen Kriege gegen den Kirchenstaat ausgebrochen, man drang bis vor die Tore Roms, die kleineren Städte wurden ausgeraubt und oft halb zerstört, und die Macht des Staats war mit dem Dienst seiner ungetreuen, oft verräterischen Beamten und Soldaten nicht hinreichend, diesem Übel zu steuern, denn da die Banden besser und pünktlicher bezahlten, so liefen viele zu ihnen öffentlich über, andere, bestochen, weigerten sich zu kämpfen und ließen sich leicht und gern besiegen.
So unterhandelte jetzt der Kardinal Ferdinand von Medici auf Ansuchen des Papstes mit jenem Alonso, Grafen Piccolomini, der mit dem größten Heere von Banditen Rom bedroht und beunruhigt hatte. Piccolomini war willig, das Gebiet des Kirchenstaates zu verlassen, wenn man ihm seine Güter im Florentinischen zurückgab. Der verständige Beobachter konnte an diese seltsamen Verhandlungen sehr eigentümliche und niederschlagende Betrachtungen knüpfen, daß die Verwirrung so weit gediehen war, daß Rom mit Empörern, Räubern und Mördern wie mit einer rechtsbestätigten Macht unterhandelte, öffentlich, im Palaste eines angesehenen Kardinals, und daß Florenz halb gezwungen, halb gefällig nachgiebig vieler Rücksichten wegen dem frechen Empörer die Besitzungen wiedergab, die er früher durch offenen Verrat zur Strafe eingebüßt hatte.
Als der verständige Kardinal sich mit dem Grafen allein sah, sagte er: »So tief sind wir gesunken, daß wir einen so schändlichen Frieden abschließen müssen: dies beweist, wie sehr die notwendigsten Verhältnisse, alle Grundlagen eines Staates aufgelöst sind und daß wir, trotz anscheinender Gesetze, Herrschaft und Verwaltung, in einer wahren Anarchie nur noch dahinschmachten.«
In einer andern vornehmen Gesellschaft fand der Graf Pepoli den unbändigen Luigi Orsini. Er betrug sich mäßiger und mit besserm Anstand als gewöhnlich, denn er war in Gesellschaft der schönen Leonore aus dem altberühmten Hause Savelli, mit der er sich seit kurzer Zeit verlobt hatte. Diese schöne, edle Gestalt zeigte in ihrem sanften und zarten Wesen vielen Stolz, und man konnte bemerken, daß sie selbst den starren Sinn ihres Bräutigams schon jetzt gebrochen hatte. Graf Pepoli erschrak fast, als er mit Orsini den Grafen Pignatello im vertrautesten Verhältnis fand, jenen Verruchten, der, ein Anführer der Banden, im Walde von Subiaco Ascanio und den Grafen Pepoli hatte ermorden wollen.
»Ah, Don Giovanni,« rief Vittoria dem Grafen entgegen, als er in den Saal trat, »Ihr kommt gerade recht, mir in einem Streite beizustehn, den ich fast schon verloren habe.«
Der Eintretende fand eine ziemlich große Gesellschaft versammelt, unter welchen der Herzog von Bracciano und der Kardinal Farnese die vornehmsten Gäste waren. »Um was handelt es sich, edle Donna?« fragte der Graf; »ich werde Euch nur von geringer Hülfe sein können, wenn ein Geist wie der Eurige seine Behauptung schon beinah fallen läßt.«
»Unsre Freundin«, sagte Bracciano, »liebt es zuweilen, paradoxe Meinungen zu verteidigen. Und ihr ist es nicht genug, den Schwächern, wie mich, in Verlegenheit zu setzen, sondern sie geht viel weiter und will uns beschämen. So äußert sie ihre Freude darüber, daß der Heilige Vater mit dem Piccolomini, als wenn dieser Neapel oder Florenz selber wäre, einen Frieden abschließen muß, daß ein ehrwürdiger Kardinal sich dem Geschäfte unterzieht und daß wir alle, wenn wir leben und gedeihen sollen, die Obermacht eines Piccolomini oder Sciarra anerkennen müssen.«
»Und doch beschuldigt sie uns,« fuhr Farnese fort, »daß wir diese Banden erschaffen haben, daß sie in unserm Solde stehn und daß wir gleichwohl von ihnen abhängig sein sollen.«
»Meine Meinung ist nur,« erwiderte Vittoria mit Lebhaftigkeit, »daß diese Empörer, Verbannten, Räuber und von der Gesellschaft Ausgestoßenen bei unserer Verwirrung notwendig, ja daß sie eine Wohltat zu nennen sind. So wie fast alle Gesetze bei uns ihre Kraft verloren haben, wie jeder tut, was er will, wie der Mächtige jedes Gelüste befriedigen kann, wie keiner ihm widersprechen darf, so frage ich nur: was würde aus uns hier werden, wenn diese Verbannten, die zu einer großen selbständigen Macht angewachsen sind, nicht einigermaßen diese Willkür hemmten und zügelten? Alle diese furchtbaren Menschen sind freilich dem Gesetz verfallen: dies ist aber so schwach und ohnmächtig, daß es die Straffälligen nicht ergreifen und festhalten kann. Sie sind also die kräftigeren Naturen, die freien, selbständigen, dem schwankenden Staate mit seinen zagenden Anstalten gegenüber. Sie sagen also durch ihren öffentlichen Austritt dreist und öffentlich: das Wesen, welches ihr einen Staat nennen wollt, erklären wir für untergegangen; hier in den Feldern, Bergen und Wäldern bilden wir vorläufig den echten, wahren Staat, auf Freiheit gegründet, im Widerspruch aller jener quälenden, engherzigen Hemmungen und unverständigen Bedingungen, die ihr Gesetze nennen wollt! Alles, was sich losreißen kann, was der Freiheit genießen will, kommt zu uns, und früher oder später muß unsre Gesinnung die im Lande herrschende sein, aus unserer Kraft muß sich neue Verfassung, ein besseres Vaterland entwickeln, und die schlimmen Räuber, die engherzigen, klüglich Eigennützigen, die zaghaften Egoisten sitzen, von uns verbannt, hinter ihren morschen Mauern und wurmstichigen Gesetzen, an welche sie selber nicht mehr glauben. Wahrlich, nach dem, was wir hier erleben, liefern wir eine Erklärung zum ersten Buch des großen Paduaners, unsers Livius, dessen beginnende Erzählung manche Zweifler für eine Fabel haben erklären wollen. Scharen solcher Verbannten und selbständigen Männer haben das starke Rom gegründet, aus diesem Blut und Stamme sind die Weltherrscher entsprossen, die ihre Gesetze und ihren Willen über den Erdkreis trugen. Werden diese Freien einmal bei uns von den Gefangenen, Furchtsamen besiegt, so ist wohl die letzte Kraft Italiens erloschen. Denn keine knechtische Scharen eines Spartacus sind es, sondern die im Überfluß, im Reichtum Erzogenen, die wahren Aristokraten: freilich zitterte vor jenen das starke, festgegründete Rom und unterwarf sie endlich: bei uns zagt und zittert jedermann, an sich verzweifelnd, ohne kräftigen Widerstand zu leisten; doch kann vielleicht diese laue Schwachheit den Sieg davontragen, denn diese dem Staat Empörten sind auch oft gegen sich selbst empört, sie kämpfen gegeneinander, und es hat sich erwiesen, daß sie weit ernstlicher gegeneinander fechten als die Soldaten und gedungenen Söldlinge des Staates gegen sie. So stehen diese Freien denn auch in Dienst und Lohn der hiesigen und auswärtigen Mächtigen und reiben sich zuweilen untereinander auf. Jeder der Magnaten hat seine Bande, auf die er zählen kann, die stets willig ist, ihm gegen den Staat, aber auch gegen einen andern Tyrannen Hülfe zu leisten. So wird ein Schwert, welches Bosheit, Rache und Grimm zücken möchte, von einem andern kräftigen in der Scheide festgehalten, und so sind diese Verbannten die wahren Schützer unsers Lebens und unsrer Sicherheit, die Beschränker der Tyrannei und Willkür, ganz anders wie unsre Gesetze, über welche der Mächtige nur lacht. Eigentum, Leben, Freiheit ist gefährdet, von hier und dort, aber ohne jene Räuber wäre alles unbedingt der schlaffsten, charakterlosen Willkür preisgegeben.«
»Schlimm, wenn es ganz so steht«, sagte Bracciano.
»Es ist etwas Wahres in dieser ziemlich poetischen Schilderung,« bemerkte Farnese; »wenn das Zeitalter einmal eine bestimmte Richtung angenommen hat, sei es, welche es wolle, so kann der einzelne, der mit im Strome schwimmt, sich dem allgemeinen Zuge und Falle der Wogen unmöglich entziehn oder ihm gar widerstehn wollen: der Kluge wird im Gegenteil alle die Vorteile ergreifen und für sich benutzen, die sich rechts und links neben ihm zeigen. Auch ändert sich jedes Verhältnis, jeder Zustand wieder nach und nach, denn die Zeit ist die gewaltigste Kraft; wie sie allein den Gram über Unglück und Verlust von Freunden lindern kann, so dämpft sie auch Enthusiasmus und Leidenschaft, und dieselbe Empörung, die alles vernichten wollte, kehrt, wenn die Gewässer gesunken sind, wieder friedlich in dasselbe Bett zurück, das sie erst mit stolzem Verschmähen verlassen hatte.«
»Doch ist durch die Überschwemmung«, warf der Herzog ein, »hier dürres Land in fruchtbares verwandelt, dort Acker und Wiese zur Einöde gemacht. Derselbe Zustand kehrt, einmal gestört, nie ganz auf dieselbe Weise wieder. Die Kunst, jede Bewegung und Eruption, jede Krisis zum Vorteil zu lenken, das Gute befördern und den Schaden mildern, ist nur den allerwenigsten gegeben: mit einem Wort, die Kunst des Herrschers ist die seltenste.«
»Sie ist wohl Talent,« bemerkte Vittoria, »und wie wir immer sehn, daß kein großes Talent einzeln steht, sondern nur, wie Bäume im Gebirge, in der Umgebung von Gruppen gedeiht und geschützt wird, so ist es wahrscheinlich mit der Regentenkunst ebenfalls. Ruft eine Größe die andere hervor und weckt und stärkt sie, oder ist es mehr der Epidemie zu vergleichen, die nun einmal, ohne daß der Mensch die Ursache anzugeben weiß, in der Luft herrscht und sich dann durch den Verlauf der Zeit wieder verliert, wie sie in dieser entstanden ist? Kann man sie nur zählen, alle die großen Männer, die sich in einem Zeitraum eines halben Jahrhunderts vor meiner Geburt zusammendrängen? Ariost, Bernard Tasso, Machiavell, Bembo, Annibal Caro; und Raffael, Buonarotti, Tizian, Correggio, Giulio und unzählige Künstler und Maler aller Art? Fand der fünfte Karl nicht einen zweiten Julius und einen zehnten Leo und viele treffliche Kardinäle sich gegenüber? Soll ich diesen hohen Geistern auch noch den verruchten Peter den Aretiner zugesellen? Aber wohl darf man noch Guicciardini nennen und Leonardo da Vinci wie Franz den Ersten und manchen Fürsten jener Tage. Daß ich nicht den scharfsinnigen tiefen Pomponatius in Padua vergesse, den Lehrer Sperones und von hundert mächtigen Denkern – und was haben wir jetzt? Und beneidet nach fünfzig Jahren jene Generation nicht vielleicht wieder die unsrige, die wir uns doch eines Torquato Tasso, einer Elisabeth von England und so mancher kräftig strebenden Menschen noch rühmen dürfen?«
»Wir sind auf dem Wege,« sagte Farnese mit einiger Bosheit, »auch großartige Ketzer zu rühmen.«
»Wir sind hier im vertrauten Kreise,« fuhr Bracciano mit einiger Heftigkeit auf, »und in die innere Familie hat die Inquisition bis jetzt noch nicht eindringen mögen.«
Der Kardinal lächelte und antwortete mit seiner Liebenswürdigkeit: »Man kann mir wohl zutrauen, daß ich kein Freund der Inquisition und jener strengen Maßregeln bin, die sich so oft, vielleicht ohne Not, für Heilungsmittel ausgeben.«
»Und meine Meinung«, fuhr Vittoria ruhig fort, »ist auch zu unbedeutend, oder meine Person vielmehr, als daß irgendwer ein Gewicht darauf legen könnte. Doch glaube ich, daß die Kirche ebenso gegen unsre erste Hälfte des Jahrhunderts zurücksteht wie Staatskunst, Wissenschaft, Malerei und Poesie. Schon seit Alexander dem Sechsten hatte sich in Glaubenssachen ein freier Sinn offenbart und ging gleichsam allen den Neuerungen in Deutschland und Frankreich voraus. Wären jene großen Päpste und Kardinäle, die selbst die Freigeisterei und den Unglauben ertrugen, indem sie selber teil daran nahmen, weniger leichtsinnig gewesen, hätten sie ihre moralische Würde mehr gewahrt, so möchte ich jene Zeit eine goldene der Freiheit, der Poesie und des Denkens nennen. Ein großer Teil der Menschen war der Zuchtrute und Furcht entwachsen, die Kirche mußte sich bequemen und der neu aufgehenden Zeit entgegenkommen: die anstößige Lebensart der Geistlichen mußte sich bessern, und so war im notwendigen Umbau vieler veralteten und morschen Teile der Kirche eine Einigung mit den starken Geistern des Auslandes wohl möglich, und der gefährliche Riß im Gebäude wäre nicht eingebrochen. Aber der Kluge verachtete, der Einfältige schalt die neuen Symptome, so verlief die günstige Zeit, und nun hat sich, um zu bessern, eine strenge Finsternis, ein Haß und Geist der Verfolgung vernichtend über das bis dahin so heitere Leben gelagert. Seit dem vierten Paul, dem frommen Pius dem Vierten und dem krankhaft gläubigen Fünften haben wir jetzt am milden und menschenfreundlichen Gregor, unserm Heiligen Vater, einen Herrscher, der die straff angezogenen Bande, die ihm jene in die Hand legten, nicht wieder darf locker auseinanderfallen lassen. Ja, wohl sehne ich mich in jene heitere Vorzeit zurück, in der unsre Eltern ohne Furcht vor diesem dunkeln Geist der Kirche denken und sprechen durften. Hat das Leben doch schon des Elends genug und des Grams, sind wir doch von allen Seiten beschränkt und gebunden, – so konnte man hier doch dem Spiel und dem Ernst, der Poesie wie Philosophie ihre freie Rennbahn zu Entwickelung der edelsten Kräfte gestatten.«
Farnese stand auf, zwar freundlich lächelnd, aber doch verwirrt und in ungewisser Gebärde. Er küßte die Hand der Rednerin und sagte: »Nicht so laut und öffentlich; denn man kann nicht wissen, wie diese Meinungen mit Zusätzen und entstellt herumgetragen werden möchten.«
»Gewiß von keinem in diesem edlen Kreise«, sagte Bracciano, indem er sich ebenfalls erhob, um Abschied zu nehmen. Er verweilte vor Vittoria. die ihm jetzt, beinah so groß wie er selbst, gegenüberstand, indem er ihre Hand faßte und festhielt, ohne sie zu küssen. »Ihr denkt in allen Dingen groß«, sagte er dann, »und steht immerdar vom Haufen abgesondert, im Glanz Eures eigentümlichen Wesens und Glaubens. Ja, wohl solltet Ihr eine Semiramis sein, um der starren kleinlichen Welt beurkunden zu können, was das Herz und die Gesinnung eines großen Weibes vermögen.«
Auch Pepoli verließ mit allen übrigen den Saal, und Vittoria fühlte sich beschämt, daß der Mann, den sie so innigst verehrte, jenes jugendliche Gedicht aus den schönen Tagen von Tivoli kennen sollte, welches sie für so unreif hielt. Nur der gutmütige Caporale konnte es ihm mitgeteilt haben.
Peretti, der wiederhergestellt war, entfernte sich auch, um sich nach seinem abgelegenen Schlafgemach zu begeben. Die Mutter, welche das neu eingetretene Verhältnis wohl erriet, wies alles Nachdenken darüber von sich ab. Betrachtete sie unbefangen ihren Schwiegersohn, so mußte sie sich bekennen, daß sie ihn in ihrer blühenden Jugend niemals als Gatten neben sich hätte dulden können. Sie beseufzte die Entfernung, die zwischen ihr und ihrer Tochter unverkennbar lag, so daß beide gerade über die wichtigsten Gegenstände und Verhältnisse ihres Lebens am wenigsten sprachen. Mit beklemmtem Gefühl verließ sie die Tochter, die auch alle Diener zu Bette sendete, um in der Nacht noch im Saal in der Einsamkeit sich und ihren Gedanken zu leben.
Als alles still und ruhig war, öffnete sie die Tür zum Garten und betrachtete das Licht des abnehmenden Mondes, das rätselhaft durch die Bäume schimmerte. Dann setzte sie sich und schrieb in wehmütiger Stimmung noch einige Gedichte nieder.
»O du süße Rosenknospe!« so lauteten die Verse, »warum zitterst du, den Kelch, den duftenden, zu öffnen? Der Mondschein schlummert im Grase neben dir und breitet seine weichen, schlaftrunkenen Arme um deine grüne, kräftig schwellende Hülle. Er hat dem Abendtau geboten, flüssige Demanten dir überzustreuen, sie sollen dich bestechen, zum süßen Kuß den roten Mund zu öffnen. Du bleibst dir treu, verschwiegen und stumm. Da kommt die allgewaltige Sonne, und du mußt deinem Schicksal gehorchen. Der Tau rinnt, sowie du ihn öffnest, als große, zitternde Träne in deinen Busen: wie glänzt sie auf dem frischen Rot! Nun geht die Braut im Frühlingshauch vorüber und sagt zu ihrem Jüngling: O sieh die Wonne dieser Blume, wie sie das feuchte Kind des Morgens liebkosend im Purpur ihrer Blätter wiegt, und wie im vielfachen Schimmer der Tropfen lacht, hochentzückt, von der schönsten Blume so gepflegt zu sein. Sie stehn und schaun im Bilde hier ihr namenloses Glück – und wissen oder bedenken nicht, daß dieser Glanz das Unglück des Lebens ist – die Träne des Elends – und daß am Abend die jugendfrische Rose mit zerstreuten Blättern tot auf dem Boden liegt.« –
»Im weiten Meer, im dunkeln Grund bewegt sich die Muschel. Wie bin ich einsam! klagt sie. Wie kann auf lieber Erde Pflanze und Tier im heitern Lichte sich ergehn. Welche wüste Nachbarschaft die meinige! Wohin ich blicke und denke, nur kalte, stumme Ungeheuer. Elend und Widerwart auf dunkelm Grunde: oben, an des Lichtes Grenze, das traurige Geschlecht der ziehenden und schwimmenden Schuppentiere. Keiner weiß, keiner kennt meine Sehnsucht. Fremd mir alles, ich, in mir selbst verschlossen, muß mich verzehren in Angst nach ungekannter Freude. – Da bricht es, ein Seufzer, Klage, Jammer oder tötendes Jauchzen, aus der Ärmsten, und, einer stillen Träne gleich, setzt sich festgehalten das Leid an die schimmernde Umhüllung. Die zarte Krankheit wächst im stillen fort, so wie die Sehnsucht steigt. Schon wird ihr selbst das harte Haus zu enge. Da wird sie im Tode erlöst. Ein kluger Fischer zerbricht die Wände, sie stirbt, er nimmt die köstliche, unschätzbare Perle und trägt sie zum König hin, in dessen Krone sie forthin glänzt als der kostbarste Schmuck. – O armer Torquato Tasso! – Und darf ich sagen: o ärmste Vittoria? – Oder bin ich zu eitel?«
»Nein, eitel nicht, aber auch so elend bin ich nicht. – Hat doch der edelste der Männer dich verstanden und sagt es dir in jedem Blick. Ja, wie der armen verwelkenden Pflanze der sanfte Regen des Himmels, so sind diese belebenden Blicke aus den klaren Geisteraugen. Die Geisterbrunnen, die Jungbrunnen, von denen die Märchen erzählen, sind sie mir. Denn wie der Wilde sich zuerst im Bach und Strom mit Staunen sieht, so habe ich mich in deinem Blick, in deinem Seelengruß zuerst erkannt. O welch ein Schauer von Seligkeit, welch ein Wonnegrauen flog durch alle Fühlungen, Gedanken und Ahnungen meiner Seele, als ich mir zuerst sagen durfte: Siehe, dieser ist Geist von deinem Geist, und Liebe von deiner Liebe! Und wenn ich jetzt, in diesem Augenblick stürbe, – ist es denn nicht genug, für diesen einen einzigen Moment gelebt zu haben? Wenn die höchsten Geister in des Unnennbaren Nähe ein entzücktes Sein genießen, wenn sie, ihm ähnlich, im ganzen All nur Eins, in der Unendlichkeit der Schöpfung sich und seine Liebe erblicken, – so rufe ich: Wohl mir! daß ich in seinem Erscheinen den Reichtum seines Herzens und die unendliche Fülle des meinigen zugleich erblickte.« –
»O du arme, arme Welt! – Mich lästern wirst du einst vielleicht, mich den Niedrigsten zugesellen, wenn du von mir und meinem Wandel die elenden, abgerissenen Silben erfährst. Kannst du mich stören und die selige Harmonie, die mit ihren süßen Kreisen klingend durch mein Wesen schwingt? Ihm nur bin ich, ihm nur denk ich, ihm nur sterb ich. Eilt er mir voran, so flieg ich ihm durch alle Welten, durch Sein und Ahnung nach und durch den leeren Raum. Wohl ist im Tode erst Einigung und Leben. Uns trennt die nahe Gegenwart; wenn meine Hand die seine rührt, so ruft das Ewige im Drucke: Flieht! dorthin, wo keine Zeit und Stunde herrscht, wo man nur nach Entzückungen die Ewigkeit rechnet, wo kein Ermüden ist, kein Vergessen, kein Zweifel und keine Frage. Aug in Auge, Geist in Geist, du ich und ich du, mehr als Gedanke und Gefühl – o armer Mensch, kehre doch zu dir und dieser Erde zurück, auch hier siehst du im Bilde, was du suchst, auch das einfache Wort ist ein ewiges: jeder Augenblick der Liebe ist ja ein unerschöpfliches Meer – ach! mein Geliebter! ohnmächtig nach allem Aufschwung sinke ich beglückt in deine Arme – und alles ist lebendig in mir, was ich vor Tausenden von Jahren schon suchte, da ich mich unbefriedigt in allen Windungen nach dir sehnte.«
Sie saß nahe an der Mauer, die das Haus von der Straße trennte, denn die Wohnung stand frei und abgesondert. Indem sie schrieb, war es ihr schon oft gewesen, als wenn sie ein sonderbares Geräusch vernähme. Es war, als wenn ein Tier oder ein Mensch sich draußen auf der Straße an der Mauer etwas zu tun machte. Gleich, wenn sie hinhorchte, war es wieder still, dann ließ es sich wieder vernehmen. Vittoria, die nicht ängstlich war, wollte das Fenster öffnen, um hinauszusehn, was so in ihrer Nähe sich verdächtig bewege; aber das Fenster war, der Sicherheit wegen, von den Dienern zu fest verschlossen, sie konnte es ohne Hülfe nicht auftun. Jetzt, indem sie wieder an der Wand mit Aufmerksamkeit horchte, kam es ihr ganz deutlich vor, als vernähme sie das Aufatmen eines Schlafenden. Sie konnte nicht länger zweifeln, da dieses Atmen bald in Röcheln und dann in Schnarchen überging. Die Töne waren aber nicht wie im Freien, sondern hallten wie in einem engen Gemach: und doch wußte sie, daß kein Zimmer mehr neben diesem Saale sei.
Indem sie so, nicht ohne Besorgnis, an der langen Wand hin und her tappte, fühlte sie mit der Spitze des Fingers plötzlich ein Knöpfchen, nicht größer und dicker als etwa eine Linse, unkennbar in der Mauer, mit Farbe überstrichen, – und sowie sie den Druck stärker wiederholte, öffnete sich plötzlich ohne Geräusch die Wand. Sie sah in der Dämmerung, daß dennoch dort, wo sie die Straße glaubte, noch ein schmales Gemach sich befinde, aus welchem jetzt viel deutlicher das regelmäßige Getöne des fremden Schlafenden erscholl. Sie zögerte einen Augenblick, ob sie die Diener wecken und rufen solle, Mitternacht war längst vorüber, und die unerwartete, seltsame Entdeckung hatte ihren Sinn befangen. Doch nahm sie nach kurzem Besinnen die Lampe in die Hand und schritt hinein. Wie erstaunte und erschrak sie, als sie dort ihren Bruder, den verbannten Marcello, in einem Sessel schlafend fand. –
Sie setzte die Lampe auf den kleinen Tisch und weckte dann den Träumenden, der sich lange nicht aus seiner Schlafbetäubung finden konnte. »Du, Schwester?« rief er dann, »hier? Du hast das Kunststück auch entdeckt?« –
Er mußte erzählen, warum und wie er in die Stadt gekommen sei. »Ei!« sagte er auf seine gleichgültige Weise, »ich bin schon oft heimlich in eurem Hause gewesen, und dein freundlicher kleiner Peretti logiert mich immer in das niedliche Gartenhaus, zu welchem er dann selbst die Schlüssel behält. Auch Ursula weiß es jedesmal, wenn ich hier bin, und hilft mir herein und heraus. Dabei ist die gute Alte so schweigsam wie das Grab. Wie ich nun neulich wieder einmal im Hause bin, was aber nur die Alte für diesmal wußte, vergißt mich das gute Tierchen, ich irre in dunkler Nacht herum, gerate in den Saal hier, kollerte gegen die Wand und entdeckte unverhofft diesen niedlichen Versteck. Den hat sich damals, als er sein Haus für sich selbst baute, dein feiner Schwiegervater angelegt und keinem Menschen ein Wörtchen von diesem Geheimnis gesagt. Man kann durch diese dünne Wand alles hören, was im Saal gesprochen wird, so kann man, durch Baum und Gesträuch versteckt, die auf der Gasse sehn, auch durch die verhüllten Fensterstäbe jede Silbe hören, die sie draußen im Freien reden. So mag der Alte damals manches erlauscht haben. Jetzt wohnt er da oben, um euch diesen kleinen Palast zu geben. Heute schlich ich wieder herein und verspätete mich, und so mußte ich notgedrungen alle eure Konversation und deine Tollheiten, Schwester, mit anhören. Jetzt aber, da Ursula doch wohl schläft, werde ich durch den Garten und über die Mauer den Rückweg suchen müssen, da du die Hausschlüssel nicht hast.«
Die unsichtbare Tür wurde leise und fein wieder zugemacht, und als Marcello schon im Garten war, kehrte er noch einmal um und raunte der Schwester zu: »Hüte dich nur vor der Schlange, dem Farnese, der hat Böses gegen dich im Sinne: – und dein Männchen – o der liebe, niedliche Blondkopf, – der ist auch ein feiner Fuchs. Traue ihm ebensowenig.« – Er entfernte sich schnell, und sie blieb noch lange im einsamen Saale allein, vielerlei bedenkend.