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Es war der Winter eingetreten, welcher in Oberitalien eine rauhe und traurige Jahreszeit ist und viel Regen und Kälte mit sich bringt. Der Herzog Bracciano war gestorben und zur Erde bestattet. Vielfache Gerüchte waren seinethalb verbreitet. Waren es die Orsini, die Gegner in Florenz, die Freunde des in Paris ermordeten Troilo, die sich ihm in Masken genähert und ihn listig fortgeschafft hatten? Das Haus, wo jene Geistererscheinungen vor sich gegangen sein sollten, konnte man im Umfange des Waldes, so sehr man sich auch bemühte, nicht ausfinden; derjenige, welchen Vittoria als Mancini erkannt hatte, war seitdem nirgend gesehen worden. So glaubten manche, die sich für die Einsichtigen hielten, ein Fieber habe den Herzog hingerafft, und seine sonderbaren Aussagen zeugten nur von der Krankheit seines Gemütes und einer schon ganz irregeleiteten Phantasie. Die Wundergläubigen dagegen behaupteten, seine Visionen in dem rätselhaften, verschwundenen Hause hätten sich, sei es durch einen Magier, sei es auf andre übernatürliche Weise, dem Verstorbenen wirklich gezeigt, um ihm alle Sünden und Verbrechen seines Lebens vorzuhalten, und keine giftigen Dünste oder Getränke, sondern die Qual des aufgescheuchten Gewissens habe seinen frühen Tod herbeigeführt.
Vittoria ertrug ihren Schmerz, wie große Seelen fast immer die herbsten Verluste zu tragen pflegen. Man sah sie nicht klagen und weinen, ihr Unglück war zu groß, um sich in solchen Leiden kundzutun. Sie lebte in einer stillen, erhabenen Resignation. Ihr Leben war beschlossen: ein Frühling, Sommer und Herbst war ihr Glück gewesen, in diesen wenigen Monaten war der Inhalt ihres eigentlichen Daseins befangen. Die Erinnerung dieser ländlichen Einsamkeit war jetzt ihr Genuß, sich jede, auch die kleinste Begebenheit, den unbedeutendsten Scherz wieder lebhaft herbeizurufen.
Sie hatte den für sie bestimmten Palast in Padua bezogen. Der Magistrat der Stadt, der hohe Adel sowie einige der vornehmsten Geschlechter aus Venedig hatten sie ehrerbietig als Herzogin von Bracciano begrüßt und ihr Schutz und Sicherheit zugesagt.
Viele Diener, einige Stallmeister, alles, was zum Gefolge einer mächtigen Familie gehört, umgab sie. Der Herzog hatte schon früher ein Testament zu ihrem Vorteil gemacht, in welchem er ihr alle baren Summen, das Geschmeide, Juwelen und Kostbarkeiten, alles Silbergeschirr, den Marstall und alle Mobilien seiner Güter gerichtlich übergab, sowie den wohleingerichteten Palast in Padua. Das Testament war unter den Schutz des Herzogs Alfons von Ferrara sowie einiger anderer Großen gestellt, weil Bracciano gegen die Familie der Orsini ein gerechtes Mißtrauen hatte, er auch wohl überzeugt sein konnte, daß das Haus der Mediceer dieser Verfügung nicht hold sein würde. Sollte und konnte der Fürst von Este die Herzogin Vittoria Bracciano schützen und mit Kraft vertreten, so war dies freilich auch Veranlassung, den Fürsten von Florenz gerade deshalb zu Streit und Eifersucht zu bewegen, weil schon seit lange Ferrara und Florenz in beständigem Zwiespalt lebten. Alle Güter und übrigen Schlösser des Bracciano, seine große Herrschaft, alles verblieb dem Sohn Virginio, welchen er mit der Schwester des Großherzogs von Florenz, Isabella, erzeugt hatte. Man konnte also billigerweise wohl nicht behaupten, daß der verstorbene Herzog seinen Kindern zu viel entzogen habe, um die kinderlose Vittoria allzusehr zu begünstigen.
Wäre die großgesinnte Witwe irgend geneigt gewesen, viele Menschen um sich zu sehn, so war der Adel der Stadt und der Umgegend geneigt, ihr seine Huldigung darzubringen. In ihrer Stimmung zog sie aber die Einsamkeit vor und den Umgang einiger Gelehrten und edlen Priester. Wer so große, unnennbare Schmerzen durchlebt, der wendet sich gern in der Einsamkeit seines verwaiseten und verarmten Herzens an die ewige Liebe des Unnennbaren, die dem Menschen am ersten im Unglück sichtbar wird. Poesie und Gelehrsamkeit verließen die Ärmste nicht, und ihre Stimmung war auch nicht derart, daß sie diese Göttergaben, diese himmlischen Begleiter des Lebens, vorsätzlich als Torheit verabschiedet hätte: aber so wie ihr sonst der Olymp und Parnaß, Apollo und sein liebliches Gefolge, der Tanz der Grazien und das Necken der Amorinen persönlich anschaulich gewesen und in ihren dichtenden Stunden immer näher getreten war: so erwachte jetzt das Bedürfnis bestimmter in ihr, sich jenen Unsichtbaren, den in der Andacht Geahneten, in Bildung und Gestalt als Vater und Tröster zu verwirklichen, sich diesem Vater der höchsten Liebe ganz hinzugeben, der sich durch den Schmerz, das Mitleid mit dem Menschengeschlecht und die Inbrunst seiner Liebe sich selbst und dem Vater der armen Sterblichen so himmlisch verständlich gemacht hatte. Sie fühlte deutlich, daß, so viel sie geschaut und empfunden hatte, doch eine Lücke, eine Kluft in ihrem Herzen geblieben war, die der tiefste Lebensschmerz ihr erst entdeckt und beleuchtet und ihr zugleich gewiesen hatte, wie diese Leere durch Liebe auszufüllen sei. Sie erfuhr nun an sich, daß die ewige Liebe sich keinem entzieht, der sie wahrhaft und mit ernster Anstrengung sucht, und auch in diesen Übungen der Andacht fühlte sie den teuern Gemahl wieder ganz nahe in ihrer Gegenwart.
Unter den merkwürdigen Besuchenden trat auch der mehr als achtzigjährige Sperone wieder zu ihr, mit dem sie von Literatur, den Gelehrten und dem armen eingekerkerten Tasso sprach. Es schmerzte sie innig, daß der Greis weder Tassos Talent noch Unglück in seiner ganzen Größe anerkennen wollte.
Als diese große ehrwürdige Gestalt sich entfernt hatte, trat auf sein dringendes Verlangen der schmächtige, zitternde Camillo Mattei ein, der so herzlich wünschte, seine ehemalige Jugendgespielin nach zehn vollen Jahren als große, reiche Herzogin und mächtige, vornehme Dame wiederzusehn. Vittoria mußte wider ihren Willen über die sonderbare Verlegenheit ihres Jugendfreundes lächeln. Sie suchte ihn zu beruhigen und sicher zu machen, indem sie ihren Ton jener ehemaligen Vertraulichkeit näherte. Er faßte endlich mehr Mut und erzählte von seinen Eltern, welche beide schon seit Jahren gestorben seien, sein Oheim Vincenz mache sich in Tivoli gute Tage, indem er durch den Bischof Ottavio wohlhabend geworden sei, auch eine bessere Pfründe erhalten habe. Er selbst habe in diesen zehn Jahren vielfaches Elend durchgemacht und kennen gelernt. Die Lebensweise auf der Galeere sei eben nicht die schlimmste gewesen, oft sei er in der Gesellschaft der Banditen noch schrecklicher gemißhandelt worden, wenn es freilich auch hie und da gute Tage gegeben habe. Seit nun der grausame Sixtus der Fünfte den päpstlichen Thron bestiegen, hätten alle sich mit der größten Eil und Angst aus dem Kirchenstaat geflüchtet, jeder, der ergriffen, sei hingerichtet worden, und so hätten viele der bravsten Männer auf erschreckliche Weise ihr Leben eingebüßt. So habe sich Piccolomini und Sciarra und andre Bandenführer fortgemacht, ebenso der unvergleichliche Luigi Orsini, in dessen Diensten er gewesen, seit er von der Galeere frei geworden. »Jetzt ist dieser Herr Luigi hier in Padua«, so beschloß er.
»Hier?« rief Vittoria in der größten Bestürzung aus.
»Jawohl,« sagte Camillo, »er hat den großen Palast Barbarigo dort am Wasser eingenommen, er mit allen seinen braven und furchtbaren Männern. Die Republik hat den tapfern Grafen schon seit einiger Zeit in ihre Dienste berufen, und er geht in wenigen Tagen mit uns allen als Militärgouverneur nach Korfu ab.«
»Nach Korfu? und bald?« fragte die Herzogin, etwas beruhigt.
»Jawohl,« sagte Camillo, »denn Venedig. so sagt man, will dort eine tapfere Besatzung und einen kühnen Anführer hinlegen, weil von den Türken große Gefahr zu besorgen sei.«
Camillo entfernte sich wieder, in seiner Imagination diese Vittoria mit jener vergleichend, die er vor zehn Jahren geküßt, deren Reize er ohne Schleier gesehn hatte. Jetzt zitterte er vor der, welche er damals so kühn umarmte.
Auch Vittoria maß ihren jetzigen Zustand mit jenem kindlichen von damals. Jetzt hatte sie nun den Brunnen und den großen Saal des Apone oder des Pietro von Abano gesehn, auch dessen Bildnis, und wie gleichgültig und unbedeutend war ihr alles erschienen.
Nicht lange, so erschien Luigi Orsini selber vor ihr, den sie nicht, wenigstens diesen seinen ersten Besuch, hatte abweisen können. Er war stärker geworden, im Antlitz ganz gebräunt, doch hatten ihm die Erfahrungen von zehn Jahren ein milderes Ansehn gegeben. Er bemerkte es wohl, wie Vittoria bei seinem Eintritt zitterte, er aber näherte sich verbindlich, küßte mit Anstand und fein sich verbeugend die Hand und sagte: »Schöne Muhme, ich muß vor Euch erscheinen, wenn Ihr mich auch vielleicht ungern seht, um Euch mein Beileid über Euern großen schmerzlichen Verlust, das Abscheiden des edelsten Mannes zu bezeigen, den wir Orsini alle immerdar gern und ohne Widerspruch für das edelste Haupt unsrer Familien anerkannten, dessen Wille uns fast immer für einen Befehl galt und dem sich auch die kecksten unter uns in Ehrfurcht beugten.«
Vittoria sah ihn verwundernd an und bestätigte gern, was er von den Tugenden und dem Adel ihres Gemahls ausgesprochen hatte. »Ihr habt«, fuhr Luigi fort, »an Schönheit gewonnen, erlauchte Herzogin, die Zeit vermag nichts über Eure Reize, eine erhabne Majestät regiert in Euern Zügen, aber doch ist es noch viel zu früh, daß Ihr Euch den Matronen zugesellen könntet. Nun solltet Ihr so bald als möglich diese Trauergewande ablegen, denn sie heben Euern Reiz so strahlend hervor, daß Ihr nur um so vieles verführerischer erscheint.«
Vittoria wollte ihn mit einem strengen Blicke strafen, der aber an seinem feinen, feststehenden Lächeln abglitt.
»Zürnt mir nicht,« fuhr er ungestört fort; »zwar widerfuhr es mir ehemals ebenso, und ich darf mich wohl keiner andern Begegnung von Euch erfreun, obgleich Ihr jetzt Witwe und wiederum ganz frei seid. Was aber könnte mir Liebe und Leidenschaft nutzen, da ich an eine schöne Frau gefesselt bin, die auch aus einem hohen Hause stammt? Und sie etwa umbringen, um mich einer andern Schönheit würdig zu machen, wäre doch zu grausam, obgleich man sagt, daß Liebe und Grausamkeit wohl aneinander grenzen. Habe ich Euch doch in meiner Jugend auch dergleichen vorgeschwatzt, wodurch ich Euch erzürnte. Ich drohte Euch damals, wenn ich mich recht erinnere, sogar mit Tod und Untergang, und ich muß über meine törichte Heftigkeit selber lachen, wenn ich sehe, wie wir uns jetzt, in diesem Augenblick, gegenüberstehn.«
Er lachte mit dem Ausdruck des albernsten Leichtsinnes, indessen Vittoria im Innersten erschauderte und ihr Angesicht von ihm abwenden mußte. »Doch, um wieder ernsthaft zu sein,« fing er von neuem an, »ich bin bei Euern würdigen und sehr angesehenen Rechtsgelehrten gewesen, und diese werden es Euch auch wohl mitteilen, verehrte Muhme, daß ich gegen das Testament Eures erhabnen Gatten einen Einspruch erhoben habe, zum Besten meines armen Neffen Virginio, und der Großherzog von Florenz sowie der Kardinal Ferdinand sind darin mit einverstanden, daß er, der Verwaiste, nicht so sehr darf beschädigt werden: ich bin auch überzeugt, daß der strenge, feste Papst auf unsere Seite treten wird.«
»Von diesen Sachen«, erwiderte sie, »verstehe ich so wenig. daß ich bitten muß, alles dies mit meinen Advokaten abzumachen, die man mir als sehr gelehrte und rechtschaffene Männer anempfohlen hat; auch mögt Ihr mit dem Dogen, wenn Ihr es gut findet, darüber sprechen oder Euch an den Herzog von Ferrara wenden, die sich als meine Beschützer erklärt haben.«
»Ich wenigstens«, antwortete Luigi, »kann dergleichen nicht abwarten, denn ich segle schon in diesen Tagen mit meinen Leuten nach Korfu ab, kann also erst später die Entscheidung erfahren. Aber was, reizende Dame, wollt Ihr nur mit dem ganzen großen Marstall eines so berühmten Reiters und Jägermeisters, wie es der Herzog war, anfangen? Alles Mobiliar ist Euch vermacht, kann man aber wohl rennende und springende Rosse, wenn sie sich gleich bewegen, ein Mobiliar nennen? Diese Tiere sind Euch ganz unbrauchbar. Ja, wärt Ihr eine wilde Reiterin, wie jene Margareta von Parma es war, so ließe sich dieser Punkt des Testamentes oder die Auslegung eher begreifen.«
Er lachte wieder, und Vittoria sagte: »Laßt das, werter Graf, ich hoffe, daß wir uns über alle etwa streitigen Punkte vereinigen werden.«
»Noch an einen Punkt muß ich erinnern«, fing der Redselige wieder an. »Euer Gemahl war in aller Zeit sehr großmütig und freigebig, er liebte, wie Ihr es wißt, Pracht und Aufwand, und so mußte ich ihm einmal, als er sich in Not befand, mit einer sehr bedeutenden Summe aushelfen. Ich kann Euch durch meinen Advokaten die bündige Verschreibung, von ihm selbst unterzeichnet, vorweisen lassen. Für diese große Summe, die ich jetzt bei meiner Ausrüstung nach Korfu sehr gut brauchen könnte, würde mir, so wie ich es kenne und überrechne, ohngefähr der Schatz Eures Silbergerätes ausreichen. Was die Juwelen und altererbten Schmuck und Kostbarkeiten betrifft, so kann der Großherzog und Kardinal unmöglich diesen fast königlichen Juwelenschatz aus der Familie entführen lassen.«
Vittoria stand auf und der Graf ebenfalls. »So soll ich denn«, sagte sie ohne Zorn, aber ihn fest anblickend, »völlig beraubt und geplündert werden? Wie ich Euch sagte: persönlich werde ich mich nicht dareinmischen; das Recht und meine hohen und höchsten Beschützer mögen für oder gegen mich sprechen: diesem Ausspruche werde ich mich unbedingt fügen.« – Sie gab dem lästigen Besucher das Zeichen, daß sie ihn verabschiede. – »Nicht in Zorn«, sagte er, sich tief verneigend, »entfernt mich so, schönste Muhme, erlaubt mir vorerst noch einen Kuß der Ergebenheit auf diese himmlische Hand zu drücken. Ich muß doch wieder lachen, seid mir nicht böse deshalb. Gedenkt Ihr des Tages, als Ihr Euch mit dem kleinen Peretti vermähltet? In der Kirchtür stand ich grimmig und erbost hinter Euch, meine Leidenschaft war so ungeheuer, daß ich ihn und Euch mit dem Dolch hätte niederstoßen können, und ich sagte Euch ins Ohr: wir sehn uns, oder wir treffen uns wieder! – Nun freilich sind wir auch wieder zusammengekommen und sprechen hier, wie alte Handelsleute, über Geld und Geldeswert.«
Vittoria war nach diesem unglückseligen Besuch des Frechen in einer Stimmung, daß sie in eine Wüste hätte ziehen mögen, um nur kein menschliches Antlitz mehr zu sehen. Sie ließ ihren alten, ehrwürdigen Rechtsgelehrten rufen, um sich an seinem Gespräch wieder etwas zu beruhigen. Er tröstete sie und sagte unter anderm: »Sorgt nicht zu sehr, Exzellenz; diese Anfälle des rohen Menschen geschehen mehr, Euch zu kränken, als daß er irgendeinen festen Grund hätte, auf welchem er fußen könnte. Es wäre unerhört, wenn ein mächtiger, reicher Herzog, der im Bewußtsein aller seiner Seelenkräfte stirbt, nicht in einem legalen Testamente seiner rechtmäßig von der Kirche angetrauten Gemahlin sein Mobiliar, bares Geld und Schmuck sollte vermachen dürfen. Wenn Ihr Euch dieser und jener Sache, vielleicht des zahlreichen Marstalls, der Euch mehr belästigen als nutzen mag, entäußert, so kann das nur durch Euern freien Entschluß und auf dem Wege des Vergleichs geschehen, auf keine Weise durch Zwang. Über seine alte Schuldforderung an Euern Gemahl möchte man lachen; er, der Verschwender, Verschuldete, war wohl niemals in der Lage, dem Herzoge einen so großen, bedeutenden Vorschuß leisten zu können. Wäre es aber selbst der Fall, so müßte er um Wiederbezahlung bei dem Haupterben, dem Sohn, der die Herrschaft und alle Güter bekommt, nicht aber bei der Nebenerbin seine Forderung einreichen. Es ist keine Frage, daß die Mediceer und die Orsini dies Testament des weisen Herzogs umstoßen möchten, aus Eigennutz und Haß; auch der Papst, der Euch, erhabene Frau, aus begreiflichen Ursachen nicht gewogen ist, riet Euch, wie Ihr wißt, die Erbschaft fallen zu lassen und Euch in ein Kloster zurückzuziehen, in welchem er Euch dann mit einer jährlichen ansehnlichen Summe versorgen würde: Ihr habt dies Anerbieten aber, und mit Recht, zurückgewiesen. Da der Herzog Euch keins (wie er es immer noch gekonnt hätte) von seinen vielfachen Gütern vermacht hat, um Euch nicht Euern Feinden auszusetzen, so kann nach Recht, Gesetz und Herkommen auch von diesem übermachten Vermögen Euch nichts entrissen werden. Ihr seid als adlige Tochter der Republik anerkannt, der Herzog von Ferrara hat Euch auf bestimmte Weise seinen Schutz zugesagt, und so darf Florenz nicht wagen, die Orsini noch weniger, gegen die große gewaltige Familie einer Nebensache wegen in offne Feindschaft auszubrechen: und der Papst am wenigsten, der seinen Vorschlag nur als Rat einsendete und der das gewaltige Ferrara, das schon oft verletzt wurde, schonen muß. Dieser Luigi will sich auch nur, nach seinem schlechten Lebenswandel, bei den Florentinern und den Erben von Bracciano wichtig machen, um etwas zu gewinnen: vom Papst möchte er gern die eingezogenen Güter wieder haben und meint auch diesen für sich zu erobern, wenn er Euch etwa einschüchtern könnte: befehlt darum strenge, daß der Freche niemals wieder über Eure Schwelle gelassen werde, und wir alle werden mit Erfolg Euer Recht beschützen.«
»Wenn ich nur meiner Stimmung folgte,« antwortete Vittoria, »so würde ich alles von mir werfen und mich mit wenigem in die entfernteste Einöde zurückziehn, um niemals wieder in die Nähe von Menschen zu kommen: ich brauche ein geringes; meine würdige Mutter, die sich meines Glanzes erfreut haben würde, ist gestorben, sowie mein ältester Bruder; Marcello wie Flaminio sind durch die Großmut meines Gemahls reichlich versorgt; ich kann mich aber, so denke ich, nicht zurückziehn, das Testament als ungültig hinwerfen, mich in ein Kloster verkriechen und von der unwilligen Gnade eines erzürnten Papstes leben. Dadurch würde die Ehre meines Gemahls gekränkt, und ich erklärte mich öffentlich für unwürdig, jemals an seiner Größe teilgenommen zu haben. So zwingen uns immer wieder Bedingungen und Umstände zu Handelsweisen, sie legen uns Pflichten auf, von denen wir in gewöhnlichem Verhältnis, wenn wir alles aus der Ferne betrachten, keine Vorstellung haben.«
Der Graf Luigi kam sehr verdrießlich von seinen Advokaten zurück, die ihm alle Schwierigkeiten des Prozesses auseinandergesetzt und ihm vorgestellt hatten, daß er wenigstens nicht so schnell, als er es gedacht, beendigt werden könne, da die mutige Frau sich nicht einschüchtern lasse. Auch sei der Ausgang selbst sehr bedenklich, da sie so hohen Schutzes genieße, der Vorwand, das Testament umzustoßen, auch kein hinreichender sei.
»Diese Hunde von Advokaten!« rief er in Wut, als er wieder zu den Seinigen im Palast zurückgekehrt war. »Diese Federfechter mit ihren Klauseln und Praktiken! Ich habe alles dem Kinde, meinem Vetter, so fest versprochen; er tritt mir gern einen Teil des Vermögens ab: künftig, als Schwiegersohn des Papstes, muß er mir meine Güter wiederschaffen.«
Er versammelte seine Vertrauten um sich. Der den meisten Einfluß auf ihn hatte, war der verruchte Graf Pignatello, der vor keiner Tat und keinem Morde zurückschreckte; seine Liebe und Freundschaft besaß aber der mildere Graf Montemellino, ein naher Verwandter jenes Blutdürstigen. Diese beiden und noch einige der Entschlossensten wurden zum geheimen Rate berufen.
»Je schneller geendigt, je besser«, sagte Pignatello. »Kinder sind nicht da, die Toten schweigen, und Prozeß und Testament sind von selbst zu Boden gefallen.« Luigi war derselben Meinung, und der mildere Montemellino konnte seine Einwürfe nicht geltend machen. »Nein!« schrie Luigi, »abgesehen von allen meinen Vorteilen, so muß ich an dieser Kreatur Rache, blutige Rache nehmen. Nur wer jemals rechten, innerlichen, ewigen, wahren Haß empfunden hat, kann wissen und ermessen, welchen Grimm und welche Wut mir diese Buhlerin seit so vielen Jahren erregt hat. Kein Drache, Krokodil, Ungeheuer, keiner, der mir Vater und Mutter ermordet hätte, könnte je meine Seele mit diesem Abscheu anfüllen, wie er in Wut gegen dieses schöne Untier in meinen Eingeweiden kocht und siedet. Wie sie mich immer verletzt, zurückgestoßen und gekränkt hat; nicht gegen den räudigen Hund kann man so viel Ekel und Widerwillen zeigen, als sie mir mit ihrer Mutter so unverhohlen bewies. Es war ein innerlichster Schwur, eine Aufgabe meines Lebens, und beides habe ich in keinem Augenblick, auch in meiner Brautnacht nicht, vergessen und aufgegeben, mich blutig an dieser Sirene oder Harpyie zu rächen. Und diese wonnevolle Stunde soll nun endlich geschlagen haben. Wer als ein Lump mir die Freundschaft aufsagen will, mag es jetzt tun, denn ich bin mir selbst genug.«
Alle sagten mit Schwüren ihre Hülfe zu, und Orsini sprach: »So muß es bald, so muß es eilig geschehn, noch vor dem Fest, denn unmittelbar nach Weihnachten, wie ihr es wißt, sollen wir nach Korfu absegeln. Die Kreatur muß morgen vernichtet sein.«
Vittoria war zur Beichte gewesen und hatte mit mehr Erbauung als je das heilige Abendmahl genossen. Mit einem Gefühl des Schauers trat sie in ihren großen, einsamen Palast. Sie sprach mit ihren Brüdern, dann war sie wieder allein. Flaminio, seit er nicht mehr für den Herzog beschäftigt war, wußte nicht recht, wie er seine Zeit anwenden sollte. Marcello, der sich mit Büchern nicht unterhalten konnte, wünschte als Soldat von der Republik angestellt zu werden, nur dünkte es ihm schmählich, bei Orsini, dem Feinde seiner Schwester, Dienste zu nehmen.
Vittoria suchte sich in Büchern zu zerstreuen und zu erheben. Aber ihr Schmerz war noch zu neu; sie betete oft im stillen: »O gütiger Vater, gib, schenke mir nur eine, eine einzige Minute, in welcher ich meinen Verlust völlig vergessen kann, nur so viel, um auszuruhn, damit ich dann neugestärkt zum Gefühl meiner Leiden zurückkehren möge.« Aber wie sie die Hand ausstreckte, wie sie ein Buch aufschlug, wie sie den Bissen zum Munde führte, war es ihr immer, als wenn Bracciano nun neben ihr stände, mit jenem sterbenden Leichenblick, der sich ihr so tief, so unvergeßlich eingeprägt hatte.
So war es Abend, so war es Nacht geworden. Sie war in ihrem Schlafzimmer, arbeitete, betete und las abwechselnd. »Würde mir ebenso sein,« sagte sie zu sich selbst, »wenn ich ein geliebtes Kind von ihm an meinem Busen nähren könnte?«
Marcello hatte schon beim Mittagsessen darauf angetragen, den Pförtner des Hauses zu entlassen, weil dieser ihm verdächtig erschien. Vittoria, ganz in ihren Gedanken vertieft, hatte diesen Vorschlag keiner Aufmerksamkeit gewürdigt. Jetzt schlich sich Camillo zu Flaminio, der im Vorzimmer schrieb, und wollte ihm mitteilen, was er glaubte gehört oder vielmehr erraten zu haben; Flaminio riet ihm zu warten, weil er den kräftigen Bruder Marcello rufen und suchen wolle. Sowie sich Flaminio entfernte, entfloh der geängstigte Camillo wieder, weil er sich vor Marcello fürchtete und nicht den Mut hatte, diesem seine Gedanken mitzuteilen.
Vittoria begriff es nicht, was sie in dieser Nacht mehr als jemals ängstigen könne. Sie kniete auf den Betschemel und strebte im Gebet wiederum ihre Seele zum allmächtigen Vater emporzuheben. – Nun ging sie wieder in den Saal und beleuchtete mit der Kerze die Bilder, die dort an der Wand hingen. Mit einem Male stieß sie einen lauten, gellenden Schrei aus, denn hinter ihr, wie sie sich umwendete, dicht an ihr, stand eine große, furchtbare Gestalt, mit geschwärztem Angesicht, die sie aus den dunklen Augen groß anstierte. Sie wollte nach der entgegengesetzten Seite entrinnen, und eine andre entsetzliche Figur trat ihr entgegen, und die dritte, vierte und mehr, alle mit unkenntlichen Gesichtern, geschwärzt oder in dunklen Masken. »O Gott!« schrie sie, »der abscheuliche Traum meiner Kindheit geht in Erfüllung.«
Auf ihren gellenden Schrei war aus dem innern Zimmer Flaminio hereingesprungen. Sowie sie ihn erblickten, rannten die Verlarvten auf ihn zu und hieben ihn nieder. Da öffnete Marcello die äußere Türe, sah die Abscheulichkeit und sprang, schnell Fassung gewinnend, zurück und so aus dem Fenster auf die Gasse hinaus, um Hülfe oder die Wächter der Stadt anzurufen.
»Du stirbst!« sagte die große, finstre Gestalt mit dumpfem Ton zur geängstigten Vittoria. – »Ich ergebe mich«, klagte sie, denn sie sah und hoffte keine Rettung, da ringsum die blanken Degen und Dolche ihr drohten, und einige, niederkniend, noch ihren Stahl in den zerhauenen Leichnam des Bruders wie aus Übermut bohrten.
»Also heut, diese Nacht, jetzt erfüllt sich mein Schicksal«, sagte sie zu sich selbst. – »Wirf das Kleid, diese Gewänder und Tücher von der Brust zurück, wenn du eines leichten Todes sterben willst« – sagte die dunkle Gestalt.
Folgsam wie ein gehorsames Kind warf sie das Nachtleibchen ab, denn sie hatte sich schon zum Schlafen aus- und angekleidet. – »Auch das Busentuch!« rief jener; – sie tat es – er zog hierauf selbst das letzte Leinengewand von der Brust zurück, und die edle Gestalt stand in ihrer glänzenden Schönheit, nackt bis zu den Hüften hinab, wie das herrlichste Marmorbildnis da, die festen, getrennten Brüste im Dämmer des wenigen Kerzenlichtes schimmernd. So sank sie auf den Betschemel kniend nieder. Man hätte denken sollen, der roheste Barbar, der Kannibal müßte sich bei diesem Anblick erweichen lassen. Da stieß er den scharfen Dolch zielend neben der Brust in den Leib. Sie sank zu Boden. – »O, wenn ich tot bin,« so klagte sie, »habt die Barmherzigkeit und kleidet mich wieder an.« – »Vielleicht«, sagte jener und stieß das Eisen wieder in die Wunde, indem er es, wie prüfend, zwei, dreimal drin bewegte. – »Wie ist dir?« fragte er. – »Kühl ist die Schneide,« sprach sie lallend, – »o laß jetzt – ich fühle, das Herz ist getroffen.« – »Noch nicht,« sprach der Schreckliche mit entsetzlicher Kälte, – »noch einmal«, und wieder an einer andern Stelle stach er in den edlen, marmorweißen Körper. Da sank sie ganz zu Boden, das Haar löste sich und schwamm in dem Blutstrom, der sich auf dem steinernen Fußboden hingoß.
Andre hatten auf einen Wink indessen schon die Schränke hier und in den andern Zimmern erbrochen; was sie an Gold, Juwelen und Kostbarkeiten fanden, nahmen sie mit sich und verschwanden dann so still, wie sie gekommen. Wohl hundert Bösewichter waren es gewesen, die alle Türen und Zimmer bewacht hatten, damit die Mörder nicht gestört werden könnten. –
Orsini erwartete scheinbar ruhig den Ausgang: er hatte, sonderbar genug, bei der Ermordung nicht zugegen sein wollen; der abscheuliche Pignatello hatte sich zu dieser Exekution gedrängt.