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Mit welcher Glut der Empfindung sah der junge, feurige Liebhaber die Türme Heidelbergs aus der Ferne leuchten. Er stieg ab vom Pferde, brachte ein Stück Papier hervor und schrieb Verse nieder, die der liebliche Schein der Abendröte in ihm wachgerufen. Es war ein Liebesgedicht an Charlotte. Als er es vollendet, brach er ein großes Blatt vom Baume, wickelte die verliebten Strophen hinein und steckte es mit einer Nadel fest. Sie sollte es finden und nicht wissen, von wem es sei. So schlich er langsam näher. Als er in die Schatten des Tores eintrat, kam ihm ein Weib entgegen, das er öfters oben in der Burg gesehen, die grüßte ihn. Er dankte ihr und sagte in gutem Mute: »Was macht Fräulein Lottchen?« Die sah ihn verwundert an und antwortete: »Gestern haben wir sie begraben!«
Georg wurde schlimm; ihm drohte Finsternis vor den Augen, kaum hielt er sich am Brückenpfeiler. Als ihm wieder besser wurde, stürzte er auf die Frau zu und schrie wie wahnsinnig: »Was sagt Ihr? Die Prinzessin tot!«
»Ei, nicht die!« rief jene, zurückweichend, »wer spricht von der Prinzessin. Fräulein Charlotte Bärweiler, meines gnädigen Herrn Tochter, meine ich. Sie war eine gute Freundin des gnädigen Fräuleins auf dem Schlosse.«
»Wie du mich erschreckt hast!« rief Georg und richtete sich bleich wieder in die Höhe. Er stürmte weiter und kam eben in dem Schlosse an, als man zu Abend speiste. Der Kurfürst begrüßte ihn, nahm ihm die Briefe von seiner Schwester ab, Charlotte war nicht gegenwärtig. Als Georg, an der Tür lehnend, düster vor sich hinsah, kam sie die Stiege hinab, das jüngste Kind ihres Vaters auf den Armen. Es war ein Bübchen, schon sechs Jahre alt; als sie Georg erblickte, ließ sie das Kind zu Boden gleiten, lief, ganz rot vor Freude, auf den Zurückgekommenen zu und rief: »Grüß dich Gott, lieb Vetterlein! Bist du wieder da!« –
Er schlug in ihre dargereichte Hand ein und sah ihr so glücklich in die freudeblitzenden Augen. Er mußte sich jetzt hinsetzen und erzählen. Alles vom Hofe zu Hannover erfreute die Prinzessin; vor allem fragte sie nach ihrer lieben Tante, von der sie nicht genug hören konnte. Von dem Projekt des Mönchwerdens sprach er nicht; es war ihm jetzt völlig unmöglich, auch nur ein Wörtchen von dem wiederzusagen, was er mit dem Herzog gesprochen. Nur von seiner Reise nach Wien sprach er und bat, daß sie ihn dahin begleiten möchte, sie habe ja Wien noch nicht gesehen, und ihre Mutter habe dort hohe Freunde und Verwandte.
»Wenn es Papa erlaubt!« sagte sie, verlegen nach dem Kurfürsten schauend.
Der blickte von seinen Briefen auf, die er noch durchlas, schüttelte mit dem Haupte und sagte:
»Jetzt darfst du von hier nicht fort; du weißt, wen wir erwarten.«
»Wie der Herr Vater befehlen!« sagte das gehorsame Mädchen und sah auf ihren Teller nieder. Die Raugräfin Degenfeld zog sie zu sich herüber, raubte ihr einen Kuß und sagte ihr schmeichelnd etwas ins Ohr.
»Ach nein!« rief Charlotte; »sind sie erst hier, dann ist es mit meiner Freiheit zu Ende!«
Georg begriff nicht, wovon die Rede war; er sah abwechselnd die Cousine und dann die Degenfeld an. Charlotte nickte ihm unter Tränen zu. »Es ist nicht anders,« sagte sie, »Fürstenkind, gefangenes Vögelein! O, wer Freiheit genießt! Wer der schönen Welt sich erfreut in Wald und Flur! Ade, ade, du liebes Heimatsland!« –
Sie war so betrübt, daß sie nicht länger mit den übrigen am Tische sitzen konnte, sie nahm ihren Hut und schlich die Stiege hinab in den Garten. Vorher hatte Georg jedoch in den Hut das grüne Blatt mit dem Briefe hineinrollen lassen.
Als sie fort war, kam der Kurfürst auf den Plan des Herzogs von Nassau, den er auch gar wohl kannte. Er sowohl als der Graf Udallan hatten ihm geschrieben und seinen Rat eingeholt, was mit Georg zu beginnen sei. Es schiene ihnen, daß er nicht ganz Lust zu dem Lebensberuf habe, den sie für ihn ausgesucht. »Und ist es denn wahr?« fragte der Kurfürst den Jüngling. »Bedenke, die Jesuiten sind jetzt gar mächtig; wie leicht kann es dir werden, als Beichtvater eines hohen Fürsten in eine hohe Stellung zu kommen. Freilich, du bist noch gar jung, etwa zehn Jahre wirst du noch in ihren Schulen dich vorbereiten müssen.«
»Nimmermehr!« rief Georg. »Herr Onkel, ich kann nicht Mönch werden; ich kann es nicht. All der Kram mit den Geheimnissen ist mir zuwider! Frisch, frei und in der Welt, da ist meine Stellung! Gebt mir etwas in Wien für Euch auszurichten, Ihr sollt sehen, ich habe Geschick und bin nicht ohne Kenntnisse der Welt. Ruhig sitzen und auf die Torheiten der Menschen lauschen, daraus einen Plan für mich bauen oder mit anderer Leute Geld Häuser für den Orden errichten, das ist nichts für mich! Ich kann es nicht.«
Der Kurfürst blickte ihn ernst und finster an und sagte dann: »Wir wollen das überlegen.« Er ging fort; Georg trieb es aber in den Garten. Er beantwortete kurz die liebreichen und freundlichen Fragen der Raugräfin, und als irgendein günstiger Augenblick vorhanden war, entschlüpfte er und befand sich alsbald in den dunkeln Laubgängen des alten Gartens, wo er Charlotte auf und ab wandeln sah, die junge Raugräfin Luise an ihrer Seite. Sie lasen den Vers auf dem Papier, und Charlotte lachte laut.
Georg blieb stehen und sah sie fragend an.
»Hört nur, was ein verliebter Fant hier schreibt!« rief sie; »ich fand das Kleinod in meinem Hute.« Sie sah Georgs ernsten, kummervollen Blick, und geschwind änderte sie den Ton. »Setzt Euch etwas, lieber Herr!« sagte sie, »wie schaut Ihr aus?«
Georg blickte auf die junge Gräfin.
»Liebes Luischen!« rief sie, »willst du mir wohl meine Arbeit bringen, ich habe sie im Saale zurückgelassen?«
Als das Mädchen forthüpfte, sah sich Georg nochmals ringsum; als er sich mit Charlotte allein sah, sank er mit überströmenden Tränen ihr zu Füßen und rief: »Lacht nur, die Worte sind von mir. Ob mir das Herz bricht, wen kümmert das?«
Sie hob ihn vom Boden auf, stand lange sinnend da und sagte endlich weich und gefühlvoll: »Daß Ihr ein so fertiger Poet seid, habe ich nicht gewußt, und ich danke Euch für Eure Verse. Ich habe gemeint, sie seien von unserm Stallmeister, der erst seit ein paar Wochen hier ist. Verzeiht, lieber Georg, Ihr seid mir nicht in den Sinn gekommen.«
Sie schwieg wieder, und als sie die kleine Luise herankommen sah, begnügte sie sich, stumm die Hand Georgs zu drücken, der ihr mit einem glühenden Blicke antwortete.
So gingen die drei noch lange den schattigen Gang auf und ab, bis sie die helle Mondscheibe durch die Bäume flimmern sahen. Es ward verabredet, daß morgen eine Jagd stattfinden sollte. Der Prinz von Baden und einer von Hessen waren dabei: es sollte ein prächtiges Jagen werden. Der ganze schöne Weg am Flusse, bis zu Neckar-Steinach war dazu ausersehen, und oben aus der alten Burg sollte zur Nacht gespeist werden. Mit Fackelschein sollte es dann nach Hause gehen.
Das Jagen ging vor sich. Unglücklicherweise ward Georg dabei beschädigt, indem er sich einer wilden Sau entgegenstürzte, deren Kräften er nicht gewachsen war, die ihn umwarf und leicht an der Hüfte ritzte. Die ganze Jagdgesellschaft kam zusammen in dem Augenblick, als das Unglück geschehen war. Der Kurfürst, den Geschäfte verhinderten, die Jagd mitzumachen, sah gegen Abend Leute mit einer Bahre sich der Burg nahen. Er stürzte ans Fenster in voller Besorgnis zu wissen, wer der Verunglückte sei, da winkte ihm seine Tochter mit dem Tuche, und der Zug kam in die Burg. Zu gleicher Zeit sprengten die beiden Prinzen ein, die sich sogleich zum Kurfürsten begaben und ihm das kleine Abenteuer erzählten, während Charlotte um den Verwundeten besorgt war und ihn aufs beste unterzubringen suchte.
»Eure Liebden«, nahm der Prinz von Baden das Wort, »haben das Glück, die uralte Historie von Frau Venus und ihrem Amanten, dem jungen Jäger und Schäfer Adonis, sich in Dero eigenen Pfählen wiederholen zu sehen.«
»Ja, so ist's!« lachte der Prinz von Hessen, »gerade so ist's!«
»So erzählt doch, geehrte Herren Vettern, was gab es?« fragte der Kurfürst. »Ich sehe wohl, daß der junge Mann, der Graf von der Pfalz, verwundet ist, weiß aber nicht, auf welche Art und Weise.«
»Wir hatten«, hub der Prinz von Baden an, »kaum die Höhe von Burg Neckar-Steinach erreicht, als aus dem Dickicht die schönste wilde Sau, die ich in meinem Leben gesehen, herausbrach und gerade auf uns zu –«
»Mit Verlaub, Herr Vetter,« unterbrach ihn der Prinz von Hessen, »nicht so gerade auf uns zu, sondern mit einer Biegung nach der Seite hin, wo Ihro kurfürstliche Liebden, Fräulein Prinzessin, auf ihrem Falben hielten.« –
»Ja, doch – etwas nach links hin!« rief der Badenser.
»Nicht nach links, nach rechts hin,« – widersprach der Hesse.
»Aber ich werde doch wissen –«
»Ich kann mich durchaus nicht täuschen!« rief der Hesse, mit einer leichten Anwandlung von Zornesröte.
»So lassen wir das!« beschwichtigte der Kurfürst. »Wir wollen annehmen die Sau kam gerade auf meine Tochter los.«
»Ja, Ihre Hoheit nahmen den Weg.« –
»Was sagt Ihr, Vetter?« lachte der Badenser, »Ihr macht die Sau zur Hoheit!« Die beiden Herren lachten, daß ihnen die Tränen in die Augen kamen, und der Prinz von Baden nahm nach einer Weile das Wort: »Wollte sagen, Ihre fürstlichen Liebden standen auf dem Wege, den die Sau nahm. Plötzlich erschaut dies der Junker, als er sich von seinem Pferde wirft und mit einem Fänger der wilden Bestie in den Weg stürzt.«
»Ja, in den Weg stürzt,« nahm der Prinz von Hessen das Wort. »Geradezu in den Weg. Ihr könnt Euch daher aller Schrecken denken, als wir den jungen Mann in Gefahr des Lebens sahen. In der Tat wurde er auch umgerannt, und das Tier versetzte ihm mit seinem Hauer einen Hieb in die Hüfte.« –
»Gleich darauf stachen die Leute, die herbeigeeilt waren, die Sau nieder,« schloß der Badenser. »Die Verwundung des Junkers kann nur unbedeutend gewesen sein, aber das mochten Ihre Liebden nicht wissen. Sie stürzte sich auf ihn, gerade wie in unserer Bildergalerie die heidnische Göttin tut, und fing an seine Kleider loszunesteln, um die Wunde zu untersuchen. Währenddessen lag der junge Bursche immer wie ohnmächtig auf dem Grase.«
»Nie in meinem Leben«, hob der Prinz von Hessen an, »habe ich so viel Attachement und Sensation erblickt, wie sich hier zeigte. Die Prinzessin kniete auf dem Boden; sie hatte sich das Tüchelchen losgemacht, das ihren Hals zierte, und da es zu kurz war, um des jungen Burschen Taille zu umspannen, nahm sie sich ihre Jagdbinde ab und verband damit die Wunde, und alles das ganz ungescheut um uns alle, die wir dort herumstanden. Als es geschehen war stand sie auf, wischte sich den Schweiß von der Stirne und sagte zu uns halb höhnisch: ›Jetzt, meine Herren, können Sie nach Hause reiten, ich werde das Hinwegtragen des Verwundeten besorgen.‹
Ja, so war es: ›Ich werde das Hinwegtragen des Verwundeten besorgen.‹
Und damit ließ sie ihn auf eine aus Zweigen gebaute Bahre legen, und ihr Pferd wieder besteigend, begleitete sie dieselbe, mit aufmerksamen Blicken jede Bewegung des Kranken verfolgend. Hahaha! Das war eine besondere Jagd!«
»Ja, eine sehr besondere Jagd,« wiederholte der andere Prinz.
»Fast etwas zu Besonderes!«
»Ja, beinahe unglaublich!« setzte der Nachbar hinzu.
»Könnte fast zu einer Geschichte Anlaß geben,« lachte der Prinz von Baden.
»Zu was für einer Geschichte?« fragte der Kurfürst ernst. »Ihr lieben Vettern, bedenkt, daß es Christenpflicht war, einem Verwundeten zu helfen. Mich wundert nur, daß Ihr so geduldig meine arme Tochter vollführen ließet, was viel besser Euch zugestanden hätte.«
»Aber fanden wir denn dazu Zeit?« fragte beide wie aus einem Munde. »Das Fräulein war ja wie der Blitz vom Pferde herunter und an des armen Mannes Seite. Kein Jäger, kein Piqueur konnte rascher sein.«
»Da kommt sie selbst!« rief der Vater und ging seiner Tochter entgegen, die auf der Türschwelle stehenblieb, verlegen fragend, ob es ihr erlaubt sei einzutreten. Die beiden Prinzen benutzten den Augenblick, um einander zuzumurmeln: »Verrückter Hof das! Alberne Leute, man wird noch gescholten, wenn man die Dinge, wie sie geschehen, einfach erzählt. In unserm Leben haben wir nicht eine Prinzeß so handeln sehen!«
Währenddessen hielt der Kurfürst seine Tochter umarmt und drückte ihr Haupt an seine Brust. Dazu sprach er kein Wort. Die beiden Prinzen standen da und lächelten.
»Eure Liebden werden durch die Herren Vettern bereits alles erfahren haben,« sagte Charlotte; »es ist nur noch hinzuzufügen, daß der junge Graf wieder insoweit wohl ist, daß er sich dem gnädigen Herrn bestens empfehlen läßt und für all das Ungemach, das er angerichtet, um Entschuldigung bittet.«
»Ist ihm verziehen!« sagte der. Kurfürst. »Nur du, mein Kind, hättest aufmerksamer auf dich und deine Umgebung sein sollen. Es wird nicht alles in der Welt so gedeutet, wie es unser Herz wünscht und hofft.« –