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32
Der Herzog in Nöten

In seinem Toilettengemach am Putztischchen saß der Herzog von Orleans und bemühte sich eben, das Innere eines Döschens zu untersuchen, das ihm sein Hofparfümeur zugesandt hatte, und das eine neue kosmetische Salbe enthalten sollte, geschickt, die Haut fügsam und die Runzeln verschwinden zu machen. Er nahm etwas davon mit der Spitze eines kleinen goldenen Messers, hielt es mit Vorsicht an die Nase und legte es dann sorgsam wieder zu dem übrigen in das Döschen.

»Der Teufel weiß, was das ist,« rief er mißtrauisch seinem Kammerdiener entgegen, der eben eintrat. »Vielleicht ist es ein Geschenk, das mir Henriettens Liebhaber aus London zuschicken ließ. Eine Art Successions-Pulver!«

Der Kammerdiener besah das Töpfchen und stellte es dann wieder hin, ohne ein Wort zu sagen.

»Nun, so sprech' Er doch, Mensch!« klagte der Herzog und sah mit einem verdrießlichen Staunen in das immer gleiche Angesicht seines alten, vertrauten Dieners.

»Eure Hoheit haben ja die Latwerge nicht nötig,« bemerkte l'Auxerrois. »Jedermann sagt, daß Sie eine Haut glatt und fein wie Atlas haben.«

»Sagt das jedermann?« fragte der getröstete Herzog. »Nun gut, so geben wir das dem Herrn Junot zurück, der sich selbst damit sein körniges, runzeliges Eselsfell schmieren kann. Aber, was hast du, l'Auxerrois? Wie siehst du aus? Wie die sieben mageren Kühe, die zu Pharaos Zeiten an den Ufern des Nils spazierengingen und die Leute erschreckten.«

»Ach, Eure Hoheit sind belesen!« rief der Kammerdiener.

»Nicht wahr?« lachte der Herzog. »Das verwundert dich! Es ist auch kein geringes Stück Weisheit, wenn man bedenkt, daß mich und meinen Bruder der Kardinal nichts lernen ließ. ›Denn‹, pflegte er zu sagen, ›wozu das Lesen der Bücher? Wir wollen Könige und königliche Prinzen, aber keine Gelehrten auf dem Throne.‹ Aber was ist dir, mein Sohn? Warum siehst du so trübselig aus?«

»Während Eure Hoheit fort waren, hat sich der Kammerdiener Seiner Majestät nach Ihnen erkundigt.«

»Der Herr Malquin?« fuhr der Herzog auf, und die Röte des Zornes färbte sein Antlitz. »Schon wieder? Was wollte er?«

»Ich habe ihn nicht verstanden,« erwiderte der schlaue Diener. »Ich sollte Eure Hoheit von seiten Seiner Majestät fragen, ob Sie noch nichts zu bestellen hätten an die Heilige Portiuncula?«

»Der Teufel soll sie holen!« stürmte der Herzog heraus, aber gleich darauf sagte er, sich tief verbeugend: »Aber nein! Was ich da sage? Gott sei mir Sünder gnädig! Wie greulich und entsetzlich kann sich der Mensch versündigen! Diese heilige Portiuncula – verstehst du mich l'Auxerrois – ist meine Patin. Die verstorbene Reine-mère suchte, als sie mit mir schwanger ging, lange Zeit im Kalender nach, ob sie nicht eine geeignete Heilige finden könne für mich. Der Herr Kardinal half ihr suchen, und endlich entdeckten beide im Winkel des Kalenders die obenerwähnte Heilige. Nun fragte es sich freilich, ob die Königin auch eine Prinzessin zur Welt befördern würde, denn du kannst dir denken, die heilige Portiuncula hat es immer nur mit Weibern zu tun. Die Königin behauptete, es genau zu wissen, daß nur eine Prinzessin kommen würde, da kurz vorher ein Prinz dagewesen. Seine Eminenz erdreistete sich aber, der Frau Königin zu widersprechen und einen Prinzen zu prophezeihen. Darüber entstand eine Art Zank. Hahaha! Und was war die Folge? Ich kam zur Welt!«

»Und die Königin behielt ihren Willen?« fragte der Kammerdiener.

»Sie behielt ihn,« bemerkte der Prinz, »mir wurde die heilige Portiuncula gegeben, die zum erstenmal das Vergnügen hatte, einem Prinzen vorzustehen. Viele wollen behaupten, daß aus diesem Umstande auch meine unglückliche Neigung hervorgerufen sei, daß sie, die stets Weiber unter sich gehabt, darüber erbost, daß man ihr einen Mann untergeschoben, sich gerächt habe, indem sie mir die Passionen einer Frau einflößte.«

»Das ist allerdings sehr merkwürdig!« sagte Herr l'Auxerrois mit sehr ernstem Blick.

»Ja, das ist merkwürdig,« wiederholte der Prinz, »aber auch zugleich sehr widerwärtig. Siehst du nicht ein, l'Auxerrois, daß ich ein ganz anderer Mensch wäre, wenn diese Umstände sich nicht ereignet hätten? Ich würde wie mein Bruder sein! Ich würde die Weiber lieben, verstehst du, ich liebe sie auch jetzt, ich könnte nicht ohne sie sein, allein mit einigem Unterschied! Verstehst du mich? Mit einem unmerklichen Unterschied. Ich würde gern auf die Jagd gehen, ich ritte gern, kurz ich würde alle Passionen eines Mannes haben. Damit ist nicht gesagt, daß ich irgend mit mir unzufrieden bin, so wie ich einmal bin! Es muß auch solche Männer geben, und es ist gut, wenn sie in den höheren Regionen der Gesellschaft zu finden sind, damit die Welt sieht, es ist nicht alles nach einem Schnitt gemacht, und es vertragen sich mit dieser Art zu empfinden, wie ich sie habe, sehr viel Größe der Seele und treffliche Gemütsanlagen. Also bin ich zufrieden, nur gibt es kleine Häkeleien und Seltsamkeiten hierüber mit meinem Bruder, die, wenn ich nicht sehr vorsichtig wäre, leicht zu offenem Streite ausschlügen. So gleich dieser Fall! Er weiß, ich habe geheiratet lediglich auf seinen Wunsch, denn er weiß zugleich, daß mir nichts unbequemer ist als der Verkehr mit Weibern in dieser Art. Ich kann die Zärtlichkeiten nicht leiden. Mit Henriette war derselbe Tanz. Sie war jung und hübsch, er glaubte, daß eine solche Frau meine natürliche Antipathie besiegen würde, und er zwang mich, mit ihr zu Bett zu gehen. Was erfolgte? Die Kinder wurden geboren, aber ich litt darunter. Ich konnte den Abscheu vor dem Weibe nicht besiegen. Sie nahm ihren Bruder, den König Karl, zum Geliebten! Sie hatte zugleich Bruder und Neffen, Vater und Sohn zu ihren Schätzchen; so sagte man damals! Mein Bruder, dem etwas von dieser Liebe zu Ohren gekommen sein mag, ließ mich von der Zeit an ungezwickt; später starb sie. Jetzt die neue Geschichte! Ich soll durchaus einen Sohn haben! Noch ist die Herzogin glücklich in dem Zustande, wie ich sie erhalten habe! Das soll aber nicht sein. Die Winke, die Andeutungen, die versteckten scherzhaften Fragen nahmen bei Seiner Majestät den Anfang. Neulich sagte er mir: ›Sie sehen bleich aus, mein Bruder, tun Sie nur nicht zuviel!‹ Die Herzogin muß ebenfalls seine Bemerkungen hören, die nun gar nicht weiß, wovon die Rede ist. Neulich sagte er ihr auf der Jagd: ›Sie lieben die Jagd, Madame?‹ – ›Ja, und wie ich sehe, treffe ich da mit meiner Neigung zusammen mit Eurer Majestät.‹ – ›So ist's! Aber ich liebe nicht die Jäger, die nichts treffen, die nach Hause kommen und ihren Hirschfänger nicht aus der Scheide gezogen haben!‹ – Sie lachte unbefangen und erwiderte: ›Sire, das ist auch meine Meinung.‹ Der König blickte mich mit triumphierenden Augen an.«

Der Kammerdiener verzog den Mund ein wenig zum Lächeln.

»Da alles nicht fruchten will,« fuhr der unglückliche Prinz fort, »schickt er einen seiner Vertrauten, immer mit denselben Fragen, fast jeden Morgen zu mir. Ich kann es nicht mehr aushalten.«

»Es wird nichts anderes übrigbleiben,« bemerkte l'Auxerrois, »als Eure Hoheit machen sich an das Werk. Gott und die himmlischen Heerscharen werden Ihnen beistehen.«

Der Prinz seufzte schwer auf.

»Jedes gottgefällige Werk«, nahm der Kammerdiener wieder das Wort, »hat in sich seinen Dank! Eure Hoheit werden fühlen, wenn Sie Ihren Pflichten vor Gott und den Menschen genügt haben, wie leicht, wie glorios Ihnen zumute sein wird. Die ganze Welt wird Ihnen in einem anderen Lichte erscheinen: Sie werden sich erhoben fühlen und veredelt als Christ und als Prinz.«

Der Prinz seufzte nochmals.

»Gesetzt, Sie wären Seiner Majestät ungehorsam,« fuhr der Sprecher fort, »oder Sie belögen ihn, schöben alles auf den Widerstand der Natur, auf eine unglückliche Konstitution der Frau, was würde die Folge sein? Daß sich Seine Majestät bei der Dame selbst erkundigte nach der Angelegenheit, und diese würde in ihrer kindlichen Unschuld alles ausplaudern, oder, wenn es uns auch gelänge, ihrer Zunge Fesseln anzulegen, würden wir sie hindern können, zu ihrer Vertrauten von den Worten oder Fragen des Königs zu sprechen? Und Eure Hoheit wissen, was es heißt, bei Hofe ein Geheimnis zu bewahren. Das ist durchaus unmöglich! Alsdann würde Seine Majestät doch erfahren, was er erfahren will, und Eure königliche Hoheit würden sofort in Ungnade stürzen.«

»Es ist wahr, es ist kein Winkelzug möglich, ich habe bereits daran gedacht!« erwiderte der Herzog kleinlaut. »Rede mir nicht von Vergleichen vor, es ginge ja doch nicht. Gib mir statt dessen einen guten Rat. Das ist das, was ich von dir verlangen kann.«

»Ich wüßte wirklich keinen anderen, als sich dem Willen des Königs zu fügen.«

»So? Und wenn ich nun wie bei Henrietten lauter Töchter zur Welt förderte?« rief der Prinz aufgebracht.

»So würde Seine Majestät sehen, daß sein Wille wenigstens vollbracht ist, daß aber die Natur durchaus sich nicht zwingen läßt.«

»Wenn Lorraine nur ein etwas gescheiterer Bursche wäre!« murmelte der Herzog vor sich hin. »Ich würde ihm die Hälfte meiner Einkünfte geben.«

»Hoffen Eure Hoheit von dieser Seite nichts!« ließ sich der Kammerdiener vernehmen. »Die Prinzessin ist tugendhaft und durchaus mit keinem Hange zur Liederlichkeit geboren. Sie würde das Recht, von dem die Rede ist, nur ihrem Manne gestatten. Ich habe sie beobachtet und kann darüber mitsprechen. Frau Henriette hatte ja die Nacht vorher, ehe sie mit Eurer königlichen Hoheit zu der Ehre gelangte, ihren kleinen Küchenbuben im Arme gehabt.«

»Hofklatschereien!« rief der Prinz. »Wollen wir davon schweigen. Man hat der guten Frau auch immer zu viel nachgesagt. Gut denn, heute nacht! Aber du und mein Leibarzt müssen im Nebenzimmer schlafen, daß ihr rasch bei der Hand seid, im Fall mir ein Unglück begegnen sollte.«

»Welch ein Unglück könnte Eurer Hoheit begegnen?«

»Man kann es nicht wissen!« rief der Herzog. »Ich bin nicht der jüngste Knabe mehr! Man sagt, daß die Natur sich rächt für die Versäumnis und die Nichtachtung, die man ihr angetan, und daß sie dazu den Augenblick wählt, wo ihre Dienstleistungen uns am notwendigsten sind.«

»Wir werden zur Stelle sein!« bemerkte der Vertraute.

»Hast du meinen Reliquienbüschel bereitgelegt, auch die Sammlung von Bildern und Medaillons?« fragte der Herzog.

»Sie sind beide in meinen Händen. Doch wollte ich mir noch eine Bemerkung erlauben.«

»Noch eine?« fragte der Herzog besorgt. »Und welche ist dies?«

»Wird die Prinzessin nicht erschrecken, wenn Eure Hoheit mit den raschelnden kleinen Bildern zu ihr ins Bett steigen. Frauen sind in der Regel ängstlicher Natur.«

»Sei ruhig, mein Freund, ich werde es schon einzurichten wissen. Allenfalls laß ich den Büschel fort und nehme nur die kleinen Medaillen und Bilder in die Hand.«

»Könnte man nicht diese vor dem Zubettegehen als Gegenstände der Andacht betrachten, und sein Gebet vor ihnen halten?« fragte der Kammerdiener.

»Nein, nein, da würden sie nichts helfen. Sie müssen an gewisse Orte hingebracht werden, damit sie erfahren, worum es sich handelt und was man von ihnen erwartet. Mein Beichtvater hat mir die ganze Prozedur umständlich erklärt.«

»Also haben Eure Hoheit den frommen Vater zu Rate gezogen?«

»Ich habe ihn nur gefragt, wenn ich die Bilder und Medaillen brauchte, auf welche Weise ich dies anzufangen hätte. Da hat er mir das geantwortet, was ich dir eben gesagt habe.«

»Gut, gut! So wäre denn die Sache in Ordnung!«

Der Prinz sprang von seinem Stuhle auf und rief giftig: »Gut, gut! Was ist denn gut, du Einfaltspinsel? Hat man je eine so trockene und langweilige Maschine gesehen, wie du bist! Dein Herr und Gebieter geht einer großen Gefahr entgegen, und die Seele aus Pappendeckel weiß nichts anderes zu sagen, als: Es ist gut!« –

»Mein Himmel!« rief l'Auxerrois und wich einen Schritt zurück. »Sollte man nicht glauben, Eure Hoheit ginge einem Kampf mit einem Drachen entgegen! Während es sich doch um nichts weiter handelt als um ein Abenteuer mit einem jungen Weibe, wonach alle Männer lüstern sind.«

»Ich sage dir aber,« wütete der Prinz, »daß dieses Weib für mich ein Drache, ein Moloch, eine giftige Kröte ist, daß mir nichts Ärgeres geschehen kann, als was mir heute nacht droht. Gott im Himmel, haben denn alle Heiligen mich verlassen, daß ein solcher Schöps von einem Diener mich verspotten darf? Wenn du dreißig Jahre jünger wärest, du Esel, würde ich dir zeigen, wie ich so etwas strafe. Packe dich nun fort! Dein Gesicht ist mir lästig!« –

Der Kammerdiener, an die Grillen seines Herrn gewöhnt, entfernte sich kopfschüttelnd, kam jedoch bald wieder zurück, indem er einen Weihbüschel und eine kleine Quaste von aneinandergebundenen goldenen Bildern und Medaillen vor den Herzog hinlegte, der diese Heiligtümer mit einem dumpfen, finstern Blick anstarrte.

Als der Diener wieder fort war, nahm er die Quaste und fing an sie vor sich hinzubreiten, jedes einzelne Bildnis und jede Medaille gesondert auf den Tisch legend. Dann faltete er die Hände und fing an die Gebete an jede einzelne Heilige herzusagen. Die heilige Portiuncula, die größte Medaille in der ganzen Sammlung, lag obenauf und wurde zugleich mit jeder einzelnen Heiligen angerufen. Von Zeit zu Zeit erhob sich der Prinz von seinem Stuhle, machte nach der Weise der Damen einen kleinen Knicks und setzte sich dann wieder, um weiterzubeten. Zwischendurch griff er nach einer Tabatière, in der parfümierter Schnupftabak enthalten war, und nahm eine Prise, die er mit vielem Geräusch in die Nase zog. Er lächelte dabei, als er die Dose schloß und sie einen eigentümlichen klagenden Ton bei dieser Gelegenheit von sich gab. Als die ganze Reihe der Bilder und Gebete vollendet war, stand er auf, trat vor den Spiegel und betrachtete sein Haar und seine Halskrause, beide waren durch die Andacht in Unordnung geraten; er brachte sie beide in den rechten Stand.

Dann ging er zu einem kleinen Schränkchen, das in die Tapete eingefügt war, öffnete es mit einem besonders am Gürtel getragenen Schlüssel und suchte unter einer Anzahl Dosen und Döschen, bis er eine fand, die ihm die rechte dünkte. Er öffnete den Deckel, roch an der darin enthaltenen Substanz und schloß sie wieder, indem er ein sauersüßes Gesicht zog.

»Das ist der bewußte Staub,« rief er, »eine Messerspitze voll! Wir wollen hoffen, daß ihn die Jahre nicht kraftlos gemacht haben! In dem Fall müßte er etwas aufgefrischt werden. Wir wollen einige Tropfen der Tinktur darauf gießen.«

Er tat es und roch dann wieder daran. Es schien ihm jetzt in den rechten Zustand gelangt zu sein, und er legte die kleine Schachtel auf den Tisch zu den Reliquien und Bildern.

»Welch ein verdrießliches Geschäft ist es, so nahe dem Throne zu stehen!« rief er vor sich hin. »Wäre ich Meister Jakob oder Hannes, würde ich den Henker danach fragen, ob meine Rasse ausstirbt! Halt, man kommt! Fort mit allem diesem, man darf nichts merken.«

Und mit fester, eleganter Haltung schritt der Prinz dem anlangenden Besuche entgegen. Am späten Abend verfügte er sich mit dem Arzte und l'Auxerrois in die Gemächer der Prinzessin. Die beiden Begleiter machten sich bereit, in einem der Vorzimmer zu bleiben.


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