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Charlotte schlief in ihren prächtigen Gemächern allein in ihrem reichverzierten Bette. Der Prinz war nach Marli gereist, mit dem Versprechen, am anderen Tage zurückzukehren. Sie hatte ihre Damen entfernt und eben auch der Rätin Rathmannshausen, die stets die letzte bei ihr war, befohlen, sich zur Ruhe zu begeben. Alles in der Umgebung war ihr fremd und ungewohnt, ihr Blick hing an den Tapeten, an den kostbaren Stoffen, und plötzlich fiel es ihr ein, wie dies alles ohne Bewachung ihr anheimgelassen war. Sie hatte die Gewohnheit von Hause, wenn sie sich zu Bette legte, selbst die Kerzen auszulöschen, damit keine Feuersgefahr sich einstellte, es kam ihr in den Sinn, es auch hier zu tun. Sie sprang aus dem Bette auf und begab sich in das Nebengemach. Alles war hier still und leer, die Kerzen brannten, sie ergriff die Lichtputze und löschte sie aus; alsdann warf sie noch einen Blick in das Gemach nebenan; auch dort brannten zwei Kerzen auf der Kamineinfassung. Ohne zu bedenken, daß für diese Lichte schon jemand Sorge tragen würde, schlüpfte sie in das Zimmer und löschte auch hier die Kerzen. Kaum war die letzte ausgetan, als sie plötzlich ein Geräusch in ihrer Nähe vernahm. Es kam aus dem Kamin oder aus der Nähe desselben; da es überall finster war, konnte sie nichts weiter unterscheiden. Da sie keine Furcht kannte, hielt sie sich auch hier in vollkommener Fassung und rief, wer da sei. Statt der Antwort fühlte sie sich umarmt: zwei kräftige Arme umschlossen ihre unbekleideten Beine, und ein Kuß brannte auf ihren Knien.
Der Überfall war unvorbereitet und zeugte von einer solchen Kühnheit, daß sie anfangs unschlüssig war, was sie tun sollte. Doch der unbekannte Lüstling ließ ihr keine Zeit; er drang mit seinen Angriffen immer höher, und die Prinzessin, nicht wissend, was sie tat, brauchte die Lichtputze, die sie hielt, dem Angreifer einige Stöße zu versetzen, zugleich sich mit Händen und Füßen zu wehren. Einer der Stöße der Lichtputze schien getroffen zu haben, mit einem dumpfen Aufschrei: »Diable!« wich die Gestalt von ihr und ließ sie frei. Sogleich eilte sie in ihr Schlafzimmer zurück, ergriff dort eine Kerze und wollte in das eben verlassene Gemach zurück, als dessen Tür mit Gewalt zugeschlagen wurde.
Die Prinzessin suchte die Türe zu sprengen; sie rüttelte daran, und wirklich gelang es ihr, die eine Hälfte derselben so weit zu öffnen, daß sie einen Blick in das Gemach tun konnte; da erblickte sie den Boden mit Blut befleckt. Sogleich kam ihr gutes Herz ins Spiel; sie dachte, sie hätte jemand, der sie für eines ihrer Kammermädchen gehalten, verwundet, und sie rief laut: »Wer Sie auch sein mögen, fürchten Sie nichts! Es tut mir leid, Sie verwundet zu haben!«
Auf diese Anrede folgte keine Antwort.
Das Geräusch in der Nähe des Kamins dauerte fort.
In diesem Augenblick wurde die Tür im Vorsaal aufgerissen. Leute mit Lichtern traten ein, es war der Prinz, der unvermutet frühzeitig heimkehrte. Charlotte hatte ein Nachtgewand übergelegt und erwartete ihn an der Tür. Ehe er eintrat, hatte er ein Gespräch mit dem Manne im Kabinett, das die Prinzessin mitanhörte.
»Wie? Du hier, und verwundet? Was ist geschehen?« fragte die Stimme des Prinzen.
»Gnädiger Herr!« lautete die etwas gedämpfte Antwort, »ich habe mich an der Kaminecke gestoßen, und meine Stirne blutet.«
»Teufel, wie siehst du aus! Geh und reinige dich!«
Neues, leises Gespräch, wobei Charlotte nur ihren Namen verstand. Der Herzog lachte. »Wohl, das hättest du voraussehen können! Überfällt man die Leute auch bei Nacht und Nebel?«
»Wer hätte das voraussehen können!« sprach die Stimme wieder; sie kam, um die Kerzen auszulöschen: dies galt mir für das Zeichen, das ich zu erhalten wünschte. Ich glaubte mit einem Sprunge zum Ziele zu kommen.«
»Du bist ein Kind! Sei ruhig. Die ganze Sache wird ohne Aufsehen vorübergehen. Ein andermal sei klüger!«
Der Prinz, der seine Begleitung fortgeschickt hatte, trat in das Gemach, wo sich Charlotte befand, die soeben ihren Entschluß gefaßt hatte. Sie kam hervor, begrüßte den Herzog und bat ihn, denjenigen nicht hinauszulassen, der sich im Kabinett befände.
»Im Kabinett?« sagte der Herzog, noch immer lachend, »dort ist niemand.«
Charlotte öffnete die Türe, eilte hinein und brachte den Chevalier von Lorraine hervor. Er hatte sich vom Blute, das über seine Stirne floß, soeben gereinigt, und seine schönen und frechen Züge, weit entfernt, den Blick der Herzogin zu scheuen, sahen mit Trotz und Hohn auf sie, während sie ihn am Ärmel hielt und vor den Herzog hinzerrte.
»Hier, mein Herr!« rief sie, »diesen jungen Menschen bestrafen Sie! Tun Sie es jetzt und in meiner Gegenwart; sonst, ich schwöre es Ihnen zu, verlange ich morgen vom Könige seine Bestrafung.«
Ihre Stimme, ihre Mienen, ihre Stellung – alles kündete an, daß eine beleidigte, schwer gereizte Frau vor dem Prinzen stand. Er blickte abwechselnd sie, dann den Chevalier an und wußte nicht, ob er lächeln oder ernsthaft sprechen sollte.
»Werde ich bald Ihren Entschluß vernehmen, mein Herr!« rief Charlotte.
»Mein Gott, wie heftig, Madame! Das Ganze ist ja nur eine Kinderei! Halten Sie dem jungen Menschen in seiner Unbesonnenheit etwas zugute! Er hat geglaubt, eine seiner Liebschaften, deren er unter Ihrem Gefolge hat, vor sich zu sehen! Nicht wahr, Lulu, das hast du gemeint?«
»Ja, gnädiger Herr!« sagte der junge Mann mit einer frechen Miene, die deutlich nein sagte.
»Indessen«, sagte der Prinz, »mußt du die Frau Herzogin für deinen Irrtum um Verzeihung bitten. Man beleidigt nicht die Leute, die einem gut sind. Die Frau Herzogin wird ein übriges tun, wenn du ihr zeigst, wie leid dir das Vorgefallene tut. Geh und küsse ihre Hand.«
Dieser Befehl wurde lachend erteilt. Der Jüngling ging auf die Prinzessin zu, ließ sich auf ein Knie nieder und ergriff ihre Hand. Charlotte holte aus und gab ihm eine so derbe Ohrfeige, daß ihr selbst die Hand danach schmerzte. »Schandbube, der du bist!« rief sie, »ich weiß alles und weiß, daß du dich nicht geirrt hast, doch sorge dafür, daß dergleichen dir nie wieder in den Sinn kommt!«
Der Chevalier hielt sich die Wange und sah mit einem giftigen Zornblick die Herzogin an, die ihm den Rücken kehrte und in ihr Schlafkabinett ging. Der Herzog folgte ihr, zum ersten Male erschreckt und entsetzt über den Mut einer Frau, die so viel wagte. Nichts konnte ihn so in Schrecken setzen wie eine so rasche Tatkraft, die er nicht vermutet hatte. Weit entfernt, seinem Liebling Trostesworte zuzusprechen, verließ er ihn, ohne ihn auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben, und eilte, neben seiner Gemahlin Platz zu nehmen, die ihn mit freundlichen Worten bat, der Sache nicht weiter zu gedenken.
»Ich bin selbst an dem Vorfalle schuld,« sagte sie, »aus kleinlicher Vorsorge für des Hauses Ordnung. In meiner Heimat bin ich gewöhnt gewesen, die Lichte stets selbst auszulöschen, so tat ich's auch hier und ging in meinem Eifer so weit, daß ich jenes fernliegende Kabinett erreichte, wo der junge Mann sich verborgen hielt.«
Der Herzog hörte diese Worte und dachte sich dabei, was er wollte.
Am andern Morgen machte er seinem Favoriten Vorwürfe. »Es ist ganz gleich,« sagte er, »ob du in deiner Voraussetzung recht hast oder nicht, jedenfalls hast du unvorsichtig gehandelt. Du hattest noch nicht genug um ihre Gunst geworben, oder höchstens hatte das, was du in dieser Art getan, sie noch nicht auf den Gedanken geführt, daß du sie liebst. Dein Angriff mußte also zu früh oder zu unerwartet kommen, in beiden Fällen konnte deine Unvorsichtigkeit nur auf dich zurückfallen.«
»Mein Prinz,« stotterte der Jüngling – »wenn man so glücklich ist, ein Weib unbekleidet, in dieser Nähe –«
»Schweig!« rief der Herzog zornig. »Wie, willst du vor mir den Verliebten spielen? Ich verbiete dir jetzt alles Ernstes jeden Angriff! Ich will es, und du wirst gehorchen. Mein Auftrag war übrigens nur Scherz! Das hättest du wissen sollen.«
»Nichts anderes!« sagte der Prinz. »Ich weiß, wie die Herzogin denkt, und es ist mir nicht im Traum eingefallen, ihre Tugend auf eine Probe zu stellen. Also nichts weiter davon!« –
»Wie Sie befehlen, gnädiger Herr!« sagte Lorraine und zog eine so boshafte, heuchlerische Miene dabei, daß der Prinz sich wegwandte, um das Lachen zu verbeißen. Lorraine wollte gehen, der Prinz rief ihn zurück. Er kam, um seinem Herrn die Hand zu küssen; dieser riß ihn am Ohrläppchen, indem er rief: »Ah – also verliebt! Etwas Neues, Schurke! Du bist doch sonst nicht so leicht entzündet? Wie kommt das, he? Antworte!«
»Ach, mein königlicher Herr!« rief der Favorit, indem er seinen Blick gen Himmel wandte und seinen Zügen den Ausdruck schmerzlichen Gefühls gab. »Wenn Eure Hoheit mir nichts erlauben, was soll aus mir werden? Wohin soll ich mich wenden? Verfolgt und gehaßt von meinen Kameraden, habe ich nichts als Ihre Gunst. Bin ich zu weit gegangen, ich bereue es!«
»Es ist gut!« rief der Prinz, »die Sache ist vorbei. Doch höre, Lulu, lüge nicht, sage diesmal die Wahrheit. Wie weit warst du? Nun, sprich! Die Türe ist zu, es hört uns niemand.«
»Sicherlich nicht allzu weit!« rief der junge Mann mit Lächeln. »Es bleibt für Eure Hoheit noch genug übrig.«
»Die Bestie!« rief der Prinz, »man höre! Jetzt ist er der Großmütige, der mir mein Eigentum läßt. Doch genug! Der Stoß mit der Lichtschere sagt alles! Diese deutschen Weiber haben den Teufel im Leibe! Henriette war gefälliger. Doch der Baum fällt nicht auf den ersten Hieb. Für dich ist alles aus, hörst du! Ich habe nicht geglaubt, daß du sie hübsch fändest.«
Der Chevalier stand noch da. Als der Prinz ihm winkte zu gehen, sagte er in einem bescheidenen Tone: »Darf ich eine Bitte wagen?«
»Nun gut, was ist's?«
»Eine Ehrensache,« rief der Jüngling. »Der Graf von der Pfalz, der Begleiter der Herzogin, hat mich gefordert. Darf ich mich mit ihm messen?«
»Der Graf von der Pfalz?« wiederholte der Prinz. »Ei, seht doch! Ihr jungen Hähne! Man muß euch die Federn ausrupfen. Der hübsche, junge Bursche, der der Prinzessin gefolgt ist? Nein, das verbiete ich.«
Der Chevalier zuckte die Achseln. »Ohne Zweifel schickt ihn mir die Herzogin über den Hals.«
»O nein!« rief der Prinz lachend, »die hat das ihrige schon getan. Eine solche Ohrfeige! Tausend Teufel, die wiegt schon zwei Kämpfe auf, sollte ich meinen. Du bist dem jungen Herrn sonst auf irgendeine Weise unangenehm; daran liegt es. Sage ihm, ich ließe ihn zu mir entbieten! Hörst du? Ich will ihm die Narrheit aus dem Kopfe bringen.«
»Wie Sie befehlen, gnädiger Herr; allein daß es nur nicht so aussieht, als fehle es mir an Mut. Ich fürchte den Teufel nicht, am wenigsten einen über den Rhein hergelaufenen Deutschen.«
»Schon gut, jetzt geh!« rief der Prinz. »Nimm diesen Ring und trage ihn zum Andenken an diese Stunde. Hörst du, Bürschchen! Trage ihn zum Andenken an diese Stunde. Und keinen Zweikampf! Ei, ei, wo denkt Ihr hin; keinen Zweikampf!«