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Der Arzt, seine Tochter Madeleine und deren Freundin Susanne fanden sich bei Fräulein Ninon de Lenclos ein, die diesen Abend Leute bei sich sah. Eine Gesellschaft Damen füllte den Salon, unter denen die meisten zu der so sehr verrufenen Sorte der Preziösen gehörten. Babet war unter ihnen, und mehrere Herren führten dort das Wort in der hergebrachten Weise. Die schöne Wirtin saß mit einem ihrer Verehrer, dem Herrn von Villacroix, etwas abgesondert von den übrigen am Kamin. Als der Arzt eintrat, erhob sie sich, ging ihm entgegen und erwiderte seine freundliche Begrüßung. »Doppelt erkenntlich muß ich für Ihren Besuch sein, Herr Lafiat Gervais, da Ihr neuer Wirkungskreis Sie sicherlich viel in Anspruch nimmt.«
»Im Gegenteil, mein schönes Fräulein,« bemerkte der Arzt. »Wer in den Diensten des Hofes steht, hat immer Feiertage. Es ist eine Seltenheit, daß mein Vorgesetzter, der Herr Fagon, mich beschäftigt. Wenn mir nicht erlaubt wäre, einen Teil meiner früheren Praxis beizubehalten, so wäre ich ein völliger Müßiggänger. Gestern habe ich einen hübschen jungen Mann zu Grabe tragen sehen, den mir zu retten mit aller meiner Kunst nicht gelingen wollte.«
»Wer war das?« fragte das Fräulein.
»Der Herzog von Vermandois,« erwiderte der Arzt, »der Sohn der Herzogin von Lavallière.«
»Ah,« rief Ninon gerührt, »so hat die Dulderin auch dieses Unglück noch zu ertragen! Es ist entsetzlich, wie man mit ihr umgegangen, und erbaulich ist's, zu betrachten, mit welcher himmlischen Güte sie die Schlechtigkeit und die Verfolgungen der Welt dahingenommen hat.«
»Es ist wahr, sie war ein Engel,« sagte der junge Villacroix, »der unter lauter Dämonen zu leben bestimmt war.«
»Mir war es nicht vergönnt, ihr nahe zu treten, so lange sie in den Regionen des Hofes lebte,« sagte Ninon. »Später, als sie diesen verließ und sich in die Stille des Klosters der Karmeliterinnen zurückzog, habe ich sie dann öfters gesehen. Nie hörte ich sie klagen über ihren treulosen Freund, der sie ausgesucht kränkte und beleidigte, nie ein Wort des Vorwurfs über jene zwei Frauen, die sie verfolgten. Sie litt alles, was über sie kam, als eine gerechte Strafe dafür, daß sie gegen den Willen Gottes gesündigt. Haben Sie sie gesprochen? Was sagte sie, als man ihr den Tod ihres Sohnes ankündigte?«
»Ihre Worten waren,« erwiderte der Arzt: ›»So vernehme ich denn den Tod dessen, über dessen Geburt ich mich noch nicht getröstet habe.‹ Diese Gesinnung für eine Dame, die fast ganz Frankreich beklagt, ehrt Sie, mein Fräulein!« rief der Arzt gerührt. »Sie führt den Beweis, daß Sie nicht die frivole Weltdame sind, für die man Sie hält.« Er drückte hierbei warm die Hand der schönen Frau, die in ihrem Schmerz doppelt reizend vor ihm stand. »Jetzt«, fügte er hinzu, »verliert die Marquise auch die zweite Nebenbuhlerin, das Fräulein von Fontange; denn auch sie liegt auf den Tod.«
»Die junge, üppige, stolze Fontange?« rief das Fräulein betroffen. »Mein Gott, was wirft denn die darnieder? Sie hatte ja nicht den Geist der Lavallière, die ihr Unglück erst zu etwas Niederbeugendem machte; sie war ein frohes, unbedeutendes Kind!«
»Man munkelt von geheimen Künsten!« rief Herr von Villacroix. »Man spricht von vergifteter Milch, die man der Armen zu trinken gereicht.«
»Das ist ja entsetzlich!« rief Ninon. »Wann wird dieser schwärzeste Teufel der Hölle, der Vergiftungstod, endlich einmal zu wüten aufhören? Mein Himmel, man muß mit Schaudern an die Höhen der menschlichen Gesellschaft denken, wenn solche Stürme dort brausen. Was sagt denn der König dazu?« –
»Er ist gleichgültig gegen die Arme geworden,« rief Herr von Villacroix. »Seitdem sie aufhörte schön zu sein, existierte sie für ihn nicht mehr. Unrettbar steckt der Fürst in dem Netze, das vier Hände über ihn zusammenziehen.«
»Vier Hände?« wiederholte Ninon. »Ich verstehe Sie nicht.«
»Wissen Sie denn nichts von der Rangerhöhung der Witwe Scarron?« fragte Villacroix. »Sie ist geadelt worden, hat unbedingte Vollmacht in betreff der Erziehung der Kinder des Königs, hat ihm nur Rechenschaft zu geben von den Maßregeln, die sie unternimmt. Und da sie sich jetzt ein Gut gekauft hat, wählt sie sich den Namen nach diesem, dem König zu Gefallen, dem Scarron ein unangenehmer Laut ist.«
»Welche Neuigkeit!« rief Ninon erstaunt. »Von dem allem weiß ich nichts. So geht es, wenn man sich zu sehr abschließt von der Welt; man stirbt für sie ab.«
»Um ungestört seinen Freunden anzugehören!« rief der junge Mann mit schwärmerischer Anhänglichkeit. »So ist's recht, liebenswürdige Ninon, so gefallen Sie Ihren Bewunderern. Was kümmert es uns, ob die berühmte Witwe Scarrons sich Madame Surgères oder Frau von Maintenon nennt.«
»Wie nannten Sie sie?« fragte Ninon mit einem anmutigen Zug von Scherz um ihre Lippen: »Madame Suggère? Das ist ein gutgewählter Name, das heißt ›beigebracht‹. Frau von Sablière hat ihr beigebracht, den Krüppel Scarron zu heiraten; der Marschall d'Albret, der Herzog von Richelieu, die drei Brüder Villarceaux haben ihr beigebracht, denselben zu betrügen; der Abbé Gobelin hat ihr beigebracht, die Prüde zu spielen; irgend jemand hat ihr beigebracht, daß sie einst eine große Dame werden wird, und jetzt hat sie sich selbst beigebracht, ihre Wohltäterin, die sie dem Elend entriß, zu verdrängen.«
»Vortrefflich!« rief der junge Villacroix, »der Einfall ist prächtig; doch heißt sie nicht Suggère sondern Surgères, was aber so ziemlich dasselbe ist.«
Einige der Prüden hatten den Scherz Ninons gehört; sie kamen herbei, umgaben sie und klatschten ihr Beifall.
»Ach, meine Damen, ich verdiene diesen Beifall nicht, denn noch immer zählt die Witwe Scarron mich zu ihren Freundinnen!« rief die schöne Spötterin. »Und ich möchte durchaus nicht, daß sie meinen Scherz wiedererführe.«
»Auch das Wort Maintenon«, bemerkte die Gräfin Lafebre, eine von den gekünstelten Schöngeistern, »könnte man in Maintenant ändern.«
»Auch gut!« riefen sämtliche Damen. »O, sie mag es anfangen, wie sie will, sie wird keinen Namen finden, der nicht auf irgendeine Weise zu ihr paßt!« rief die Gräfin. »Diese kalte Heuchlerin, die es wagt, über uns zu spotten, wie sehr ist sie mir zuwider. Ich könnte sie ruhig hinsterben sehen, nicht den kleinen Finger würde ich um sie rühren.«
»Ei, Frau Gräfin, wie grausam!« rief Ninon. »Geziemt das den Damen, die den Plato, den Aristoteles stets im Munde führen? Die mit den erhabenen Grundsätzen eines Sokrates prunken?«
»Es ist wahr,« rief die Gräfin, »die Gemeinheit der Welt zieht eine schöne Seele manches Mal hinab, daß sie sich mit diesen profanen Dingen beschäftigt; aber nur auf einen Moment: man wird sie sogleich wieder an ihrem Platze finden.« Bei diesen Worten richtete sie die Blicke gen Himmel und nahm eine verklärte Stellung an. Mehrere der Preziösen ahmten ihr nach.
»Wie können Sie sich nur mit diesen Närrinnen umgeben?« fragte leise der Herr von Villacroix seine Freundin, die ihm lächelnd erwiderte: »Man muß mit der Mode mitgehen. Die Gräfin gilt für einen der ersten Schöngeister von Paris. Sie schreibt Briefe wie die Sévigné, sie hat Lafontaine zum Freunde, der ihr seine Fabeln vorliest, oft ehe er sie der Marquise von Montespan bringt; sie sieht Fénélon bei sich, der ihr den Plan zu seinem Telemach mitgeteilt hat, und durch sie habe ich Pascal kennengelernt, der die ›Briefe aus der Provinz‹ herausgab. Das ist Ruhm genug, um sich über die kleinen Bosheiten Molières hinwegzusetzen.«
»Aber wie kleidet sie sich!« rief der junge Mann, indem er die im Gemache mit einem ihrer Bewunderer herumstolzierende Gräfin betrachtete. »Was soll dieser kurze Rock? Diese unmäßig hohe Frisur, auf deren Spitze etwas wie ein Lorbeerkranz liegt? Und wozu trägt sie diese papageifarbigen Handschuhe? Man muß sehr viel Geist haben, um die Welt alle diese Seltsamkeiten vergessen zu machen.«
»Und den hat sie!« rief Ninon. »Würde sie sonst Leute wie den Herzog von St. Simon bei sich sehen, der seine Vormittage in dem Hotel Lafebre zubringt?«
»Der Herzog sammelt Beiträge zu seinen Memoiren!« rief Villacroix. »Das ist der Grund jedes seiner Besuche, und dieser insbesondere. Sehen Sie nur, was gibt's da? Weshalb ereifert sich die gelehrte Gräfin? Sie spricht mit der Tochter des Arztes.«
Allerdings war die kleine Madeleine der Gegenstand der Untersuchungen der Gräfin und der übrigen Damen geworden. Babet hatte gestanden, daß ihre Schwester liebe, und daß der Gegenstand ihrer Liebe gegenwärtig nicht in Paris sei; deshalb ihre Niedergeschlagenheit. »Mein liebes Kind,« nahm die Gräfin das Wort, »erkennen Sie bei dieser Gelegenheit die Nichtigkeit Ihrer, sowie jeder Neigung. Sie lieben den jungen Stallmeister der Herzogin von Orleans? Gut, aber liebt er Sie wieder? Ich zweifle, sonst würde er sich nicht von seiner Gebieterin haben wegschicken lassen, gerade zu einer Zeit, wo er hätte seine Liebe erklären sollen.«
»Gnädige Frau,« erwiderte Madeleine, rot vor Zorn und Scham, »ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, unedel von meiner Schwester ausgeplauderte Geheimnisse auf diese Weise gegen mich anzuwenden.«
»Wer mir das Recht gibt?« wiederholte die Dame, indem sie sich lächerlich spreizte und eine besondere Haltung annahm. »Erfahren Sie, kleines Kätzchen, daß eine Frau von meiner Stellung immer das Recht hat, gebietend und ordnend aufzutreten, geschieht etwas in Ihrer Nähe, was den Anstand verletzt. Ihre Liebe ist unanständig und deshalb erfährt sie meine Zurechtweisung.«
Die Tränen brachen bei der armen Gescholtenen aus, und sie entfernte sich schnell. Ihre Schwester sah ihr höhnend nach. Susanne entfernte sich mit ihr. Beide suchten den Arzt auf, um von ihm nach Hause geführt zu werden. Er war nicht zu finden. Es war ein Bote gekommen, der ihn plötzlich abgerufen hatte. Fräulein Lenclos ließ sie in ihrem Wagen nach Hause fahren.
»Ist das junge Mädchen wirklich die Braut des Grafen von der Pfalz?« fragte Villacroix.
»Man sagt es!« entgegnete das Fräulein. »Doch ist's allerdings auffallend, daß, wenn das Gerücht wahr ist, er sich gerade jetzt von seiner Cousine nach Heidelberg schicken läßt. Es scheint, als wolle sie diese Verbindung nicht.« –
Herr Lafiat Gervais eilte unterdessen zu seiner Beschützerin, deren Botschaft ihn zu ihr berufen hatte. Er fand sie neben dem Bette ihres Kindes, des Herzogs von Chartres, sitzen, der ein Fieber hatte, und soeben in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Im Vorzimmer fand er den Arzt der Herzogin, der ihm den Eingang in die Gemächer verweigerte. »Ich komme«, erwiderte der Arzt, »Ihrer Hoheit eine Privatnachricht mitzuteilen.«
»Das ist etwas anderes,« entgegnete der andere.
Herr Gervais trat in das Krankenzimmer ein.
»Ich habe Ihn rufen lassen, weil ich zu dem Musje draußen kein Zutrauen habe,« hub die Herzogin an. »Sehe Er den Prinzen an: das Knäblein ist seit gestern leidend.«
Herr Gervais setzte sich an das Bett und untersuchte den Zustand des Erkrankten, den er unbedeutend und gefahrlos fand. Er sagte dies der Mutter, und die Herzogin erwiderte: »Das ist wieder einmal etwas von der Unbesonnenheit meines Mannes. Gestern ist der kleine Herzog von Burgund, der Sohn des Dauphins, zum erstenmal in den Appartements des Königs erschienen. Seine Majestät haben sehen wollen, wie das Kind sich zeige. Um es bei Laune zu erhalten, hat Monsieur sich erbeten, seinen Sohn mitzubringen. Dies hat dem König gefallen. Unvernünftig ist mein Knabe angestrengt worden, den andern Kleinen zu beschäftigen und zu unterhalten, daher die Überreizung, das Kranksein. Es ist soviel Narrheit hier mit den Kindern. Kinder sind noch keine Menschen, sind Tiere, wollen wie diese ruhig gehalten sein und, wenn sie unartig sind, bestraft. Hier macht man aus ihnen sogleich fertige Erwachsene, die empfinden und denken wie wir. Daher der Unsinn und der Jammer! Ich kann nichts tun als immer dieselben Dinge sprechen. Monsieur tut dabei, was er will. Komme ich nach Hause, frage nach den Kindern, sie sind nicht da! Wo sind sie? Bei irgendeiner Duchesse oder Prinzessin, um dort ihre Künste zu machen. Ich muß dann nach ihnen laufen, sie mir wieder einfangen und ihnen den Text lesen, daß sie sich haben fortführen lassen. Wirklich, ich bin dieser Narrheit müde.«
Der Arzt lächelte bei dieser Klage der Herzogin. »Wir wollen das Beste hoffen,« erwiderte er. »Es ist ein schlimmes Ding, wenn Vater und Mutter uneinig sind bei der Erziehung der Kinder.«
Die Herzogin neigte das Haupt, setzte sich hin und verharrte in einer Miene von Ermüdung und Überdruß. »Hat Er den Fagon nicht gesehen?« fragte sie nach einer Weile.
»Seit dem Tode des Herzogs von Vermandois nicht,« erwiderte der Arzt. »Da zeigte er sich auf einen Augenblick, verordnete und verschwand dann wieder.«
»Der junge Herzog«, sagte die Prinzessin, »war ein liebenswürdiger Mensch. Ich weiß, was es mich kostete, ihn mit seinem Vater wieder auszusöhnen, der ihn durchaus nicht sehen wollte, weil die Maintenon, wie sie jetzt heißt, ihn verklatscht hatte. Der arme Junge, er mußte sterben. Die elende Umgebung, die er sich zuletzt wählte, der Lorraine und sein Bruder, der Herr von Marsan, haben ihn zugrunde gerichtet; ohne diese beiden lebte er noch. Durch sie wurde er verleitet, überall herumzugehen und für seine Leidenschaft Opfer zu suchen. Wie oft habe ich ihm zugeredet, diesen Umgang zu fliehen; ich war das schon seiner Mutter schuldig, die ich von Herzen liebe. Hat Herr Fagon noch immer den Ton von Kälte und Überlegenheit gegen Ihn?« fragte die Herzogin.
»Noch immer!« entgegnete Gervais. »Es ist kein Unterschied eingetreten, im Gegenteil ist es schlimmer geworden.« –
»Geht Er noch so oft zu der Frau von Maintenon?«
»Sehr oft,« erwiderte der Arzt kurz.
Frau von Rathmannshausen zeigte sich an der Tür.
»Geschwind, lieber Gervais, geht fort!« rief die Prinzessin aufspringend, »mein Mann kommt, er darf Ihn hier nicht finden.« Sie schob den Arzt zu einem Ausgange, dessen Türe sie abschloß; draußen empfing ihn die Rätin und geleitete ihn hinaus.
Der Herzog, begleitet von Lorraine, den wir jetzt als einen jungen Mann von sechsundzwanzig Jahren erblicken, traten ein. Lorraine verbeugte sich an der Tür vor der Herzogin. »Haben Sie ihm Aufträge nach Heidelberg zu geben, Madame?« fragte der Herzog. »Er geht in diesen Tagen hin: der König schickt ihn an Turenne.«
Die Herzogin bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, ohne ein Wort zu antworten.
»Betrüben Sie sich doch nicht so sehr!« rief ihr Gemahl. »Was geschehen ist, ist geschehen. Keine Träne baut Ihnen ein Haus im Dorfe wieder auf.«
Als die Herzogin die Hände wieder vom Gesicht nahm, war es leichenblaß.
»Man kann im Leben viel Traurigeres erfahren, als es das Aufbrennen von einem paar Dörfern ist!« bemerkte der Herzog. »Die Reine-mère pflegte zu sagen: ›Schlösser lassen sich wieder aufbauen, aber jung kann man nicht mehr werden.‹«
Die Herzogin schwieg noch immer.
Der Prinz wendete sich zu seinem Begleiter: »Bringt selbst Eure Worte an, Herr Marquis!« rief er. Herr von Lorraine trat vor und bat in ehrerbietigen Ausdrücken die Herzogin, ihm zu erlauben, daß er das Bewußtsein ihrer Verzeihung mit sich auf die Reise nehme. Er fühlte wohl, daß sie ihm nichts aufzutragen habe, ihm, der zu dem kommandierenden General ginge.
Die Herzogin stand auf, reichte ihm ihre Hand zum Kusse und winkte ihm dann zu gehen. Lorraine, mit einer höhnischen Miene, die für den Herzog berechnet war und von der Herzogin nicht gesehen werden konnte, schlüpfte zur Tür hinaus.
»Nun, Madame,« begann der Bruder Ludwigs, »werden Sie mir nun sagen, wie lange Sie noch traurig sein werden? Der ganze Hof ist bestürzt, der König fragt nach Ihnen, Ihre Munterkeit fehlt allen. Was ist das? Ist Ihnen so ungewohnt, daß der Krieg plündert und brennt? Was ist bei der ganzen Sache zu verwundern? Ich fasse das nicht, muß ich aufrichtig gestehen.«
»Mein Herr!« rief die Prinzessin, »wir werden nie über diesen Punkt einig sein. Ich gebe es auf und bitte Sie nur, mich nicht mehr über diesen Gegenstand zur Rede zu stellen. Mein Himmel, welch ein Geschick hat man mir bereitet! Ich selbst trage die Fackel, um die Stätte in Brand zu stecken, wo meine Wiege stand! Kann man wohl unglücklicher sein?«
»Es ist wahr!« rief der Herzog kalt, »es liegt ein Mißgeschick darin; aber was ist zu tun? Der König sieht die Pfalz durch den Tod Ihres Herrn Vaters, und jetzt auch durch den Ihres Herrn Bruders, als sein Eigentum an. Der Kaiser ist nicht der Meinung. Deshalb muß der Krieg entscheiden.«
Die Herzogin schwieg. Es lag ihr nichts daran, unnütze Worte zu verschwenden. Der Herzog ging ein paarmal in der Stube auf und ab, blieb dann vor dem Bett seines Kindes stehen und sah in das schlummernde Antlitz desselben.
Charlotte beugte sich über das Kind, um ihre Tränen zu verbergen.
»Noch eins, Madame!« hub der Prinz an. »Sie sind jetzt in einer weichen, gefälligen Stimmung, die muß man benutzen. Ich eile Ihnen daher einen Vorschlag zu machen. Ich biete Ihnen ein gesondertes Lager an. Sie schlafen gern ungestört, ich habe dasselbe Verlangen. Ich habe Sie schon oft damit inkommodiert, daß ich im Schlafe nicht berührt oder vielmehr nicht angerührt werden will. Ich weiß, daß es kaum möglich ist, dies nicht zu tun, wenn man in einem Bette liegt. Jede Bewegung des einen Teils ist immer verbunden mit einer Berührung des andern. Nehmen Sie mir daher diese Bitte nicht übel. Wir haben ja erreicht, was wir wollten.«
»Ich werde mich in mein Zimmer zurückziehen,« erwiderte Charlotte.
»Tun Sie das, Madame. Ich werde mich in dem meinigen allein betten.«
»Nur muß ich bitten, daß dies ohne Groll geschieht,« bemerkte die Herzogin. »Ich muß versichert sein, daß Sie, gnädiger Herr, mir ebenso gewogen bleiben, wie Sie es mir bisher waren.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort, liebe Charlotte, daß dem so ist.«
»Nun wohl. Ich gestehe Ihnen, daß ich oft des Nachts aus dem Bette gefallen bin und geräuschlos mich wieder aufgemacht und hingelegt habe, lediglich um Sie nicht im Schlafe zu stören.«
»Ha, welche Güte!« rief der Prinz. »Daran erkenne ich Sie! Aus dem Bette fallen, wieder aufstehen, sich hinlegen, wieder herausfallen, und in diesem kleinen Kriege die ganze Nacht zubringen! Das ist das Äußerste von Aufopferung, deren eine Gemahlin fähig ist. Die schöne Henriette hätte eher mich aus dem Bette geworfen, als daß sie sich dazu verstanden hätte, es zu räumen, um mich nicht zu inkommodieren.«
»Es trägt dazu viel mein Charakter bei,« rief die Herzogin. »Ich habe es nie geliebt, das fatale Geschäft, Kinder zu machen. Auch ich liebe die Nähe eines Mannes nicht. Es ist mir am angenehmsten, gänzlich frei und für mich zu leben und zu schlafen.«
»Sehr schön!« rief der Herzog. »Sie lieben die Männer nicht, lieben Sie etwa die Frauen?«
Die Herzogin sah ihn forschend an und sagte dann: »Wie verstehen Sie das?«
»Mein Gott, wie man das versteht!« rief der Herzog. »Machen Sie mir nur kein Gesicht, Madame! Sie werden doch wissen, was ich meine. Bei Hofe gibt es darin keine Geheimnisse, und ich weiß, daß Sie das Interesse, ja die Leidenschaft einer schönen Frau erregt haben, nach deren Besitz die Männer vergebens streben.«
»Diese ist?« fragte die Herzogin.
»Die Herzogin von Gramont, Madame von Monacco!« rief der Prinz mit Lachen. »Ach, sehen Sie, Sie werden rot! Die Sache ist demnach nicht ganz ohne. Ja, die schöne Herzogin! Tun Sie sich meinetwegen keinen Zwang an: ich erlaube es Ihnen. Ja, ja, ich bin tolerant in dieser Beziehung.«
»Aber, mein Herr!« rief Charlotte zürnend, »wie fällt es Ihnen ein, in Gegenwart dieser Unschuld – sie zeigte auf den Knaben – solch ein sinnloses Zeug zu schwatzen? Mag die Prinzessin von Gramont empfinden, was sie will, und mag sie diese Empfindungen äußern gegen wen sie will, was kümmert das mich. Daß sie artig und freundlich gegen mich ist, vielleicht mehr als gegen andere, das setze ich ihr nicht als Verdienst an.«
»Also keine Hoffnung für die arme Monacco?« rief der Prinz, immer noch lachend. »So wollen wir diesen Gegenstand fallen lassen. Sie sind kalt, Madame, kalt wie Eis! Sie sind geschaffen, ohne Begehrlichkeit weder für Männer, noch für Frauen. Sprechen Sie, sind Sie denn nicht eifersüchtig?«
»Auf wen?« fragte die Herzogin.
»Auf mich!« rief der Prinz. »Sie sehen mich täglich, ja stündlich mit Frauen verkehren, unter denen welche sind, die für sehr schön und reizend gelten, so zum Beispiel die Frau von Grançai. Ist Ihnen denn nie in den Sinn gekommen, daß ich von dieser Schönheit könnte gefangen und Ihnen entführt werden?«
»Nein, mein Prinz,« sagte Charlotte, »ein solcher Gedanke ist mir nie gekommen.«
»Ei, wie seltsam!« rief der Prinz aufbrausend. »Sehe ich denn aus wie ein getreuer Ehemann? Habe ich denn gar nichts von meiner Rasse an mir, die für die Frauen so gefährlich zu sein den Ruf hat?«
Die Herzogin blickte ihn an und lächelte.
»Sprechen Sie!« rief er. »Was heißt das? Seien Sie eifersüchtig auf mich, ich will es! Hören Sie, ich will es!« –
»Dies läßt sich ebensowenig befehlen, wie ich Ihnen befehlen kann, auf mich eifersüchtig zu sein!« rief die Herzogin. »Wollen wir froh sein, daß unsere Ehe lediglich auf Achtung, Anerkennung, Freundschaft gegründet ist. Das sind die sichersten Stützen der menschlichen Glückseligkeit. Und nun, mein Herr, ich wünsche Ihnen die erste, getrennte gute Nacht.«
Sie machte ihm eine Verbeugung und entzog sich ihm ins Nebenzimmer. Der Herzog wollte ihr nachstürmen; er fand die Türen verschlossen. »Wahrhaftig!« rief er, »die Frau fängt an interessant zu werden. Sie ist völlig kalt, kann man etwas Wünschenswerteres finden für einen Weiberfreund. Anfangs hat mich ihre Zärtlichkeit zurückgeschreckt, ich war ein Tor, es war nur eine Larve. Sie hat sie jetzt als überflüssig abgeworfen, und jetzt bin ich es, der ihr nachstellt.«
Mit diesen Gedanken beschäftigt, suchte der Herzog sein einsames Lager.