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56
Der Regent

Der König hinterließ bei seinem Tode eine Schuldenlast von zweimalhunderttausend Millionen. Diese hielt sich der Regent für verpflichtet zurückzuzahlen, er antwortete daher dem Polizeiminister, der ihm hinterbrachte, das Volk nenne den König einen Bankrottierer: »Das letzte Mittel, das Volk zum Schweigen zu bringen, sei, die Schulden des Königs zu tilgen.« Um den Roheiten der Menge zu entgehen, die den Sarg des Königs anhalten und ihn zerstören wollte, ließ man das Leichenbegängnis heimlich und auf Umwegen nach St. Denis gehen, von niemand begleitet und von jedem königlichen, ja sogar fürstlichen Schmucke entblößt.

Der Herzog siegte über seine Feinde; er setzte sich als Regent fest, ließ sich alle Gewalten übertragen und übergab seinem Gegner, dem Herzog von Maine, der infolge des Testaments des Königs Regent sein sollte, nichts weiter als die Oberaufsicht über die Erziehung des jungen Königs, den man nach Vincennes, der gesunden Luft wegen, führte. Das Testament des Königs wurde umgestoßen.

Der Herzog kam zu seiner Mutter, ihr diese Neuigkeit mitzuteilen; sie war höchst erfreut darüber.

»Jetzt denke ich daran,« hub der Regent wieder an, »wie ich auch Ihre gerechten Ansprüche befriedige, teure Mutter. Sie haben als alte Schuld dreimalhunderttausend Franken zu fordern. Diese sollen Ihnen bezahlt werden, und außerdem erhöhe ich Ihre Pension auf hundertundfünfzigtausend Livres.«

»Wie?« rief die Herzogin erfreut. »Ist dir das möglich?«

»Ich sehe dies für meine Pflicht an, die nicht sowohl der Sohn als der Regent gegen Sie hat.«

»Aber bei der großen Schuldenlast des Königs?«

»Lassen Sie mich machen, liebe Mutter! Vor allen Dingen muß Ihnen das Ihrige werden.«

»Gut, mein Sohn. Ich verspreche dir, keinen Sou Schulden zu hinterlassen, wenn ich sterbe. Der Unterhalt meines Hauses kostet mich jährlich nahe an dreimalhunderttausend Livres. Um auszukommen, habe ich alle meine Diamanten abgeschafft. Es ist besser, ungeputzt zu erscheinen, als sein Haus mit Schulden zu belasten.«

»Wollte Gott,« rief der Sohn, »alle die hohen Herren und Damen, die an Frankreichs Tisch getäfelt, hätten so gedacht! Aber man hat gewirtschaftet, als käme hinter uns niemand. Schon welch eine törichte Verschwendung trieb der König mit der englischen Emigranten-Familie, die er sich auf den Hals lud. Jahrelang hat er die Ausgaben für den Hof, den sie hier hielten, bezahlt. Aber mein fester Entschluß ist es, den Chevalier von St. Georg nicht weiter zu unterstützen.«

»Auch zu diesem Entschluß hast du meinen Beifall!« rief die Herzogin. »Diese unglückliche Familie hat keine Zukunft. Der Sohn wird wie ein Abenteurer endigen. Und nun noch etwas, mein Sohn, eine Bitte, die ich dir vortrage: schaffe den Spitzbuben, den Dubois, ab.«

»Weshalb? Belästigt er Sie?«

»Er ist der gemeinste Taugenichts, den du im Umkreis der Monarchie finden kannst,« rief die Herzogin. »Bedenke deinen Ruf als Repräsentant der höchsten Macht, und diese gemeine, schmutzige, leichtfertige Fliege dir zur Seite! Was wird man sagen?«

»Ich gebe Ihnen mein Versprechen, ihn fortzuschicken.«

»Ja doch, das hast du mir schon so oft gegeben!« rief Charlotte »Nein, heute noch. Es muß reiner Tisch gemacht werden. Diese Kreatur muß hinaus! Wie erbärmlich hat er gegen dich gehandelt! Auf der Maintenon Rat dich mit der Tochter der Beischläferin verheiratet! Dafür sich bezahlen lassen!«

»Liebste Mutter, alte Geschichten!«

»Ich weiß es. Aber von diesen alten Geschichten schreibt sich mein Elend, meine geheime Sorge her. Sie verbittern mir mein Leben und kürzen meine Jahre.«

»Ich will es nicht hoffen, Mutter.«

»Auch in meine Gunst wußte sich der Arglistige zu schmeicheln,« fuhr die Prinzessin fort. »Aber dem Himmel sei Dank, seine ganze Nichtswürdigkeit wurde mir nur zu bald deutlich, als daß ich lange in seinen Fesseln zu schmachten nötig gehabt hätte. Wo blieb nur Monsieurs und mein gutes Einsehen, als wir diesen Treulosen unter uns aufnahmen, der gleich damit anfing dich, du warst noch nicht vierzehn Jahre alt, in schlechte Häuser zu führen.«

»Kleine Späßchen, Mama!«

»Ich weiß alles! Es ist nur nicht mehr die Zeit, davon zu sprechen!« –

»Nein, wahrhaftig nicht, Mama.«

»Aber fort muß er. Ich will nicht eher mein Haupt zum Schlummer niederlegen, als bis der Schwarzrock weg ist. Laß ihn für seine vielen Sünden vor Gericht ziehen, begnadige ihn dann, wenn sie ihm das Leben absprechen, und laß ihn nachher laufen, mit der Bedingung, nie wieder in Paris sich sehen zu lassen. Es ist eine Schande, daß ein so offenkundiger Gottesleugner und Schandbube dir zur Seite steht!«

»Gottesleugner?!« rief der Prinz und blickte seine Mutter mit einem besondern lächelnden Ausdruck an. »Sind wir beide denn sehr kirchlich fromm, Mama?«

»Schweig!« rief die Herzogin.

»Machen wir uns etwas daraus, wenn heute die Kirche und in ihr der liebe Gott abbrennt?«

»Schweig, schweig!« rief die Herzogin. »Was wir insgeheim denken, das darf nicht ins Publikum dringen. Die Menge muß ihre feste Religion, ihren angestammten Gott haben; das ist in der Ordnung. Wehe dem, der Hand anlegt an die Heiligtümer des Glaubens; er wird sehen, was er getan hat! Nie hast du dergleichen von mir gehört. Es ist wahr, durch das Spiel, das man an diesem Hofe mit den religiösen Dingen getrieben hat, bin ich veranlaßt worden, besonders eigensinnig auf die einfache Religion zu achten, wie sie stets das Bedürfnis meines Herzens gewesen, wie sie der Trost meines Alters ist. Da kommt nichts von Gleichgültigkeit und Religionsspott vor.«

»Ich will es gern glauben, meine Mutter! Wir wollen hiervon nicht weiter sprechen.«

»Gut. Wann geht Dubois?« fragte die Herzogin.

»Lassen Sie ihn noch etwas seine Angelegenheiten besorgen!« rief der Herzog. »Ich kann nicht einen, der jahrelang um meine Person gewesen ist, wie einen Dieb in der Nacht fortjagen? Dies bin ich schon dem Andenken des Herrn Saint Laurent schuldig.«

»St. Laurent hat uns ein hübsches Präsent mit ihm gemacht« rief die Herzogin. »Was war der Mensch, als er zu uns kam? Halb Bedienter, halb Schreiber bei dem Pfarrer in St. Eustache, Sohn eines Apothekers zu Breves-la-Gaillarde. Man sagte mir, daß seine Mutter vergessen habe, ihn taufen zu lassen, und daß er schon dort mit seinen Bubenstreichen anfing, indem er der Kammerfrau, der Frau von Gourgues, ein Kind machte.«

Der Regent lachte.

»Du lachst? Das ist empörend!«

»Madame, bei ihm allein habe ich etwas gelernt!« rief der Sohn. »Sie werden ihm doch zugestehen, daß er Kenntnisse besitzt. Alle meine übrigen Erzieher, was haben sie getan? Das Geld genommen, es eingesteckt und mich gelassen, wie der liebe Gott mich geschaffen. Da war der Marschall von Noailles, der Marschall von Estrade, der Herr Herzog von Vieuville, der ein ganz besonderer Simpel war – sie sind alle dagewesen, aber getan haben sie nichts. Deshalb kamen Sie und Monsieur auf den gesunden Einfall, einmal einen Erzieher für mich anzunehmen, der kein Marschall und kein Herzog war.«

»Es ist wahr,« bemerkte die Herzogin, »wir befanden uns in einer kleinen Verlegenheit. Es war ein Entschluß, den der Vater faßte, gerade weil du so klug warst, daß wir nicht weiter mit dir zurechtkamen. Hätten wir gewußt, daß es so endigen würde, wir hätten anders gehandelt.«

»Nun, es soll Ihrem Willen genügt werden!« rief der Sohn. »Lassen Sie mir nur Zeit. Jetzt drängt sich alles zu mir. Ich bin überhäuft mit Geschäften.«

Mit diesen Worten küßte der Regent seiner Mutter die Hand, und verließ sie.

Wenige Tage darauf unterschrieb er Dubois' Ernennung zum Staatsrat, indem er dazu sagte: »Nur Vorsicht, Herr Staatsrat.«

Verwundert sah ihn der Beförderte an.

»Ich meine,« erwiderte der Regent, »daß du in Rücksicht deiner neuen Anstellung vorsichtig sein sollst. Vor allem nicht davon sprechen!« –

»Wie Eure königliche Hoheit befehlen,« erwiderte Herr Dubois. »Nur wünschte ich zu wissen, inbetreff welcher Person mir diese Vorsicht ganz besonders anzuempfehlen ist.«

»Es ist meine Mutter. Sie will dich von meiner Person entfernt sehen.«

»Ach, ich begreife. Die Herzogin hat Ursache, mir gram zu sein!« rief Dubois. »An ihrer Stelle wäre ich es auch. Doch will ich sehen, ob es mir nicht möglich ist, mich wieder in ihre Gunst einzuschmeicheln. Ich werde ihr viel von Ihnen und Ihrem Ruhme erzählen.«

»Fürs erste wird sie dich gar nicht vorlassen!« sagte lachend der Regent.

»Sie wird mich vorlassen! Was gilt die Wette? Ich werde ihr sogar sagen, daß ich diese neue Stelle ihrer Gunst zu danken habe! Und wenn sie leugnet, werde ich mich auf meine Knie vor ihr niederlassen, auf meiner Behauptung beharren und sie bei allen Heiligen beschwören, mir ihre so unschätzbare Gunst nicht zu entziehen.«

»Versuche es!« rief der Regent. »Frech dazu bist du genügend. Hast du mit der kleinen Demarets gesprochen?«

»Ja, Euer Hoheit. Es hat Mühe gekostet, aber es ist gelungen.«

»Mühe gekostet? Eine Schauspielerin?«

»Eure Hoheit wissen nicht, wie dieses Kind erzogen worden ist,« rief Dubois. »Der Vater, als er vernahm, sie ginge auf die Bühne, hat seine Hand von ihr abgezogen, und die Mutter hütet sie, wie man nur ein sechzehnjähriges Mädchen hüten kann.«

»Man kennt das!«

»Zum Beweise, gnädiger Herr, diene, daß, als ich von Ihnen sprach, von der ersten und mächtigsten Person Frankreichs, sie ihr kleines Haupt schüttelte und wenig Lust bezeigte, als ich ihr aber sagte, Sie seien der schöne junge Mann, den sie schon mehrmals auf dem Theater gesehen, da klatschte sie in die kleinen Hände und rief: ›O, der allerliebste Kavalier, der so listige, verliebte Augen hat, der immer aussieht, als hätte er einen Champagnerrausch, der so keck spricht und so ungeniert handelt! Ach, der ist mein Mann.‹«

»Schon gut, man kommt, entferne dich!« –

Während die Türe für späte Gäste geöffnet wurde, entglitt Herr Dubois ins Nebenzimmer.


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