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3. Kapitel. Umzug

Der große, grüne Möbelwagen stand vor der Tür. Männer in blauen Arbeitsblusen schleppten lärmend Sofa, Tische, Stühle, das große Eichenbüfett, ja, sogar den Flügel und die elektrischen Kronen die Treppe hinunter.

Der Steinzwerg im Vordergärtchen hatte heute nicht Augen genug. Er reckte den Hals, daß seine rote Zipfelmütze fast an die Rosenstöcke anstieß. Also war es doch richtig, was die Spatzen vom Dach pfiffen: Professors zogen aus.

Der Zwerg machte ein betrübtes Gesicht. Wie hatte er die Zwillinge, den drolligen Bubi und die reizende Mädi, die sich so ähnlich sahen, von klein auf in sein Herz geschlossen. Schon damals, als sie noch im weißen Kinderwagen von ihrer Kinderfrau an ihm vorbeigeschoben wurden, da hatte er schon seine Freude an den munter krähenden Kleinen gehabt. Und als sie dann mit Sandeimer und Schaufel auf den Spielplatz zogen, da waren sie gute Freunde geworden. Er hatte sie später, als aus dem Bubi der Herbert, und aus der Mädi die Suse geworden war, des Morgens in die Schule wandern sehen und ihnen des Mittags den ersten Willkommen daheim zugenickt. Und nun wollten sie ihn verlassen, seine kleinen Freunde. Es war wirklich zu traurig. Sogar ein steinernes Herz konnte dabei weich werden.

Herbert und Suse selbst empfanden nichts von diesem Trennungsweh. Für die war heute der schönste Tag in ihrem neunjährigen Leben. Noch schöner als Weihnachten.

Kisten und Körbe standen hoch aufgestapelt mitten in den Zimmern. Die Fenster waren gardinenlos, die Wände leer. Die Puppenküche hatte einen weißen Leinenbezug erhalten. Die Puppenkinder sahen nicht weniger aufgeregt in dieses Durcheinander als ihre kleine Mutter. Sie fürchteten sich vor den großen, starken Männern, die solchen Radau machten.

Vor denen hatten Herbert und Suse nun gar keine Angst. Im Gegenteil, sie waren schon gut Freund mit ihnen. Sie halfen dem Maxe, Karle und Fritze beim Aufladen. Ja, sie schleppten sogar selber kleinere, leichte Gegenstände, Fußkissen, Papierkörbe, den Geigenständer, zusammengerollte Betteppiche hinunter, natürlich auf dem Rücken, genau wie die Ziehleute. Sie waren von einer grenzenlosen Geschäftigkeit und Lebhaftigkeit und waren jedem im Wege.

»Platz da, kleine Herrschaften«, rief Karle mit feuerrotem Gesicht, der gerade eine schwere Bücherkiste zum Möbelwagen transportierte.

»Herrje, Suschen, lauf mir doch bloß nicht vor die Beine«, ranzte Lene, die heute auch etwas aufgeregt war, die Kleine an.

»Kinder, ich hätte euch doch lieber zur Omama schicken sollen. Ihr macht hier nichts als Dummheiten und haltet bloß die Leute auf«, meinte auch die Mutter, die überall zugleich war.

»Was – wo wir so schön helfen?«

»Und wo ich dir extra das schöne Wetter für den Umzug bestellt habe?« beschwerte sich Herbert, mit Recht ungehalten über die Undankbarkeit der Welt. Hatte er doch seinem Laubfrosch so lange zugesetzt, bis wirklich herrlichster Sonnenschein zum Umzugstage war.

»Suse – Suse, sieh doch bloß mal, mein altes Schaukelpferd. Na, Braunchen, lebst du auch noch?« Herbert gab seinem ehemaligen Gaul, der gerade aus der Bodenkammer vorübergetragen wurde, liebevoll einen Klaps auf die Flanken.

»Ach, und da ist ja Nauke mit der Pauke. Und hier guckt Schnuteken mit seinen rosa Karnickelohren aus der Spielzeugkiste. Wo mag bloß Fifi, unser alter Filzdackel sein?« Suse begann mitten auf der Straße, wo die Männer die Sachen aus der Rumpelkammer abgesetzt hatten, das ehemalige Spielzeug zu untersuchen.

»Suse, wirst du wohl alles stehen lassen. Überhaupt, es ist zu kalt auf der Straße. Kommt mal gleich wieder herauf«, rief die Mutter vom Balkon herunter, von wo sie das Einladen beobachtete.

»In der Sonne ist es ganz heiß.« Nur schwer trennten sich die Kinder von ihrem ehemaligen Spielzeug. Erst als Braunchen, Nauke mit der Pauke und Schnuteken in dem großen, bunten Möbelwagen, der beinahe wie ein kleines Haus war, verschwunden waren, verschwanden auch sie nach oben.

Auf der Treppe gab es eine Aufregung. Vaters großes Fernrohr, das draußen auf der Galerie seinen Platz hatte, wurde gerade hinuntergetragen. Der Herr Professor war selbst dabei, damit nur nichts verbogen und verdorben wurde.

»Wir können ja aufpassen, Vati, daß sie das Fernrohr nicht hinschmeißen«, erbot sich Herbert.

»Und daß die fremden Männer nicht etwa durchgucken«, setzte Suse eifrig hinzu. Denn das war den Kindern ohne Beisein des Vaters streng verboten.

Aber Herr Professor Winter hielt es doch für sicherer, selber den Transport des ihm von allen Gegenständen am meisten am Herzen liegenden Fernrohrs zu bewachen. Auch der Rundfunkapparat wurde von ihm eigenhändig transportiert. Herbert machte es mit seinem kleinen natürlich ebenso.

Die Zimmer leerten sich. In der Kinderstube war nur noch die weiße Puppenkommode übriggeblieben. Sie fühlte sich recht unbehaglich in dieser Öde und Einsamkeit. Zum Glück kam der schwarze Bubi und umkreiste sie mit wildem Gebell. Der Hund war heute ganz vom Bändel, genau wie die Kinder.

Die letzte Kiste war aufgeladen. Die Ziehmänner waren frühstücken gegangen. Das taten sie mehrere Male am Tage zur Verwunderung der Kinder.

Leere Wände ringsum, an den die dunkler gebliebenen Tapeten noch genau die Umrisse der früher dort gestandenen Möbel abzeichneten. Waren die Zimmer jetzt groß und geräumig! Ganz fremd sahen sie aus. Alles Behagen war mit in den großen, grünen Möbelwagen gewandert.

Professor Winter und seine Frau schritten Arm in Arm durch die leeren, kahlen Zimmer. Hier hatten sie mehr als zehn glückliche Jahre verlebt. Hier hatten die Kinder das Licht der Welt erblickt und – Frau Professor fuhr sich über die Augen. Blendete die Sonne so sehr?

»Nicht traurig sein, Fränzchen. Die neue Wohnung in Westend ist schöner als unsere alte. Zentralheizung, warmes Wasser – denke mal, wie bequem du es haben wirst«, sprach ihr der Gatte liebevoll zu.

»Ich würde auf all die Bequemlichkeiten gern verzichten, wenn ich hier in meinen lieben, alten Räumen hätte bleiben können. Oder wenn du wenigstens in der neuen Wohnung bei uns bliebest, Paul.« Gleich darauf biß sie sich auf die Lippen. Nun war es ihr doch entschlüpft. Fest hatte Frau Professor Winter es sich vorgenommen, tapfer zu sein und ihrem Manne nicht zu zeigen, wie schwer es ihr wurde, aus ihrem alten Leben in ein neues zu gehen.

»Unser Glück geht ja mit uns in das neue Heim, Fränzchen, unsere Zwillinge«, sagte der Professor, auf die Kinder weisend, die reisefertig, Matrosenmützen auf dem Kopf, soeben erschienen. Herbert hielt das Glas mit dem Laubfrosch, das er doch lieber nicht mit eingepackt hatte, in der Hand. Im anderen Arm Bubi, der aufmunternd blaffte. Suse trug behutsam das Vogelbauer mit Mätzchen. Im Arm aber hatte sie ihre Schwarzwald-Lotti, die sie als gute Mutter nicht dem dunklen Möbelwagen anvertrauen mochte. Die Kinder wirkten mit ihrem Gepäck so komisch, daß selbst die Mutter, so weh ihr auch ums Herz war, in das Lachen ihres Mannes mit einstimmen mußte.

»Warum lachst du denn, Muttichen, wenn du traurig bist?« erkundigte sich das Töchterchen. Ja, wußte das die Mutter denn selber? Das Menschenherz ist ein merkwürdiges Ding.

»Kommt, Kinder, es ist Zeit«, mahnte der Professor, der den Abschied, der seiner Frau so schwer wurde, nicht verlängern mochte. Da kam auch die Lene mit dem Besen und kehrte Stroh, Papier, Bindfadenreste, alle Überbleibsel des Umzuges, von Zimmer zu Zimmer zusammen. Denn eine ordentliche Hausfrau hinterläßt ihre Wohnung den Nachfolgern in gutem Zustande.

»So, jetzt kehre ich euch aus dem Hause, Kinder«, scherzte die Lene, die Zwillinge mit ihrem Besen vor sich herschiebend.

»Wir können doch noch gar nicht fort. Der Karle, Maxe und Fritze haben ja noch gar nicht fertig gefrühstückt«, wandte Herbert ein.

»Weshalb müßt ihr denn auf die Männer warten? Die kommen schon, wenn sie fertig sind. So, nun schließen wir hier zu und geben den Schlüssel unten beim Verwalter ab.«

Klapp – machte die Tür. Sie schlug hinter der ersten Kinderzeit von Professors Zwillingen zu. Nun kam ein neuer Abschnitt ihres Lebens.

Frau Lehmann aus dem Parterregeschoß war auf ihren Balkon hinausgetreten, um den langjährigen Hausgenossen noch ein Lebewohl zuzuwinken. Auch der Papagei hatte sich zum Abschied eingefunden.

»Lebt wohl, Kinderchen, und denkt mal an uns hier zurück«, rief sie.

»Wir werden immer an Sie denken, wenn wir Krach machen, Frau Lehmann«, versprach Herbert.

Der Papagei aber sagte gar nichts, denn er war ja gemütskrank und konnte sich nicht mal darüber freuen, daß die kleinen Lärmmacher aus dem Hause kamen.

Auch der Steinzwerg unten im Vorgärtchen sagte nichts. Aber Suse hätte nie gedacht, daß sein lustiges Gesicht so betrübt dreinschauen könnte.

Herbert war gerade im Begriff, mit Laubfrosch und dem bellenden Bubi auf das Vorderrad des großen Möbelwagens zu klettern und von dort aus den Kutschersitz zu erklimmen, als der Vater ihn plötzlich am Schlafittchen hatte.

»Junge, jetzt wird hier nicht mehr herumgeturnt.«

»Ich turne doch nicht. Ich will doch nur auf den Bock. Komm, Suse, ich helfe dir.«

»Ja, was habt ihr denn da oben zu suchen?«

»Karle, Maxe und Fritze haben erlaubt, daß wir alle beide bei ihnen auf dem Bock sitzen dürfen«, verkündete Suse strahlend.

»Aber Kinder, seid ihr denn nicht gescheit!« Die Mutter wußte nicht, ob sie lachen oder ärgerlich sein sollte. »Wir fahren natürlich mit der Stadtbahn.«

»Was – Stadtbahn? Wenn wir umziehen? Das ist gar nicht richtig. Dann muß man doch mit dem Möbelwagen fahren«, empörte sich Herbert.

»Die Herren Ziehmänner haben es doch erlaubt. Da mußt du es auch erlauben, Muttichen«, bettelte auch Suse.

»Fritze, Karle und Maxe wissen überhaupt nicht, wo unsere neue Wohnung ist. Wenn wir ihnen nicht Bescheid sagen, fahren die sicher falsch«, machte Herbert noch geltend.

»Und Klaus und Steffie kommen doch auf den Balkon, um uns mit dem Möbelwagen vorüberfahren zu sehen.«

Aber trotz dieser wichtigen Gründe blieben die Eltern unerbittlich.

»Dann macht der ganze Umzug überhaupt keinen Spaß.« Da fing der große Junge doch wirklich an zu weinen, noch dazu auf der Straße. Suse half ihm dabei getreulich, denn sie war ja sein Zwilling.

So zogen die beiden weinend von ihrem alten Hause fort und sahen nicht, daß ihr Freund, der Steinzwerg, hinter ihnen ebenfalls nasse Augen hatte.


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