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»Sklavin Italia, alles Leids Kastell,
Schiff ohne Steuermann im Wirbelwinde.
Nicht der Provinzen Herrin; nein, Bordell!
Du bietest den Lebend'gen überall
Nur Krieg: und schon zernagen sich die Leute.
Die doch umhegt ein Graben und ein Wall.
Unsel'ge, such an deinen Küsten heute.
Und schau in deine Brust, ob rings umher
Ein Ort ist, der sich Friedens noch erfreute?«
Dante, aus dem sechzehnten Gesang des »Fegefeuer«
Als in den ersten Augusttagen zu lesen war, Italien erachte den Bündnisfall nicht für gegeben, haben unsere ausrückenden Truppen das zwar gelesen, aber verstanden haben sie es nicht. Sie glaubten im Elsaß die italienischen Brüder zu treffen, und die Gerüchte über italienische Truppentransporte hörten nicht auf. So unbegreiflich war unserm Volk der Tatbestand; wie es selbst im umgekehrten Fall ohne Besinnen und ohne Gedanken an eigenen Vorteil dem Bundesgenossen beigesprungen wäre, so hielt es für selbstverständlich, daß die Italiener uns beisprängen ... Unsere Aufgabe ist es jetzt, Töpfe und Schüsseln zu zerschlagen. Das Völkerrecht enthält noch keine Regeln über erpresserische Bundesgenossen: die deutschen und die österreichisch-ungarischen Bundesgenossen müssen diese Regeln erst schaffen. Es handelt sich nicht um Krieg, sondern um Razzia. Das deutsche Volk muß aus dem Traum erwachen, der es seit tausend Jahren über die Alpen zog; aus dem Traum, daß jenes schöne Land eine Geliebte sei, mit der ein Bund der Treue bestehen könne; seine Regierung ist die Dirne, die sich den Völkern Europas anbietet und sie vergiftet. Nie wird Friede zwischen uns herrschen, solange sie ihrem Gewerbe nachgeht.«
Süddeutsche Monatshefte, Juni 1915.
»Seit die Deutschen in die Geschichte eingetreten sind, haben sie sich nie auf die Heimat und ihre nächsten Aufgaben beschränken können. Voll Anerkennung und Bewunderung für jede geschichtliche Größe, haben sie alles, was menschlich ist, in ihr Gebiet hineingezogen, haben alle weltbewegenden Ideen mit voller Wärme ergriffen, und nichts ist ihnen fremd und fern gewesen, das sie sich nicht anzueignen versucht hätten. Dabei sind sie öfter als andere Nationen in die Lage gekommen, daß sie das Erreichbare und Notwendige verschmähten, um das Unmögliche zu gewinnen; sie sind mehr als andere Täuschungen, Irrgängen, Demütigungen ausgesetzt gewesen, aber sie haben mit zäher Ausdauer immer neue Wege versucht, und so haben sie auch, nachdem sie sich von dem Drucke Roms freigemacht hatten, in voller Unabhängigkeit den Austausch, den geistigen, auf den Italien und Deutschland von Natur angewiesen sind, aufs neue begonnen.
Diese Idee von der Gemeinsamkeit aller geistigen Interessen der Menschheit und dem einheitlichen Zusammenhang aller wahren Erkenntnis haben die Deutschen niemals aufgegeben; darum huldigen sie den Stätten, von denen Kunst und Weisheit ausgegangen ist, und verbinden die Völker zu gemeinsamer Pflege des geistigen Besitzes, dessen Geltung über den Kreis der einzelnen Völker und Zeiten hinausgeht; sie sind das priesterliche Volk, welches berufen ist, in reinen Händen die ewigen Güter der Menschheit zu tragen.«
Curtius, aus: »Rom und die Deutschen.«
Bereits beginnt die heiße Zeit. Während ihrer Dauer bezieht der reiche und vornehme Römer seine von grauen Terrassen umgebenen, von bunten Gärten umblühten, von schwärzlichen Hainen umschatteten Landsitze, woselbst er in al fresco ausgemalten, von Marmorsäulen getragenen Hallen, bei dem Rauschen der Brunnen seine sommerliche Siesta hält, das süßeste »Far niente« von der Welt. Oder er begibt sich mit Dienerschaft und Waffengepäck in die Modebäder seiner beiden klassischen Meeresküsten, steigt hinauf in die großen Fremdenherbergen des Engadins, hier und dort ausruhend von den gesellschaftlichen Lebensmühen des Winters, die für ihn Lebensfreuden bedeuten, die einzig von ihm gekannten, die einzig wünschenswerten und wahren.
Dagegen bleibt der römische Bürger in seiner geliebten Kapitale, in deren Häuserburgen, darin jeder Raum von früh bis spät verdunkelt ist, er sich tagsüber verkriecht, vor jedem Sonnenstrahl flüchtend. Erst gegen Abend wagt er sich hinaus ins Freie, in die sonnenlose Enge der Gassen, in den Corso Umberto vor Cafe Aragno, die Konditoreien auf Piazza Colonna und all die andern zahllosen Kühlanstalten der Ewigen Stadt. Erst gegen Sonnenuntergang erklimmt er, schön angetan, den Monte Pincio, strömt in Scharen in die Villa Borghese. Oder er zieht mit Weib und Kind vor eines der Tore in irgend eine bescheidene ländliche Trattoria.
Doch dann, nach Anbruch der Nacht, wogt Roms Volk durch Roms Straßen, füllt es Roms Plätze, schlürft Limonade, kühlt sich an Gefrorenem und Granita, schwatzt, liebelt und liebt, beklatscht die Melodieen seiner musikalischen Lieblinge Mascagni, Puccini und des vergötterten Verdi. So lebt der Römer über den Sommer und freut sich seines Lebens; so lebt er Tag für Tag bis lange nach Mitternacht.
Dieses so vergnügt und dabei so genügsam lebende Rom schläft bis in den Tag hinein von seinen Sommernachtsfreuden aus. Bis spät bleiben Läden und Magazine geschlossen. Nur die Händler mit Gemüsen und Früchten breiten bereits in aller Herrgottsfrühe ihre Waren aus, die während der Nacht auf rasselnden Karren eintreffen: entweder aus den Gärten und Fruchtgefilden der Campagna oder von den Albaner- und Sabinerbergen. Jeder der Verkäufer dieser überschwenglichen Fruchtbarkeit des Südens ist unbewußt ein Künstler; denn jedes Gewölbe bildet ein Gemälde, ein mit Meisterschaft ausgeführtes Stillleben, auch was das Kolorit betrifft.
Und die Blumen in dem frühsommerlichen Rom! Besonders Nelken und Rosen. Nelken und Rosen um die hundert Wasserbecken und Springbrunnen; Nelken und Rosen auf der Spanischen Treppe; Nelken und Rosen vor den Eingängen der Kirchen und Paläste; Nelken und Rosen an allen Straßenecken; Nelken und Rosen in solchen Mengen, daß ihr Wohlgeruch die Stadt der heiligen Märtyrer Peter und Paul erfüllt und es in unserer christlichen Zeit fast ist, als wäre das Rom Viktor Emanuels noch das Rom Caligulas und Neros, in dem zu den Zirkusspielen selbst die Plebs mit Nelken und Rosen sich kränzte, mit blühendem duftendem Scharlach und Purpur.
Zu keiner andern Jahres- und Tageszeit ist daher Rom, das erhabene Rom, von solcher wahrhaft lieblichen Schönheit wie an einem Sommermorgen unter einem Azurhimmel, der noch nicht in verzehrenden Gluten entbrennt. Lediglich der Römer belebt zu solcher frühen Stunde die Kosmopolis am Tiber, und keine Fremdenhorden sind sichtbar; nicht einmal die blondhaarigen Söhne und Töchter Deutschlands und Albions, von denen die einen in ein römisches Straßenbild genau so schlecht passen wie die anderen. Und doch werden Rom und Italien von beiden heiß umworben, glühend geliebt.
Heiß umworben und glühend geliebt wird Rom, wird Italien vornehmlich von den Deutschen, die voll Pathos von »ihrem Italien«, von »ihrem Rom« zu sprechen pflegen, und das mit keiner anderen Berechtigung, als weil sie seit Jahrhunderten in der phantastischen Einbildung leben – eine Einbildung, vererbt von Generation auf Generation – , ihre Liebe zu Rom und Italien sei eine heilige und verleihe ihnen daher ein geistiges Besitzrecht auf das heißgeliebte Land.
Von der deutschen heiligen, weil idealen Liebe zu Italien und Rom, von der Deutschen schwerer Liebesschuld wider, sich selbst, soll auf diesen Blättern berichtet werden. Auch davon, wie sie ihre Schuld büßen müssen, gleichfalls schwer genug, wie jede Schuld gebüßt werden muß. Denn:
»Jede Schuld rächt sich auf Erden!«
Richard Voß.
Bergfrieden am Tage der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn; an dem Tage des Treubruchs auch gegen Deutschland, zum Abschied von Italien, welches die Treue mordete wie Macbeth den Schlaf. |