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Die Gesellschaft vornehmer und eleganter Römer war zu dem Volksfest auf Tusculum in Autos gekommen. Im Grand Hotel Frascati traf Heinrich mit seiner Frau und deren Begleitern, die ihre Verehrer waren, wieder zusammen. Er wurde empfangen, als wäre seine Abwesenheit nicht bemerkt, er überhaupt nicht vermißt worden. Doch wußte er eine Haltung zu bewahren, die den Aufruhr in seinem Innern diesen Menschen gegenüber verbarg; die mit dem alten Künstler am Zypressenteich der Villa Falconieri verbrachten Stunden hatten auf Heinrichs leidenschaftliches Gemüt ihre Wirkung geübt.
Frau Heinrich Weber wurde von den Damen der Gesellschaft – und darunter befanden sich Mitglieder von Roms hoher Aristokratie – wie eine Ebenbürtige behandelt: »wie eine Modesache«, dachte ihr Gatte voller Empörung. Sie bewegte sich in der fremdartigen Umgebung so ungezwungen, als wäre sie nicht in einer der höhlenartigen Behausungen Bellegras geboren und hätte niemals in der Villa Medici für so und so viel pro Stunde Modell gestanden. Mit wahrhaft genialem Anpassungsvermögen hatte sie sich die Manieren dieser so ganz andern Welt angeeignet. Anmutig zurückgelehnt saß sie im Sessel, trug ihr Pariser Kostüm mit allem zu dem Kostüm gehörigen Chik, hielt in der hell behandschuhten Hand lässig den sommerlichen Fächer, hatte einen dichten Schleier vor das Gesicht gezogen – alles genau so wie die wegen ihrer Eleganz berühmte Marchesa Margherita di San Silvestro, welche des Dichters halber mit von der Partie war. Doch war Frau Heinrich Weber auch jetzt noch klug genug, möglichst wenig zu sprechen. Bei ihrer Schönheit bedurfte es nicht der Sprache, um zu bezaubern, und das tat sie.
Heinrich, seine Frau betrachtend, dachte:
»Ist es möglich, daß diese – Dame dieselbe ist, die auf dem Felsenpfade des Monte Autore vor dir einherschritt, eine Tochter jener Wildnisse? Dieselbe, die in dem Mysterienspiel der Passion die Maria von Magdala darstellte, als ob sie selbst die große Sünderin und Büßerin sei? Dieselbe, die dir in dem Hause des alten Priesters als Feindin entgegentrat, als solche im Ginsterwald zu dir sprach? Freilich ist sie auch dieselbe, die dir das Leben gerettet; dieselbe, die von den Frauen ihres Heimatortes beschimpft wurde: um deinetwillen! Das darfst du nicht vergessen. Doch jetzt? Ist solche Wandlung denn nur möglich? Lerne es endlich begreifen. Und lerne endlich –«
Das fade Wesen dieser Leute ward ihm zu viel; zu viel des Geschwätzes des Herrn Amerigo Minardi, der Pose des illustren Poeten, Modekönigs und Liebhabers edler Römerinnen. Er trat zu seiner Frau und sagte halblaut:
»Komm!«
Sie bezeigte keine Lust, die heitere Gesellschaft zu verlassen. Da sah er ihr in die Augen. Sie las in seinem Blick etwas ihr bis dahin Unbekanntes. Schweigend stand sie auf. Ihre Verehrer, darunter als lärmendster Herr Amerigo Minardi, wollten sie zurückhalten, die Marchesa erhob gegen die Entführung dieser Helena durch ihren Paris feierliche Einsprache; aber Heinrich reichte seiner Frau schweigend den Arm und verließ mit ihr den Salon, in dem die elegante und vornehme Gesellschaft sich benahm wie ein Haufe schreiender Plebejer in einer Spelunke. Man sprach laut hinter ihm her, lachte und höhnte:
»Welch ein Bär! Aber so sind sie alle, diese Deutschen! ... Der Mann soll ein Genie sein. Ein Genie! Als könnte man nicht ein Genie sein und zugleich ein Kavalier? ... Ein Deutscher und Kavalier? Dieser ist überdies ein Narr! Denn – ein Modell zu heiraten! Freilich ist sie wundervoll ... Jedenfalls versteht es die Person. Was wohl daraus werden wird? ... Der Arme!... Nicht doch, der Narr!«
Besonders Herr Amerigo Minardi freute sich über den Narren, der das Modell geheiratet hatte, und lachte und höhnte am lautesten. Er wußte genau, was daraus werden würde ...
Heinrich wünschte nicht, daß seine Frau mit ihrer Gesellschaft im Auto nach Rom zurückkehren sollte. Einen Grund dafür gab er nicht an. Sie hätte ihn doch nicht verstanden; hätte als Grund nur den einen genommen, den er sich selbst nicht bekannte. Was verstand das schöne Geschöpf überhaupt von dem Manne, der ihr seinen Namen gegeben? Nichts Seelisches war zwischen den beiden Gatten gemeinsam. Damals freilich hatte er geglaubt, damals, an jenen Sommertagen auf dem Gipfel des Felsenberges, er würde sie, wenn sie nur erst seine Frau geworden, entwickeln, bilden können. Wie groß war damals sein Glaube gewesen und jetzt – Aber in welchen Ehen gab es zwischen Gatten ein seelisches Band? Wäre nur nicht ihre fast übergroße Schönheit gewesen! Und gerade ihre Schönheit war es, die den Künstler immer von neuem hoffen ließ, auch das seelisch Schöne in ihr zu entdecken: zu der schönen Form den schönen Gehalt.
Kaum daß Signora Lavinia sich mit ihrem Manne allein befand, als sie die Allüren der Dame fallen ließ, wie ein ihr nicht passendes unbequemes Gewand. Plötzlich war sie wieder das Mädchen von Bellegra mit dem Blut eines Geschlechtes in den Adern, das, in einer Wildnis lebend, seit Jahrhunderten mit keinem andern sich vermischt hatte. Auch ihre Ausdrucksweise war alsdann die nämliche, die sie auf dem Monte Autore gebraucht hatte. Sobald sie den Hut der »Dame« sich aufsetzte, ereignete sich mit ihr jene Wandlung, die das naive Künstlergemüt stets von neuem mit Staunen erfüllte und ihn des bewundernden Ausspruches seines alten Freundes gedenken ließ: »Nur bei den Frauen dieses wundersamen Landes ist dergleichen möglich!« Heinrich rief einen Wagen herbei, ließ seine Frau einsteigen und befahl dem Kutscher, nach Rom zu fahren. Also eine Abendfahrt durch die Campagna. Wie oft hatte Heinrich sie gemacht und dabei jedesmal den Zauber solcher Fahrt empfunden. Diesem wollte er auch heute sich hingeben: an der Seite seines Weibes, der noch immer so unsinnig geliebten Frau! Mit Schrecken fühlte er jedoch, wie heute der Zauber völlig versagte; wie nur ein Gedanke, eine Empfindung in ihm lebendig war: das Bewußtsein des Unglücks seiner Ehe. Denn Unglück war's! Den Mut nicht findend, seine Eifersucht sich einzugestehen, fand er auf dieser Abendfahrt die Kraft zur Erkenntnis seines Unglücks. Sehr bald war es gekommen, wie es kommen mußte.
Er wollte zu seiner Frau sprechen und wußte nicht was. Plötzlich durchzuckte sein fieberndes Hirn der Gedanke: ›Säße jetzt die Tochter deines alten Freundes an deiner Seite! Sie ist unschön, anmutlos, vollkommen reizlos; aber – Ob du heute abend auch zu ihr nicht würdest reden können? Ob an ihrer Seite der Zauber dieser Fahrt durch die in Dämmerung sinkende Campagna dir sich versagen würde? Sieh, wie das Sabinergebirge erglüht; wie der Soracte auflodert, gleich einem Altar mit dem Opferfeuer; wie auf der Peterskuppel das Kreuz erglänzt. Fühle es doch! ... Ich kann nicht, kann nicht!‹
An dem langsam dahinrollenden Gefährt sausten die Autos mit der römischen Gesellschaft vorüber. In dem Wagen, er gehörte der Marchesa – darin der Apollinische saß – , waren tusculanische Veilchen so hoch aufgehäuft, daß die duftende Decke die Dame bis zur Brust einhüllte. Die Herren jubelten Signora Lavinia zu, und Signor Amerigo Minardi rief hinüber:
»Es lebe die göttliche Schönheit!«
Mit der Gebärde einer Königin dankte Heinrich Webers Gattin für die ihr von Roms goldener Jugend dargebrachte Huldigung. In dieser Nacht erwartete Herr Mariano noch späten Besuch. Er hatte der Marchesa von einem Gemälde eines San Sebastian erzählt, welches er bei einem Antiquar in der Nahe des Monte Giordano entdeckt hatte und für eine gute alte Kopie des Giorgione hielt. Er hatte der Name von dem Bild mit solcher Begeisterung gesprochen, daß die Marchesa es sehen wollte. Sie war bisher noch nicht in der Wohnung des Dichters gewesen, von welcher in den Salons als von einer Sehenswürdigkeit gesprochen wurde. Daher ward sie von Damen der Gesellschaft unverhohlen beehrt, was diesen bei einem Junggesellen denn doch etwas ungewöhnlichen Besuchen das Kompromittierende nahm. Allerdings war der Junggeselle – Herr Mario Mariano!
Als dieser Herr an jenem Abend von der Marchesa vor dem Portal ihres Palastes sich verabschiedete, fragte ihn die Dame:
»Wann könnte ich also Ihren San Sebastian sehen?«
»Wann Sie befehlen.«
»Schade, daß es heute bereits zu spät ist.«
»Ich kann das Gemälde gut beleuchten.«
»Leider muß ich diesen Abend zu einem Rout bei dem Fürsten Stroganow.«
»Das Palais Stroganow liegt in der Via Sistina und stößt rückwärts an mein Haus in der Via Gregoriana. Von dem Palast des Fürsten zu meinem Hause gibt es sogar eine Verbindung.«
»O wirklich?«
»Gäste des Fürsten kommen häufig zu mir herüber. Sie brauchen auf diesem Wege nicht einmal die Loge des Pförtners zu passieren. Es ist wirklich sehr bequem.«
»Sehr ... Auf Wiedersehen.«
»Hoffentlich bald.«
»Hoffentlich!«
Und jetzt ließ der Herr Mariano noch zu später Stunde seine Gemächer durch Wachskerzen, die auf hohen Kirchenkandelabern brannten, erleuchten. Er ließ in den silbernen Weihrauchbecken das Räucherwerk entzünden, das er selbst erfunden hatte, eine Mischung von Myrten, Moschus und Jasmin. Der San Sebastian stand auf einem mit altem Silberbrokat bedeckten Gerät, einem Altar gleich, und ein sanfter Schein fiel auf den hüllenlosen Jugendkörper des Märtyrers, der von hellenischer Herrlichkeit war. Einer der vielen nach dem christlichen Krieger abgeschossenen Pfeile steckte auf seiner linken Seite unmittelbar unter dem Herzen, ein zweiter durchbohrte den Arm, der an den Stamm einer Pinie gefesselt war. Sein emporgehobenes Antlitz hatte nicht die fast weibische Holdseligkeit wie viele San-Sebastian-Darstellungen, sondern etwas von der erhabenen Verzückung eines Dionysos. In der römischen Gesellschaft erzählte man sich von diesem San Sebastian eine hübsche Geschichte: der Dichter, wenn er seine Gesänge vortrug, habe im Blick eine Ähnlichkeit mit dem visionären Ausdruck des gemarterten Heiligen. Darauf sollte eine der größten Sängerinnen Italiens vor versammeltem Publikum geäußert haben:
»Sie sollten ihn – Herrn Mariano nämlich! – erst sehen, wie Giorgione seinen Heiligen dargestellt hat!«
Roms große Welt erzählte sich diese Geschichte und fand sie allerliebst. Allerdings war es eine dieser Damen vom Theater, die das naive Geständnis gemacht hatte, Herrn Marianos hellenische Schönheit gesehen zu haben ...
Auf dem von dem Dichter bezeichneten bequemen Wege gelangte die Marchesa aus dem Palast des Fürsten Stroganow in das Haus in der Via Gregoriana. Sie war bleich und bebte vor Erregung. In dem Dunst des Räucherwerks schimmerte das Licht der Kerzen gleich mystischen Flammen, und der starke Wohlgeruch hatte etwas Betäubendes. Die Ausstattung des Gemachs mit den dunkeln Täfelungen, den altertümlichen Gerätschaften, den Heiligenbildern, den Statuen der Madonnen, davor weiße Lilien blühten; mit den schweren Stoffen in Scharlach und Violett – Dies Alles erhöhte die unweltliche Wirkung der Umgebung. Der Poet empfing die vornehme Frau als vollendeter Weltmann. Ihr ehrfurchtsvoll die Hand küssend, führte er sie zu dem Giorgione, um dessentwillen die Marchesa noch zu ungewöhnlich später Stunde bei ihm erschien.
Vor dem San Sebastian war ein hochlehniger Sessel aufgestellt. Sie nahm Platz, und des Heiligen Leib leuchtete ihr wie eine himmlische Erscheinung entgegen. Der Dichter aber begann über die San-Sebastian-Darstellungen der katholischen Kunst zu reden:
»Sie, die Kirche, hatte seit langem vergessen, daß der Mensch schön sei, das Meisterwerk des Schöpfers, dieses göttlichen Künstlers. Die menschliche Schönheit ward dicht verhüllt, angstvoll verborgen, hartnäckig geleugnet. Sie durfte kein Dasein haben! Als sie sich von dem schweren Faltenwurf doch nicht ersticken ließ, riß das Christentum sie mit sich hinab in seine Katakomben; sargte sie lebendig ein, begrub sie mit seinen Toten. Aber auch, als der Kult des gekreuzigten Gottessohns aus seinen unterirdischen Zufluchtsstätten siegreich hervorging und zur Sonne emporstieg, durfte die Schönheit des Menschen, des jungen Weibes und jungen Mannes, kein Auferstehen feiern: war doch Fleischeslust Sünde, Versuchung, Werkzeug des Teufels. Die Kirche Christi belehnte die hüllenlose Schönheit der Jungfrau und des Jünglings mit ihrem Anathema, dem Fluch ewiger Verdammnis in Flammen.
Christentum – Weltentsagung – Askese – Buße – des Menschen göttlicher Leib als das Häßlichste alles Häßlichen – Aphrodite, Apoll und Dionysos die allerärgsten Verführer, eine satanische Dreieinigkeit!
Doch da schuf die nämliche katholische Kirche den jungen Heiligen, dessen Körper von Pfeilen durchbohrt ward. Die Kunst dieser nämlichen Kirche bemächtigte sich des junglinghaften Märtyrers und – die Hülle sank! Ein Auferstehen war's, einem Wunder gleich, wie es die Welt – und das fast zu derselben Zeit – nur noch einmal erlebte. – Das begab sich, als an der Appischen Straße, unfern des Grabmals der Cäcilia Metella, ein antiker Sarkophag gefunden, geöffnet und darin der Leib eines blütenjungen Mägdleins erblickt ward, einer edlen Römerin, die nach einem vielhundertjährigen Tode zu schlafen schien mit einer lieblichen Röte auf den Wangen.
Die Römer strömten herbei, das Wunder zu schauen, und wären bereit gewesen, auf die Kniee zu sinken und anzubeten. Aber der Heilige Vater ließ die vom Tode auferstandene Schönheit des jungen Weibes als Teufelswerk noch in der Nacht des nämlichen Tages heimlich verscharren.
Doch zu einer andern Vernichtung des Unsterblich-Schönen war der Stellvertreter Christi machtlos: über die von der Kunst zum Leben wiedererweckte Jünglingsherrlichkeit besaß er keine Gewalt. Sie fand in dem von der Kirche geschaffenen von Pfeilen durchbohrten Heiligen ihre Auferstehung, die – eben Unsterblichkeit war ...«
Und Mario Mariano sprach von der hüllenlosen Jünglingsgestalt; sprach davon zu der Frau, die in der Nacht zu ihm geschlichen kam; sprach davon vor dem Bildnis von Giorgiones San Sebastian. Er schilderte nur, was die Frau sah und malte in den Farben des großen Venezianers; malte die Sinnlichkeit dieser jugendlichen Mannesschönheit, daß es die Sinne seiner Zuhörerin verwirrte, umnebelte, betäubte, wie es der Weihrauchdunst tat, der das Gemach erfüllte, darin mystische Orgien gefeiert wurden ...
Die Marchesa Margherita di San Silvestro lebte mit einem ältlichen Gemahl in einer jener typischen Ehen, wie solche in Italien in den höheren Gesellschaftskreisen gewöhnlich sind. Nach Vollendung ihrer Erziehung im Kloster verlobte man sie, vermählte man sie. Sie entstammte einem Geschlecht, das seine Ahnen bis in das Altertum zurückführte, bis in Roms große Zeiten. Auf der Hochzeitsreise nach einem toskanischen Landgute des Marchese führte der Herr seine Geliebte mit. Eine seiner Geliebten befand sich beständig in dem Haushalt der jungen Frau, die ihrem Gatten eine Tochter gebar. Genau wie die Mutter, wurde die Marchesina in einer klösterlichen Bildungsanstalt erzogen. In einem Jahre sollte das Kind zurückkommen, um baldmöglichst verlobt, baldmöglichst vermählt zu werden; sollte die junge Frau in einer unsittlichen, einer unglücklichen Ehe leben, genau wie die Mutter.
Noch war die Marchesa dem Beispiele anderer Frauen ihrer Kreise nicht gefolgt. Es waren Frauen, die bei einem Liebhaber fanden, was ihnen der Gatte nicht gab, ihnen nicht geben wollte. Da lernte sie den Meister der großen Phrasen und Gesten kennen, der auf die Frauen eine ebenso rätselhafte wie unheilvolle Gewalt ausübte. Worin diese bestand? Die Männer wußten es und gaben ihr den rechten Namen. Dieser war schmachvoll genug. Herr Mariano selbst mochte denselben indes für einen Ehrennamen halten.
Der Zuhälter berühmter Bühnenkünstlerinnen und vornehmer Frauen wies auch diesem Opfer den Weg an den Empfangsabenden im Palais Stroganow, nach Verabschiedung des Bedienten, vom Pförtner ungesehen, in das Haus der Via Gregoriana und in die Klosterwohnung des apollinischen Wüstlings.