Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Achtzehntes Kapitel

Der Garten eines Frauenklosters, eine Wildnis von Rosen und Lilien. Die Rosen purpurfarben und scharlach, die Lilien auf hohen schlanken Stengeln schneeweiß: Marienlilien für den Dienst der vom Schwert des Schmerzes durchbohrten Gottesmutter und holden Himmelskönigin.

Eine frühe Morgenstunde am Ostersonntag. Auch die Stunde der Morgenröte rosenfarben. Bei dem magischen Schein inmitten der Blumen eine Schar blütenjunger Mädchen, die duftende Fülle plündernd, Rosen und Lilien häufend; denn der Wundertag der Auferstehung des Sohnes ist zugleich das Fest der Mutter.

›Das Fest der Mutter! Heute ist auch das Fest meiner Mutter,‹ denkt Nicoletta di San Silvestro, eine Gestalt wie die verkörperte Lieblichkeit erster Jugend und Unschuld. Die Marchesina gehört zu den Zöglingen der frommen Anstalt, die heute entlassen werden. Sie ist bereits umgekleidet, trägt ein schlichtes weißes Kleid. Hat sie den Gefährtinnen geholfen, die leere Gruft des Auferstandenen mit Rosen und Lilien zu füllen; mit Rosen und Lilien die Bildsäule der heute glückseligen Mutter zu schmücken; mit Rosen und Lilien das ganze klösterliche Heiligtum, so wird sie sich aus Rosen einen Kranz winden, leuchtend wie eine Brautkrone; aber schöner noch wie die weißen Orangenblüten, die nur allzu häufig nicht die Stirn einer Glücklichen kränzen. Heute in diesem Heiligtum tragen Kinderunschuld und Kinderglück den Kranz.

›Mutter! Meine Mutter! Mutter!‹

Sie denkt an nichts andres, möchte den Mutternamen laut hinausrufen, hinausjubeln. Er ist der Tochter heilig wie der Name der Mutter des vom Tode erstandenen Heilands der Welt ...

Glockenklänge. Die Glocken des Klosters und die Glocken aller Kirchen und Kapellen der Stadt Subiaco klingen zusammen, ein Rauschen feierlicher Töne: nun der Heiland auferstanden, dürfen die Glocken der Welt die Botschaft verkünden: »Ostern! Ostern!« Seit Christi Kreuzestod waren sie verstummt. Der Auferstandene löste ihnen die ehernen Zungen.

Die Schwestern durchschreiten den Garten, Gestalten der Entsagung. Sie haben schon auf Erden den Frieden.

Nicoletta jubelt ihnen entgegen:

»Meine Mutter! Meine Mutter kommt! Ich gehe mit meiner Mutter!«

Ihr wird geantwortet:

»Sei mit deiner Mutter gesegnet.«

Eine Stunde später versammeln sich die Zöglinge, die heute scheiden sollen, in dem Refektorium um die ehrwürdige Frau Superiorin. Diese spricht zu ihnen, nimmt Abschied von ihnen, bereitet sie vor auf den Weg, den sie wandern werden, wenn hinter ihnen die Pforte des Heiligtums sich schließt. Es ist ein Weg, der sie hinausführt in die Welt, und die Welt ist voller Versuchungen, Übel, Sünden. Keine Rosen und Lilien wachsen an diesem Wege, sondern Dornen sind darauf gestreut. Nicht nur die Füße reißen sie wund, sondern auch die Herzen. Da müssen diese denn stark sein. Sie müssen in sich die Gottheit tragen. Aus dem Hause der Gottheit scheidend, müssen die jungen Kinder der Welt die Gottheit mit sich hinausnehmen, sonst erhalten die Versuchung, das Übel, die Sünde über die Herzen Gewalt. Und es kommt die Schuld.

»Versuchung – Übel – Sünde – Schuld.«

Sie hören die Worte, doch verstehen sie nicht. Wie hätten diese Reinen sie auch verstehen sollen? Von der Welt dort unten, weit draußen, war in ihre Mauern kaum ein Laut gedrungen. Diese Mauern bildeten um ihre Kindheit einen Wall, schützend wie das Bollwerk einer Festung. Diese Mauern und dasjenige, was sie umschlossen, waren ihre Welt: ihr Garten, ihre Kirche, ihre Heiligenbilder, Zellen und Säle. Die Klänge der Orgel und der Glocken, die Gesänge und Gebete, die Gespräche mit den Nonnen, die Plaudereien, Spiele und Scherze – gottlob auch das Lachen! – waren in ihrer Welt deren Stimmen. Sie lernten Französisch und Englisch; lernten Kirchengeschichte, kunstvolle Stickereien und – die Manieren der Gesellschaft, der sie, die sämtlich Kinder großer Geschlechter waren, angehören sollten, sobald die Pforte des Klosters hinter ihnen sich schloß.

»Versuchung – Übel – Sünde – Schuld.«

Nun ja. Sie mußten ihre Sünde zu dem alten Geistlichen des Klosters tragen; mußten ihm Sünden beichten. Es waren Sünden der Unschuld, die ihnen mit mildem Lächeln vergeben wurden. Aber jetzt – jetzt sollte alles plötzlich anders werden. Sie erschraken, erbebten, verstanden nicht.

Ihre Mütter!

Einmal im Jahre kamen die Mütter, um nach ihren Töchtern zu sehen; einige Male des Jahres erhielten sie Briefe, Geschenke, Gaben mütterlicher Liebe. Diese Mütter waren ihren Kindern nahezu Fremde. Und dennoch! Der Name allein hatte solchen besonderen Klang. Er weckte in den jungen Seelen heiße Sehnsucht: Sehnsucht, sich an das Herz der Mutter zu schmiegen; Sehnsucht nach einem unbekannten, wundersamen Glück; Sehnsucht nach etwas Herrlichem, Himmlischem, das zugleich von der Erde war. Es konnte in der Welt keine Versuchungen, kein Übel, keine Sünde und Schuld geben, wo Mutterliebe schirmte und schützte!

Und wieder jubelte es in dem Herzen Nicolettas:

›Meine Mutter kommt! Meine Mutter nimmt mich mit! Bin ich nicht eine glückliche Tochter?‹ ...

Der letzte Gottesdienst in der kleinen, mit Rosen und Marienlilien über und über geschmückten Klosterkirche war vorüber; vorüber der Abschied von der gütigen Oberin, den geliebten Schwestern, den zurückbleibenden armen Gefährtinnen und all den Plätzen einer Kindheit, deren Glückseligkeit erst später empfunden werden sollte. Ach, erst so viel später! Aber vor der jungen Dame, die in elegantem Reisekostüm, einen Hut mit den Federn des Paradiesvogels neben der Mutter im Auto hinsauste, lag die Frühlingswelt strahlend im Glanz des wolkenlosen Tages; lag ebenso weit, ebenso leuchtend und wundersam fern und fremd das Leben.

Wie unfaßbar schön war die Welt, und wie unbegreiflich herrlich mußte in dieser Welt das Leben sein! Gleich dem glanzvollen Frühling, durch den die Tochter an der Seite der Mutter dahinfuhr. Schön, wunderschön war diese Mutter! Als Nicoletta es der Mutter sagte, erwiderte diese:

»Findest du? Schön soll ich sein? Immer noch schön? Findest du wirklich? Aber ob es auch andere finden? Schön, wunderschön ist allein die Jugend.«

»Kannst du alt werden? Kann man überhaupt alt werden? Ich einmal alt?«

Und das Kind lachte hellauf.

Die Marchesa betrachtete ihre Tochter. Wie jung sie war! Konnte auch sie einmal so göttlich jung gewesen sein? Diese sanft geröteten Wangen, diese leuchtenden Augen, dieser Mund – Ein Mund, der nicht ahnte, was Küsse waren, die glühenden Küsse eines Geliebten. Dem Kinde mußte der Gatte gegeben werden, von den Eltern für sie gesucht, und das bald. Ihr war es ebenso geschehen, ihr und tausend andern blütenhaft Jungen, Unschuldigen, Ahnungslosen, Unberührten. Kam dann der Geliebte – Häufig bald, sehr bald ... Bei ihr war er erst spät gekommen, viel zu spät! Sie hatte sich stark gehalten, tapfer sich gewehrt, tapferer als tausend andre willenlos Verkaufte. Weshalb sollte es das Kind an ihrer Seite besser haben? Fühlte sie Mitleid mit dem Kinde, mit dem Opfer? Nein!

Was fühlte sie?

Neid.

Neid auf diese wundervolle Jugend; Neid auf diese himmlische Unschuld; Neid auf die Seligkeit, die von dieser holden Jugend einem Manne gespendet werden konnte, einem – Geliebten.

Ihrer Gefühle gegen ihre Tochter, gegen ihr einziges liebliches Kind, sich bewußt werdend, entsetzte sich die Frau. Dennoch konnte sie ihrer Empfindungen, die sie in der ersten Stunde des Wiedersehens befallen hatten, nicht Herr werden ...

Längs des Anios führte die Straße durch Felsentäler, auf deren kahlen Gipfeln und Graten Kastelle, Klöster und graue Ortschaften lagen, die unzugänglich zu sein schienen. Die Aniowiesen waren hier weiß von Narzissen, dort violett von Anemonen oder rot von Orchideen; die Pappeln und Weiden umwob ein smaragdgrüner Schleier, und die knospenden Ulmen schimmerten, als sollten die Bäume goldene Blumen tragen. Dazu der Frühlingsgesang der Lerchenchöre, ein wolkenloser Himmel, eine sanfte Sonne und in der weichen Luft ein ahnungsvolles Etwas, dafür die Sprache keinen Ausdruck besaß.

In Tivoli ließ die Marchesa halten. In der »Sibylle« sollte ein Mahl eingenommen werden: in der Säulenhalle des Rundtempels am Rande des Abgrunds über den Aniofällen, deren Donner hinaufdröhnte, deren Staub wie ein feiner, glanzvoller Nebel aus der Schlucht aufstieg. Die Strahlen der Nachmittagsonne füllten die Tiefe und verwandelten den feuchten Dunst in ein Gerinnsel von Smaragden und Rubinen, schlugen einen Regenbogen von Rand zu Rand. Ein Märchen war's.

Ein Herr näherte sich dem Tisch, an dem Mutter und Tochter saßen, ein Bekannter der Marchesa. Er grüßte ehrerbietig und bat, ihn der Marchesina vorzustellen. »Mario Mariano, unser großer, herrlicher Dichter, mein Kind.«

Aus staunenden Augen schaute Nicoletta auf den Fremden. Ein Dichter! Der erste Mensch, der ihr in der Welt und dem neuen Leben entgegentrat, ein Dichter! So also sah ein Dichter aus? Er sei »groß und herrlich« hatte ihre Mutter gesagt. Der Große und Herrliche begrüßte sie, sprach zu ihr. Sie hörte eine Stimme von wundersamem Wohllaut, sah auf sich gerichtet einen Blick – Unter diesem Blick errötete sie, erbebte sie; unter diesem Blick des Großen und Herrlichen überlief sie ein Schauer gleich einem Grauen. In halber Betäubung hörte sie, wie der Mann, der ein großer, herrlicher Dichter war und sie so sonderbar anschaute, ihrer Mutter zuflüsterte:

»Sie ist reizend! Ich wünsche Ihnen Glück.«

»Glück!«

Und die Mutter der Reizenden fühlte Neid, Eifersucht, Qual. Neid auf die Reizende, Eifersucht auf ihr eigenes liebliches Kind, Qual, weil sie es fühlte. Und dann hatte der Geliebte mit einer Stimme, deren bloßer Klang Magie für sie war, ihr zugeflüstert:

»Ich wünsche Ihnen Glück!«

Mit solchen Empfindungen führte die Mutter ihre Tochter in das Elternhaus. Das war aus ihr geworden: aus der schlechten Gattin eine schlechte Mutter; das hatte aus ihr ein Gefühl gemacht, von dem sie geglaubt, es würde sie zu den höchsten Gipfeln nicht nur des Glücks einer Frau, sondern ihres Daseins überhaupt erheben.

Daß alle guten Geister des Lebens die Tochter schützten vor dieser Mutter!


An dem nämlichen glanzvollen Frühlingstage ward Orazio Petroni aus dem Gefängnis der Via Giulia entlassen. Seine Schreiberstelle hatte er als erkannte katilinarische Existenz verloren und die lange Einkerkerung seine schon vorher elende Gesundheit vollends erschüttert. Das Fieber verließ ihn nicht mehr, und es war oft, als müßte er vor Schwäche zu Boden sinken, verendend wie ein kranker Hund auf der Gasse.

Aber er wollte leben! Erleben wollte er den Tag, für dessen Anbruch er sich würde martern, kreuzigen, in Stücke reißen lassen. Es war der Tag der Erhebung Italiens, was dem jungen Fanatiker als Erhebung galt: nachdem Italien durch einen gewaltigen Feind geschlagen, besiegt worden, würde es sich aus dem Abgrund seiner Schmach erheben, aus dem Grabe seiner toten Würde und Ehre auferstehen zu ewigem Leben.

Italiens Himmelfahrt mußte es sein: als Republik...

Vor dem Gefängnistor erwartete ihn die Gefährtin, auch sie eine jammervolle Gestalt. Aber sie lächelte ihn an. Hätte Orazio Tränen gehabt, so hätte ihn dieses Lächeln zum Weinen gebracht.

Nur einmal noch in seinem Leben wollte er weinen: wenn die Glocke des Kapitols in einem Sturm von Feierklängen Italiens heiligen Freiheitstag einläutete. Das würde ein Ostern sein!

Aber auch ohne Glockengeläut – Die Herzen der Römer würden schlagen, daß es durch ganz Italien hallte und schallte, Erde und Himmel mit Jubel erfüllend ...

Er fragte sie nicht, was sie während der langen Zeit getan, wo und wie sie gelebt hatte? Unter dem Bann ihres trostlosen Lächelns ließ er sich von ihr führen. Wohin? Nach Hause! Es war noch dieselbe feuchte, verseuchte Höhlenwohnung am Tiberufer, unfern der Flaminischen Straße. Er fand sie für seine Rückkehr ins Leben bereit, die modrigen Wände frisch geweißt, der von Nässe schlüpfrige Fußboden dicht mit Lorbeer bestreut, wilde Blumen auf dem Tisch, ein Fiasco Wein und ein Mahl, bestehend aus Mortadella, Ziegenkäse und gedörrten Feigen.

Silvias mehr als ärmlichen Anzug schmückte eine rote Schleife. Es war noch das nämliche dunkle Kleid, in dem er sie damals bei Mario Mariano, der inzwischen ein großer Herr und berühmter Dichter geworden war, zum erstenmal gesehen hatte. Der rote Schmuck ließ das dürftige Gewand noch trauriger erscheinen und traurig bis zur Trostlosigkeit war die blasse Schönheit ihres Kindergesichts, auf dem das Lächeln, mit dem sie den Freund an der Pforte des Gefängnisses bewillkommt hatte, erstarrt zu sein schien. Auch jetzt tat Orazio nicht die Frage nach dem Was und Wie ihres Lebens. So blieb es zwischen den beiden ...

An dem Tage seiner neuen Freiheit sagte Orazio:

»Es ist Frühling. Im Gefängnis merkte ich davon nichts. Das wäre auch gleichgültig gewesen. Aber jetzt fühle ich, daß auf der Welt wieder einmal Frühling ist. Man sagt, zu solchen Zeiten überfalle den Menschen eine heiße Sehnsucht. Das muß wohl wahr sein. Ich sehne mich, mit dir hinauszuschreiten in den Lenz. Ich sehne mich, die Sabinerberge zu sehen, wo ich einst jung und glücklich gewesen. Jung und glücklich. War ich das wirklich einmal?«

»Das fragst du und bist noch keine zwanzig Jahre?«

»Noch keine zwanzig Jahre. Seltsam. Aber still davon. Gehen wir hinaus in den Frühling.«

»Fühlst du dich auch kräftig genug? Du fieberst. Ich besorgte dir etwas Chinin.«

»Ich will kräftig sein; will nicht fiebern! Also bedarf ich auch nicht deines Chinins.«

»Mir zuliebe –«

Er sah sie aus großen Augen an, wie staunend, daß ein Frauenmund solche Worte sprechen konnte: zu ihm solche Worte!

»Dir zuliebe –«

Sie gingen zusammen hinaus; gingen durch den östlichen hohen Stadtteil über die Hügel des Quirinals, Viminals und Esquilins zur Porta San Lorenzo, der einstmaligen Porta Tiburtina, auf deren Torbogen Orazio seiner Gefährtin eine Inschrift zeigen wollte:

»Gloria Romanorum!«

Zugleich zitierte er mit glühenden Augen und bebender Stimme:

»Tu regere imperio populos, Romane, memento!«

Das Mädchen erwiderte:

»Immer und immer wühlst du in dir. Erbarmungslos gegen dich selbst, wirst du an dir selbst zugrunde gehen.«

»Nicht früher, als ich will. Im übrigen magst du recht haben. Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, Leonardo da Vinci hätte einmal geschrieben: ›Mancher Mensch gehört zu jenen bemitleidenswerten Naturen, die einen Trost für ihr Leiden darin finden, daß sie vor der ganzen Welt ihre Wunden bloßlegen.‹ Das mag bei mir der Fall sein.«

»Wenn du es selbst fühlst –«

»Deswegen bin ich jedoch nicht bemitleidenswert. Ich würde jeden hassen, der mich bemitleidete, und wäre es meine eigene Mutter. Nicht ich bin krank. Krank ist Italien. Es ist schwer krank; ist dem Tode nahe. Die Wunden Italiens möchte ich bloßlegen und das vor den Augen der ganzen Welt! Sie bloßlegen, bevor sie zu einer giftigen Eiterbeule werden. Italiens Fäulnis möchte ich der ganzen Welt zeigen, damit sie mit glühendem Schwert ausgebrannt werde, ehe sie den ganzen Körper ergreift und zerstört. Es ist hohe Zeit, daß es geschehe: › Gloria Romanorum.‹ Dieser Ruhm der Römer ist einmal gewesen. Weltbeherrscher waren sie einst. Sie müssen es wieder werden oder sie müssen untergehen. Eines von beiden muß geschehen. Sollten sie nicht wieder werden, was sie waren, so sind sie des Untergangs wert. Wert auch der Verachtung der ganzen Welt.« Sie gingen auf der Via Tiburtina dahin, den Sabinerbergen entgegen. Bei dem Casale von Portonaccio schlug Orazio einen Pfad ein, der über hügelige Wiesen, die im Frühling Krokusgefilde waren, nordwärts führte. Sie überquerten die Leitung der Acqua Marcia, gelangten zum Anio und erstiegen bei der Via Nomentana den Mons Sacer, den heiligen Berg des römischen Volks.

Orazio stand auf dem Teppich der Krokusblüten, sein Gesicht nicht den Heimatbergen, sondern Rom zugewendet. Hinter der Ewigen Stadt brannten blutrote Sonnenuntergangsgluten, in denen Rom aufzulodern schien, eine zweite neronische Feuersbrunst.

Während der himmlische Brand die Kuppel St. Peters, den Vatikan und Quirinal ergriff und über Rom zusammenschlug, schilderte Orazio den Auszug des römischen Volks auf der jetzt mit der Frühlingsblüte geschmückten Hügelkette.

Bereits damals sollte Rom ein unfreies, ein geknechtetes Rom werden; bereits damals erhob sich das Volk; bereits damals siegten des römischen Volkes Wille und Kraft.

Doch später dann –

Später blickte von diesen Höhen aus Coriolan auf Rom herab, mit Gedanken in seinem stolzen Herzen, die, zu Taten geworden, Roms Vernichtung gewesen wären.

Aber die Mutter kam und bat für Rom, und Coriolan ließ das undankbare, das schändliche Rom bestehen; ließ ab von Rom und zog in die Verbannung.

Und Orazio Petroni sprach:

»Mich würden kein Mutterflehen und keine Muttertränen dazu bringen, ein schändlich gewordenes Rom auf dem Erdboden bestehen zu lassen, wenn ich die Macht hätte, es zu vernichten. Über das Leben meiner eigenen Mutter wäre ich hinweggeschritten, um den Erdboden von einem solchen schändlichen Rom zu befreien: ›Gloria Romanorum!‹

Roms Ruhm und nicht Roms Schande hätte sich von diesem Berge aus über Italien ergossen, über die ganze Welt.

Aber der Tag wird kommen und –«

Er redete nicht aus. Ein Adler schwebte mit ausgebreiteten, im Sonnenuntergang purpurn glühenden Schwingen vom Sabinergebirge her über des Fanatikers Haupt auf Rom zu.

Ein Zeichen war's:

»Gloria Romanorum!«


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