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Was ist's nur mit dem Kind?« Das Kind war Fräulein Romana, und die Personen, die diese in der Casa Tedesca bereits zur Gewohnheit gewordene Frage taten, waren Sor Rodolfo und Tante Minchen; denn Dame Filomena wußte genau, was es mit dem Kinde auf sich hatte und daß das Kind verliebt war: ganz sinnlos verliebt! Es handelte sich nur darum, ob glücklich oder unglücklich verliebt? Beides durfte bejaht werden.
Glücklich war das Fräulein insofern, als es wieder geliebt wurde; unglücklich, weil das Professorentöchterlein nicht wußte, was daraus werden sollte. Dame Filomena meinte zwar triumphierend, sie wisse auch das genau, und es werde eine Heirat daraus; immerhin fehlte zu dieser noch die Einwilligung Sor Rodolfos und des würdigen Elternpaars des schönen jungen Herrn, und darauf kam es schließlich an.
Inzwischen plante die Vermittlerin in diskreten Liebesangelegenheiten nach Herzenslust weiter. Als Nächstes, was zu tun war, ergab sich eine Zusammenkunft der beiden, bei welcher Gelegenheit der Liebende aus Spekulation sich der Liebenden aus Liebe erklären konnte. Je heimlicher das Stelldichein vonstatten ging, um so mehr würde die Sache der Romantik südlicher Leidenschaft gleichen: à la Romeo und Julie! Die Amme befand sich sowieso bereits auf der Szene.
Also traf sich das interessante Paar in tiefer Nacht, in Begleitung der Tugendwächterin in der Castagneta. Der Mond schien hell, verwandelte den Wald in einen Zauberhain, verklärte das Antlitz des Adonis, und wenn auch die Nachtigallen nicht mehr sangen, so war es doch für die heilig Gläubige eine Stunde, die sie nicht auf Erden, sondern im Paradiese verbrachte. Nach italienisch strenger Sitte wurde von der Begleiterin nicht der keuscheste Kuß gestattet; doch durften Schwüre ewiger Liebe und Treue gewechselt werden, was dem Kinde, das jetzt eine Verlobte war, genügte, um sich von des Lebens ganzen Wonnen durchschauern zu lassen...
Der Hochsommer brachte für Rudolf Müller seines ehrlichen Künstlerlebens schönstes Fest.
Es jährte sich nämlich der Tag, an dem der Alte vor einem halben Jahrhundert als bestaubter Wanderer des erste Mal nach Olevano gekommen war, und die dankbare Sabinerstadt bereitete ihrem ältesten Sommergast eine Feier, wie solche in diesem Lande noch für keinen Fremden veranstaltet worden war: der deutsche Künstler, Rudolf Müller, wurde zu Olevanos Ehrenbürger ernannt!
Bereits in grauender Frühe zog die gesamte Bevölkerung nach dem hellen Hause über der Stadt, am Rand des Waldes hochstämmiger Edelkastanien. Es donnerten Böllerschüsse, erschallten brausende Vivatrufe, schmetterte die Stadtmusik, deren Mitglieder in ihren prächtigen Uniformen, darin der Paukist wie ein General aussah, vollzählig erschienen. Und was spielte Olevanos brave Künstlerschaft? Deutschlands Nationalhymne, das heilige Lied von Italiens nordischen Bundesgenossen, dem das hehre »Deutschland, Deutschland über alles!« folgte. Italiens Söhne spielten die deutschen Melodieen mit einer Inbrunst, als wäre es die Nationalhymne ihres eigenen Vaterlands.
Der Gefeierte erschien am Fenster. Bei den Tönen, in denen das deutsche Herz Melodie geworden war, flossen seine Tränen, und der alte Mann schämte sich ihrer nicht. Und daß er diese Weiheklänge in diesem geliebten Lande hörte, ihm zu Ehren gespielt!
Er hatte nichts geahnt von der Huldigung, die ihm zuteil ward, und nichts geahnt – was um vieles ärger war – hatte Tante Minchen. Aber Dame Filomena hatte alles gewußt und alles vorbereitet. Im Bürgermeisterhause hatte sie Tage vorher geküchelt: Berge von Maritozzi und Ciambelli und die in Öl gebackenen beliebten »Bignets«, die sonst nur dem guten heiligen Joseph zu Ehren an dessen Festtag von hoch und niedrig im ganzen Land Italien in unwahrscheinlichen Mengen verspeist wurden. In tiefster Heimlichkeit waren die dick mit Zucker bestreuten schmackhaften Lasten hinaufgeschafft worden, dazu ein Dutzend umfangreicher Fiaschi Weins, weißer und roter, süßer und herber. Wie durch Zauberschlag erschien plötzlich unter den Kastanien Speise und Trank, eine hausfrauliche Leistung, durch welche Tante Minchens kurzer Alleinherrschaft ein sofortiges Ende bereitet und die Regierung der Nebenbuhlerin für alle Zeiten befestigt wurde.
Alsdann erstieg eine Deputation der Stadtgemeinde, an ihrer Spitze der Sindakus, den Berg. Virgilio Minardi hielt eine Rede eines Cicero würdig und überreichte dem Ergriffenen ein Pergament, darauf nicht nur die Stadt Olevano, sondern auch das Tuskulum des greisen Künstlers in Aquarellfarben auf das zierlichste abgebildet war; und, im Rahmen anmutiger bunter Fresken, wie solche in geistlichen Büchern des Mittelalters sich befinden, die Verdienste des neuen Ehrenbürgers in der erhabenen Sprache Dantes gepriesen wurden. Der Mann, dem die Feier galt, stand da, als hätte er eine Weihe empfangen...
Am Abend gab die deutsche Kolonie im Casino Baldi ihrem Landsmann ein Fest. Es fand in der Serpentara statt, auf jenem winzigen Stücklein deutschen Bodens des sabinischen Felsengebirgs; und es war ein echtes deutsches Künstlerfest, wie solches in alten schönen Zeiten in den Cervaragrotten bei Rom alljährlich begangen worden. Den Eichenwald erleuchteten Feuerbrände bis in die höchsten Wipfel der ehrwürdigen Bäume hinauf; weißgewandete, mit Eichenlaub geschmückte Priesterinnen hielten Umzüge und brachten Germaniens alten Gottheiten unblutige Opfer dar: Früchte und Blumen; in Felle gekleidete Jünglinge führten Waffentänze und Ringspiele auf. Chorgesänge erschallten.
Ein zweiter Teil des Festprogramms war der jüngsten Vergangenheit gewidmet. Die deutschen Dichter und Künstler, welche Olevano berühmt gemacht hatten, traten auf. Maler und Bildhauer ließen ihre Modelle Gruppen bilden, die Dichter zitierten ihre zum Ruhm Olevanos verfaßten Verse, um danach vereint einen schlanken blondlockigen Jüngling unter lautem Jubel in ihrem Kreise willkommen zu heißen: Rudolf Müller aus Naumburg an der Saale, vor fünfzig Jahren in Olevano einziehend!
Und zuletzt, als Krönung des Ganzen:
Eine Ephebengestalt trat vor. In den Faltenwurf der Antike gehüllt, die Stirne von einem Kranz scharlachroter Rosen umwunden, schritt der Schöne zu dem Jubilar, faßte ihn schweigend bei der Hand und geleitete ihn zu einer Felsenwand, darüber ein gewaltiger Eichbaum seine schattenden Zweige breitete. Ferne gedämpfte Musik ertönte, ein scharlachroter Seidenvorhang sank, und es zeigte sich ein in das Gestein gefügtes Bronzerelief: das Bildnis eines alten Mannes. Eines Mannes Bildnis war's, der von den Göttern geliebt wurde, weil er die Menschen liebte und die Schönheit der Welt. Er liebte sie nicht nur, sondern ihm hatten gütige Götter gegeben, sie in Umrissen und Farben zu »sagen«. Er selbst freilich nannte es ein mühseliges Stammeln, ein armseliges Stottern...
Heinrich Weber war der Schöpfer des Bildnisses, und Amerigo Minardi hatte den Erschütterten geleitet. Was sollte dieser in solcher Feierstunde seines Lebens beginnen, als seine Tochter, sein einzig geliebtes Kind, mit dem rosengekrönten Genius vor ihn trat und ihn bat:
»Wir lieben uns, wir sind glücklich. Schenke unserm Bund und unserm Glück deinen Segen!« Also segnete Sor Rodolfo und –
Und auch das war das Werk der weisen Vermittlerin. Sie hatte den rechten Augenblick ersonnen und herbeigeführt: gerade den rechten, so daß der Tag schließlich zu ihrem Fest ward, zu der großen Menschenkennerin und Herzenskünderin unbestrittenem Triumph.
Keiner von allen aber dachte in dieser Stunde daran, was wohl daraus werden sollte?