Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Sechzehntes Kapitel

Auch dieses Mal fügte sie sich in ihres Mannes Willen. Seit einiger Zeit trat in dem Wesen ihres Gatten ein Zug hervor, welcher der Frau bisher unbekannt geblieben war und ihr mehr und mehr unheimlich wurde; ein Zug seines Wesens war es, welcher selbst für sie, die in ihrem Innersten das wilde Geschöpf eines wilden Volksstamms geblieben, etwas Bezwingendes hatte. Seit dem Abend des Frühlingsfestes auf Tusculum war jenes Fremdartige und Unheimliche nicht wieder aus ihm gewichen. Die Scheu, die es seiner Frau einflößte, steigerte sich zur Furcht, wuchs allmählich zum Haß. Es war, als würde eine mühsam gezähmte Wölfin des Sabinergebirgs allmählich ihrer Natur sich von neuem bewußt und kehrte zu dieser zurück. Noch bezwang sie sein Wille. Wie lange noch?

Lavinia in ihre Heimat zurückführend, gedachte Heinrich der Tage, in denen damals in ihm der Entschluß reifte, seine Retterin von einem frühen Tode zu seinem Weibe zu machen, voller Zuversicht, aus dem Kampf, zu dem es zwischen ihnen beiden unabweislich kommen würde, als Sieger hervorzugehen: Manns genug, wie er sich fühlte, wie er es war. Jetzt befanden sie sich wieder an der Stätte jener schicksalsvollen Entscheidungen, auf dem Felsengipfel, hoch über den Dünsten der Tiefe.

Sie wohnten bei dem priesterlichen Greise, in dem ruinenhaften Hause über dem Abgrund, um sich die höhlenartigen Hütten des Dorfes, unter sich eine Landschaft, die ihren Wohnort zu einem Königssitz machte. Nach den seelischen Leiden der letzten Zeit empfand Heinrich die Herrlichkeit zu seinen Füßen ebenso stark wie damals, als er, von seiner Verwundung genesend, zu neuem Dasein auferstand. Die Wunden, die ihm seitdem das Leben geschlagen hatte, waren tödlicher gewesen, als der Dolch des jungen Fanatikers es war ...

Als Dame, die den Hut trug, kehrte Lavinia zu ihren Landsleuten zurück, und wiederum war es wunderbar, wie sie sich der neuen Lage anzupassen verstand. Nachdem sie sich ihren Bekannten einmal in schwerer rosiger Seide und im Hute – einem silbergrauen »Rembrandt« mit gewaltigem Federschmuck – gezeigt und mit dieser Krone auf ihrem Haupt sich hatte anstaunen lassen, legte sie das Zeichen eines höheren Frauenstandes für die Dauer ihres Aufenthalts in Bellegra stolz-bescheiden ab. Fortan trug sie nur noch Kostüme aus sommerlich hellen Stoffen, wie solche für eine Villeggiatur sich schickten. Heinrich konnte nicht verhindern, sie im Geist beständig als das »Mädchen von Bellegra« in der dunkeln, fast trauermäßigen Tracht des Sabiner Landvolks zu sehen. Was hätte er darum gegeben, wenn –

Doch das war ein Gedanke, den er nicht ausdenken durfte.

Also genügte selbst vollkommene Frauenschönheit nicht, das Leben des Mannes zu einem glücklichen zu machen? Auch dann nicht, wenn dieser Mann ein Künstler war, dem die Schönheit als das Höchste galt? Es bedurfte demnach noch einer andern, einer unsichtbaren Schönheit, damit er sagen konnte: Ich bin ein glücklicher Mensch! Hatte Heinrich wirklich geglaubt, ohne jene geistige und seelische Schönheit der Frau glücklich sein zu können? Sich wirklich eingeredet, wo die äußere Schönheit sei, müsse auch die innere vorhanden sein? Es käme nur darauf an, sie zu wecken und zu entwickeln. Wie aber, wenn der Mann in seinem irdisch-herrlichen Weibe nichts Göttliches fand? Gar nichts! Wenn er erkennen mußte, daß er in der heißgeliebten Frau nur die Schönheit des Leibes besaß – Nicht denken! Nicht um einen Gedanken weiter! Noch gehörte seines Weibes Schönheit ihm allein. Aber schon, daß er diese von andern Männern begehrt wußte, daß er sie bewachen mußte – schon das war eines Mannes unwürdig; hatte etwas Demütigendes, Beschämendes, Erniedrigendes...

Das Ehepaar lebte in der milden Gegenwart des priesterlichen Greises, und diese übte auf die Stürme in Heinrichs Seele einen Einfluß aus, als ruhe die Hand eines Samariters auf schmerzenden Wunden. Lavinia schlief in der Kammer, die sie von Kind an bewohnt, darin die Zeichnung des großen deutschen Künstlers hing, auch eine Lavinia, der sie glich, als sei es ihr eigenes Bildnis. Das Porträt bannte auch jetzt wieder Heinrichs Blick und Geist. Darauf hinstarrend, befragte er das Bildnis der Wunderschönen: ›Besaßest auch du nur die Schönheit des Leibes? Aber du wurdest ja wohl die Frau eines braven Mannes, der gewiß nicht einmal sah, wie herrlich der Schöpfer dich schuf‹

Eine sabinische Magd besorgte den Haushalt, der auf seinen ausdrücklichen Wunsch so primitiv geführt ward, wie es zu dem wilden Ort und dessen Bewohnern paßte. Die Mahlzeiten wurden in der Küche eingenommen; an Sonntagen briet an dem hölzernen Spieß ein Lamm oder Zicklein, Tribut der Gemeinde, Festmahle, die etwas Homerisches hatten. Und gar, wenn Heinrich dabei von seinem Platz aus durch das scheibenlose Fenster auf die virgilische Meeresküste schaute, die über den Albanerbergen, umsäumt von schwarzem Buschwald, in bläulichem Dunst aufleuchtete. Die Gespräche der drei beschränkten sich auf Vorkommnisse des Lebens, in einer Wildnis zugebracht, und auf Betrachtungen des Greises, von der Einfalt einer Kinderseele. Nur ein in tiefer Einsamkeit verbrachtes, von Jugend auf in strenger Entsagung geübtes, der Gottheit geweihtes Leben konnte ein Gemüt so rein erhalten von jedem Staube der Welt.

Noch etwas begriff Heinrich in jenen Sommertagen, deren ein jeder voller Glanz war. Ihm wurde die Erkenntnis zuteil, nur ein vom Weibe unberührter Mann konnte sich solche Reinheit bewahren...

Bei seiner völligen Unkenntnis vom Weibe kam es dem ehrwürdigen Priester gar nicht in den Sinn, darüber nachzudenken, wie die Ehe zwischen den beiden so verschiedenen Gatten sich gestaltet habe und ob sie eine glückliche sei? Glück und Unglück einer Ehe – Dort oben auf dem Gipfel des Apennins gab es diese Frage nicht. Was die Bevölkerung Bellegras ihrem geistlichen Herrn in die Beichte trug, betraf nicht Glück oder Unglück ihrer Ehe. Selbst wenn ein Sabiner seinen Dolch in das Herz eines Nebenbuhlers stieß, so bedeutete die Todeswunde nicht das zerstörte Eheglück des aus Eifersucht zum Mörder gewordenen Gatten. So gewahrte der Greis denn auch nicht das Unglück dieser Ehe ...

Die Tragödie eines andern Eheunglücks spielte sich zu der nämlichen Sommerszeit in Olevano ab: Romana Minardi hatte nach langer qualvoller Selbstlüge erkennen müssen: du bist eine unglückliche Frau! Ihre heiße Liebe und bittere Erkenntnis hatte Rudolf Müllers Tochter zu einer Kämpferin des Lebens gemacht. Zu einer jener stillen Heldinnen, von denen die Welt wimmelt und deren Stirnen unsichtbare Dornen krönen. Sie lieben, erkennen, leiden, kämpfen – werden besiegt, fallen als unblutige Opfer, werden vergessen. Kein Nachruf sagt, was sie gewesen: Heldinnen und Märtyrerinnen zugleich. Entrang sich doch ihren Lippen kein Seufzer oder Schmerzenslaut.

Nicht in der Casa Tedesca wohnte das junge Paar, sondern unten in der Stadt, in dem Hause des Sindakus. Frau Romana hatte es gewollt und ihren Willen durchgesetzt; zum erstenmal. In dem altertümlichen Hause mit der Blumenwildnis seines Gärtchens konnte sie dem angstvoll fragenden Blick ihres Vaters leichter ausweichen. Es war ein Blick, den die Tochter stets mit einem heiteren Lächeln beantwortete; aber bisweilen fiel ihr die fromme Lüge schwer, und es quälte sie, ob ihrem Lächeln auch geglaubt würde? Immerhin – Solange ein Unglück nicht ausgesprochen ward, schien es noch nicht Wahrheit geworden zu sein.

Noch immer rang die schweigende Kämpferin danach, ihren Gatten, den sie immer noch liebte, auch achten zu können. Herr Minardi hatte in Rom, des Suchens müde, eine Advokatur eröffnet und von dem Gelde seiner Frau ein Büro im Stile eines intimen Absteigequartiers eingerichtet: kamen doch nicht nur Klienten zu ihm, sondern auch Klientinnen. Für seine Frau bedeutete die Eröffnung dieses diskreten Etablissements den Beginn einer ernsthaften Tätigkeit ihres Gatten, also die Hoffnung auf bessere Zeiten. Jetzt hatte er sie nach Olevano zu seinen Eltern gebracht, ertrug jedoch die ländliche Einsamkeit nicht lange und fuhr nun zwischen der Hauptstadt und Olevano hin und her, wäre wohl selbst in den heißesten Wochen in Rom geblieben, hätte auf dem Felsengipfel oberhalb Olevanos nicht seine schöne Landsmännin gewohnt. Der Gatte hielt hier zwar weniger scharfe Wacht, doch war auch hier größte Vorsicht geboten. Darauf verstand sich freilich die Nation, die den Cicisbeo geschaffen ...

Mehr und mehr lernte Frau Romana ihres Mannes Eltern hochhalten. Das war ein tüchtiger Menschenschlag, Italiens zukunftsreichster. Der Schlag des Landmanns war es, der des Arbeiters, welcher das Gebot des Herrn erfüllte und im Schweiße seines Angesichts seinen Acker bestellte. Aber der Gottheit Fluch gereichte der Menschheit zum Segen.

Seine Gemeinde, sein Weinberg, sein Olivenwald, diese drei Dinge waren es, die in dem Leben Virgilio Minardis eine heilige Dreieinigkeit bildeten. Wie er seine Rebenstöcke zum reichsten Ertrage bringen und die reinsten Weine keltern konnte; wie er seine Bäume düngte, beschnitt, den früchtereichen Zweigen möglichst viele Strahlen von Latiums Sonne zuführte, ebenso treulich sorgte er für das Gedeihen des ihm anvertrauten Völkchens, dessen Männer ihm glichen, fleißige Arbeiter in ihren Weinbergen. Was Virgilio Minardi in seiner Gemeinde auf das beste gelang, war ihm in seinem Hause völlig mißlungen: des Hauses einziger Sohn würde niemals erwerben, was er von seinem Vater ererben sollte, und der Vater wußte das. Neben seinen Lebensfreuden, die ausschließlich in seiner unermüdlichen Tätigkeit bestanden, bildete diese Erkenntnis des wackeren Mannes Lebenskummer.

Ob seine scharfblickenden Augen sahen, was seines Sohnes Gattin vor aller Augen zu verbergen suchte? Bisweilen schien es Romana, als herrschte zwischen ihr und ihrem Schwiegervater ein heimliches Einverständnis, dem niemals Worte verliehen wurden. Der rauhe Mann zeigte seiner Schwiegertochter gegenüber ein Zartgefühl, wie ein gütiger Arzt einem hoffnungslos Kranken, dem er mit einem Lächeln verhieß, daß er gesunden würde. Die leidende Romana erkannte die freundliche Absicht, gab sich den Anschein, als hoffte auch sie, und war dem gütigen Arzt dankbar.

Sora Pia schlug andre Wege ein, um ihres Sohnes Frau im Hause des Gatten heimisch zu machen: sie teilte mit ihr des Hauses Arbeit, die sie bisher als ihr alleiniges Recht bewahrt hatte. Die Freudigkeit, mit welcher Romana dieses Ehrenamt übernahm, gab Sora Pia einen hohen Begriff von den Hausfrauentugenden einer von jenseits der Alpen: die Leute dort drüben mußten eben doch ein tüchtiges Volk sein.

Da nach Urvätersitte die hauptsächlichsten Bedürfnisse in dem einfachen Haushalt selbst bereitet wurden, gab es genug zu tun. Feigen wurden in Honig eingemacht, der scharlachrote Saft reifer Granatäpfel mußte eingekocht werden, der alte hochstämmige Zitronenbaum seine Früchte zum Einzuckern hergeben, der Garten seine köstlichen Kräuter zu dem berühmten Essig, der Rosen und Jasminflor seine leuchtenden Blätter, der Lavendel seine bläulichen Blüten, um, in der Sonne getrocknet, den Stolz des Hauses, das selbstgewebte Linnen, zu durchduften.

Reiche Pilzernten wurden gehalten und die verschiedenen Arten sorgsam sortiert, um, zerschnitten und gedörrt, den Wintervorrat zu bilden; die Tomaten wurden an lange Schnüre gereiht, die dann die Wände der Küche mit krebsroten Girlanden schmückten; die jungen und zarten, aus ihren silberigen Blattkronen aufschießenden Artischocken wurden mit dem feinsten Öl durchtränkt und in altertümlichen Karaffen aufbewahrt.

Und dann die Arbeit in der Vigna, zu welcher die Familie jeden Nachmittag hinaufstieg, für die zwei Alten wahre Feiertagsgänge, schier andachtsvoll ausgeführt: bedeutete ihnen doch das Stück Ackers, welches die Bacchusfrucht trug, eine Art Heiligtum. Mit mütterlich zärtlichen Blicken beobachtete Sora Pia das Blühen, Ansetzen, Schwellen, Reifen der Trauben. Sie kannte jeden Rebenstock, befreite eigenhändig die Trauben von dem allzu üppigen Blattwerk, welches der Sonne wehrte, den seligmachenden Saft zu süßer Gärung zu bringen. Romana freute sich jedesmal des Anblicks der beiden würdigen Gestalten, wenn sie die Rebengänge durchschritten.

Häufig gesellte sich zu den dreien ein andres Trio: die Bewohner der Casa Tedesca; denn Dame Filomena mußte bei allem dabeisein. Das gehörte sich auch so. Gab man doch in Italien den patriarchalischen Beziehungen zwischen Herrschaft und Dienstboten den frommen Namen der Familie – la famiglia – ; und vielleicht ist Italien das einzige Land, in dem dieses seit ältesten Zeiten bestehende ehrwürdige Verhältnis von Gebietenden und Dienenden selbst in dem Jahrhundert des Umsturzes aller Werte und Bräuche noch Geltung besitzt. Es ehrt beide, die Gebietenden sowohl wie die Dienenden.

Waren die Bewohner der befreundeten Häuser in der Vigna beisammen, so wurde ein Festessen, eine »Merenda«, gehalten. Jeder steuerte dazu bei. An einem besonders schönen Platz lagerte man sich, und plaudernd wurde genossen, was Sora Pia und Dame Filomena den Ihren bescherten. Die Frau des Sindakus durch allerlei Leckerbissen auszustechen, war ein Ziel höchsten Ehrgeizes des weiblichen Oberhaupts der Familie Müller. Dame Filomena konnte sich bei diesen Zusammenkünften des Anblicks ihres Opfers erfreuen; aber auch für sie gab es keine unglücklichen Ehen, also blieb das Gewissen der Vortrefflichen heiter wie der Sommerhimmel, der Tag für Tag als glanzvoller Baldachin über das Sabinergebirge sich spannte.

Da die Vigna des Sindakus an dem Wege nach Bellegra lag, so war es nur natürlich, daß dieses Weges Heinrich Weber herabgestiegen kam und dann die Freunde beieinander traf. Auch von dem Ehepaar Minardi wurde der Künstler mit aufrichtiger Freude begrüßt; mußte man doch dem ernsthaften Mann mit dem leidensvollen Gesicht und den sprühenden Augen gut sein! Lieben mußte man ihn und achten zugleich! Glücklich die Frau, die diesen Mann lieben und achten durfte. Und dieser Mann war ein großer Künstler.

Unwillkürlich gab sich Romana solchen Betrachtungen hin, so oft sie ihres Vaters jungen Freund traf. Wenn die beiden sich begegneten, grüßten sie sich schweigend. Aber beiden schien es, als läge in dieser stummen Begrüßung mehr, als Worte hätten sagen können. Ihre Blicke sprachen: Wir verstehen einander; verstehen uns in unsrer großen Liebe und in unserm großen Leid. Uns beiden ward unsre Liebe zum Verhängnis, zum Schicksal. Beide sind wir unglücklich. Aber – Wir allein dürfen es wissen!

Lavinia begleitete ihren Gatten nie. Um einen Spaziergang zu machen, dazu war sie denn doch zu sehr Italienerin, überdies jetzt zu sehr Dame. Für sie gab es nicht die Natur, nicht die Schönheit der Welt, nicht die Herrlichkeit ihrer Heimat. Doch konnte ihr Heinrich dieses Fehlen jeglichen Naturempfindens ebensowenig zum Vorwurf machen wie ihr Nichtverstehen einer großen Dichtung. Viel zu einsichtig, um sie deswegen anzuklagen, ward er sich nur immer schmerzlicher bewußt, wie schwer dieser Mangel an allen geistigen Interessen zu ertragen sei.

So war denn auch für ihn seine heilige Liebe zu einem Martyrium geworden.


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