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Roman

Die Spat-Marie, Maren Ohrwurm und Johanne Leg-Dich-Hin oder Leichen-Johanne, hatten den Birnenmarkt in Kvaerkeby besucht und wanderten nun auf dem Heimweg die Landstraße entlang.

Sie plauderten und lachten und kicherten, daß es über die Felder schallte. Besonders Johanne war bei Humor; sie tanzte zuweilen und sang und stieß mit den Beinen die Röcke in die Höhe, daß die beiden anderen sich fast totlachen wollten; sie hatte einen guten Zug aus dem Kruge getan. – In jedem Dorfe, durch das sie kamen, stürzten die Hunde infolge des Spektakels kläffend aus Türen und Toren, und Knechte und Frauenzimmer riefen die drei Madames an und trieben Allotria mit ihnen. Aber die Weiber klatschten sich nur gemütlich auf den Hintern und gingen weiter. –

Die Spat-Marie war klein, vierschrötig und lahm. Maren Ohrwurm lang und geduckt; die Leichen-Johanne groß, starkknochig und von männlichem Aussehen, mit einem merkwürdig feinen, von Trunk und anderen Genüssen verwüstetem Rassegesicht. – Alle trugen sie einen Korb mit den Markteinkäufen am Arm. Die Staatshüte mit den bunten Blumen saßen ihnen schief auf den Köpfen, und die Kleider hatten sie aus Sparsamkeitsrücksichten um die Taille hochgebündelt, so daß die geflickten Unterröcke, die wollenen Strümpfe und Schmierlederschuhe zu sehen waren ...

Es war wohl reichlich zehn Uhr abends, aber der Vollmond schien: und Johanne hatte eine Flasche Kirschbranntwein für 35 Oere gekauft, an der sie sich gütlich taten.

Nun waren sie ein bißchen zur Ruhe gekommen, und sie gingen und plauderten sachlich-eingehend über Spat-Maries Tochter Alexandra, die Mißgeburt.

»Sie ist kein Mensch«! behauptete Johanne.

» Was ist sie nicht? Was ist sie dann?« fragte die Mutter.

»Sie ist so was, was man ein Monstrum nennt,« erklärte die andere sachverständig, »so was, was Gott einem in seinem Zorn schickt.«

Und Maren Ohrwurm ergänzte:

»Sie kann ja weder sehen noch hören, noch gehen, noch kriechen, nein, nichts kann sie!«

»Nein,« gab Marie zu, »das kann sie nicht. Aber sie hat das ganze Sinnenleben im Gefühl, ja. Ihr solltet sehen, wie sie mich und ihren Vater kennt, sobald wir nur in die Stube treten.«

»Vater,« grinste Maren, »sagtest du Vater? Von dem spürt ihr wohl alle beide, du und sie, nicht so besonders viel!«

»Na dann also den, den sie eben ihren Vater nennt, zum Satan, Dummkopf du!« knurrte Marie wütend.

Aber jetzt ergriff Johanne das Wort; sie und Maren waren im tiefsten Innern neidisch auf die Freundin, die dieses merkwürdige Kind besaß, mit dem sie manchen schönen Groschen verdiente.

»Und dann ist sie ja nicht einmal ein richtiges Frauenzimmer, nicht mal das,« sagte sie. »Die Hebamme wußte ja garnicht, ob's ein Junge oder ein Mädchen wäre.«

»Sie heißt doch Schwerenot Alexandra, soviel ich weiß,« sagte Marie.

»Sie hätte eben so gut Nikodemus getauft werden können!« grinte Maren.

Und Johanne bestätigte ihre Behauptung:

»Ja, sie ist ganz genau das, was man ein Monstrum nennt.«

Aber plötzlich machte sie ein paar steife Sprünge die Landstraße hinunter, die Leichen-Johanne, und drehte sich um und schwenkte die Arme:

»Wollen wir den Most probieren?« fragte sie dann und holte die Schnapsflasche hervor.

Die andern schielten scheu zu ihr hinüber: Bekam sie etwa ihren Anfall ...? Aber sie kosteten doch vom Branntwein, alle drei, und gingen weiter ...

Das Fähnchen auf dem Turm von Havslundegaard zeigte sich dunkel über den Bäumen. Drolligerweise saß der Hahn einmal mitten im Mond. Darüber grienten die Weiber ganz schrecklich, bis Maren Ohrwurm sagte:

»Ist sie nach Hause gekommen, die Helmer?«

»Nee, noch nicht,« sagte Johanne, und die Spat-Marie lachte böse.

»So hat er uns andere zu unserer Zeit nicht traktiert!«

»Nee, wir sind hübsch an der Erde geblieben, ja.«

»Und Kinder kriegt sie auch keine davon!«

»Es heißt, er hat ihr so einen Entschuldigungs-Apparat gegeben, wie man es nennt, der verhindert es,« erklärte Maren.

Johanne fuchtelte zornig mit einer Hand in der Luft umher:

»So einen hätte er getrost einem anderen Menschen auch spendieren können, dann wären wir davon verschont geblieben.«

»Man hat sie wohl damals nicht gekannt,« meinte Marie.

»Nee, vielleicht nicht... Die Welt geht ja vorwärts.«

Aber Maren Ohrwurm, die kinderlos war, griente vergnügt und sagte:

»Ja ich habe keinen gebraucht... also!«

»Nee, der Deubel schützt ja die Seinen!« seufzte Johanne.

Da blieb die Spat-Marie plötzlich stehen und, die kleinen feuchten Augen zum Mond erhoben, sagte sie, und es kam tief aus ihrem Mutterherzen:

»Wißt ihr was, Maren und Johanne,« sagte sie, »der Herrgott hatte so gewiß und wahrhaftig getrost die beiden anderen behalten können ... Aber für Alexandra werde ich nie aufhören, ihm in seinem blauen Himmel zu danken!«

»Amen und Halleluja!« äffte Johanne ihr nach und machte von neuem ein paar Tanzschritte.

»Will eine von euch nochmal kosten?«

Die Frauen nickten; und die Schnapsflasche kam zum Vorschein und wurde geleert.

»Du hast wohl ein Marktgeschenk für Alexandra mitgenommen?« fragte Maren, als man sich wieder in Trab gesetzt hatte. »Gewiß habe ich eins, natürlich. Seht bloß. Es ist eine Mühle.«

Marie holte eine kleine Holzmühle aus dem Korbe und blies die Flügel an, daß sie schnurrten.

»Die kann ihr doch keinen Spaß machen.«

»Und ob! Doch, da kannst du Gift drauf nehmen! Sie kann es fühlen, ja, wenn die Mühle geht. Sie hat schon mal so eine gehabt. Sie pustet sie an und hält sie sich vors Gesicht; und dann grient sie, daß es nur so gluckst.«

»Und was hast du für die andern?«

»Nichts! ... Die können ja sehen und hören und herumspringen; was, Teufel, sollen die dann mit Spielzeug! ... Aber wir sollen gut sein gegen die, gegen die der Herrgott böse gewesen ist, steht in der Bibel.«

Maren Ohrwurm borgte sich die Mühle und pustete drauf los, daß sie wild herumschnurrte.

»Seht nur, wie sie saust!« sagte sie entzückt.

Aber die Leichen-Johanne, die sich bisher schweigend verhalten hatte, riß ihr plötzlich den Apparat aus der Hand.

»Jetzt will ich es versuchen,« sagte ste. Und sie blähte die Wangen auf und blies, daß ihr die Funken aus den Augen sprühten; und während die Mühlenflügel auf ihrer Achse kreischten, stand sie da und wiegte sich in den Hüften und wackelte mit dem Kopf.

»Schnurre–lurre–lurre!« sagte sie und lächelte närrisch. »Schnurre–lurre–lurre! – Schenk' sie mir, Marie!«

»Was?«

»Laß' sie mich behalten. Das ist, als ob man Branntwein trinkt.«

»Nein, das fällt mir nicht ein, mein Puttchen!« sagte Marie und stopfte die Mühle schleunigst wieder in den Korb: »Denkst du, ich möchte Alexandra betrügen?«


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