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Es schnitt Frau Karen in das sensible Herz, zu sehen, wie ausgezeichnet Niels und Line stets miteinander auskamen; denn sie selbst lebte Jahr für Jahr in einer peinlichen Unsicherheit mit ihrem Franz. Man konnte sich nie auf ihn verlassen. Mitten im Besten, wenn er dick und gutmütig Vertrauen einzuflößen begann, rückte er aus. Er hatte in der Zeit seiner Ehe schon an die sechs bis sieben Blitztournéen unternommen; und zwar nicht nur in seinem Vaterlande, sondern auch in den Bruderreichen Norwegen und Schweden. Und jedesmal war er miserabel zurückgekehrt, beschämt, schlapp, stumpf und mittellos. Er glich, wenn er von diesen Lustreisen zurückkehrte, einem großen, alten, betrübten Affen, der, von seinen Ursehnsüchten getrieben, aus dem Käfig ausgebrochen, aber im Gebrauch der Freiheit ungeübt, zum Gefängnis, den Ketten, – und dem Futter zurückgekehrt war.
Aber klug wie sie war, faßte Frau Karen diese kleinen Unregelmäßigkeiten auf die einzig richtige Weise auf. Sie schalt nicht, spektakelte nicht, sondern kleidete sich in Halbtrauer, nahm eine sanfte und leidende Maske an, und erklärte, es solle die vornehmste Aufgabe ihres Lebens sein, die schwere Prüfung zu erleichtern, die auf die Schultern ihres geliebten Mannes gelegt worden war. – Und allmählich glückte es ihr wirklich auch, sie in dem Grade zu erleichtern, daß sie ihn milde und liebevoll der Verwaltung des Hofes und des Vermögens enthob und auf ein spärliches Taschengeld setzte.
Da kam der Bruch zwischen Niels und Line.
Mit Jubel im Herzen legte Frau Karen jetzt Ganztrauer an und erklärte mit betauten Augen, dieses Unglück sei ihr weit schwerer zu tragen, als ihr eigenes, denn sie hätte ihren Schwager und ihre Schwägerin stets geliebt und zu ihnen aufgeblickt infolge ihres musterhaften Zusammenlebens. Es war für sie wie ein Stern in der Wüste des Lebens gewesen.
Und sie ließ anspannen und fuhr vier Meilen nach Havslundegaard, um zu trösten.
Aber sie kehrte pfauchend zurück. Frau Line hatte sich nicht gezeigt.
»Die Herrschaft ist krank,« hatte der Diener Jürgen gesagt.
Und diese Krankheit hatte die Freundschaft zwischen den Schwägerinnen noch mehr befestigt....
12. 11.
»Uff, ich bin so wütend heute, lieber Isidor, daß ich Kopfschmerzen und Übelkeit habe. Und weißt du weshalb? Weil Vater wieder Mutter einen Brief gesandt hat, in dem er sie »Hochgeehrte Frau Line Uldahl« nennt, und er »Sie« zu ihr sagt und »wenn die gnädige Frau die Güte haben wollen!« Er ist ein richtiger alter Affe, ja; und ich glaube durchaus nicht, daß du Recht hast mit dem, was du Donnerstag behauptetest, als wir unser reizendes Gespräch im Kabinett hatten, daß er ein unglücklicher Mensch ist. Er ist böse, ja, das ist er. Und wichtigtuerisch und geziert, und ich an Mutters Stelle würde ihm seine Briefe ungeöffnet zurückschicken. Aber kannst Du Dir denken, sie lächelt bloß darüber und sagt: »Ach du lieber Gott, wenn ihm das Spaß macht!« Und die Schwestern lachen mit. Aber ich bin immer nahe daran, eine Fontaine zu fabrizieren, wie Du es nennst, bloß aus Wut, denn ich finde, es ist geradezu einer Frau unwürdig, sich so behandeln zu lassen. Weißt Du, wozu ich die größte Lust hätte, Vetter Isidor? Ich hätte die größte Lust nach Kopenhagen zu reisen und in den Reichstag hinauf zu gehen, und eine lange Rede über Vater zu halten; aber vielleicht sind sie alle miteinander solche Duckmäuser da oben, und dann nützte es ja nichts. Du hast wohl schon in den Blättern gelesen, wie er da drinnen gelobt und in die Wolken gehoben wird? Und bei Gott im Himmel, willst du mir glauben, daß Mutter jedesmal hier umhergeht und stolz darauf ist, bei Gott! Es ist nun wahr, daß etwas niedriges und hundeartiges an uns Frauen ist, bloß weil es nun ihr Mann ist, da findet sie gleich, daß es großartig ist, obwohl sie sehr gut weiß, daß es ihm mit keinem Wort von alle dem Ernst ist, was er da über die Bauern von sich gibt; er haßt sie geradezu, das habe ich doch so oft gehört. Du hast es ja selbst gehört, wenn er hier zu Hause bei den Mittagsgesellschaften losbullerte. Ich möchte mich beinahe brechen! Aber ich bin ja auch nur ein feiges Weib; statt mich zu erheben und allen Gästen zu erzählen, wie erbärmlich und niedrig er ist; und willst Du mir glauben, daß Mutter am wütendsten sein würde, wenn ich es täte? So sind wir erbärmlichen schwachen Frauen und ich kann es sehr wohl begreifen, daß Ihr, Du und andere richtige Männer, uns oft tief verachten müßt. Ach, wie wünschte ich doch, daß ich so ein Weib wäre wie Charlotte Corday oder die Jungfrau von Orleans, denn dann würde ich Euch etwas anderes zeigen! Und willst Du mir glauben, Vetter Isidor, wenn ich Dir sage, inwendig bin ich so eine; aber wenn ich dann handeln soll, dann werde ich bloß kalt am ganzen Leibe und schwitze und kann nicht; aber ich habe oft, oftmals geträumt, daß ich so ein stolzes Weib wäre, nicht wenn ich schlafe, weißt Du, sondern wenn ich mit Türk spazieren gehe oder unten in meinem Hause sitze oder draußen im Walde liege! Und da sage ich Vater ordentlich Bescheid und er bereut sein ganzes schlechtes Betragen und jagt Mamsell Helmer und die anderen garstigen Frauenzimmer fort und bereut das Ganze und wird mit Mutter wieder gut Freund; und wir gewinnen ihn alle miteinander so furchtbar lieb, daß es ein großes Glück für uns wird, hier auf Havslundegaard dem schönsten Hofe auf der ganzen Welt, zu leben. Ach, kleiner, guter, süßer, lieber Vetter Isidor, wenn man doch immer träumen könnte, denn man wird so schrecklich traurig, wenn man erwacht und daran denken muß, wie es in Wirklichkeit ist. Ich wünschte beinahe, ich wäre wie die arme Mamsell Rottböl! Aber nun will ich für heute schließen und verzeih', daß ich soviel von mir gesprochen habe.
Dein bis in den Tod
S.
Kannst Du Dir denken, daß gestern das reizendste isländische Pferdchen angekommen ist, von Vater? Es ist so zottig an den Beinen, daß es aussieht, als ob es Hosen anhatte. Es ist furchtbar süß! Die Mädels sind entzückt und haben es schon »Michel« genannt. Aber ich rühre es nicht an, natürlich, ich nehme keine Bestechungen an! Denn weißt Du, weshalb er es schickt? Natürlich weil er jetzt bald zu Weihnachten nach Hause kommt. Ich kenne ihn!
Isidor Seemann war also (dem Abendgespräch der »Asyle« zufolge) ein Sohn von Natalia Uldahl und dem Zeichen- und Turnlehrer am Gymnasium der Nachbarstadt, Hans Jacobaeussen. Die Verbindung wurde auf einem Bürger-Vereinsball geschlossen. Aber als das Resultat sichtbar wurde, ging der alte Staatsrat in das Schulgebäude und prügelte angesichts sämtlicher Schüler Herrn Jacobaeussen mit seinem Stock durch. Und es endigte damit, daß der tüchtige Gymnastiker seinen Koffer packen und verschwinden mußte, während der Staatsrat zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.
Nachdem sie bezahlt war, ging dieser selbe energische Greis zu dem damaligen offiziellen Verlobten des Fräuleins, dem Gutsbesitzer Ole Brandt auf Svendstrup und bewog ihn quand meme unter dem Versprechen augenblicklicher Scheidung dazu, sich mit dem Mädchen trauen zu lassen. Worauf Ole und Natalie einander im Eßzimmer zu Egesborg ehelichten und sich unmittelbar darauf im Kontor scheiden ließen.
Vier Monate später brachte Frau Brandt einen jungen Jacobaeussen zur Welt, und nachdem der Staatsrat den Knaben einer kinderlosen Halbkousine von sich geschenkt hatte, die mit dem Besitzer eines kleineren Gutes, Seemann auf Maglegaard bei Faaborg, verheiratet war, machte er selbst mit Frau und Töchtern eine zweimonatliche Erholungsreise nach der Riviera ...
Hier an dieser märchenhaften Küste wurde Fräulein Natalia mit einem jüdischen Bankier aus Paris verheiratet. Und Fräulein Bettina wurde an demselben Orte von einem polnischen Grafen heimgeführt.
Nach welchen Erfolgen Staatsrats erleichterten Herzens heimkehrten.
Natalia starb ein paar Jahre darauf den Strohtod in ihrem Palais in den Champs Elysees, einen ehelich geborenen Sohn hinterlassend, während Bettina, nachdem sie die Tochter Rositta zur Welt gebracht, wie schon die Ingwersen erzählt hatte, von einer Aussicht in der Schweiz herabfiel, wo sie sich auf einer Vergnügungsreise mit dem Kammerdiener ihres Mannes aufgehalten, und den Hals brach.
Und jetzt waren Staatsrats also nur noch die beiden Söhne geblieben.
Was vielleicht auch vollauf genug sein konnte.