Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Was Frau Mona in ihrer »Knechtschaft«, wie sie ihre Ehe in bitteren Stunden nannte, am meisten quälte, war, das nichts »geschah«. Sie verlangte Ereignisse, und hier verrann ein Tag wie der andere.
Und mit jedem Tage fühlte sie sich ein Jahr älter, behauptete sie ...
Sie verfiel deshalb auf die eigenartigsten und unvernünftigsten Dinge, um ihren Drang nach Erlebnissen zu befriedigen. Aber sie tat sich doch vornehmlich nur gütlich, wenn Palle vom Hofe fort war; denn sie hegte einen stillen Respekt vor seinen Kräften. Ein paarmal war sie in ihrer Unbändigkeit mit Messern und anderen Mordinstrumenten auf ihn losgegangen. Aber der Hofjägermeister hatte sie mit seinen Eisenhänden um die Handgelenke gepackt und sie in die Kniee gezwungen, daß sie mit kalten Umschlägen um die Arme zu Bett gehen mußte.
Und da lag sie dann und bereute und bat um Verzeihung, bis er sich gerührt und gutmütig auf den Bettrand setzte und sie tröstete und scherzte und lachte. Worauf sie wieder für eine Zeitlang allen Streit und alle Zwistigkeiten vergaßen und in den Nächten miteinander in Taifunen von Liebe davonsausten, die sie allmählich wie leblos nebeneinander liegen ließen ...
»Pallemännchen ...« konnte Mona dann jammern, indem sie matt ihre Finger durch seinen Wildenbart gleiten ließ, »Pallemannchen ... Du bist groß in deiner Liebe, mächtig, überwältigend ... aber du liebst nur meinen Körper.«
»Ja ... und du meinen ...« murmelte Palle schachmatt und schlief ein ...
Aber während diese tropischen Nächte alles Lebensgewürz waren, was Palle verlangte – und er hatte ja außerdem in den Zwischenakten seinen Hof und seine Landwirtschaft, die ihn interessierten! – so wollte Mona ihre Tage voll »Auftritte« und »Erlebnisse« haben. Und wenn nichts »geschah«, suchte sie selbst durch ihre Worte und Handlungen Sensation und Spannung hervorzurufen.
»Palle,« fragte sie zum Beispiel einmal plötzlich, »weißt du, daß ich dich bestehle?«
»Ja, um mein Mark!« lachte Palle und kniff sie schelmisch in das Ohr.
»Nein, um dein Geld,« nickte sie ernsthaft.
»Soo – oo? Bitte schön, stiehl nur immer zu, es bleibt ja in der Familie.«
»Ja, vergiß also nicht, daß du es mir erlaubt hast?«
»Nein, nein! ... Und wozu willst du das Geld verwenden?«
»Mit dem Geld will ich ausrücken ... Allein, da du ja nicht mit willst.«
»Du kommst schon wieder zurück, Monachen ... Du kannst mich nicht entbehren! ... Aber ich habe übrigens gerade daran gedacht,« fuhr er fort, »daß wir bald zusammen eine kleine Reise machen wollten.«
Sie stürzte ihm an den Hals:
»Palle! Ich liebe dich! Du bist der beste aller Menschen! Wo wollen wir hin?«
»Nach Berlin.«
»Palle ...!« rief sie entzückt, »Und nach Paris?«
»Meinetwegen, ja!«
Nun brach sie vor Freude in Tränen aus:
»Ach Palle, Palle, daß ich jemals schlecht gegen dich sein kann!«
Und sie reisten auf einen Monat fort. Wohnten in Hotels, aßen an der table d'hôte, gingen in Läden, Theater, Varietés. Und keine Wolke verdüsterte in diesen wonnigen Wochen Frau Monas »schicksalsschwangere« Augen. Sie lachte übermütig und glücklich und behauptete, jetzt könne sie sehr wohl ein ganzes Jahr auf Hvidgaard leben, ohne »böse« zu werden ...
Aber kaum näherte der Zug sich wieder der heimatlichen Eisenbahnstation, als sie bleich und schweigsam wurde.
Und als der Landauer mit ihr und Palle vor der Treppe des Hofes hielt, ballte sie die Hände und flüsterte vor sich hin:
»Wie ich diesen Hof hasse ...!«
Und bald begann von neuem der alte Kriegszustand. Es war Mona unmöglich, längere Zeit hintereinander ihr Gemüt zu bändigen ...
... Eines Tages, als Palle wie gewöhnlich in Feld und Wald hinausgeflüchtet war, um seine Ruhe zu haben, ließ sie in ihrer Raserei vier der Hunde auf die Schwäne im Wallgraben los. Das wurde ein Naumacium sondergleichen! Die Hunde kläfften, die Schwäne zischten, die Wellen spritzten in Strahlen über das Ufer, und das Wasser troff von Haaren und Federn. –
Frau Mona stand auf der Brücke und leitete die Schlacht.
»Faßt sie! Faßt sie!« rief sie, »Hektor! Herkules! Sonja! Chasseur! Heissa, hoppla, los auf die Uldahls, meine Tiere!« (Es fiel ihr plötzlich ein, die Schwäne mit diesem Gattungsnamen zu belegen) ... »Los auf die Uldahls! Könnt ihr den großen fetten dort sehen! Das ist Palle! Faßt ihn! Zerreißt ihn, zerfetzt ihn, beißt ihn! Er hält uns alle miteinander hier eingesperrt..! Das war recht, Hektor! Das war recht! Ha – a, ha, ha!« (Sie klatschte in die Hände und warf sich in Extase gegen das Brückengeländer) ... »Ha, ha, ha!« schrie sie – »so war's gut, so war's gut!«
Hektor hatte seine Kiefern in den Hals des Schwanes geschlagen. Und jetzt stürzten alle vier Hunde sich wie rasend auf den Vogel, rissen und zerrten an ihm und bissen ihn tot; während die übrige Schwanenschar schreiend flüchtete, und mit ihren gestutzten Flügeln ins Wasser schlug, daß es schäumte ...
Als der Hofjägermeister nach Hause kam, lag Mona reuevoll zu Bett. Und er vergab ihr wie gewöhnlich, in einem großen Versöhnungsfest.
Und am nächsten Tage aßen sie einträchtiglich Schwanenbraten zu Mittag.
Dann ließ sie die Hunde erschießen.
Eines Tages, kurze Zeit, nachdem Palle auf eine Woche verreist war, ließ sie in ihrer Einsamkeit alle Hunde erschießen. Sie sagte, es solle eine Art Pönitenz sein. Wenn man gesündigt hätte, sagte sie, solle man das Liebste opfern, was man besäße.
Und sie hieß den Gärtner auf dem Wege, der vom Meere zum Walde führte, eine »Bußallee« anlegen. Der Weg war mit Ebereschen bepflanzt. Und zwischen diesen mußte er Grabhügel über den toten Tieren aufwerfen, sieben Hügel auf jeder Seite. Auf den Hügeln wurden Denksteine mit den Namen der Hunde angebracht. Und volle vierzehn Tage ging sie alle Morgen in Trauerkleidern und unter Tränen und schmückte die Gräber mit Grün und Blumen ...
Nachher konnten Gras und Unkraut dort wachsen, so viel sie wollten.
Palle Uldahl hatte die Unsitte, sein Geld – Silber, Gold und Scheine – lose in den Taschen umher zu tragen. Und er wußte nie – denn das hätte sich für einen Mann in seiner Stellung nicht gepaßt – wieviel Geld er gerade bei sich trug. Es konnten zuweilen Hunderte von Kronen sein. Wurde es ihm zuviel, daß ihm die Taschen zu voll waren, dann leerte er diese in die Schubladen seines Schreibtisches, die er zuweilen abschloß, zuweilen nicht.
Gleich im Anfang ihrer Ehe hatte Frau Mona ihm das Ungebührliche dieser Lüderlichkeit vorgehalten. Aber er hatte sich nichts sagen lassen wollen. Ihm selbst erschien nämlich die Façon besonders grandseigneurmäßig.
»Du machst deine Umgebung zu Verbrechern,« sagte sie.
Aber er lachte sie aus.
Und wie um sie zu necken, leerte er nun auch ständig seine Taschen und warf das Geld neben sich auf den Tisch, wenn er sich zum Lesen oder Schreiben hinsetzte, oder sich zum Mittagsschlaf hinlegte ... Und vergaß es dann, wenn er das Zimmer verließ ...
Da kam ihr eines Tages der Gedanke, zu versuchen, ob er wirklich nichts merke, wenn etwas von dem Gelde verschwände, und sie begann, so oft sich die Gelegenheit bot, hier ein Kronenstück und da ein Kronenstück zu nehmen. Anfangs hatte sie die Absicht gehabt, ihm alles wiederzugeben, wenn sie eine größere Summe gesammelt hatte, nur um ihm zu zeigen, welcher Versuchung er die Leute im Hause durch seine Tollheit aussetze. Aber allmählich in dem Maße wie der Betrag, den sie sich aneignete, immer größer wurde, während gleichzeitig ihre Sehnsucht nach dem früheren freien und ungebundenen Leben immer wuchs und wuchs, beschloß sie, dieses Geld zum eigenen Bedarf aufzuheben ... um sich damit zu »befreien«, sagte sie. Sie faßte keinen festen Entschluß, wann die Befreiung stattfinden solle, auch nicht darüber, wie groß die Summe sein müsse, ehe ihr Plan ausgeführt wurde; sie stahl und stahl und sammelte und sammelte nur. Das wurde für sie eine Art Sport. Und sie begnügte sich nicht mehr mit den zufälligen kleinen Summen, die sie so im Laufe des Tages in die Hände bekommen konnte. Sie beraubte nachts heimlich die Taschen ihres Mannes. Und als er einmal gegen seine Gewohnheit sein Schreibtischfach abgeschlossen hatte, probierte sie, während er im Felde war, alle ihre Schlüssel an dem Schloß, bis sie einen passenden fand.
Und sie wurde immer eifriger in ihrer Sammelmanie, so daß zuletzt die Spannung bei diesen Diebstählen ihr beinahe »Sensation« genug war. Nur in einzelnen unbeschäftigten Augenblicken konnte sie noch in vage Träumereien von der »Freiheit« versinken, die sie einmal mit Hilfe dieses – Spargeldes – genießen wollte. Ihr Gewissen beschwichtigte sie schnell. Sie hatte ihn gewarnt. Und da er nicht auf ihre Warnung hören wollte, war sie doch wenigstens die Nächste, um davon zu profitieren.
Eleve Jacobsen kam erst gegen elf Uhr mit den Kleidern des Gutsbesitzers nach Hvidgaard, Niels Uldahl zeigte sich also erst, als das Gong zum Frühstück rief.
Frau Mona ging ihm lächelnd entgegen und hieß, ihn willkommen; und er verbeugte sich kavaliermäßig und küßte ihr die Hand.
Aber der Hofjägermeister kluckerte vor Lachen:
»Wie hast du geschlafen, Onkel?«
Niels flackernde Pupillen zogen sich zornig zusammen. Aber in der nächsten Sekunde hatte er seinen Entschluß gefaßt und antwortete lachend:
»Wie ein Stein, mein Junge!«
Und, indem er sich wieder zu Mona wandte, sagte er:
»Ja, gnädige Frau, entschuldigen Sie mein reglementswidriges Erscheinen heute nacht.«
Der Hofjägermeister kluckerte lauter.
»Wo kamst du eigentlich her, Onkel?«
»Ja, das weiß ich offen gestanden nicht, lieber Palle! ... Ich begann Donnerstag abend drüben bei Heine auf Mattrup. Und dann am Freitag ritten er und ich nach Sölund zu Mackeprang ... und am Sonnabend fuhren wir alle drei nach Hareskov zu Fröhlich und ... ja dann weiß ich, Schwerenot, nichts mehr!«
»Ihr seid, meiner Seel' ein paar Kraftkerle,« lachte Palle. »Aber warum, zum Teufel, kamet ihr nicht auch nach Hvidgaard zu mir?«
Niels Uldahl starrte hypnotisch vor sich hin.
»Ich glaube auch, wir waren auf dem Wege,« sagte er – »Aber dann verlor ich die anderen ...«
»Ja, ihr Männer lebt doch!« ertönte es mit einem Seufzer von Frau Mona.
»Tante Line meinte am Telephon, du seiest nach Kragholm geritten?« fragte der Hofjägermeister.
Niels Augen blickten wieder zornig.
»Das war ich auch ... ich wollte hinüber, um Karen zu verbieten, ihren Hof dem Bauernlümmel Jeppe Henriksen zu verkaufen.«
»Ja aber der Handel ist doch perfekt geworden, Onkel!«
»Das weiß ich wohl! Aber ich sagte ihr, daß sie den Kauf wieder rückgängig machen müsse ... Ich bin doch wohl das Oberhaupt der Familie und habe den Namen zu schützen!«
Der Hofjägermeister brach in ein Gelächter aus:
»Und Karen gehorchte wohl?«
»Nein, Schwerenot, das tat sie nicht! Sie ersuchte mich, vor meiner Tür zu kehren ... Und da schalt ich ihr den Buckel voll und ritt nach Mattrup.«
»Weshalb willst du dich auch in diese Dinge mischen, Onkel?« fragte Mona.
Niels schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Weil ich nicht will, daß das Bauerngesindel hier herumrennt und auf unseren Gütern den Herrn spielt!«
»Ach, ach, Onkelchen,« lachte Palle, »den Weg gehen doch alle unsere Höfe einmal! ... Und darauf müßtest du übrigens stolz sein,« fügte er neckend hinzu. »Du der du Bauernfreund bist!«
»Hol's der Teufel, fällt mir nicht ein!«
»Ja, sie sind es doch aber, die dich in den Reichstag gewählt haben! ... Und du schmiertest ihnen doch auch seiner Zeit dick Honig um den Mund!«
»... Da ich sie als Stimmvieh brauchte, ja! Aber jetzt sind sie mir zu hochnäsig geworden. ... Ich habe auch mein Mandat niedergelegt. Der Teufel besorge noch länger die Geschäfte dieser Kanaillen!«
»Sie können sich auch allein helfen ... leider!« sagte Palle und seufzte dazu. »Du hast also dein Mandat niedergelegt, Onkel? Aber was wird dann aus der Ministerwürde?«
»Zeitungsquatsch,« schimpfte Niels. »Und glaubst du, daß ich mich jetzt drin in Kopenhagen zeigen möchte wo man mich unter Vormundschaft gestellt hat!«
Der Hofjägermeister war im Begriff zu fragen wo das Vermögen des Onkels eigentlich geblieben wäre und ob die Geschichte von der königlichen Hoheit wahr sei ... Aber er nahm sich noch zusammen und schwieg.
Es entstand jetzt eine etwas peinliche Pause, bis Frau Mona fragte:
»Hast du nicht Lust, Onkel, nach dem Frühstück Palle und mich drüben in der Reitbahn üben zu sehen? Glaube nur, wir sind tüchtig geworden!« »Gewiß,« sagte Niels; und seine Augen glitzerten bei dem Gedanken.
Worauf man weiter über Pferde und Pferdedressur plauderte ...
»Willst du nicht selbst ein bißchen herumreiten?« fragte Frau Mona, als sie in der Manege stand.
»Nein, danke, mein Kind, ich habe vorläufig genug geritten!«
»Ja, dann komm, Pallemann, damit wir uns umziehen können.« Und sie schob ihren Arm unter den des Hofjägermeisters und zog mit ihm los ...
Niels Uldahl war nun in dem großen weißgestrichenen Raum allein zurückgelassen. Der Tagesschimmer fiel, von den Baumkronen draußen grünlich gedampft, durch die Glasscheiben des Daches. Aus dem offenstehenden Stalltor hörte man das Stampfen und Prusten der Pferde, und aus den Ankleidezimmern im Giebel erklang das muntere Gelächter des Hofjägermeisters und Monas.
Aber Niels erfaßte nichts von alledem. Jetzt, da er ohne Publikum war, überfiel ihn plötzlich die Müdigkeit nach den anstrengenden Strapazen der vielen Tage und Nächte. Er schwankte zu einem Stuhl, der in der Ecke stand, sank auf ihm nieder, stöhnte ein paarmal schwer und schlief mit laut dröhnendem Schnarchen ein ... und träumte einen seiner gewöhnlichen Träume:
... Im Zimmer vor seinem Bett wimmelte es von Weibern. Sie tanzten und wanden und drehten sich um ihn und ihre weißen Glieder leuchteten wie im Schimmer eines unsichtbaren Feuers ...
»Nimm uns in deine Arme, Niels Uldahl!« baten sie.
»Nein,« sagte er, »ich bin müde und alt! Ich muß schlafen!«
Und sie lachten höhnisch auf und verschwanden ...
Aber bald darauf sah er sie wieder aus allen Halbdunkeln Winkeln des Raumes herausströmen. Und sie schleppten diesmal große schwere Balken herbei, die sie unter Lachen und Plaudern kreuzweise über sein Bett legten. Sie arbeiteten und schleppten, und ihre Körper krümmten sich in bösartigem Eifer, während sie eine kippelnde und wackelnde Pyramide von Balken über ihm aufstapelten, höher und höher bis unter die gewölbte Decke der Turmstube ...
»Nimm uns in deine Arme, Niels Uldahl!«
»Nein,« sagte er.
Da lachten sie von neuem wild und drohend:
»Er taugt nichts mehr!« sagten sie. »Laßt ihn sterben!«
Und plötzlich sah er Minka vom Moor sich von den andern loslösen und durch das Zimmer laufen. Und mit ihren beiden weißen Händchen stieß sie an den untersten Balken, den, der das ganze Gebäude trug ... und im selben Augenblick stürzte die Pyramide in einem krachenden und polternden Chaos über ihm zusammen ...
Und da erwachte er, geweckt vom Ton seines eigenen Schnarchens.
»Du hast wohl ein Nickerchen gemacht, Onkel!«
Niels Uldahl erhob sich verwirrt. »Ja ... aber jetzt bin ich wieder völlig munter!« lächelte er galant und verneigte sich vor Frau Mona, die vor ihm stand mit der Schleppe ihres Reitkleides über dem Arm und im Begriff, ihre Handschuhe zuzuknöpfen.
»Ich werde gleich ...!« fuhr er fort und ergriff eifrig ihre Hand, um ihr zu helfen. »Wie prachtvoll sehen Sie doch aus!« sagte er und seine Augen leuchteten, »Palle kann freilich froh sein!«
»Das bin ich auch!« nickte der Hofjägermeister. Er stand mit gespreizten Beinen mitten in der Manege in seinen hohen Lackstiefeln und mit der Reitpeitsche unter dem Arm. Die strammanliegenden Lederhosen zeigten schamlos seine kräftigen Beine und noch etwas mehr.
»Natürlich freue ich mich über die Dame!« sagte er.
»Uff, ihr Männer,« lachte Frau Mona und gab Niels einen koketten Klaps auf die eine Wange.
Das Mädel in ihr begann zu erwachen, jetzt, da sie im Begriff war, »aufzutreten«.
»Wissen Sie noch, Onkel, den ersten Abend, als Sie mich sahen?« fragte sie, »an dem Abend, als sämtliche Uldahls auf den Zirkusbänken herumsaßen und gegeneinander die Zähne fletschten?«
»Ob ich es weiß,« erwiderte er ihr Lachen, »großartig! Großartig sahen Sie aus ...! Mona Lisa ...!« sagte er dann und seine Augen verschlangen sie. »Und als Sie sich hintenüber aufs Pferd warfen und schrieen und über der Barriere verschwanden ... Prachtvoll! ... Wir waren nachher allemiteinander rein toll. Ich hätte gern zehntausend Kronen für Sie gegeben in dieser Nacht!«
Sie schlug ihm wieder auf die Wange:
»Aber jetzt bin ich wohl im Preise gesunken?«
»Nein, gestiegen! Gestiegen! sind Sie; wie die edle Traube.«
»Da sind die Pferde!« meldete der Hofjägermeister trocken. Er hatte im Bewußtsein seines Sultanrechtes lächelnd gestanden und Niels betrachtet, dessen Alter und Müdigkeit völlig verschwunden schienen, und der auf seinen etwas steifen Beinen trippelnd um Frau Mona herumvoltigiert war, einem brünstigen Hahn gleich, lächerlich bis ins Mark ...
Mona ließ die Schleppe vom Arm gleiten: »Jetzt gilt es!« sagte sie und wurde mit einem Male ernsthaft.
»Henrik, hilf mir!«
Der Reitknecht beugte sich und streckte eine Hand aus. Und sie stellte ihren Fuß darauf und schwang sich in den Sattel.
»Schulritt!« sagte sie und ließ die Reitpeitsche liebkosend an Castors Halse entlang gleiten.
»Well Mylady!« verneigte sich Palle, der neulich zum vierten Male »Die drei Musketiere« gelesen hatte.
Und die Vorstellung begann ...
Die Pferde tanzten und wichen einander aus, eins nach rechts und eins nach links, rundum, rundum, in den zierlichsten Walzerschritten. Mona trillerte den Takt dazu in Ermangelung der Musik. Sie hantierte die Zügel wie ein Meister der Mandoline seine Saiten. Der leiseste Druck ihrer Finger »gab Widerhall« in dem Tier unter ihr. Und so fein empfindlich war Castor durch ihre Dressur geworden, daß es aussah, als gehorche er nur seiner eigenen graziösen Laune, wenn er, seinen schweren Körper rhythmisch wiegend, gleichsam spielend über den Belag der Manege hinglitt. Der Hofjägermeister und sein Pollux folgten klobig hinterher. Zuletzt zogen sie sich völlig vom Spiel zurück und Palle ritt neben Niels Uldahl.
»Sieh, sieh!« flüsterte er entzückt. »Ist sie nicht pompös!«
Mona hatte die Augen geschlossen, und ein wollüstiges, Lächeln lag um ihren Mund, während sie langsam und wie im Traum ihren Körper hin und her wiegen ließ, im Takt mit den Bewegungen des Pferdes.
Aber plötzlich stieß sie ihr Kampfgeschrei vom Zirkus, ihr schmetterndes: Häi, hopla! aus und im selben Augenblick sauste die Peitsche auf und ab, auf und ab, quer über die Brust des Tieres.
Castor schien erst gleichsam zu stutzen; dann schüttelte er protestierend den Kopf, bäumte sich, prustete, biß in den Zaum, stürzte darauf mit einem Sprung vorwärts und fuhr in wildem und wahnsinnigem Carriere in der Manege herum. Es sah aus, als habe die Reiterin die Herrschaft über ihr Pferd verloren.
»Mona! Mona!« schrie der Hofjägermeister in Angst. Auch Niels Uldahl schrie, aber unartikuliert und ohne selbst etwas davon zu wissen.
Und der Reitknecht sprang herzu, wie um das rasende Tier zu packen ...
Aber Frau Mona winkte abwehrend mit der Hand und ließ wieder die Peitschenschläge über Castors Hals herabsausen.
»Häi, hopla! Hä – i hopla! Hä – i hopla! Hä – i – i – i!« rief sie und warf sich in Extase hintenüber auf das Kreuz des Pferdes ... Der Hut glitt ihr vom Kopf, ihr Haar löste sich, die Peitsche warf sie fort:
»Hä-i, hopla, Castor! Hä-i! Hä–i hä-i!«
... Sie glaubte sich in einem menschenerfüllten Zirkus ...
Das Orchester schwieg, und sie hörte das erwartungsvolle Stöhnen des Publikums, jetzt, wo sie ihren berühmten Trick ausführen sollte, den Trick, dem sie es zu verdanken hatte, daß Mona-Lisas Name mit zollhohen Buchstaben auf den Plakatsäulen ganz Europas geleuchtet hatte.
»Hä-i, hopla!« jubelte sie und griff fester in die Zügel, um dem Pferde den letzten stolzen Sprung über die Barriere durch das Tor und in den Stall zu erleichtern.. während der Beifall hinter ihr her knistern würde, wie das Rasen eines Hagelwetters gegen die Scheiben eines Glasdachs ...
Aber im nächsten Augenblick lag sie auf dem Belag der Manege, das Hirn an einem der Pfosten des Stalltors zerschmettert.
Blind und sinnlos von dem wilden Lauf, von den Schlägen und Schreien, war Castor über Frau Monas Hut gestolpert und hatte sie aus dem Sattel und gegen den Rand des Pfostens geschleudert.
So befreite der Tod Mona Lisa, das Weib mit den starken Sinnen und dem friedlosen Herzen.