Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Warberg war derjenige von beiden, der zuerst wieder zur Besinnung kam und das Verhältnis mit nüchternen Blicken betrachtete.

Binse dagegen sah nichts oder wollte nichts sehen. Ihre Liebe oder richtiger Leidenschaftlichkeit wuchs. Sie konnte zuweilen Gunnar an sich pressen, daß er vor Schmerz schrie! Und er empfand Widerwillen vor ihr, entsetzte sich vor ihr, erblickte in ihr einen Moloch der Liebe!

Sie lauerte ihm auf Schritt und Tritt auf, um ihn zu begleiten, wohin er auch ging. Es war ihr durch List gelungen, die verschiedenen Zeiten auszukundschaften, zu denen er die Schule verließ, und sie tauchte dann auf, wenn er es am wenigsten erwartete und wünschte. Wenn er daheim in seinem Zimmer mitten in der Arbeit saß, klopfte es an die Tür, und sie hüpfte hinein und warf sich ihm um den Hals und tat beleidigt, wenn er nicht schäkern wollte.

Gunnar wurde müde und nervös und »böse« von all diesem Überlaufen. Und eines Tages ergriff er sie beim Arm, warf sie aus dem Zimmer hinaus und verschloß die Tür.

Das war der erste Bruch zwischen ihnen.

Und es vergingen drei Wochen, in denen sie einander nicht sahen. In den ersten acht Tagen empfand Warberg die Trennung als eine Erleichterung, als einen Frieden, eine Sicherheit, eine Ruhe.

Aber bald begann die Entbehrung.

Wenn er abends auf der »Chaiselongue« hinter dem Klavier lag, ertappte er sich auf dem Wunsch, daß sie dreimal kurz an die Türe pochen und eintreten und ihm vorspielen möge wie früher. Nur spielen und dann wieder gehen. Aber wenn er dann die Augen schloß und sich zusammenkauerte, mit den Füßen unter dem Kinn, dann fühlte er ihre brennenden Küsse auf seinem Gesicht, seinem Haar und seinem Halse. Und er wand und krümmte sich vor Sehnsucht danach, in ihren Armen zu ruhen.

Er verhöhnte sich selbst, knirschte mit den Zähnen und tobte, nannte sich einen Lumpen und einen Wicht. Aber am Ende der dritten Woche setzte er sich an seinen Schreibtisch und »empfing« folgendes Poem, das er in ein Kuvert steckte, mit einer Freimarke versah und ihr durch das geduldige Postwesen zustellte:

Du lagst ermüdet auf weinblauen Kissen,
der Arm die Stirn bedeckte,
Deine Hand war
vergraben tief im dunklen Strom des Haars.

Ohne Hülle,
blendendweiß lagst du!
Und schienst zu schlafen:

Deine dunklen Wimpern
hüllen in Schatten tief der Lider Rand.
Des Busens Woge ruhig sinkt und steigt ...

Im hohen Glase eine Rose stand
dort auf dem schwachen Brett der Etagere
und füllt' die Luft mit ihres Atems Schwüle,
nur eine rote, vollersprungene Rose.

Sie nahm ich:
Blatt für Blatt entriß ich seinem Sitze
und streute sie mit hocherhobenen Händen
langsam,
einzeln,
nieder auf deiner Schultern weiche Rundung.
Ich bog das Knie in Andacht stumm vor dir.
Den Raum erfüllte eine Tempelstille,
die jeden Laut des Lebenslärms bezwang ...

Mit raschen Schnitten nur auf der Konsole
die Uhr verteilt den Faden jäh der Zeit.

O Sulamith, wie krank ich bin vor Sehnen!

Und sie antwortete:

»Jedes Wort von Dir ist Leben für mich!

Ach, ich litt entsetzlich! – Nun weiß ich, was Frauenangst bedeutet.

Aber jetzt – jetzt lebe ich wieder! Wie schön wird es werden, wenn wir uns wiedersehen! Wie will ich wieder Dein sein – ganz mit jedem Gedanken gefesselt an unsere wunderbare Liebe, wie werde ich Dich ansehen! Mein Auge wird Deine Seele einfangen zu dem seligsten Glück, und meine Lippen sollen Dich heiß küssen, bis wir vergehen. Meine Arme werden sich um Deinen Hals schlingen und Dich zerdrücken, Dich an meine Brust zwingen, daß Du Deine Augen schließest. – Ich lebe wieder mit Dir, für Dich – und Du sollst es fühlen – Du sollst es in Deine innerste Seele hinein fühlen, daß ein Weib Dich liebt – nein, daß ich Dich liebe! Jeder Deiner Gedanken und Deiner Sinne soll erbeben vor bangem Glück – und nie, nie sollst Du ein anderes Weib in Deine Nähe wünschen, stets sollst Du mich in Deiner leisesten Begierde fühlen – ich bin der Gott, dem Du die Macht gegeben hast – selbst eine Gefangene, werde ich Dich in meinen Armen gefesselt halten; sie sind nicht wogend, nicht weichend, nicht lockend: sie sind Deine feste, ruhige, sichere Heimstätte, die nur Platz hat für Dein liebendes Haupt. Und findest Du einmal eine bessere Stätte, zu der Du flüchten kannst – dann werden meine offenen Arme ein Wirtshaus, allen zu Gebote stehend, ewig verspottet von mir, daß sie nicht vermochten, Dich zu binden – – – den einzigen, den ich geliebt habe! Fernanda«

So schrieb sie, vormittag hatte Gunnar den Brief erhalten, und schon an demselben Abend klopfte es an die Tür, und sie stand da in all ihrem Glanz.

Aber im Laufe des Abends vertraute sie ihm zerknirscht an, daß sie sich »aus Verzweiflung und Trotz« einem anderen Manne hingegeben hatte – »nur einmal« ... Aber jetzt gehörte sie wieder Gunnar, wie sie ihm stets gehört hatte! Das andere war nur aus Entsetzen vor dem leeren Raum geschehen – horror vacuii! Warberg war in ein kicherndes Gelächter ausgebrochen, das er nur ersticken konnte, indem er seine Lippen in Binses weißes Fleisch bohrte!

Und da hatte der kleine grinsende Teufel in seiner innersten Seelenkammer zum ersten Male den Kopf herausgestreckt, die Achseln emporgezogen, das rechte Auge zugekniffen und genickt.

 


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