Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Na, Warberg hatte also Hein versprochen, in die Villa zu kommen und den »ganzen Tag« bei ihm zu verbringen. Das heißt vom Frühstück um zwölf Uhr bis zum Abend um zehn–elf Uhr.

Seit seinem letzten Besuch draußen waren ein und ein halbes Jahr verstrichen; infolgedessen war er wohl etwas nervös, aber doch auch von einer gewissen Neugierde beseelt, zu sehen, wie die Situation sich in diesem Zeitraum entwickelt hatte.

Als er am Sonntagmorgen seinen selbstbereiteten Kaffee getrunken und seine »Politik« gelesen hatte, setzte er sich an den Schreibtisch, um zu arbeiten. Aber es wollte heute gar nicht gehen.

Da fiel es ihm plötzlich ein, daß er ja ausgehen und Tage Banner besuchen könne, ehe er zu Heins ging. Tages Verlobung hatte es natürlich bewirkt, daß er und Gunnar bei weitem nicht mehr sooft zusammenkamen wie früher. Gunnar hatte Tages Braut eines Abends bei dem Freunde getroffen und sich ein Urteil über sie gebildet. Sie war ein kleines mageres Mädel mit kalten braunen Augen in einem harten, ganz hübschen Gesicht. Er konnte den Typus nicht leiden. Und dann hatte Banner sie noch dazu als seine »Traute« vorgestellt und sie hatte ihn im Verlaufe des Gespräches als ihren »Trautesten« tituliert. Dies hatte hingereicht, um Warberg begreiflich zu machen, daß auch in dieser Gemeinschaft das Weib die Oberhand hatte; denn nie wäre es dem gesunden natürlichen Tage eingefallen, aus eigenem Antrieb diese scheußlichen, affektierten und tantenhaften Bezeichnungen auszutüfteln. Dazu gehörte ein Frauenzimmergehirn. Warberg hatte nicht an sich halten können, sondern eine Bemerkung fallen lassen, daß es in Tages hellen Räumen jetzt sehr »traut« geworden wäre. Tage hatte verlegen gelächelt und war errötet, aber Pernille, oder wie sie hieß, hatte einen ärgerlichen Ton ausgestoßen, gerade wie eine Schreipuppe, die man auf ihre empfindlichste Stelle drückt. Und bald darauf hatte man einen kühlen Abschied genommen.

 


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