Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Soldatenverkäufe.

Die Zeit nach dem 30jährigen Kriege war allgemein für uns eine Zeit des Verfalls. Die Fürsten machten hierin keine Ausnahme, sondern gingen mit bösem Beispiele voran. Es heißt nicht, heute gegen die Monarchie sprechen, wenn man üble und unwürdige Träger des monarchischen Gedankens von damals brandmarkt. Tatsächlich waren viele eine Schande ihres Standes. Und eine ihrer schändlichsten Handlungen war der Verkauf ihrer eigenen Landeskinder an fremde Herrscher. Nur das Eine kann man zum Glück sagen, daß diese Verkäufe auf einige wenige mitteldeutsche Staaten beschränkt waren, und daß Friedrich der Große nicht nur die Machenschaften der Engländer ablehnte, sondern auch seine eigenen Standesgenossen in derben Briefen zurechtwies. Die Engländer waren nämlich die Ursache alles Übels. Ihre Kolonien in Amerika fielen ab. Ihrer Übung gemäß, stets fremdes Blut für die Zwecke Großbritanniens zu vergießen, suchten sie deutsche Söldner gegen die Yankees (der Name stammt nach den jüngsten Forschungen nicht von einem verderbten Indianerworte für English, sondern von Janke, gleich Johannken, einem gutmütigen Spottnamen für die Holländer) anzufeuern. Dazu waren bereit Herzog Karl I. von Braunschweig, Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, Graf Wilhelm von Hessen-Nassau, Fürst Friedrich von Waldeck, Markgraf Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth und Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst. Versucht wurde das Geschäft auch von Herzog Karl Eugen von Württemberg, dem Kurfürsten Max Joseph von Bayern und verschiedenen kleineren Serenissimi Über die ganze betrübliche Angelegenheit hat der Deutschamerikaner Friedrich Kapp (dessen Sohn den Kapp-Putsch unternahm) ein eigenes Buch geschrieben. Mit gutem Humor hat nach dem Muster Kapps die Angelegenheit Eccardus (der kürzlich verstorbene Arzt Dr. Robert Hessen), Geschichte des niederen Volkes von Deutschland II, 642-656 behandelt., aber zu keinem Abschluß geführt. Insgesamt lieferten jene sechs Potentaten 29 875 Mann; nur 17 313 sahen die Heimat wieder. Das stärkste Kontingent stellte Hessen-Kassel, das schwächste Anhalt-Zerbst. Die Unkosten Englands beliefen sich auf sieben Millionen Pfund. Das waren nach dem Nennwert 140 Millionen Mark, tatsächlich jedoch eine Summe von vierfacher Kaufkraft.

Es fehlte nicht ganz an früheren Vorbildern für das Geschäft. Der Bischof von Münster vermietete 1665-1677 Truppen, die auf 6-8000 Mann zu veranschlagen sind, der Reihe nach an England, Frankreich, den Kaiser und Dänemark. Er unterstützte Ludwig XIV. bei seinem zweiten Raubzuge gegen Holland mit besonderem Eifer. Das war zum Schaden des Deutschen Reiches, das sich denn auch öffentlich mit den Generalstaaten verbündete; man konnte es aber rechtlich nicht Hochverrat nennen, da durch den Frieden von Münster und Osnabrück, sämtlichen deutschen Fürsten die volle Souveränität, also auch die Möglichkeit, sich nach Willkür mit irgendeinem fremden Herrscher zusammenzutun, zugestanden worden war. Der genannte Bischof trieb seine Leute aus ganz Deutschland zusammen und mußte dafür Werbegelder zahlen. Bald gerieten jedoch die kleinen Potentaten auf den schlauen Gedanken, daß man bessere Geschäfte mit Landeskindern machen könne; denn diese mußten sich stellen, und für sie war kein Werbegeld zu entrichten. So nahmen die Fürsten gewissermaßen den Handel in eigene Regie.

Die ersten Opfer solcher landesväterlichen Spekulation waren 3000 Soldaten, die 1635 Johann Georg III. von Kursachsen um 120 000 Taler an die Republik Venedig verschacherte. Bei den Feldzügen gegen die Türken, besonders auf der Morea, sind die meisten hiervon umgekommen, an der Pest und der roten Ruhr. Nur 761 sind in die Heimat zurückgekehrt! Gleichwohl verkaufte noch der Landgraf Karl I. von Hessen 1000 Mann für die gleichen Zwecke an Venedig 1687. Derselbe lieferte 9000 Hessen 1702 an Holland und England. Die meisten gingen an Marlborough. Es handelte sich um den spanischen Erbfolgekrieg. In ihm fochten deutsche Fürsten und Truppen auf beiden Seiten, Bayern und Kölner auf französischer, Brandenburg, Kurpfalz, Hessen und Braunschweig-Lüneburg auf reichsdeutscher.

Im April 1715 schloß der Habsburger Karl VI. ein Bündnis mit Venedig ab. Reichsgraf Johann Matthias von der Schulenburg befehligte in venezianischen Diensten in Dalmatien und auf den jonischen Inseln. Im Juni des Jahres erschien eine türkische Flotte von 200 Schiffen. Eine Seeschlacht führte zu keiner Entscheidung. Dem türkischen Kapudan (Admiral, wörtlich Kapitän) Dschanum Khodscha gelang es, 30 000 Mann auf Korfu zu landen. Korfu wurde beschossen. Schulenburg hielt die Stadt 42 Tage hindurch. Unverrichteter Sache mußten die Türken wieder abziehen.

Ein Verhängnis war es, daß in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts drei deutsche Fürsten auswärtige Königskronen trugen. Das führte ganz von selbst dazu, daß sie deutsche Truppen für auswärtigen Nutzen verwerteten. Es war nämlich der Kurfürst von Hannover zugleich König von England, August der Starke zugleich König von Polen, endlich Markgraf Friedrich I. von Hessen (1730-1751), der eine Schwester des tollkühnen Karl XII. geheiratet hatte, König von Schweden. Im Nordischen Kriege hatten viele Sachsen ihre Haut für Polen zu Markte zu tragen. Der Hesse, der sein Heer auf 34 000 Mann brachte, vermietete seine Landeskinder an zwei kriegführende Mächte zugleich: 6000 an die Engländer und 6000 an den deutschen Kaiser Karl Albert. Ein Bruderkrieg auf Bestellung! Einer seiner Nachfolger, Landgraf Friedrich II. (1760-1784) war ohnehin schon einer der reichsten Männer in Europa; aber auch er verschmähte den Handel mit Soldaten nicht. Er hielt deren immer 16 000 vorrätig, um sie jederzeit an den Meistbietenden losschlagen zu können. Man rühmte ihm nüchternen Blick und geschäftsmäßigen Ordnungssinn nach: Er hinterließ denn auch ein bares Vermögen von 60 Millionen Talern. Wenn Eltern, denen er ihre Söhne weggenommen, sich beklagten, so dann kam der Vater in eine Eisenhütte, die Mutter ins Zuchthaus. Den zwanzigsten Teil seiner Bevölkerung verhandelte er nach Amerika. Manche der damaligen Potentaten ließen sich die Gefallenen eigens vergüten; nicht so der Landgraf. Er führte in der Präsenzliste Männer weiter, die längst gefallen waren: so machte er einen noch größeren Profit. Den Landtagen wurden die Geschäfte dadurch schmackhaft gemacht – die heutigen Revolutionsstümper machen es auch nicht besser –, daß man vorgab, die vorhandenen Schulden nun bequem abtragen zu können. Wie aber waren die Schulden entstanden? Durch unsinnige Verschwendung, durch das Aushalten italienischer Sänger, französischer Komödianten und ausländischer Maitressen. Die prunkvollen Bauten waren noch das geringste Übel. Empören muß es aber, wenn man immer wieder hört, daß deutsche Schauspieler jämmerlich, fremde aber glänzend bezahlt wurden. Übrigens verringerten sich die Abgaben durch den Soldatenhandel keineswegs. Es war auch kein Heilmittel, daß Witwen, denen in Amerika der Mann erschossen worden, nicht mehr zur Erhaltung der Armee beizusteuern brauchten.

Wir haben aus der Zeit einen Bericht des englischen Oberst Faucitt, der den Fleischhandel in Braunschweig, Kassel und Arolsen abzuschließen hatte. Sein Lob kann uns nur erbittern. Er schreibt 1776: Die mit guten Büchsen bewaffneten Jäger sind kräftige, schöne Leute und von Jugend an gelernte Schützen. Das Grenadierbataillon Linsingen ist ein prachtvolles Korps, ein herrlicher Menschenschlag; die Mannschaften stehen sämtlich noch in der ersten Jugend und besten Kraft. Die Regimenter Gardedukorps sind gleichfalls ausgezeichnet. Alle Regimenter sind ungewöhnlich schön, ihre Disziplin vorzüglich. Sie handhaben ihre Waffen vortrefflich, exerzieren so regelmäßig, daß kaum eine Uhr besser gehen kann, marschieren und schwenken sehr gut. Ihre Uniformen sind neu und rein. Ebenso ist der Oberst Rainsford begeistert: »Es sind schöne, prächtige Kerle, jung und gut gebaut, kurz ein herrliches Korps.« Anderthalb Jahre darauf ebbt jedoch die Flut des Rühmens ab. Derselbe Rainsford jammert: Ich erinnere mich nicht, je in meinem Leben einen solchen Haufen schlecht aussehender Kerle beisammen getroffen zu haben. Offenbar war die Heimat aus ihrer Gleichgültigkeit erwacht und wollte für den schmutzigen Handel nicht mehr so gute Waren abgeben, wie zu Anfang. Ein neuer Hesse, Wilhelm, Freund Rotschilds, gestorben 1821, war nicht minder kaufmännisch veranlagt. Waldeck verhökerte seine Landeskinder nach Holland, das sie für Java und andere Kolonien brauchte. Die zwei Waldeckschen Regimenter, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hindurch in Holland standen, mußten bei einer Bevölkerung von nur 30 000 Seelen stark ins Gewicht fallen. Doch was machte das dem Fürsten Friedrich (1763-1812)? Bezog er doch den Gehalt eines holländischen Generals und dazu das Geld für jene zwei Regimenter. Trotzdem war er so hoffnungslos verschuldet, daß er den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als letzte Rettung begrüßte. Er versicherte dem König von England, er brenne vor Verlangen, sich für seine Majestät zu opfern, und erklärte sich bereit, seinem Völkchen noch ein drittes Regiment abzupressen. Die waldeckschen Priester mußten von den Kanzeln herab zur Gestellung an dieses Regiment, das die Yankees bekämpfen sollte, auffordern. Einer zitierte dabei in beschönigender Absicht den 44. Psalm: Du verkaufest dein Volk umsonst und nimmst nichts darum. Herzog Karl I. von Braunschweig war einer der leichtsinnigsten Fürsten seiner Zeit, die an solchen keinen Mangel litt. Er hatte große Schulden, 12 Millionen Taler. Er zahlte seinem italienischen Theaterdirektor Nikolini 30 000 Taler jährlich und Lessing, dem damals berühmtesten Dichter und Literaten von Deutschland, dem Dramaturgen und Bibliothekar von Wolfenbüttel, 300. Seine Emilia Galotti wurde zwar in Braunschweig selbst, wo sie zum ersten Male aufgeführt wurde (1773), mit sauersüßer Miene gutgeheißen, jedoch nie verziehen; in Gotha wurde sie verboten. Es war ein Verdammungsurteil für die Serenissimi. Auch Goethe erkannte »die ungeheuere politische Bedeutung« des Werkes. Im nächsten Jahrzehnt erschien »Kabale und Liebe«. Lady Milford ist vielleicht Lady Credy, die Geliebte des Fürsten Ansbach-Bayreuth. Schiller war einige Zeit in der Nähe von Bayreuth, auf dem Landgut der Frau von Wolzogen. Auch hier, in Ansbach, musterte Faucitt, der »wie ein Engel vom Himmel« kam, nämlich für die fürstlichen Schulden, deutsche Söldner an. Markgraf Karl Alexander von Bayreuth wollte Forstbedientensöhne nebst deren Lehrjungen den Engländern zur Verfügung stellen. Es kam zu ärgerlichen Auftritten, die Schiller in Kabale und Liebe ausgemünzt hat. Der Hofjägermeister, der nicht auf einen Schlag sein ganzes Personal verlieren wollte, tat Einspruch. Man muß sich füglich wundern, daß nicht auch des Ansbachers Anverwandter, Friedrich der Große, der sich doch sonst sehr kühnlich einmischte und einen großen Brief an den Mann seiner Nichte, Karl Eugen von Württemberg schrieb, hier nichts zu erinnern fand. Übrigens meuterten die Ansbacher Truppen, die nach Amerika sollten, bei Ochsenfurt, freilich nicht wegen des ganzen schimpflichen Handels, sondern weil sie auf Mainschiffen schlecht untergebracht, gleich Heringen verpackt wurden. Schließlich ist doch die Abteilung den Main und Rhein hinunter nach Holland gekommen. Der sorgliche Landesvater erhielt einen Wechsel auf 39 000 Pfund. Karl Eugen hätte ähnliche Geschäfte gemacht, doch hinderte ihn die Verfassung von Württemberg. Er brach sie jedoch kurzweg und riß die jungen Männer aus den Betten, aus der Kirche, um sie zur Wache zu pressen. Seit 1752 erhielt er von Frankreich jährlich an Subsidien 345 000 Livres und verpflichtete sich dafür, 6000 Mann bereitzuhalten, die er aber gar nicht stellen konnte. Nun brach der Siebenjährige Krieg aus. Da wurde er an seine Verpflichtung erinnert und griff in seiner Not zum Verfassungsbruch. Die Württemberger aber ließen sich das nicht gefallen, sondern stürmten das Pulvermagazin von Stuttgart und zündeten es an. 2000 der ausgehobenen Mannschaften rissen aus und stellten sich Friedrich dem Großen zur Verfügung. Danach wurden jedoch andere ausgehoben und der Reichsarmee einverleibt; sie nahmen teil an der schmählichen Niederlage von Roßbach. Auch die Wittelsbacher waren nicht abgeneigt, für England Krieger nach Amerika zu liefern. Das bayerische Militär aber war damals so verkommen, daß die Briten dankten. Dagegen betrieb der Bruder Katharinas II., Friedrich August von Anhalt-Zerbst, einen blühenden Soldatenhandel. Er unterhielt in Deutschland Werbeplätze. Er selbst regierte sein Fürstentum von Basel und von Luxemburg aus; nach Anhalt selbst kam er nie. The poor Hessians, wie man sämtliche Mietlinge drüben benannte, einerlei wo sie herkamen, wurden von Washington und seinen Generälen, unter denen sich Steuben und Kalb befanden, aufgerieben. Glücklich, wer überlaufen und bei den Yankees als Soldat oder Bauer Unterschlupf finden konnte. Menschenalter hindurch hat jedoch die Erinnerung an die armen Hessen als verlotterte, minderwertige Menschen in Nordamerika nachgewirkt, und selbst heute noch werden sie von Deutschfeinden uns vorgehalten. Daß man auch in der Heimat den Vorgang keineswegs überall ruhig aufnahm, beweist die Empörung Schillers und beweist vor allem Friedrich der Große, den freilich die Engländer durch ihre Treulosigkeit 1762 zu heller Wut gereizt hatten: er verbot ein für allemal in seinen Landen Werbungen für Amerika, und er weigerte sich, durch eine Londoner Note dazu aufgefordert, anderen deutschen Kontingenten den Durchmarsch durch seine Lande zu gewähren. Es heißt, daß er durch diese Verzögerung den Sieg der Yankees verursacht oder zum mindesten erheblich dazu beigetragen habe. Daß dagegen die Gesinnungen des Preußenkönigs, Schillers und des schwäbischen Dichters Schubart, der wegen kränkender Bemerkungen in seiner »Chronik« von Karl Eugen jahrelang auf dem hohen Asperg eingeschlossen wurde, Die Chronik gab sehr früh in der deutschen Zeitungsliteratur, die kurz vor dem 39jährigen Krieg beginnt, das Beispiel zielbewußter Opposition. Schubart war ein heller, vielseitiger und auch ein weitblickender Kopf; so lobt er 1790, als Preußen – nach einem gescheiterten Vorgange Friedrichs d. Großen 1762 – ein Bündnis mit den Türken abschließen wollte und zwar gegen Österreich, ungemein die Türken. keineswegs allgemein verbreitet waren, das beweist ein so edler Mann wie Neidhart von Gneisenau, der damals ansbachischer Offizier war. Dieser bewarb sich nämlich geradezu darum, nach Amerika geschickt zu werden, und freute sich ganz naiv auf das Abenteuer.

Unter dem Dutch Cattle, das nach Kanada verschifft wurde, befand sich auch Johann Gottfried Seume. Von ihm stammt der Kanadier, der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte, und der Spaziergang von Syrakus. Er wollte sich von Leipzig nach Paris begeben, um dort Mathematik zu studieren, wurde aber von hessischen Werbern überfallen, nach der Festung Ziegenhain verschleppt, seiner Legitimationspapiere beraubt und in den bunten Rock gesteckt. Später machte er seinem Groll in folgenden Versen Luft:

»Trennung, Eigennutz und Knechtschaft haben
allen öffentlichen Sinn begraben,
daß der Deutsche nur in Horden lebt,
und daß dummheitstrunken diese Horden
um die Wette sich für Fremde morden,
daß die wildre Menschheit weint und bebt.«


 << zurück weiter >>