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Nikolaus Graf von Luckner. Studienprofessor I. Brunner, Sammler, Jan. 1922.

Es sind 200 Jahre, daß dem Gastwirt Samuel Luckner in Cham ein Söhnlein geboren wurde. Mit acht Jahren verlor der Kleine, der auf den Namen Nikolaus getauft worden war, den Vater. Die Mutter, die außer ihm noch für zwei Söhne zu sorgen hatte, schickte ihren Erstgeborenen in die Lateinschule in Cham, dann nach Straubing und hierauf nach Passau; denn er sollte ein Geistlicher oder ein Beamter werden. Aber die Schul- und Klosterluft behagte dem Studentlein nicht. Sein Sinn ging über die beengenden Räume hinaus in die Weite, und bedenkliche Streiche, die ihm die Bezeichnung Libertinus oder Wildfang eintrugen, waren für ihn Veranlassung, auch das Gymnasium zu Passau zu verlassen. Kurz entschlossen und ohne Einwilligung der Mutter warf er die Feder weg und griff, obwohl erst fünfzehnjährig, zum Schwert. Als Kadett im bayer. Infanterieregiment Morawitzky zog er 1737 mit gegen die Türken, kam 1739 als Fähnrich zurück, nahm im Österreichischen Erbfolgekriege teil an der Eroberung von Linz und Prag, sah das Kriegsglück des Kurfürsten und Kaisers Karl Albrecht sich wenden und kehrte als Leutnant aus Böhmen nach Hause. Seine Vaterstadt Cham fand er von den Panduren Trenks ausgeplündert und vollständig niedergebrannt, die Bewohner zum Teil versprengt oder getötet, die Zurückgebliebenen im größten Elend. Seine Mutter war nach Kötzting gezogen und dort gestorben. Da war seines Bleibens in der Heimat nicht, und er folgte sogleich der Werbung des ehemaligen Gerichtsdieners Michel Gschrey, als Leutnant in sein Freikorps einzutreten. Hier kam der junge Luckner in die richtige Schule, und hier fand sein Draufgängertum ausgiebige Nahrung und Befriedigung. Da galt es, List und Unerschrockenheit, raschen Entschluß mit Tatkraft zu vereinen, Rücksichtslosigkeit ohne Empfindlichkeit in die Tat umzusetzen. Als Gschrey bei der Erstürmung der Brücke in Donauwörth verwundet wurde, übernahm sofort Luckner die Führung und verhalf auch später dem Freikorps zu schönen Erfolgen. Nach dem Kriege kam er 1745 als Premierleutnant in das Ferrarysche Husarenregiment und 1746 in das Husarenregiment Frangipani, das nach Holland zum Kampfe gegen die Franzosen bestimmt war. Dort brachte er es zum Major und eroberte außerdem das Herz einer reichen Holländerin namens de Cypres (nach anderen hieß sie Jeannette von Rademacher aus Haag), die anscheinend in Holstein, das damals zu Dänemark gehörte, begütert war. Nach dem Friedensschluß im Jahre 1748 wurde Luckner als Major verabschiedet. Er zog sich auf sein holsteinisches Gut Blumendorf zurück und gab sich acht Jahre der friedlichen Beschäftigung eines Landwirts hin. Als nun 1756 der Siebenjährige Krieg ausbrach, litt es den unruhigen Geist nicht mehr länger zu Hause. Er ließ sich sein Dänenroß satteln und ritt an der Spitze eines Freikorps von 200 Husaren als Major in hannoverisch-englischen Diensten in den Krieg. Bald wurde es zum Regiment, sein Major zum Oberst erhoben.

Er machte die Hauptschlachten des Krieges mit, zeigte sich aber als der rechte Mann zur Ausführung kleiner hitziger Gefechte, verwegener Überfälle, kühner Streif- und Beutezüge. Er fing bei Warmholz einen Oberst mit 61 Dragonern, erbeutete bei Krefeld 60 Pferde, jagte die französische Besatzung aus Urdingen und führte ihre ganze Bagage weg, überfiel die Franzosen in Holzhausen und machte den Brigadier mit 168 Mann zu Gefangenen, überrumpelte die Stadt Fulda während eines Balles und hob die Besatzung von 1200 Mann auf, brachte durch einen kühnen Überfall den Grafen von Murat mit 5 Offizieren und 208 Mann in seine Gewalt, brandschatzte den Fürstabt von Fulda um die ungeheure Summe von 36 000 fl., hieb mit seinen Husaren in dem Gefechte von Ziegenhain fast das ganze Regiment Berching zusammen und nahm bei Dossel ein französisches Regiment gefangen; innerhalb sieben Tagen hatte er zehn Gefechte glücklich durchgeführt und den Franzosen ebensoviel Schaden als Verdruß zugefügt. Niemals gelang es ihnen, den flinken Husarenführer in ihre Hand zu bekommen; denn er war überall und nirgends. Der Siebenjährige Krieg war denn auch die an kriegerischen Erfolgen reichste Zeit Luckners. Man hatte seine Verdienste auch zu würdigen gewußt und ihm 1758 den Adelsbrief, 1761 das Generalleutnantspatent überreicht. Als aber der Siebenjährige Krieg beendet war, wurde sein Regiment aufgelöst und er auf halben Sold gesetzt. Voll Ingrimm über diese Behandlung zog er sich auf seine Güter in Holstein zurück und ließ sich noch im gleichen Jahre von Frankreich bestimmen, in seine Dienste zu treten, sobald man seiner bedürfte. Nun führte er lange Jahre das Leben eines Landjunkers, wurde 1778 in die dänische Ritterschaft aufgenommen und 1734 von König Christian in den Grafenstand erhoben.

Als im Jahre 1791 das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland sich sehr zuspitzte, stellte Frankreich zum Schutze seiner Grenzen drei Armeen auf; die eine sollte General Rochambeau, die andere General Lafayette, die dritte Luckner führen. So zeigte sich also das Schauspiel, daß ein deutscher General mit französischen Truppen gegen seine eigenen Landsleute kämpfte. Als dänischer Großgrundbesitzer, als der Gemahl einer Holländerin hatte er wohl längst sein Vaterland vergessen, wie ihm auch seine Heimat, die er im Jahre 1743 zum letzten Male gesehen hatte, ebenso aus dem Sinn gekommen war. Welches Vertrauen ihm Frankreich entgegenbrachte, welche Hoffnungen es auf ihn setzte, bezeugt die Tatsache, daß man ihn der höchsten militärischen Stufe Frankreichs für würdig erachtete. Am 28. Dezember 1791 überreichte ihm der Kriegsminister Narbonne im Namen des Königs den Marschallstab vor einer Front von 10 000 Mann Truppen. Man sah in ihm schon den Retter Frankreichs. Der Dichter Rouget de Lisle, der kurz vor Beginn des Weltkrieges vom Präsidenten von Frankreich hoch gefeiert wurde, widmete ihm im Mai 1792 die Marseillaise. Dieses Sturmlied der Revolution, das die Marseiller bei ihrem Einzuge in Paris zuerst gesungen hatten, dieser äußerst wirkungsvolle Schlachtgesang der Franzosen ist also zu Ehren eines Deutschen, eines Bürgerssohnes der oberpfälzischen Stadt Cham gedichtet und vertont worden. » Chant de guerre pour l'armée du Rhin dédié au maréchal Luckner.« So lautete ihr Titel.

Als im Jahre 1792 die Österreicher in Belgien standen und Frankreich bedrohten, legte Rochambeau sein Kommando nieder, und Lafayette zauderte, die Grenze zu überschreiten. Nur Luckner wagte es, mit ungeschulten Truppen vorzurücken, da man ihn der Unterstützung durch die Belgier versichert hatte. Er begann den Marsch am 8. Juni 1792 und kam am |2. Juni in Lille an, besetzte Menin und Ypern, und nahm am 18. Juni den Österreichern Courtray weg. Darüber herrschte in Paris, wo bereits alles drunter und drüber ging, Jubel und Zuversicht. Luckner aber blieb in der gewonnenen Stellung stehen und wartete auf die Erhebung der Belgier. Allein vergebens; erst im Weltkriege holten sie es desto gründlicher nach! Luckner schrieb nun an den Kriegsminister: »Seitdem ich sehe, daß die Belgier nicht für uns gestimmt sind, habe ich Tag und Nacht nachgedacht und nur ein Mittel gefunden, eine Frankreich bedrohende Gefahr zu vermeiden, und das ist: mein Heer auf Valenciennes zurückzuführen.« So gab er denn schweren Herzens am 29. Juni den Befehl zum Rückzug und stand nach drei Wochen wieder in den alten Stellungen. Dr. H. Pfeiffer. Der Feldzug Luckners in Belgien. Leipzig 1897. Aus dem kühnen Haudegen war ein bedächtiger alter Mann geworden.

Obwohl Luckner in Belgien enttäuscht hatte, wurde er zum Befehlshaber der Zentralarmee bei Metz und zum Generalissimus der französischen Heere ernannt. Hier verhielt er sich abwartend, als im August 1792 die deutschen Regimenter die französische Grenze überschritten. Nun traute man ihm in Paris auch politisch nicht mehr recht, hielt ihn für einen Gegner der Revolution und ersetzte ihn durch Kellermann. Luckner bekam die Aufgabe, in Chalons eine Reservearmee zu bilden. Um die Nationalversammlung zufrieden zu stellen, scheint er hier bedeutende Geldmittel aus seinem Vermögen für diese Armee geopfert zu haben; trotzdem gab man ihm am 19. Januar 1793, also zwei Tage vor der Hinrichtung des Königs, den ehrenvollen Abschied mit einer jährlichen Pension von 36 000 Livres. Er zog sich nach Straßburg zurück, wo er Hausbesitzer war, um den weiteren Gang der Ereignisse abzuwarten. Als man ihm aber weder seine Pension noch die vorgestreckten Summen ausbezahlte, begab er sich im Spätherbst 1793 nach Paris, um sein Recht zu suchen. Der Fanatiker Robespierre ließ ihn aber verhaften und als angeblichen Teilnehmer an der Verschwörung Capets am 4. Januar 1794 mit der Guillotine enthaupten.

Das ist der Lebensweg Luckners von der Wiege bis zum Schafott.

Als der schrecklichen Revolution wieder etwas vernünftigere Zeiten folgten, wurde vom Nationalkonvent das Todesurteil für ungerecht erklärt und das Vermögen Luckners an seinen ältesten Sohn Nikolaus Grafen von Luckner 1795 zurückerstattet, und in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde sein Bild für würdig erachtet, neben den Porträtgemälden der anderen berühmten Generale Frankreichs in der Nationalgalerie zu Versailles zu glänzen. Brunner ließ von dem Photographen Bardichon in Versailles ein Lichtbild anfertigen und es der Lebensbeschreibung Luckners in der von ihm herausgegebenen Geschichte der Stadt Cham S. 346 beigeben. Talent und Neigung zum öffentlichen Sprechen besaß Luckner nicht. Man sagte: »Es ist ihm leichter, eine Schlacht zu gewinnen, als eine Rede zu halten.« Das Französische lernte er nicht geläufig; dagegen verstand er es, sich sehr gut deutsch auszudrücken, wie seine vielen Briefe beweisen. Daß er auch eine poetische Ader besaß, bezeugt ein gutes Gedicht, das er am Ende seines Lebens im Kerker verfaßte. Er hat zwei Söhne und zwei Töchter hinterlassen. Von diesen vermählte sich die eine mit einem Freiherrn von Maltzahn, die andere mit einem Grafen von Moltke. Luckner war damit in die Reihen des dänischen und deutschen Hochadels eingetreten.

Als in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Schlossermeister Josef Luckner von Cham gelegentlich seiner Militärdienstzeit zur Gewehrfabrik in Spandau kommandiert war, ließ sich Feldmarschall Moltke seinen »Vetter aus Bayern« vorstellen und beehrte ihn dreimal mit einer Einladung.

1922 kam ein Urenkel des Marschalls Luckner, Graf Felix von Luckner, um Cham zu sehen und seine Verwandten kennen zu lernen. Er hat die Gesichtsbildung und die außerordentliche Widerstandskraft, aber auch den kühnen Wagemut seines Ahnen geerbt. Mit hinreißender Frische und Anschaulichkeit erzählte er von seiner tollkühnen, 64 000 Kilometer umfassenden Kaperfahrt, die er im Weltkriege mit einem notdürftig zum Hilfskreuzer ausgerüsteten Dreimaster unternommen hat. Die Abenteuer, die er und seine 64 Gefährten auf dieser gefährlichen Segelfahrt im Atlantischen und Großen Ozean bestanden, die Erfolge, die er durch Geistesgegenwart und Entschlossenheit dabei errungen hat, erzählt er in seinem Buche »Der Seeteufel«. Marschall Luckners Kampfgeist spricht da auf jeder Seite und sie hat sich bewährt zu Wasser wie zu Lande.


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