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Der ungarische Magnat Moritz August von Benjowsky hat »Begebenheiten und Reisen« geschrieben, die Ende des 18. Jahrhunderts eines der beliebtesten Unterhaltungsbücher wurden. In dem treuherzigen Stil und der romanhaften Aufmachung, wie im Überreichtum bunter Wechselfälle erinnert das Buch an Franz Urban Bawier. Nur sind gegen die Glaubwürdigkeit Benjowskys niemals Zweifel erhoben worden; im Gegenteil! es gibt unabhängige Aufzeichnungen, die den Bericht des Grafen bestätigen. Ich besitze die erste deutsche Übersetzung der Memoiren, die ursprünglich englisch geschrieben und »allzu wortreich« waren, von Dr. Ebeling, Hamburg, 1791.
Benjowsky half den Polen gegen die Russen, geriet mit den Türken in Fühlung, die damals noch die Festung Chotin an der Nordecke Beßarabiens und der Moldau besaßen, und wurde nach vielen Gefechten, in denen er sich Ruhm erwarb, von den Russen gefangen genommen. Man schleppte ihn durch das europäische Rußland und durch Sibirien nach Kamtschatka. Ein deutscher Wundarzt namens Hoffmann »von durchdringendem Verstande und einer liebenswürdigen edlen Gemütsart«, gab ihm den näher erläuterten Rat, über Japan zu entfliehen. Man gründete eine Verschwörergesellschaft der Verbannten. Im Sommer 1770 traf die Gesellschaft in Kamtschatka ein. Benjowsky ist bereits der anerkannte Führer. Die Beamten entdecken, daß der Ungar ein ausgezeichneter Schachspieler war und stellten ihn an, um gegen reiche Kaufleute Turniere zu bestreiten. Die Partie kostete 500 Rubel und eine Anzahl von Zobel- und Hermelinfellen. Ein Fünftel des Gewinnes floß dem Ungarn zu, der Rest den Beamten. Einmal allerdings, als er verlor, wollten sie ihn beinahe hinrichten. Die Tochter des Gouverneurs verliebte sich in Benjowsky. Die Familie war einverstanden, daß der Graf sie heirate, und stellte ihm eine glänzende Laufbahn in Aussicht, wozu bereits Schritte in Petersburg unternommen wurden. Infolge von allen möglichen Schwierigkeiten, Umtrieben, Attentaten, Eifersüchteleien und anderen Zwischenfällen kam es jedoch schließlich dazu, daß Benjowsky und seine Mitverschworenen die Zitadelle erstürmten und daß ihr Anführer in der Notwehr den Gouverneur erschlug, und die Korvette »Sankt Peter und Paul« von den Russen kaperte. Im Mai 1771 stach er in See. Die Tochter des Gouverneurs wollte nicht von ihm lassen und begleitete ihn, starb jedoch auf der Höhe von Makao. Der Ungar begab sich, unter fortwährenden, spannenden Abenteuern über die Aleuten und Japan, das damals noch streng den Fremden verschlossen war, nach der Ostküste Formosas, wo man ihm ein Königtum anbot, und Madagaskar. Am polenfreundlichen französischen Hofe freundlich aufgenommen, wollte er Ludwig XV. zur Kolonisation jener beiden großen Inseln bestimmen.
Als Häuptling der Aleuten tritt dem ungarischen Magnaten Iwan Ochotyn entgegen. Es ergibt sich, daß der Kapitän, der ihn weltmännisch aufnimmt, ein Deutscher war, und zwar ein Sachse, und in Wirklichkeit Leuchtenfels hieß. Er war Hauptmann im Smolenskischen Regimente unter der Kaiserin Elisabeth und hierauf Adjutant des Generals Apraxin. Auf Befehl der Kaiserin wurde der General verhaftet. Der Adjutant teilte sein Schicksal und wurde nach Sibirien verbannt. In Ochotsk erlaubte man ihm, auf ein Schiff zu gehen, um für die Regierung Seeottern zu fangen. Auf der dritten Seereise bemächtigte er sich des Schiffes in der Nähe der Aleutischen Inseln, nachdem er 50 Mann von dem Schiffsvolk auf seine Seite gebracht. Stehenden Fußes kaperte er noch zwei andere Fahrzeuge und zwang die Mannschaften, ihm zu folgen. Mit 134 entschlossenen Leuten bot er der spärlichen russischen Seemacht, die damals im Busen von Ochotsk versammelt war, jahrelang die Spitze. Hiernach ließ er sich auf der größten der aleutischen Inseln nieder. Seine Gefährten verheiratete dieser deutsche Odysseus mit den Töchtern des Landes. Als Benjowsky ankam, hatte sich der Deutsche bereits eine überragende Stellung bei den Insulanern verschafft. Er wollte dort, an dem nordwestlichsten Zacken von Amerika, eine dauernde Kolonie anlegen. Da es ihm jedoch an Waffen und Geräten fehlte, beschloß er, die russischen Niederlassungen in Ochotsk und Kamtschatka zu zerstören und alles von dort wegzuschleppen, was seinen Absichten dienen könnte. Er forderte den Ungarn auf, sich mit ihm zu verbinden. Dem war jedoch mehr an einer schleunigen Rückkehr nach Europa gelegen. Ein Teil seiner Gefährten wäre indes nicht abgeneigt gewesen. »In Hinsicht der anzulegenden Kolonien riet ich ihm, sich an irgend eine europäische Macht zu wenden, und sich an deren Unterstützung zu wenden, wozu ich ihm meine Dienste anbot. Diese Erwägungen schienen ihm vernünftig, und er nahm mein Anerbieten an, wie ich an seinem Orte ausführlich sagen werde.« Wir sind nun hier in der schmerzlichen Lage, wie des öfteren, bei Herodot und Tacitus, namentlich wo der letztere die Schicksale des Tumelikus, des Sohnes von Arminius zu erzählen verspricht. Den Schluß seiner Abenteuer ist Benjowsky uns schuldig geblieben, und so erfahren wir nirgends – ich habe es auch aus keiner anderen Quelle ersehen können –, was aus den Plänen Ochotyn-Leuchtenfels geworden ist.
Aus den Schilderungen Benjowskys entnehme ich noch eine andere merkwürdige Nachricht. En Deutscher, Feldwebel Lohner, wurde mit 24 Soldaten und so Kosaken von der Regierung von Ochotsk ausgeschickt, um die Stadt Uda, südlich von Kamtschatka, zu unterwerfen. Auch wollten die Russen schon damals das Becken des Amur, das die Chinesen ihnen seit fast hundert Jahren entrissen halten, zurückerobern; dies gelang ihnen jedoch erst in den 1850er Jahren. Der genannte Lohner und seine Mannschaften desertierten, und ließen sich in Korea nieder. Dort sind sie verschollen. Es wäre reizvoll, wenn einmal jemand in einer koreanischen Chronik näheres über ihre Schicksale entdeckt.