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Das zweite Hauptfest war die Wehrhaftmachung der Jugend, wovon schon die Rede war; das dritte führte den Namen Cusquicrayoni; es hatte nach der Aussaat statt, wenn der Mais zu sprossen anfing, und wurde ebenfalls mit Opfern, Gesängen, Tänzen und unmäßigem Trinken gefeiert; dabei flehte man die Sonne an, sie möge die Frucht vor Kälte bewahren und eine reiche Ernte gewähren. Das vierte und letzte Hauptfest, das der Inca mit seinem Hofe feierte, war das Fest Citna, eine Art Sühne, durch welche sie aus der Stadt und Umgegend alle Krankheiten, Plagen und Schwächen, von welchen die Sterblichen heimgesucht werden, zu verscheuchen suchten. Nach mehrtägigem Fasten vor dem Feste bereiteten sie in der Nacht das bereits genannte Brod Canca. – Von dem Teige, der zu Kugeln oder Klösen geformt und in Kesseln halb gar gekocht wurde, nahmen sie einen gewissen Theil und mischten das Blut junger Knaben darunter, das man diesen zwischen den Augenliedern und der Nase, dem gewöhnlichen Aderlaßplatze bei Krankheiten, abzapfte. Jeder rieb sich hierauf mit einem Stückchen von diesem Teige den Kopf, das Gesicht, den Magen, die Schultern, die Schenkel und Arme ein, um, wie sie sagten, sich zu reinigen, denn sie glaubten hierdurch von ihrem Leibe alle Krankheiten und Schwächen fern zu halten. Hierauf nahm der Aelteste des Hauses ein anderes Stück, rieb damit die Thüre nach der Straße ein und heftete es an dieselbe, zum Zeichen daß die Bewohner des Hauses gereinigt seyen. Dieselbe Ceremonie führte der Großpriester im Palaste und im Sonnentempel und andere Priester in den übrigen Tempeln und in der Wohnung der heiligen Jungfrauen aus. Dieß alles geschah in der Nacht vor dem Feste. Sobald am Morgen die Sonne aufging, flehten sie zu ihr, sie möge alle inneren und äußeren Uebel von ihnen entfernen; das Fasten hatte ein Ende und man aß nun das Brod, in welchem sich kein Blut befand. Nach dem Gebete zur Sonne sah man als Bote derselben aus der Festung einen Inca von königlichem Stamme Herabkommen; sein prächtiges Gewand war aufgeschürzt und er trug eine Lanze, die bis an den Griff mit schönen Federn und goldenen Ringen verziert war; in Zeiten des Kriegs flatterte eine Fahne an deren Spitze. Er schwenkte die Lanze, bis er auf dem Hauptplatze angelangt war. Hier traf er vier andere Incas und that ihnen kund, die Sonne befehle ihnen als ihren Stellvertretern und Boten aus der Stadt und Umgegend alle Krankheiten und alle Uebel die sie anträfen zu verjagen. Dann eilten sie nach den vier in die Stadt führenden Hauptstraßen. Wenn die Einwohner, Männer, Weiber, Jung und Alt, diese Boten vorübereilen sahen, stellten sie sich an ihre Häuser und erhoben ein großes Freudengeschrei; dabei schüttelten sie ihre Kleider, gleichsam als wollten sie den Staub herausschütteln, legten die Hand auf den Kopf, auf das Gesicht, die Arme und Schenkel, rieben alle Glieder wie beim Waschen und glaubten dadurch alle Uebel aus ihren Häusern zu verbannen. Die Boten liefen bis eine Viertelstunde vor die Stadt, wo sie die Lanzen an vier andere Incas abgaben, die wieder eine Viertelstunde weiter liefen, und so ging es fort bis auf fünf bis sechs Stunden Entfernung, wo die letzten Lanzenträger ihre Lanzen in den Boden pflanzten, als Beweis daß alle Uebel über die Gränze verbannt seyen. – In der folgenden Nacht zogen die Einwohner mit Fackeln, die wie Strohmatten geflochten waren und lange anhielten, durch die Stadt, indem sie dieselben an einem Faden durch die Straßen bis hinaus ins Freie schleiften, um dadurch anzudeuten, daß sie, mit den Fackeln die Uebel der Nacht vertilgten, wie sie mit den Lanzen die Uebel des Tags vernichtet hätten. Zuletzt warfen sie die brennenden Fackeln in den Fluß, in welchem sie sich Tags zuvor gebadet hatten, damit der Strom alle Uebel, die sie ausgetrieben, bis ins Meer fortschwemme. Begegnete Jemand am folgenden Tage einem Stück dieser Fackeln an dem Ufer des Flusses, so floh er wie vor der Pest von dannen, aus Furcht er möchte von den Uebeln, die man mit ihnen verjagt hatte, ergriffen werden. – Nach dieser Doppelsühne mit Eisen und Feuer begannen die Festlichkeiten, Schmausereien, Tänze, Trinkgelage und Gesänge, wobei man nichts unterließ was die Heiterkeit und die Lust in den Häusern und auf öffentlichen Platzen erhöhen konnte. – Außer diesen vier Hauptfesten gab es noch andere, die aber weniger bedeutend sind und deren Beschreibung uns auch zu weit führen würde.
Wir haben mehrmals der geheiligten oder auserwählten Jungfrauen erwähnt, und es wird nicht überflüssig seyn hier Näheres über dieselben mitzutheilen. Diese Jungfrauen lebten von jedem Verkehr mit der Welt abgeschlossen in großen Häusern oder Klöstern. Das Haupt- oder Stammkloster stand in der Stadt Cuzco und nach dessen Muster waren alle übrigen in den Provinzen erbaut. Die Jungfrauen mußten das Gelübde ewiger Keuschheit ablegen und wurden als Frauen der Sonne betrachtet. Die welche in der Stadt Cuzco ihren Sitz hatten, mußten aus königlichem Geblüte entsprossen seyn. In dem Kloster der Hauptstadt befanden sich gewöhnlich 1500 solcher Jungfrauen, doch war ihre Zahl nicht beschränkt. Kein Mann oder sonst ein Weib durfte das heilige Haus, das ringsum von den Vierteln der Stadt völlig abgeschieden war, betreten. – Die Vorschriften welche diese Jungfrauen zu befolgen hatten, waren sehr streng: sie mußten stets eingeschlossen leben, durften nicht ausgehen, und keinen Mann und kein fremdes Weib sehen; sie hatten keinen weitern Umgang als miteinander selbst. Der Grund den man für diese strenge Regel anführte war, es dürften die Frauen der Sonne nicht gemein seyn und durch den Anblick anderer Menschen entheiligt werden; diese Vorschrift wurde auch so genau beobachtet, daß selbst der Inca von seinem Vorrechte, sie besuchen und sprechen zu dürfen, keinen Gebrauch machte. Nur die Königin (Coua) und ihre Töchter machten eine Ausnahme, indem sie in das Kloster gehen und mit den Jungfrauen sprechen durften. Wenn daher der König sich erkundigen wollte wie sie sich befanden oder ob sie etwas bedürften, so ließ er sie durch die Königin oder ihre Töchter fragen.
Mitten durch das große Gebäude in welchem die heiligen Jungfrauen wohnten, führte ein schmaler ungefähr einen Schritt breiter Gang; rechts und links erblickte man die Zimmer, in welchen die zum Dienste der Jungfrauen bestimmten Weiber arbeiteten; jedes Zimmer hatte eine Thüre nach dem Gange, die von einer Pförtnerin sorgfältig bewacht wurde. Das Hauptthor des Hauses wurde nur der Königin und ihren Töchtern geöffnet, und es befanden sich an dieser Pforte nach der Straße zwanzig Pförtnerinnen, die alles was in die Zimmer gebracht werden sollte bis an deren Thüren lieferten; sie durften sich nicht weiter als bis zu diesen zweiten Thüren wagen; wer dagegen handelte, wurde mit dem Tode bestraft? Zum Dienste der heiligen Jungfrauen waren 500 junge Mädchen bestimmt, die ebenfalls rein und keusch seyn mußten, sie stammten von den Incas, aber nicht von königlichem Blute ab, denn sie waren keine Dienerinnen der Sonne, sondern nur Dienerinnen der heiligen Jungfrauen. Sowohl diesen als den Dienerinnen standen Matronen (Mamacunas) vor, von welchen sie in ihre Verrichtungen und Pflichten eingeweiht wurden. Die Hauptbeschäftigung der Sonnenjungfrauen bestand in Spinnen, Weben und Verfertigen der Kleider, welche der Inca und die Coyo trugen; auch die feinen Kleider, welche man der Sonne als Opfer darbrachte, wurden von ihnen gearbeitet. Außerdem mußten sie das heilige Brod (Canca) und den heiligen Trank (Aca) für das Fest Raymi, wie schon erwähnt, bereiten. – Alle Geschirre in diesem Hause waren von Gold und Silber wie im Tempel der Sonne; an ihm befand sich ein Garten, der gleichfalls mit Bäumen und Gewächsen von Gold prangte; es zierten ihn zugleich die verschiedensten Thiere ganz so wie den königlichen Palastgarten. Wenn eine der Jungfrauen das Gelübde der Keuschheit verletzte wurde sie lebendig begraben und ihr Geliebter gehängt. Doch damit war das Gesetz noch nicht zufrieden; um dieses große Verbrechen zu sühnen, sollten des Schuldigen Frau, Kinder, Anverwandte, Diener, ja sogar die Bewohner der Stadt, in welcher er lebte, dem Tode geweiht seyn. Die Stadt selbst sollte zerstört und die Stelle mit Steinen übersäet und in eine Einöde verwandelt werden als warnendes Zeichen, daß sie ein so verfluchenswertes Kind hervorgebracht habe; auch sollte man darauf bedacht seyn, daß diese Stelle wo möglich ferner weder von Menschen noch von Thieren betreten werde. Diese Strafe wurde übrigens nicht ein einzigesmal vollzogen, weil dieses Verbrechen niemals in dem Reiche vorgekommen war; so sehr achteten die Indianer ihre Gesetze besonders die religiösen. – In die Klöster welche sich in den Provinzen befanden, wurden Jungfrauen ohne Unterschied aufgenommen, selbst die Töchter der geringsten Bürger, wenn sie nur schön waren, denn Schönheit war eine Hauptbedingung der Aufnahme.
Außer diesen dem Dienste der Sonne geweihten Jungfrauen gab es andere aus königlichem Stamme, denen ihre Wohnungen um Kloster dienten und die ebenfalls das Gelübde ewiger Keuschheit geschworen hatten. Sie gingen nur aus um ihre nächsten weiblichen Verwandten zu besuchen, wenn sie krank waren oder in Kindesnöthen lagen. Ihrer Keuschheit und ihres eingezogenen Lebenswandels wegen hielt man sie in hohen Ehren und legte ihnen den Titel Oello bei. Wenn eine solche Jungfrau ihre Gelübde verletzte, wurde sie lebendig verbrannt oder in eine Löwengrube geworfen. Auch Wittwen verheuratheten sich niemals wieder, wenn sie Kinder hatten.
Außer der Sonne verehrten die Peruaner noch ein höheres Wesen, von ihnen Pachacamac (Weltseele) genannt. Dieses Wort war ihnen übrigens so hehr, daß sie es nicht leicht auszusprechen wagten, und wenn sie die Nothwendigkeit dazu zwang, so thaten sie es nur mit allen möglichen Zeichen der Hochachtung und Verehrung. Sie zogen dabei die Schultern ein, neigten sich, erhoben die Augen zum Himmel, senkten sie wieder zu Boden, legten die offenen Hände auf die rechte Schulter und warfen Küsse in die Luft. Fragte man sie wer dieser Pachacamac sey, so erwiederten sie, es sey der welcher die Welt erschaffen habe und sie erhalte; sie hätten ihn aber nie gesehen und ihm deßhalb keinen Tempel erbaut oder Opfer dargebracht. – Die Spanier wollen auch bei der Einnahme von Cuzco ein großes schönes Kreuz ans Marmor gefunden haben. – Den Teufel nannten die Peruaner Cupay, und bei seiner Erwähnung spieen sie zum Zeichen ihrer großen Verachtung auf den Boden.
Bevor die verschiedenen Stämme aus welchen das Reich bestand, von den Incas unterworfen waren und diese religiöse Vorschriften erhielten, huldigten sie dem rohesten abscheulichsten Götzendienste. Beispielsweise heben wir nur zwei an den fernsten Gränzen des Reiches gelegene Stämme hervor, nämlich die Antis und Manta. Die Antis beteten Tiger und große Schlangen an, Amaru genannt, die so dick wie der Schenkel eines Mannes und 25–30 Fuß lang waren, ferner ein Kraut das den Namen Coca führte. Noch toller trieben es die Manta. Sie beteten das Meer und die Fische an, obgleich sie sich von den letztern nährten; ferner Löwen, Tiger, Schlangen, Insecten, Reptilien und vor allen einen Edelstein, der so groß wie ein Straußenei war. Bei hohen Festen wurde er öffentlich ausgesetzt und aus nah und fern strömten die Indianer herbei um ihn zu verehren und ihm verschiedene Opfer darzubringen. So z. B. brachten sie kleinere Edelsteine und die Priester gaben ihnen, dabei die erfreuliche Kunde, daß die Göttin Edelstein ihre Töchter mit Vergnügen aufnehme. Sie behielten dieselben jedoch für sich und predigten diese Lehre bloß um ihre Habsucht zu befriedigen. Die meisten dieser Edelsteine fielen in die Hände der Spanier; diese waren ungeschickt genug, sie auf einem Amboß zu zerschlagen in der Meinung sie seyen nicht ächt, wenn sie den Hammerschlägen nicht widerstünden. Der große Edelstein wurde von den Indianern so gut verborgen, daß sie weder durch Versprechungen noch Drohungen zu dessen Entdeckung bewegen werden konnten. Die Manta waren auch als Sodomiten bekannt. Wenn sie heuratheten, hatten die Verwandten und Freunde des Bräutigams das Recht der ersten Nacht. Sie erwürgten ihre Gefangenen und füllten deren Haut mit Asche um sie als Trophäen in ihren Tempeln und an öffentlichen Orten aufzuhängen. Die Weiber und Männer machten sich mit der Spitze von Kieselsteinen Schnitte ins Gesicht und verunstalteten ihren Kopf auf sonderbare Weise, indem die Eltern den Kindern gleich nach der Geburt zwei Brettchen auf die Stirne und an das Hinterhaupt banden und den Kopf jeden Tag bis zum fünften Jahre so sehr zusammendrückten, daß er völlig spitz wurde. Das Haar schnitten sie nur auf dem Scheitel ab, kämmten sich aber niemals, so daß sie wie Wildschweine aussahen.