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Die Fibel

Es zog ins Freie mich hinaus
Aus meiner Werkstatt Schwüle,
Und einsam schritt ich durch die Stadt
In abendlicher Kühle.

Am Trödelmarkt kam ich vorbei,
Und sinnend blieb ich stehen,
Um mir den alten, bunten Kram
Im Laden anzusehen.

Da lehnt ein graues Ahnenbild
Dicht neben Glas und Krügen;
Ein Geldschrein voll mit Putzgerät
Bei Schaufeln steht und Pflügen.

Nach Art der Maler kramt' ich da
Gar gern in freien Stunden –
Denn manchen Schmuck fürs Atelier
Hatt' ich schon hier gefunden.

So kramt' ich heute wiederum
In Teppichen und Tüchern,
Und fand in einem morschen Schrank
Ein Fach mit vielen Büchern.

Ich schlug so manches drunter auf,
Fand Kochbuch neben Bibel;
Da fiel mir eines in die Hand: –
Es war nur eine Fibel.

Und doch – ich kaufte sie mir gleich,
Hab' sie mit Lust gelesen: –
Dieselbe Fibel war ja einst
Mein erstes Buch gewesen.

Ich kannte all die Bilder noch
Und all die großen Lettern,
Mit stiller Wehmut konnt' ich nur
Das Büchlein jetzt durchblättern.

Ich träumte mir den Tag zurück,
An dem ich sie bekommen,
Und wie ich drin zuerst gelernt,
Halb freudig und beklommen. –

Ich sehe meine Mutter noch,
Wie sie dem Drängen wehrte
Und wie sie zärtlich Schritt für Schritt
Das »ABC« mich lehrte.

Ich weiß noch, wie ich oft geseufzt
Und wie ich heimlich grollte,
Daß ich, wenn andre froh gespielt,
Just immer lernen sollte.

Wie war die Mutter dann entzückt,
Als sie mit mir »studierte«,
Und ich des Vaters Namen da
Zusammenbuchstabierte.

Jetzt ruht die Mutter längst im Grab ...
Mein Glück ist rasch entschwunden;
Was ich als Kind im Traum verlor,
Ich hab's nicht mehr gefunden.

Die Fibel schau' ich dankbar an,
Und mir wird weh im Herzen,
Gedenk' ich, wie ich draus gelernt
Als Kind mit Lust und Schmerzen.

Nun blättr' ich drinnen oft herum
In stillen, freien Stunden: –
Ich hätt' am ganzen Trödelmarkt
Nichts Lieberes gefunden!

Willibald Leo.


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