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Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen
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Ludwig Bechstein

Der fliegende Holländer.

Im Lande Limburg liegt ein altes Schloß, das ist Falkenberg genannt, darin es spukt und umgeht. Eine Stimme ruft gegen die vier Wände den Klageruf: »Mörder! Mörder!« – Zwei kleine Flämmchen flackern vor der Stimme her, aber den Rufer sieht keiner. Und das ist also seit sechshundert Jahren. Damals, vor so langer Zeit, stand das Schloß noch in seinem Glanze, zwei Brüder von Falkenberg wohnten darin, die hießen Waleram und Reginald, und sie liebten beide die schöne Tochter eines Grafen von Cleve, Alix. Waleram war der Glückliche, den die Jungfrau erkor, und feierte mit ihr glänzende Hochzeit. Dem verschmähten Reginald aber wandte der Rachegeist das Herz im Busen, und er ging hin und ermordete die Liebenden in ihrem Brautbette. Im Todeskampf griff Waleram in des Bruders Mordwaffe, schlug ihm die blutende Hand ins Gesicht und sank dann tot zurück. Der Mörder schnitt vom Haupte der von ihm erdolchten Braut eine Locke, war auch nirgends zu finden, als man die Toten fand und bejammerte und den Mörder ahnte.

Es lebte dazumal nicht allzu weit vom Schlosse Falkenberg ein frommer Einsiedler, dessen Klause neben einer kleinen Kapelle stand. Bei dem klopfte es an um Mitternacht und begehrte Einlaß im Namen des Himmels. Reginald war's, den die Reue marterte und auf dessen Gesicht die Spur einer blutigen Hand unaustilgbar sichtbar war, ein Wahrzeichen, das kein Wasser abwusch. Reginald beichtete dem Einsiedler seine schwere Schuld, und der hieß ihn mit ihm gehen, führte ihn in die Kapelle, kniete mit ihm am Altare und betete mit ihm die ganze Nacht. Am andern Morgen gebot der Einsiedler dem Grafen Reginald von Falkenberg: »Wandelt als büßender Pilger gen Norden und immer gen Norden, bis Ihr keine Erde mehr unter den Füßen habt, dann wird Gott Euch durch ein Zeichen offenbaren, was Ihr weiter beginnen sollt.« Da sprach Reginald kein weiteres Wort als Amen! verbrannte an der ewigen Ampel des Altars Alixens Locke und ging von dannen gen Norden und immer gen Norden und büßte und betete. Und da gingen zwei Gestalten mit ihm, eine Weiße zu seiner Rechten und eine schwarze zu seiner Linken; die zur Rechten bestärkte ihn im Büßen und Beten, die zur Linken aber flüsterte ihm zu, davon abzulassen und den Freuden der Welt zu leben. Und so kämpften sie um seine Seele, und dieser Kampf, den er im Herzen fühlte und mitkämpfte, war seine Buße. So ging er Tage lang und Wochen lang und Monden lang, bis er am Meere stand und kein Erdreich mehr vor sich sah, darauf er seinen Fuß hätte setzen können. Aber da fuhr ein Nachen heran, darin saß einer, der winkte Reginald und sprach: »Exspectamus te!« das heißt: »wir erwarten dich.« Das war das Zeichen, Reginald stieg in den Kahn und die zwei Gestalten mit ihm. Der Mann im Nachen stieß ab und fuhr nach einem großen Schiffe hin, das im Meere lag, alle Segel aufgespannt und alle Flaggen aufgezogen. Da stiegen die drei an Bord, der Mann samt dem Nachen verschwand, und das Schiff segelte durch das Meer. Reginald aber ging unter das Verdeck des Schiffes, das ganz menschenleer war und ohne alle Bemannung; da stand eine Tafel und Stühle; die drei setzten sich, die schwarze Gestalt legte drei beinerne Würfel auf den Tisch und sprach: »Jetzt wollen wir um deine Seele Würfeln bis zum Jüngsten Tag.«

Und das tun sie noch heute. Ohne Ruder und ohne Steuer fährt das Schiff durch den Ozean im Norden, zur Nacht wabern Flammen auf seinen Masten und tanzen auf den Rahen. Seine Segel sind grau wie Erde, seine Flaggen find fahl wie abgebleichte Bänder an Totenkränzen. Sein Bord ist leer, und am Steuer steht kein Steuermann. Sein Gang ist Flug und sein Begegnen ist Fluch, Unheil verheißend dem Fahrzeug, dem es begegnet. Mancher Schiffer hat es schon gesehen, und es hat ihm Grausen erregt. Selbst bei Windstille fliegt es wie ein Pfeil über die Meeresfläche, und die Seeleute nennen es den » fliegenden Holländer«.


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