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Übrigens, was auch immer eure und meine Ansichten über diesen Punkt sind, so will ich gestehen, um in meiner Erzählung fortzufahren, daß ich nach meiner Rückkehr vom Euphrat, wo ich die Barke besorgt hatte, sehr erstaunt und sehr bestürzt war, als ich im Palaste weder die Prinzessin Drangiane noch ihre Amme Arachosia und den größern Teil ihrer gewöhnlichen Dienerschaft traf.
Man sagte mir, sie seien soeben ins Lager zu Hephästion gegangen, und zwar zu Wagen, von einem zahlreichen Gefolge begleitet.
Ich dachte bei mir selber:
Das ist so recht die Art der Weiber! Sie sind immer nur geneigt, das zu thun, was man ihnen verbietet; Amalek würde alle seine Schätze hergeben und sogar sein Leben, um seine Tochter außerhalb des Bereichs der Makedonier zu haben, und da, im Glauben an die Prophezeihungen dieser alten Hexe Arachosia, stürzt sich das Kind mitten in den Rachen des Wolfes. Unglücklicher Vater!
Ich fuhr in meinen Betrachtungen fort:
»Und ich, was soll ich thun? Fliehen oder ihnen folgen? ... Wenn du zweifelst, so enthalte dich, sagt der Weise.
Fliehen, heißt das sich enthalten? Gewiß, es ist so viel als sich enthalten, vorwärts zu gehen, aber nicht zurück. Und wer weiß, ob es sicherer ist, zurückzugehen als vorwärts, ob man in der Vorhut weniger dem Tod ausgesetzt ist als in der Nachhut? ...
»Wenn ich fliehe, so wird man mich verfolgen. Amalek selber wird mich anzeigen, im Glauben, daß ich ihm die Diamanten seiner Tochter habe entsenden wollen. Die Schiffer werden mich verraten, sei es um mich zu berauben, sei es um sich beim König in Gunst zu setzen, ich werde ermordet oder enthauptet werden, was in meinen Jahren unangenehm ist, denn schließlich zähle ich ihrer noch nicht ganz sechsundzwanzig, ich befinde mich wohl und ich will ja nichts lieber als leben. Großer Zeus, gib mir ein, was ich thun soll!«
Zeus hatte ohne Zweifel Mitleid mit mir, denn plötzlich fühlte ich mich mutig, und ein außergewöhnliches Selbstvertrauen erfüllte mich. Merkwürdigerweise kamen mir allerlei fröhliche Erinnerungen und tolle Hoffnungen in den Sinn. Ich erinnerte mich, daß ich Athener war, daß das Stammhaupt meiner Familie, Xenokrates, Sieger bei Marathon gewesen war, daß mein Vater Meriones bei Chäroneia als Freiheitskämpfer neben mir gefallen war, daß, wenn ich dem gleichen Schicksal entgangen war, um Geheimschreiber und Freund Alexanders zu werden, dies sicherlich nach einem geheimen Plan der Götter geschah, den sie schon längst in betreff meiner hegten, daß die unerwartete Begegnung mit dem Gallier Pendragon, die Freundschaft, die ich gleich anfangs für ihn fühlte, die dunkle Prophezeihung Amaleks und die viel deutlichere der alten Arachosia mir für die Zukunft hohe Geschicke verkündeten, daß ich in meinem Alter sehr thöricht wäre, für mein Leben wie ein entkräfteter Greis zu zittern und zu zagen. Kurz, ich entschloß mich, an Drangiane und ihr Gefolge mich anzuschließen und ins Lager Hephästions zurückzukehren.
Ich hatte diesen mutigen Entschluß kaum gefaßt, als ich auch schon eines der schönsten Pferde Amaleks aufsuchte und im Galopp davonsprengte, in der Hoffnung, die Prinzessin zu überholen.
Aber sie hatte einen zu großen Vorsprung. Ich kam gerade noch zeitig genug, um zu sehen, wie sie, verschleiert, vom Wagen stieg und sich in die Arme ihres Vaters stürzte, vor den Augen der Makedonier und Hephästions, der über sein Glück ganz erstaunt war, denn er hatte nicht geglaubt, daß Drangiane sich so bald in seine Hände geben würde.
Er erhob sich von der Tafel, wo er mit seinen Gefährten zechte und trat gegen Drangiane vor. Glühend von Wein wollte er in seiner Aufregung ihre Hand ergreifen und sie ohne Zweifel mit einer soldatischen Schmeichelei empfangen, aber sie wich zurück, von Schrecken, vielleicht auch von Abscheu ergriffen, und stellte sich hinter Amalek.
Der chaldäische Hohepriester stieß einen tiefen Seufzer aus und sprach laut:
»O Baal, Größter der Götter, willst du selber den Untergang des Stammes Assur? Wenn du ein Opfer der Sühne für dein Volk brauchst, kannst du dich nicht mit mir zufrieden geben?«
Und als Hephästion sich Drangianen näherte, rief er:
»Herr! nimm mein Leben, meinen Palast, meine Schätze, aber rühre meine Tochter nicht an!«
Der Makedonier lachte und entgegnete:
»Deine Tochter wird meine Gemahlin sein und geehrt wie eine Königin unter allen Königinnen Asiens! Ihr, Sklavinnen, führt Drangianen in das Zelt, das für sie gerüstet ist.«
– »Oh, mein Vater!« sagte sie, die Augen voll von Thränen, »soll ich die Gattin dieses rohen Kriegers werden?«
Ich meinesteils hatte geglaubt, daß sie gekommen sei, um sich selber in seine Hände zu geben, und fand es etwas spät, jetzt das Unglück zu bejammern.
Also, sie vergoß reichliche Thränen, die holde Prinzessin, und bereits begannen, trotz Arachosiens Anstrengungen und ihrem eignen Widerstand, die Sklavinnen sie nach dem ihr bestimmten Zelte zu schleppen, vor den Augen des entrüsteten, aber waffenlosen Amalek, als fern in der Ebene Trompetenton erschallte und das ganze Lager zu den Waffen rief.
Auch Hephästion selber bewaffnete sich in aller Eile mit seinen Freunden, stieg zu Pferde und schickte einige Mann aus auf Kundschaft. War es eine Partei unter den Persern oder den Chaldäern, welche ihn überfallen wollte? War es Alexanders Vorhut, von der man schon seit einigen Tagen keine Nachrichten mehr hatte? War es Alexander selber?
In dieser Ungewißheit begab sich jeder schweigend an seine Stelle und die Prinzessin Drangiane kam wieder zu ihrem Vater, ohne daß jemand es wagte, ihr es zu wehren.
Mir sagte eine dunkle Ahnung, daß, was sich vorbereitete, nur ein günstiges Ereignis sein könne. Und da der Trompetenschall rasch näher kam, so erkannte ich sogar die Weise der verlornen Söhne von Alexanders Armee und ich sagte zu Drangiane:
»Prinzessin, Ihr seid gerettet! das ist Pendragon!«
Bei diesen Worten fiel sie mit Arachosia auf die Kniee und dankte Baal.
Im gleichen Augenblick erschien ein Reiter, der allen andern vorangeeilt war, und dessen Pferd, ohne Zügel, ohne Gebiß und Steigbügel schneller als der Wind zu eilen schien, an der Biegung des Weges und gelangte blitzschnell, beinahe in einem Augenblick, zu uns.
Er war es, der Gallier Pendragon, auf seinem Nadjed!
Bei seinem Anblick stießen die Makedonier ein langanhaltendes Freudengeschrei aus, denn man hatte nach der Schlacht bei Arbela während einiger Zeit geglaubt, daß er seinen Wunden erlegen sei. Niemand, selbst nicht Alexander, hatte größeren Anteil am Siege. Dann war er vor Ende der Schlacht plötzlich mit einem großen Teil seiner Schar verschwunden und niemand wußte im Lager Hephästions, was aus ihm geworden war.
Pendragon sprang vom Pferde, zu gleicher Zeit mit dem Makedonier, und beide wechselten einige Worte militärischer Höflichkeit:
»Was gibt es hier?« fragte der Gallier, erstaunt über den sonderbaren Aufzug, der im Feldlager zu erblicken war, über das Kostüm der chaldäischen Priester, die vergoldeten Wagen, die kostbaren Kleider und alles das, was der alte Amalek und Drangiane ins Lager gebracht hatten. »Man könnte es für eine Zurüstung zu einer Hochzeit halten.«
– »In der That, es ist meine Hochzeit, die wir feiern wollen«, sagte Hephästion, »und hier siehst du meine Braut. Du kommst gerade zur gelegnen Zeit, um Zeuge meiner Vermählung zu sein.«
Er zeigte mit der Hand auf Drangiane, die stumm und unkennbar unter ihrem Schleier dastand. Pendragon schaute sie an und fuhr zusammen, ohne zu wissen, warum, denn er erkannte sie nicht.
»Hat sie keine Eltern?« fragte er endlich. »Ein Herr wie du, beinahe so mächtig wie ein Fürst, sollte nur eine Königstochter heiraten.«
– »Hier siehst du meinen zukünftigen Schwiegervater!« sagte Hephästion mit triumphierendem Blick.
Jetzt kehrte sich Amalek um und Pendragon sah ihn. Zugleich rief der alte Chaldäer:
»Ja, es ist Drangiane, welche Hephästion zu seiner Frau machen will, und welche nur um diesen Preis mein Leben retten kann! Erkennst du mich wieder, Pendragon? erkennst du meine Tochter?«
Tausend Gefühle stürmten auf einmal durch die Seele des stolzen Pendragon. Mit der Linken ergriff er Drangianen, mit der Rechten zog er sein Schwert und mit einer Bewegung, die alle Anwesenden zum Zurückweichen bestimmte, verschaffte er sich einen breiten Raum unter der Menge.
»Amalek«, sprach er, »folge uns!«
»Wohin führst du mich?« fragte Drangiane zitternd und freudig zugleich.
– »Nach Babylon!«
Dieses Wort wurde mit einem Tone gesprochen, als wenn es unmöglich wäre, der Rückkehr Hindernisse zu bereiten. Was den Gallier von allen andern Sterblichen unterschied, war, daß er niemals am Erfolg zweifelte, und hätte er selbst mit allen vereinigten Göttern zu kämpfen gehabt.
An jenem Tage war der Feind nicht so fürchterlich, aber jeder andre außer ihm hätte ihm gleichwohl nicht zu trotzen gewagt. Hephästion hatte fünfzehnhundert Mann unter seinem Kommando, er war der beste Freund, der Vertraute und der Liebling Alexanders. Pendragon dagegen war allein, wenigstens für den Augenblick, denn die verlornen Söhne folgten ihm in scharfem Trab, aber sie waren noch tausend Schritte entfernt. Man hatte Zeit, ihn zu töten, bevor seine Freunde ihm zu Hilfe kommen konnten.
Er sah das alles mit einem Blick und wankte nicht.
Hephästion, der anfänglich über eine solche Kühnheit ganz verblüfft war, legte nun die Hand ans Schwert und wollte, indem seine Offiziere seinem Beispiel folgten, den Gallier aufhalten.
Dieser ließ Drangianen los, welche ich mit Hilfe Amaleks schleunig auf ihren Wagen setzte. Der alte Chaldäer bestieg ihn dann selber, ergriff Geißel und Zügel und nahm die Richtung gegen Babylon, als die schöne Drangiane ausrief:
»Mein Vater, verlaßt den nicht, der sein Leben für uns hingeben will!«
Pendragon kehrte sich freudig um und erwiderte:
»Tochter Assurs, bleibe! du wirst sehen, wer der Mann ist, dem dein Vater dich zur Ehe versprochen hat, und ob er dich gegen die Feinde zu verteidigen weiß.«
Zu gleicher Zeit sprang er mit einem Satz auf Nadjed, der ihn zu hören und zu verstehen schien; er streichelte ihm die Mähne und sagte:
»Nadjed, mein Freund, mein Bruder, hier ist Drangiane. Du und ich wollen sie nach Babylon begleiten. Ich stelle sie unter deinen Schutz!«
Zu gleicher Zeit, sei es, daß er dem trefflichen Pferd ein Zeichen gab, sei es, daß das edle arabische Tier – sein Bruder, wie er es nannte – die Gefahr begriff, begann er um den Wagen herum zu reiten und schuf dadurch um sich herum im Augenblick einen so weiten leeren Raum, daß man innerhalb desselben bequem mit vier Vierspännern hätte manövrieren können.
Dann stieß er ins Horn und auf dieses Zeichen spornten die verlornen Söhne, welche ihren Anführer erkannten, ihre Pferde zum Galopp und stürmten wie ein Orkan auf uns zu.
Was mich betrifft, so blieb ich unbeweglich und wartete mit ängstlicher Neugierde der Dinge, die da kommen sollten, denn Hephästion gehörte nicht zu den Männern, denen man ungestraft trotzte. Außerdem, daß er der vertrauteste Freund Alexanders war, war er auch berühmt durch seinen Mut und war noch nie zurückgewichen.
Übrigens wich er auch jetzt nicht zurück. Er stieg aufs Pferd, wie Pendragon, und griff ihn mit dem Schwert in der Hand an.
Aber der Gallier, der sich darauf gefaßt gemacht hatte, parierte den Hieb mit seinem Schwerte, drängte sein Roß an den Makedonier und warf ihn vom Pferde, während der unerschrockene Nadjed sich auf den Hinterfüßen aufrichtend, mit den Vorderhufen das feindliche Pferd niederschlug, so daß es auf seinen Herrn zu liegen kam.
Dieses schreckliche Bravourstück erfüllte die Umstehenden mit Bewunderung und Entsetzen.
Indessen wollten einige von Hephästions Offizieren sich auf Pendragon stürzen und ihn mit ihren Speeren durchbohren; aber der Gallier, der die Seinen herbeieilen sah, rief:
»Da kommt die Vorhut Alexanders. Hierher! verlorne Söhne!«
Auf diese Worte hielt alles still, da man glaubte, daß Alexander bald selber auf dem Platz erscheinen werde. Und wer weiß, welche Züchtigung er den Kämpfenden hätte zuteil werden lassen. Man begnügte sich also damit, den Hephästion, blutig und gequetscht von seinem Fall, wie er war, aufzuheben.
Vergebens befahl Hephästion:
»Tötet ihn! tötet ihn! er ist ein Verräter! er ist ein Mörder!«
Einer seiner Offiziere antwortete:
»Wenn er ein Verräter ist, so wird es sich sogleich zeigen, und der König wird das Recht walten lassen. Was das Töten betrifft, so ist das nicht leicht! Wenn Hephästion noch einmal beginnen will, so biet' ich mich ihm zum Sekundanten an.«
Während dieses kurzen Wortwechsels und Waffenganges hatten die verlornen Söhne, in scharfem Galopp dahersprengend und durch das Hornsignal von der Gefahr ihres Anführers benachrichtigt, Zeit gefunden, heranzukommen und sich in Schlachtordnung hinter Pendragon aufzustellen.
Es waren ihrer dreihundert – die schrecklichsten Kerle, von denen man je seit der Sintflut des Deukalion und der Pyrrha gehört hat – auch die entschlossensten, denn sie achteten ihr eignes Leben ebensowenig als das fremde, und jeder von ihnen hätte es für eine Dareike aufs Spiel gesetzt, ja für eine halbe, für nichts, wie einer von ihnen sagte – um des Vergnügens willen.
Der Gallier befahl:
»Kinder! Schwert heraus!«
Alle miteinander zogen blank.
Er schaute um sich und sah die Wagen der Babylonier und die mit Verzierungen eingelegte Kiste von Zedernholz, worin sich die tausend Goldtalente für Hephästion befanden.
»Was ist das?« sagte er, indem er verächtlich mit der Spitze seines Schwertes die Kiste berührte.
– »Das ist das babylonische Bußgeld«, erwiderte Amalek und erzählte ihm mit einigen Worten, was vorgefallen war.
Der Gallier lachte laut auf:
»Was?« sagte er, »während meine braven verlornen Söhne und ich drei Wochen lang den Feind verfolgt haben, ohne uns auch nur einen einzigen Tag Ruhe zu gönnen, belustigt man sich hier damit, in babylonischem Wein Zechgelage zu veranstalten und den Babyloniern ihr Geld abzunehmen! ... Ah! beim Teutates! wenn der General sein Schäfchen schert, so dürfend die Soldaten auch!«
Dann wandte er sich an die Makedonier Hephästions und sagte:
»Nehmt! ich geb' es euch!«
Er stieg ab, öffnete die Kiste und warf die Golddareiken um sich her auf den Sand.
Und als einige von den verlornen Söhnen diesen Schatz neidisch zu betrachten schienen, fügte er hinzu:
»Ihr, Kameraden, rührt nichts an: ihr wißt, was ich versprochen habe. Pendragon hat nur sein Wort und das ist er gewohnt zu halten!«
Ein endloses Freudengeschrei erhob sich unter der Menge. Alle Makedonier stürzten sich auf die Dareiken und riefen:
»Es lebe Pendragon! Der König Alexander ist der Sohn Jupiters, aber Pendragon ist der tapferste und edelste der Menschen!«
Er grüßte die Makedonier lächelnd, gab dann seinen Reitern das Zeichen zum Aufbruch und ließ seinen Nadjed zurück, um den Wagen Drangianens und Amaleks zu besteigen.
Die verlornen Söhne nahmen ihn in ihre Mitte und begleiteten ihn bis nach Babylon.
Sobald er auf dem Wagen war, wandte er sich zu Drangianen und fragte:
»Seid Ihr zufrieden?«
– »Ich bin stolz auf Euch«, antwortete die Prinzessin, noch immer unter ihrer dichten Verhüllung, »aber ich habe einen Augenblick Angst um Euch gehabt, da ich Euch allein gegen so viele Feinde sah.«
– »Bah! erwiderte Pendragon. »Einer gegen hundert, das ist meine Gewohnheit. So sind wir alle an den Usern der Garonne.«