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Wir blieben unserseits nicht unthätig im Tempel. Wir waren versammelt und hielten Rat, der Hohepriester Amalek, der Jude Samuel und ich, die wir mit Ungeduld die Rückkehr Pendragons erwarteten; denn er hatte entgegen unserm Rat dem an ihn ergangenen Ruf Alexanders entsprochen. Wir wußten, welche mächtigen Feinde ihre Hebel in Bewegung setzten, um seinen Fall herbeizuführen, besonders Hephästion, welchem der König, als dem Freund seiner Jugend, nichts zu verweigern im stande war.
Im übrigen kamen von allen Seiten nur Prophezeiungen zu gunsten Pendragons, sie waren verführerisch und verlockend genug. Der griechische Seher Anaxander hatte verkündet, daß er eines Tags die Krone tragen werde. Die Prophetin Arachosia hatte dasselbe gesagt. Zwanzig chaldäische Propheten folgten diesem Beispiel. Alles, was nicht Grieche oder Makedonier von Geburt war, warf die Augen auf den jungen, glänzenden Barbaren, der aus fernen Landen gekommen war und, was Mut und Edelsinn betrifft, allen andern Menschen und, nach der Aussage der meisten, selbst dem Alexander, dem Sohne des Philipp, überlegen war.
Amalek fragte:
»Samuel, was haben die Spione dir gesagt?«
Der Jude strich sich den Bart.
»Sie sagen, daß Alexander wütend sei über den Schimpf, den Pendragon seinem Liebling angethan und daß er beschlossen habe, den ersten Anlaß zu ergreifen, ihn töten zu lassen oder ihn selbst zu töten.«
– »Von wem hast du diese Nachricht?«
– »Von einem Freigelassenen Hephästions, der sein Verwalter und der Vertraute aller seiner Geheimnisse ist. Gestern abend, bei der Mahlzeit Alexanders, wozu der König nur seine intimsten Freunde geladen hatte, nämlich Hephästion, Krateros und Perdikkas, ließ Hephästion, der die Ehrenleistung des Festmahls übernommen hatte (denn man speiste in seinem Zimmer, da die Sklaven und Köche des Königs nicht Zeit gehabt hatten, ihrem Herrn nachzukommen) – Hephästion also ließ nur seinen Verwalter teilnehmen. Dieser nahm die Platten in Empfang und füllte die Amphoren. Man hielt sich seines Stillschweigens für versichert ...«
Hier unterbrach sich Samuel, um mit den Augen boshaft zu zwinkern.
»Aber ich«, fuhr er fort, »der da weiß, daß ein goldener Schlüssel alle Herzen öffnet, und der ich überdies jenem Verwalter in meinem Handel etwas zu verdienen gegeben habe, ich brachte ihn ohne Mühe dazu, daß er mir wiederholte, was man dort gesprochen hatte.«
– »Das heißt?« fragte der Hohepriester.
– »Nun denn, so hört: Alexander gab zuerst seinem Liebling einen scharfen Verweis wegen des verunglückten Sturmes auf den Tempel:
›Du wirst uns noch durch deine Ungebühr ins Verderben stürzen‹, rief er aus.
– ›Nein, Herr, sondern ich werde dich durch meine Wachsamkeit retten‹, entgegnete Hephästion. ›Ich habe die Verschwörung entdeckt.‹
– ›Welche Verschwörung?‹ fragte der König.
– ›Die des Amalek, dieses verwünschten Pendragons und aller Babylonier, die uns verabscheuen und die uns allen den Tod wünschen‹, erwiderte Hephästion, ›und mir zuerst, weil ich dich mehr als alle andern liebe.‹
– ›Was meinst denn du dazu, Krateros?‹ fragte der König.
– ›Ich meine‹, war die Antwort, ›daß man für deine Sicherheit nicht genug Vorsichtsmaßregeln treffen kann.‹
Diese Antwort kennzeichnete den weisen, kaltblütigen Mann, der sich nichts vergeben wollte. Alexander sagte hierauf zu Perdikkas:
›Und du? glaubst du, daß alle diese Leute sich gegen mich verschwören?‹
– ›Mögen sie sich verschwören oder nicht‹, antwortete der dicke Perdikkas, ›so glaube ich, daß es am geratensten ist, ihnen die Köpfe abzuschlagen! ... Und das wird, wenn du mir den Auftrag dazu erteilst, vor Ablauf einer Viertelstunde eine abgemachte Sache sein.‹
Er stand schon auf, um zum Werk zu schreiten – aber sein Gang war unsicher, denn er hatte zu viel getrunken – als der König ihn zurückhielt und lachend zu ihm sagte:
»Setze dich, du schwankst nach rechts und links, wie ein Fahrzeug auf hoher See.«
Jetzt nahm Hephästion wieder das Wort und sagte, daß das babylonische Volk zur Empörung geneigt sei, daß die Makedonier unzufrieden seien, da sie die Erlaubnis zur Plünderung der Stadt, auf die sie sicher zählten, nicht erhalten hatten, daß der Hohepriester Amalek heimlich Nachstellungen bereite, daß ein gewisser Grieche, Sosikles, früher Geheimschreiber des Königs, den man ermordet glaubte, wieder aufgetaucht sei, daß ein gewisser Jude, Namens Samuel, ein reicher Bankier, dessen Geldgeschäfte ihn mit allen andern Bankiers der großen asiatischen Städte in Verbindung brächten, ihnen das Geld liefere, daß ...
»Ah! ah!« sagte Alexander, »ich kenne diesen Juden und diesen Griechen. Morgen lasse ich sie aufsuchen und aufhängen. Was diesen Amalek betrifft, so werde ich ihm um des Beispiels willen den Kopf abschlagen lassen und dir seine Tochter und Babylonien als Erbe geben. ... Bist du zufrieden, Hephästion?«
Dieser gab unzweideutig sein Entzücken zu erkennen.
Mit einem Schlag war er seines Schwiegervaters ledig und wurde Statthalter der schönsten und reichsten Provinz des Reiches.
Nur eins beunruhigte ihn: Pendragon.
»Herr!« sagte er zum König, »was soll mit dem Gallier geschehen? Erheischt es nicht die Klugheit, sich seiner zu bemächtigen? Eingeschlossen in den Tempel Baals mit seiner Schar der verlornen Söhne, im Bewußtsein seines Verbrechens und wohl wissend, daß er in Verdacht steht, wird er sich bis auf den Tod verteidigen.«
– »Nun wohl«, sagte Alexander verächtlich, »der Sieger am Granikos, bei Issos und Arbela wird doch wohl nicht zurückweichen vor einem Barbaren, dem zwei- oder dreihundert Räuber seiner Art folgen?«
Krateros lachte und sprach: »Seit Hephästion von dem Barbaren geschlagen worden ist, erkennt man ihn nicht mehr.«
»Geschlagen?« schrie Hephästion, »... das ist gut für dich, Krateros. Pendragon hatte mich verräterisch angegriffen, aber du, wenn du dich jemals unterstehst, diese Worte zu wiederholen ...«
Er legte seine Hand an den Schwertgriff. Krateros that dasselbe; aber Alexander packte sie beide beim Arm und sagte:
»Unglückselige! wenn einer von euch die Hand gegen den andern erhebt, so werde ich den Henker kommen und beiden die Köpfe abschlagen lassen!«
Dieses Wort schaffte Ruhe, wie der Verwalter sagte. Man sprach hierauf lebhafter und es wurde beschlossen, daß Amalek und Pendragon auf diesen Abend sollten zu dem Bankett im Palaste Alexanders eingeladen werden, daß ferner beide unter einem Vorwand als Gefangene zurückzuhalten seien, daß man den Eingang in den Baalstempel mit Gewalt erzwingen wolle, daß Drangiane dem Hephästion zur Gattin gegeben werden solle, wenn sie nicht lieber ihren Vater vor ihren Augen wolle umkommen sehen, daß Pendragon, wenn er sich nicht zur Wehr setze, auf zeitlebens in eine Festung solle eingesperrt, wenn er aber Widerstand leiste, wie ein Hund getötet werden, und daß Alexander dadurch aller Besorgnis sollte entledigt sein.
»Aber«, meinte Hephästion weiter, ›wird dieser Gallier zum Bankett kommen?‹«
Der König antwortete:
»Gewiß! Je größer die Gefahr, um so sicherer sind wir ihn zu sehen. Er wird kommen und wär's auch nur, um uns Trotz zu bieten!«
Damit endete der Bericht Samuels.
Ich fragte ziemlich kleinlaut und, daß ich's gestehe, mit zaghafter Stimme:
– »Und wir zwei, Samuel?«
– »Was denn?«
– »Ist man uns auf der Spur?«
– »Ganz genau, Freund Sosikles.«
Der Jude lachte oder stellte sich so. Ich selber war keineswegs heiter gestimmt, im Gegenteil.
»Und wenn man uns erwischt, Samuel?«
– »Wenn man uns erwischt, nun, so werden wir gehenkt. Deswegen, teurer Freund, dürfen wir uns nicht erwischen lassen.«
– »Wohl, aber wie stellen wir das an?«
– »Sosikles, du hast Geist ...«
– »Du schmeichelst mir, Samuel.«
»Ich schmeichle dir nicht. Du hast Geist, weil du ein Athener bist, ein Landsmann und vielleicht sogar Neffe des Perikles und Alkibiades.«
– »Allerdings – allerdings ... aber was soll das?«
»Was das soll? Nun höre: Wenn du Geist hast als Athener, so habe ich Geld als ein Kind Israels. Mit Geist und Geld ist es unmöglich umzukommen. Wird man sich von diesen tölpelhaften Makedoniern erwischen lassen? ... Nur ruhig, nur ruhig; wenn Pendragon zur Stunde noch nicht ermordet ist, so werden wir morgen nicht bloß gerettet, sondern wir werden, du und ich, die Herren eines großen Reiches sein.«
Während er sprach, hatten wir uns vom Hohenpriester Amalek entfernt, der mit gekreuzten Beinen, der Landessitte gemäß, auf Polstern saß, und in seine Betrachtungen versunken schien.
Allmählich führte mich der Jude zu einem Fenster des großen Turms, von wo aus man auf hundert Schritte den hell erleuchteten Assurpalast vor sich sah.
Ein Truppenkorps trank und aß auf dem Platze und schien den Zugang zum Tempel zu bewachen. Es gab Wein und Fleisch im Überflusse und die Makedonier, welche dem Beispiel ihres großmütigen Feldherrn folgten, waren ziemlich betrunken. Musikanten und Tänzerinnen unterhielten die Soldaten mit ihren Tänzen und ihren lustigen Liedern.
»Siehst du? Hörst du?« fragte der Jude.
– »Ich sehe und höre, Samuel. Diese Leute sind im Jubel und trinken wie die Götter.«
– »Wohl; aber hörst du das dumpfe Gemurmel, das von allen Straßen der Stadt ausgeht und dem mächtigen Getöse des Meeres gleicht? Weißt du, was das bedeutet?«
Ich gestand, daß ich das nicht wüßte oder vielmehr, daß ich glaubte, die verworrenen Stimmen von zwei Millionen Einwohnern zu vernehmen (so viel waren ihrer in Babylon), welche ohne Zweifel einander eine gute Nacht wünschten, ehe sie sich schlafen legten.
»Nun denn, Sosikles, wisse, daß unsre Propheten vorausgesagt haben, daß diese Stadt eines Tags werde zerstört werden, weil sie die Kinder Israels verfolgt habe, daß ihre Tempel und ihre Paläste in Asche zerfallen werden, daß ihr Volk in die Knechtschaft werde weggesührt, daß ihre Häuser werden glatt vom Boden weggemäht werden, wie die reifen Kornhalme, daß Tiger und Löwen in den Ruinen ihre Höhlen sich aussuchen, daß die Raben auf den zerstörten Zinnen krächzen werden, daß nichts von ihr übrig bleiben werde außer dem Schatten eines großen Namens, und daß dies die Rache des Gottes Israels sein werde.«
– »Oh! Oh!«
Der Jude fuhr fort:
»Und der Tag ist gekommen.«
Ich betrachtete ihn mit Staunen.
»Ja«, sagte er weiter, »Babylon wird fallen! Derjenige, der es mit Feuer und Blut zerstören wird, ist dort unten im Assurpalast! ...«
Als ich ihn um weitere Erklärung bitten wollte, streckte er den Arm aus und rief:
»Sieh dort!«
Im gleichen Augenblicke wurde es im großen Saale, den man soeben noch in einem Lichtmeer hatte strahlen sehen, plötzlich dunkel, und ein verworrenes Geschrei ließ sich vernehmen. Dann erhob sich im Palaste und in den Gängen ein entsetzlicher Lärm und drang hinaus bis auf den großen Platz. Man schrie von allen Seiten:
»Er ist tot! man hat ihn getötet!«
– »Wen?«
– »Alexander!«
– »Nein, den Gallier!«
– »Es brennt im Palast!«
– »Feurio! Feurio! Feurio! Tötet ihn!«
Der Jude kehrte sich gegen mich:
»Was hab' ich dir gesagt, Sosikles? Da beginnt ja das Fest!«
Bevor ich noch Zeit hatte zu antworten, schloß sich das große Thor des Palastes zuerst auf Befehl Alexanders, öffnete sich dann wieder, ohne Zweifel, wie ich oben gesagt habe, auf die Drohungen Pendragons, und der stolze Gallier trat heraus, das Schwert in der Hand, begleitet von seiner Leibgarde, den vier Brüdern Bull, schritt durch den Lagerplatz der königlichen Garden, welche tranken und keine Zeit hatten ihre Waffen zu suchen und ihm den Durchgang zu wehren, hindurch und kam an der Fallbrücke des Baalstempels an.
Beim ersten Lärm erriet Amalek, der wie wir diesem seltsamen Schauspiel zusah, was geschehen war und rief: »Öffnet!«
Es war die höchste Zeit. Pendragon und seine Genossen kamen, verfolgt von den Garden Alexanders, ans Thor. Sie traten ein; das Thor schloß sich wieder und das Fallgatter fiel auf zwei allzu tapfere Makedonier, welche ihnen zu nahe auf den Fersen waren. Die Unglücklichen wurden zermalmt wie Oliven unter der Presse.
»Die Brücke auf!« befahl Amalek.
Man gehorchte und Pendragon trat in den Saal. Mit einigen Worten erzählte er uns, was vorgefallen war: die Fallstricke, die man ihm gelegt hatte (wie wir es vorher vermutet hatten), die Wut Alexanders und wie dieser einen Speer nach ihm geworfen hatte, den aber er, Pendragon, glücklich parierte, die allgemeine Verwirrung und den glorreichen Rückzug, dessen Zeuge wir soeben gewesen waren.
»Alexander will den Krieg!« rief er schließlich. »Er soll ihn haben!«
Amalek umarmte ihn mit Thränen in den Augen und sagte:
»Pendragon, die Prophezeiungen gehen in Erfüllung.«
– »Welche Prophezeiungen?«
– »Die, daß der Tempel Baals zusammenstürzen wird, zwei Tage nachdem die Männer, die vom Meere des Westens gekommen, als Herren in die Stadt eingezogen sind, und daß die Tochter des letzten Sprossen Assurs Königin eines großen Reiches werden wird.«
»Mein Vater«, erwiderte der Gallier, »der Tempel wird stehen bleiben und Drangiane wird die Herrschaft erhalten. Habt Vertrauen zu diesem Arm und diesem Schwert!«
Aber der Hohepriester sagte weiter:
»Was kommen soll, kommt. Empören wir uns nicht gegen den Willen der Götter!«
Dann rief er eine Sklavin:
»Heiße Drangianen und ihre Amme kommen.«
Bald erschien die Prinzessin, nach Sitte des Orients gekleidet und mit Perlen und Diamanten bedeckt, aber ohne Schleier.
»Der Augenblick ist gekommen«, fuhr Amalek fort. »Drangiane, nimmst du Pendragon zum Gatten?«
Sie errötete, lächelte und reichte dem Gallier die Hand, indem sie antwortete:
»Ja, mein Vater!«
»Und du, Pendragon, nimmst du Drangianen zur Gattin?«
Freudig und stolz erwiderte der Gallier:
»Ich nehme sie!«
– »Schwöre mir, sie zu beschützen gegen alle Feinde und ihr immerdar beizustehen!«
– »Immerdar!« sagte Pendragon. »Und was den Schutz betrifft, so lange ich lebe, beim Teutates! Ich will sie geehrt sehen wie eine Königin.«
Hierauf sprach Amalek die chaldäische Verlobungsformel und gab ihnen zwei Ringe, die sie lächelnd wechselten. Dann rief er über sie, wie dies Landessitte ist, den Segen der Götter und Göttinnen und fügte hinzu:
»Pendragon, mein Sohn, wenn ich diese Heirat beschleunigt habe, so geschieht es, weil ich fühle, daß ich nur noch wenige Stunden zu leben habe. ... Ich weiß es«, sagte er mit stärkerer Stimme ... »und ich will es! ...«
– »O mein Vater!« rief Drangiane bestürzt.
– »Ruhig, meine Tochter. Hörst du diesen Ton? Es ist die Trompete, welche das Signal zum Sturm gibt. Sieh diesen ersten Strahl der Sonne, der soeben Babylon beleuchtet. Ich sehe die Sonne jetzt eben aufgehen, ich werde sie nicht untergehen sehen.«
In diesem Augenblick ertönte auf dem großen Platze ein Trompetenstoß und die Makedonier, die sich auf das Pflaster von Ziegelsteinen gelagert hatten, neben sich ihre Waffen und die losgeschnallten Panzer, erhoben sich alle zusammen und nahmen ihre Ordnung ein.
Zugleich trat Alexander aus seinem Palast, den Helm auf dem Kopf und das Schwert in der Hand, und begann seine Anordnungen für den Sturm zu treffen.