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Das Schauspiel war aus. Der Vorhang war gefallen und ein Teil der Menge begann sich zu entfernen.
»Bleib noch!« sagte Samuel zu mir. »Du wirst den Kommentar des Volkes hören.«
Wirklich entstand in allen Teilen des großen Saales ein großer Lärm von Stimmen. Alle Meinungen äußerten sich auf einmal in allen Sprachen Asiens. Man sprach aber nicht von der großen Tragödie oder der Komödie. Nein, sondern alles beschäftigte sich mit Pendragon und seiner Schar der verlornen Söhne, welche die Bewunderung und das Entsetzen aller Bewohner von Babylon erregten.
»Habt ihr ihn gesehen, vor drei Tagen, als er in Babylon einzog?« sagte ein alter Mann. »Man hätte ihn für den Sohn Baals in Person halten können. Dieser Barbar aus Gallien hat das Aussehen, die Kraft, die Lebhaftigkeit und die Hoheit eines Gottes.«
– »Es scheint«, fügte ein Nachbar bei, »daß er den Hephästion über sein Pferd emporhob und ihn wie ein Bündel auf die Erde warf. Dieser wollte ihn mit seinem Wurfspieß durchbohren, aber er kam nicht dazu.«
– »Ist es wahr, daß er allein gegen Hephästion und seine fünfzehnhundert Makedonier stand?«
– »So ziemlich, denn seine Schar der verlornen Söhne folgte ihm auf tausend Schritte Entfernung. Aber derjenige, der ihm die Hand auf die Schulter legen wird, ist noch nicht gekommen.«
– »Wer denn? Alexander?«
– »Still!« sagte der Alte mit einem mißtrauischen Blick auf den Juden. »Babylon ist heute voll von Leuten, denen ...«
– »Du deine Börse nicht anvertrauen würdest, Banochebos?«
– »Und auch nicht mein Leben, Nachbar Karan.«
Und beide lachten, indem sie auf uns blickten.
»Wir wollen uns nicht ärgern«, sagte Samuel zu mir; »wenn diese guten Leute wüßten, daß du unter deinem Habit eines chaldäischen Priesters einen Griechen aus Athen und einen gewesenen Geheimschreiber Alexanders verbirgst, sie würden dir an der Straßenecke aufpassen, um dich zu erdolchen und in den Euphrat zu werfen, von wo du ganz sachte stromabwärts fluten würdest, um den Haifischen des Persischen Golfes zum Fraße zu dienen.
Merke dir vielmehr die, welche zu unsrer Linken sind. ... Traun! es sind die vier Brüder Bull. Sieh, wie sie maßlos zechen und schreien! Das sind die schrecklichsten unter den verlornen Söhnen Pendragons.«
»Holla!« schrie der älteste der Bulls mit fürchterlicher Stimme und schlug mit dem Griff seines Schwertes auf den Boden.
Ein schwarzer Sklave näherte sich zitternd und wartete auf den Befehl des Kaledoniers.
»Bring Wein her! Unglücklicher!« fuhr der ältere Bull fort, »oder ich schlage dir mit diesem leeren Krug den Schädel ein.«
Der Sklave gehorchte und brachte eine Amphore von zwei Fuß Höhe, die bis zum Rand gefüllt war. Der Kaledonier brachte sie an seine Lippen, leerte sie zur Hälfte, ohne Atem zu holen und reichte sie dem jüngern, der sie austrank.
Da stießen der dritte und der vierte Bruder ein so starkes, schreckliches und büffelmäßiges Gebrüll aus, daß sogar die Statue des Gottes Baal, die im Hintergrunde des Saales stand, auf ihrer Basis davon erzitterte und viele Leute davonflohen, im Glauben, man habe soeben wilde Tiere in den Saal gelassen.
Ich hörte nicht, was der dritte und der vierte Bull dem ersten und zweiten sagten, ich verstand das fremde Kauderwelsch Kaledoniens nicht, aber ich sah, was sie thaten.
Sie erhoben sich alle vier auf einmal, zwei gegen zwei, legten ihre Schwerter auf die Erde, begaben sich auf die Mensur, und begannen nun einen so schrecklichen Faustkampf, daß Schmiede, welche mit vier Hämmern auf vier Ambosse schlugen, kaum ein so starkes Geräusch machen könnten.
Mit dem ersten Faustschlag zerschlug der Älteste dem dritten zwei Zähne, und doch waren das starke Zähne, vielleicht so kräftig und solid, wie die eines Ebers. Der andre antwortete mit einem Schlage, der das Auge seines Bruders blutrünstig machte und es zur Hälfte aus der Augenhöhle trieb.
Jeder von ihnen ging und wusch seine Wunden im Springbrunnen, der am Piedestal der Baalsstatue sich befand.
Während dieser Zeit waren der zweite und der vierte an die Reihe gekommen. Nach einigen Versuchen und Finten ließ der zweite seine Faust auf den Schädel des vierten niederschmettern, wie ein Schlächter mit dem Schlag einer Keule den Stier niederstreckt, den er schlachten will. Der andre fiel wirklich, vom Schlag betäubt, nieder, aber zugleich hatte er seinen Gegner so stark auf die Brustwölbung getroffen, daß sie beide zu Boden gestreckt wurden und es schien, als wollten sie den Geist aufgeben.
Doch bald erhoben sie sich wieder, ganz von Staub und Blut bedeckt, wuschen sich wie ihre Brüder am Springbrunnen, reichten sich alle vier treuherzig die Hand und fingen wieder an zu trinken, wie vorher. Das ist so Sitte bei diesen Barbaren. Sie sind von so gewaltthätigem Wesen, daß sie sich um eines Wortes willen raufen; aber dafür haben sie eine so feste Haut und so harte Knochen, daß sie die Schläge kaum fühlen. Das haben mir karthagische Kaufleute erzählt, welche Jahr für Jahr um des Bernsteins willen jene Gegenden besuchen; und ich war selber Augenzeuge an jenem Tage.
Während die Kaledonier wieder mit noch mehr Durst und in brüderlichem Einvernehmen ihr Zechen fortsetzten, kamen sie auch, wie natürlich, auf Pendragon zu sprechen.
»Ja«, sagte der ältere Bull, »das ist ein Anführer! Ich werde ihm überallhin folgen. Wenn er den Feind trifft, so ist das ein Blitzschlag. Wenn er einem Freunde gibt, so macht er's nicht wie ein König, er macht's wie ein Gott!«
– »Alexander ist auch großmütig«, erwiderte der jüngere der Bulls.
– »Er ist großmütig, aber er rechnet«, entgegnet der Ältere. »Wenn er mir eine Golddareike gibt, so behält er tausend für sich. Das ist nicht die Art Pendragons; der gibt seinen Freunden alles.«
– »Das ist wahr«, sagte der dritte Bruder. »Er sollte König sein an Alexanders Statt!«
– »Nun«, fügte der vierte hinzu, »das ist sehr leicht. Man braucht nur den Makedonier zu töten und den andern an seine Stelle zu setzen!«
Jetzt begannen die vier Brüder in ihrem kaledonischen Kauderwelsch zu sprechen, um von den Umstehenden nicht verstanden zu werden. Aber an ihren schrecklichen Bewegungen und ihren flammenden Augen konnte man sehen, daß es sich um einen Mord handelte.
Samuel stieß mich mit dem Ellbogen und sagte:
»Hast du verstanden, Sosikles?«
– »Gewiß.«
– »Hast du gesehen, wie sich nach und nach die Verschwörung gegen Alexander bildet, welcher sich für den König von Asien hält, weil er den unglücklichen Dareios besiegt hat, der sich kaum auf seinem Throne hielt? Hast du gesehen, wie das Volk von Babylon der Verherrlichung des Galliers, seines Mutes, seiner Großmut und sogar seinen Prahlereien beipflichtete? Du weißt jetzt nicht bloß, was das besiegte Volk, sondern auch was die siegreichen Soldaten denken und wie wenig sie sich um den Sohn Philipps von Makedonien bekümmern; glaubst du, daß es so schwer halte, ihn zu stürzen und Pendragon an seine Stelle zu setzen?«
Bevor ich Zeit hatte, auf die Fragen des Juden zu antworten, erhob sich ein Gegenstand, den ich bisher nicht bemerkt hatte, der die Form eines Menschen hatte und den ich wegen seiner Bronzefarbe und seiner Unbeweglichkeit für ein Ornament der Mauer gehalten hatte, in unsrer Nähe; es war in der That ein Mensch; er begrüßte uns in der Sprache der Parsen, welche Samuel verstand. Ich beobachtete ihn aufmerksam. Niemand wäre im stande gewesen, sein Alter zu bestimmen. Sein Kopf war geschoren, sein Auge schwarz, glänzend und stetig, sein Bart weiß, ziemlich dünn, obschon er noch nie ein Rasiermesser oder eine Schere an sich verspürt hatte, sein Gesichtsausdruck ruhig und ernsthaft, wie es sich für einen Philosophen schickt. Es war in der That einer jener indischen Philosophen, welche man Fakirs nennt, und welche sich damit abgeben, nachzudenken und zu Brahma und Siva zu beten.
Dieser Fakir also oder dieser Philosoph, kam langsam auf uns zu und sagte:
»Ich habe alles gehört.«
– »Oho!« erwiderte Samuel erschrocken und ohne Zweifel einen Fallstrick befürchtend.
Dann aber gewann er seine Kaltblütigkeit wieder.
»Was hast du gehört, Pandou?«
Denn er kannte ihn schon lange.
Der Indier erwiderte:
»Ich habe Worte gehört, welche in ihren Falten das Leben und den Tod tragen.«
Und als ich mich gegen Samuel neigte, um ihm etwas zuzuflüstern, sprach er:
»Du kannst ganz laut reden. Ich bin kein Angeber. Ich lebe Tag für Tag von einer Unze Reis und einem Mundvoll Wasser, das ich aus dem Euphrat schöpfe. Urteile selber, ob ich ein Bedürfnis habe, zu lügen oder zu verraten.«
– »Aber was führt dich zu uns?« fragte, noch immer mißtrauisch, der Jude.
– »Der Trieb, euch meine Weisheit mitzuteilen, und einen Teil der eurigen mir anzueignen«, entgegnete der Fakir; »auch noch etwas andres, das ihr bald vernehmen werdet und das großes Aufsehen in der Welt machen wird.«
– »Ah! Ah!« entgegnete Samuel, »du sprichst in Rätseln. Du willst ohne Zweifel über dieses ›Etwas‹ befragt sein?«
– »Versuch's, wenn du willst. Aber bevor der Tag gekommen ist, es euch mitzuteilen, dürft ihr versichert sein, daß ich nichts sagen werde!«
– »Wirst du uns wenigstens, wie du's versprochen hast, einen Teil deiner Weisheit mitteilen?«
– »Gern. Beginne zu fragen.«
– »Welche sind zahlreicher«, fragte Samuel, »die Lebendigen oder die Toten?«
– »Die Lebendigen.«
– »Warum?«
»Weil die Toten nicht mehr sind.«
Der Jude lachte.
»Ah! Ah!« sagte er, »gut geantwortet. Nun ist's an dir, zu fragen, Sosikles.«
Ich erinnerte mich an die schwierigen Fragen, die man uns zu Athen in den Schulen vorlegte, und ich fragte:
»Was ist größer, die Erde oder das Meer?«
– »Die Erde, denn das Meer ist ein Teil derselben.«
– »Welches ist das schlauste aller Wesen?«
– »Dasjenige, welches der Mensch noch nicht kennt.«
– »Wie kann man Gott werden?«
– »Wenn man das thut, was dem Menschen zu thun unmöglich ist.«
– »Wer ist stärker, das Leben oder der Tod?«
– »Das Leben, weil es zahllose Übel aushält.«
– »Gewiß, deine Antworten sind die eines Weisen«, sagte ich zu dem Indier.
Er sah mich an, ohne sichtlich von meinem Kompliment sich geschmeichelt zu fühlen, und erwiderte ruhig:
»Ich weiß es wohl. Der Geist des Menschen ist von Natur klar, nur die Leidenschaften verdunkeln ihn.«
– »Dann hast du also keine Leidenschaften?«
– »Nein.«
– »Nicht einmal die, zu leben?«
– »Diese noch weniger als alle die übrigen.«
– »Weil du weise bist«, sprach Samuel wieder, »gieb uns einen Rat.«
– »Ein Dutzend, wenn du willst.«
– »Ein einziger genügt, vorausgesetzt, daß er gut ist. ... Soll man sich Pendragon anschließen?«
– »Man muß sich niemandem anschließen«, erwiderte der Indier.
– »Wird er eines Tages König werden?«
– »Wenn Brahma es will.«
Dem Juden wurde nachgerade warm.
»Wir sind auf dem Punkt, uns an ein großes Unternehmen zu wagen. Sosikles und ich«, sagte er weiter. »Wird es gelingen?«
– »Ja, wenn es gut geleitet und von den Göttern begünstigt wird.«
– »Werden wir Reichtum und Macht erwerben?«
– »Möglich.«
– »Oder rennen wir, im Gegenteil, in unser Verderben?«
– »Auch das ist möglich.«
Zum Schluß fügte er bei:
»Werdet meinetwegen Herren oder werdet aufgehängt, das geht mich nichts an. Was ihn betrifft, so habe ich ihn gesehen. Er hat die drei Zeichen des Schutzes von seiten Brahmas: er ist stark, er ist schön, er ist großmütig.«
Da näherte sich der Jude dem Indier mit einschmeichelnder Miene und sagte:
»Auch ich, Pandou, kann großmütig sein, wenn ich will ...«
Der Indier antwortete, ohne ihn eines Blickes zu würdigen:
»Ja, wenn du willst, aber du willst nie.«
– »Aber, kurz und gut, wenn ich wollte?«
– »Wenn du wolltest? ... dann wärst du nicht mehr der Jude Samuel.«
Damit kehrte er ihm den Rücken.
»Gehen wir, Sosikles«, sagte jetzt Samuel, »und lassen wir diesen Rüpel.«
»Der Rüpel«, entgegnete der Indier, »ist derjenige, der sein Leben damit hinbringt, Gold und Silber in seine Kiste zu häufen und der sein Auge vor dem göttlichen Lichte verschließt.«
Mit diesen Worten verließ er uns.
In jener Nacht schlief in Babylon kein Auge.
Die Angst, die Bewunderung, die Neugierde hielt alle wach.
Es sollte nämlich der Makedonier, den man schon Alexander den Großen nannte, als Sieger seinen Einzug halten in seine neue Hauptstadt, und beinahe alle Völker Asiens waren gekommen, um diesen berühmten Eroberer zu sehen, der innerhalb fünf Jahren schon mehr als eine Million Menschen hingeschlachtet hatte. Und gibt es etwas Glorioseres, als Menschen hinzuschlachten, um sich ihrer Güter zu bemächtigen und ihre Weiber und Kinder zu Sklaven zu machen?
Seit der ersten Tagesstunde verkündete ein ungewöhnliches Zusammenspiel von Zymbeln, Trompeten, Trommeln, Jagdhörnern, Harfen und Leiern, daß das Fest seinen Anfang nahm. Sofort öffneten sich auf einmal alle Häuser und zu allen Thüren drängten sich flutend menschliche Gestalten heraus. – Alle fragten sich ängstlich, ob Alexander härter und beutegieriger sein werde als Hephästion, oder ob er sich großmütig und milde zeigen werde, d.h. ob er niemanden werde töten oder ausplündern lassen. Schreckliche Ungewißheit. Hinter einer Gruppe von Bürgern herschlendernd, hörte ich folgendes Gespräch:
»Weißt du, was dein großer Alexander in Persepolis gethan hat?«
– »Wie soll ich es wissen? War ich denn dabei?«
– »Er hat die Stadt verbrannt.«
– »Er ist also verrückt, dieser Alexander?« fragte ein andrer Bürger.
– »So ziemlich, wenn er zu viel getrunken hat.«
– »Aber wenn er mit Babylon auch so verfahren würde wie mit Persepolis?«
Es folgte ein tiefes und ängstliches Schweigen. In der That, wer konnte ihn daran hindern? Babylon ist aus Ziegelsteinen gebaut, liegt in einer endlosen Ebene, wo der glühende Wind aus der Syrischen Wüste ohne Hindernis bis zu den Bergen Persiens und Susianas weht. Plötzlich ließ sich in der Gruppe der Babylonier eine mir bekannte Stimme hören.
»Ihr macht euch um eine Kleinigkeit zu schaffen.«
– »Was? Der Brand von Babylon eine Kleinigkeit!« schrie einer der Babylonier. »Weißt du, Samuel, daß, wenn dieses Unglück uns träfe, uns nichts übrig bliebe, als von Thür zu Thür unser Brot zu betteln?«
– »Beruhige dich, es gibt für alles ein Mittel, ausgenommen für den Tod.«
– »Das ist es ja gerade, wir fürchten getötet zu werden.«
– »Nun«, fuhr der Jude fort, »wenn ihr tot seid, braucht ihr euch um nichts mehr zu kümmern, das ist schon etwas wert.«
– »Ach!« entgegnete der Babylonier, »ich würde mich ja gern noch bekümmern. Das Leben ist schön, wenn Alexander weit weg ist.«
– »Willst du von mir ein sicheres Mittel hören, ihn zu entfernen?«
– »Ach! gewiß!«
Der Jude neigte sich gegen das Ohr des Babyloniers und sagte ihm mit leiser Stimme einige Worte. Dann fragte er laut:
»Nun? Was sagst du dazu?«
– »Es wird sich zeigen«, meinte der Babylonier und sein Gesicht verriet Unentschlossenheit. »Vor allem kann ich allein nicht alles thun ...«
– »Benachrichtige deine Freunde!«
– »Wir wollen sehen!« sagte der Babylonier. »Aber bist du sicher? ...«
– »Ich habe es von Amalek selber«, erwiderte der Jude, »und du wirst begreifen, daß Amalek sich nicht der ersten besten Möglichkeit in die Arme stürzt ...«
Nach diesen Worten begeben wir uns zum Tempel des Baal, wo Pendragon sich mit einem Teil seiner Schar einquartiert hatte.