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Die Damen von Longbourn säumten nicht lange, den weiblichen Bewohnern von Netherfield ihre Aufwartung zu machen, und der Besuch ward in aller Form erwiedert. Miß Bennets Anmuth übte fortwährend einen Zauber über die Herzen des Bingley'schen Schwesternpaars aus; und obgleich sie die Mutter unerträglich, und die jüngern Töchter nicht der Erwähnung werth fanden, sprachen sie doch den Wunsch, mit den beiden ältern Schwestern genauer bekannt zu werden, aus. Johanne freute sich dieser Auszeichnung, Elisabeth hingegen sah immer nur Stolz und Uebermuth in ihrem Benehmen gegen Andre, selbst gegen ihre Schwester, und konnte sich daher nicht recht mit ihnen befreunden. daß Bingley großes Wohlgefallen an Johannen fand, entging Elisens scharfem Blick nicht; eben so wenig aber such der Eindruck, den er auf der Schwester Herz gemacht. Letztere Entdeckung würde sie vielleicht beunruhigt haben, hauptsächlich aus Furcht, daß die Welt diese Neigung zu früh entdecken könnte; aber sie wußte, daß Johanne eine gewisse Ruhe des Gemüths, eine stets gleiche Heiterkeit mit aller Kraft der Empfindung verband, wodurch sie ihre Umgebung über ihr wahres Gefühl irre leiten, und sich gegen die Neckereien der Zudringlichen sicher stellen würde.
Mit der Beobachtung Bingley's und ihrer Schwester beschäfftigt, ahnete Elisabeth nicht, daß sie selbst im Begriff stand, einiges Interesse in den Augen seines hochmüthigen Freundes zu erlangen. Darcy hatte anfänglich kaum zugeben wollen, daß sie hübsch sei, und sich auf dem Ball geweigert, ihr auch nur die geringste. Höflichkeit zu erzeigen. Beim nächsten Zusammentreffen beobachtete er sie bloß in der Absicht, etwas zu tadeln an ihr zu finden; aber kaum hatte er sich selbst und seine Freundinnen davon überzeugt, daß auch nicht ein hübscher Zug in ihrem Gesicht zu entdecken sei, als er die Bemerkung machte, daß es dennoch durch den schönen Ausdruck der dunkeln Augen einen eignen Reiz erhalte. Dieser Entdeckung folgten noch mehrere Andre. Obgleich sein streng richtendes Auge ihre Gestalt den Regeln der vollkommnen Symmetrie nicht ganz entsprechend gefunden, mußte er sich doch selbst gestehen, daß sie leicht und gefällig sei und ihr Benehmen, wenn auch seinem eigenen Geständniß zu Folge, durchaus nicht fashionable, zog ihn doch durch eine gewisse liebenswürdige Unbefangenheit an. Von dieser Veränderung hatte sie indessen keine Ahnung; sie sah in ihm nur den Mann, der sich nirgends beliebt zu machen wußte, und dem sie nicht hübsch genug erschienen war, um mit ihr zu tanzen.
Nach und nach regte sich der Wunsch in ihm, etwas mehr von ihr zu erfahren, und als ersten Schritt zur Unterhaltung mit ihr selbst begann er ihren Gesprächen mit andern ein aufmerksames Ohr zu leihen. Sie machte diese Bemerkung zuerst in einer großen Gesellschaft bei Sir William Lukas und sagte zu Charlotten –
»Was will Herr Darcy damit sagen, daß er meine Unterhaltung mit Oberst Forster belauscht?«
»Das ist eine Frage, die Herr Darcy allein tu beantworten im Stande ist.«
»Aber wenn er es noch öfterer thut, werde ich ihm zu verstehen geben, daß ich seine Absichten durchschaue. Er hat einen so spöttischen Blick, daß ich anfangen muß, mich entweder vor ihm zu fürchten, oder meinerseits auch impertinent zu werden.«
Indem näherte sich Darcy den Sprechenden, anscheinend nicht in der Absicht, selbst Theil an dem Gespräch zu nehmen. Miß Lukas forderte ihre Freundin durch Blicke und Worte auf, ihren Vorsatz auszuführen, und Elisabeth wandte sich rasch zu ihm mit den Frage –
»Herr Darcy, haben Sie nicht gefunden, daß ich mich ungemein wohl ausgedrückt, als ich den Oberst Forster gebeten, uns einen Ball in Meryton zu geben?«
»Mit vieler Energie; – aber es ist freilich ein Gegenstand, der alle junge Damen energisch zu machen pflegt.«
»Sie verfahren sehr streng gegen uns.«
»Die Reihe gebeten zu werden, wird nun an Dich kommen,« sagte Miß Lukas. »Ich mache jetzt das Instrument auf und dann weißt Du, Elise, was darauf folgt.«
»Du bist eine sonderbare Freundin! Immer forderst Du mich auf, vor aller Welt zu singen und zu spielen. Wenn meine Eitelkeit eine musikalische Richtung genommen hätte, würdest Du mir unschätzbar sein; da dieß aber nicht der Fall ist, weiß ich es Dir keinen Dank, daß Du mich veranlaßt, mein Licht vor einem Publikum leuchten zu lassen, das an die besten Künstler gewöhnt ist.«
Als Miß Lukas aber dem ohngeachtet fort fuhr, sie mit Bitten zu bestürmen, sagte sie »Nun wohl! wenn es sein muß, soll es geschehen,« und einen ernsten Seitenblick auf Darcy werfend, fuhr sie fort – »Es giebt ein alter Sprichwort, was einem Jeden unter uns bekannt sein wird. Es heißt: Spar deinen Athem, deine Suppe damit zu blasen. Und ich will den meinigen sparen, damit ich singen kann.«
Ihr Gesang war angenehm, jedoch keineswegs vortrefflich. Nachdem sie ein Paar Lieder gesungen, und ehe sie noch auf die an sie ergangenen Bitten, mehr zu singen, antworten konnte, hatte Marie Platz am Instrument genommen. Sie war sich bewußt, ihre Schwestern in der edlen Tonkunst, so wie in allen andern schulmeisterischen Beschäfftigungen weit zu übertreffen; und da sie in der That ihre ganze Zeit an die Ausbildung solcher Talente wendete, ergriff sie nun auch freudig jede Gelegenheit, damit zu glänzen. Zur Musik fehlte es ihr an Talent und Geschmack; und nur der Eitelkeit verdankte sie einige Fertigkeit, die aber mit so viel Pedanterie und Affektation vermischt war, daß sie einen noch höhern Grad von Vollkommenheit unangenehm gemacht haben würden. Elisens leichter und ungezwungener Manier war mehr Aufmerksamkeit gezollt worden, obgleich sie nicht halb so fertig spielte; und Maria mußte am Schluß eines langen Concerts noch froh sein, Lob und Dank für einige schottische und irländische Lieder einzuärndten, wornach ihre jüngern Schwestern nebst einigen andern jungen Damen und mehreren Officieren am entgegengesetzten Ende des Zimmers tanzten.
Schweigerd, voll Unwillen über diese Art und Weise, den Abend zuzubringen, über das Ausschließen aller Conversation, stand Darcy, in Betrachtung der verschiedenen Gruppen verloren, und bemerkte nicht, daß Sir William zu ihm getreten, bis dieser ihn anredete. – »Für Junge Leute giebt es doch keine charmantere Unterhaltung, als den Tanz; ich betrachte ihn als eine der wesentlichsten Verbesserungen der feinern, höhern Cirkel. Sie nicht auch, Herr Darcy?«
»Gewiß, Sir! und er hat nebenbei den Vorzug, auch in den wenigst verfeinerten Gesellschaften der Welt sein Glück zu machen. Jeder Wilde kann tanzen!« Sir William lächelte. »Ihr Freund tanzt vortrefflich,« fuhr er nach einer Pause fort, als er Bingley in die Reihen treten sah – »und ich zweifle nicht, daß auch Sie, Herr Darcy! Meister in dieser Kunst sind.«
»Ich glaube, Sir, Sie sahen mich in Meryton tanzen.«
»Allerdings, und erfreute mich dieses Anblicks. Tanzen Sie oft in St. James?«
»Nein, Sir!«
»Ich sollte meinen, es wäre dieß ein diesem Ort angemessenes Compliment.«
»Es ist ein Compliment, was ich keinem Ort erzeige, wenn ich es vermeiden kann.«
»Sie besitzen vermuthlich ein eignes Haus in der Stadt?«
Darcy bejahte durch eine schweigende Verbeugung.
»Ich hatte einst auch die Idee, mich in der Stadt, niederzulassen, hauptsächlich der guten Gesellschaft wegen; doch gab ich den Gedanken nachher wieder auf, aus Furcht die Luft in London möchte Lady Lukas nicht zusagen.«
Er schwieg in Erwartung einer Antwort. Darcy fühlte sich jedoch nicht aufgelegt, sie zu geben, und als Elisabeth in diesem Augenblick zufällig in seine Nähe kam, erfaßte ihn der Drang, eine Galanterie auszuüben.
»Warum tanzen Sie nicht, liebste Miß Elise?« rief er ihr zu. »Herr Darcy, erlauben Sie mir, Ihnen diese junge Dame als eine vorzügliche Tänzerin zu präsentiren. Einer solchen Schönheit gegenüber können Sie es nicht abschlagen, ein Mal zu tanzen.« – Hiermit ergriff er ihre Hand, sie in Darcy's, zu legen, der, obgleich ungemein erstaunt, dennoch nicht abgeneigt war, sie anzunehmen, als Elisabeth, sich rasch zurückziehend, sich mit einigem Unmuth zu Sir William wendete –
»Sir! es war keineswegs meine Absicht zu tanzen und ich muß Sie sehr bitten, von der irrigen Meinung, als ob ich mich nach einem Tänzer umgesehen, zurück zu kommen.«
Darcy ersuchte sie mit vielem Anstand um die Ehre ihrer Hand; aber vergebens. Elisabeth beharrte fest auf ihrem Entschluß, trotz Sir Williams dringenden Bitten und seiner Versicherung, daß Herr Darcy, obgleich im Allgemeinen kein Liebhaber des Tanzes, jetzt doch erbötig sei, seine Abneigung auf kurze Zeit zu überwinden.
»Herr Darcy ist die Höflichkeit selbst,« entgegnete Elise schalkhaft lächelnd und entfernte sich. Ihre Weigerung hatte den stolzen Mann nicht beleidigt, und er gedachte ihrer eben mit großem Wohlgefallen, als er sich durch Miß Bingley gestört sah.
»Ich glaube den Gegenstand Ihrer Betrachtungen errathen zu können.«
»Das möchte ich fast bezweifeln.«
»Sie denken darüber nach, wie unerträglich es Ihnen sein würde, noch mehrere Abende auf solche Weise, in solcher Gesellschaft zubringen zu müssen. Und ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich fühlte mich noch nie so wenig an meinem Platz. Welch ein Lärm und welch eine abgeschmackte Unterhaltung! Ueberall nichts, und doch ein unerhörtes Wichtigthun! Ich gäbe was drum, Ihr Urtheil über dieses alles zu hören.«
»Ihre Vermuthungen sind ganz falsch; mein Gemüth war auf das Angenehmste beschäfftigt. Ich stellte nämlich Betrachtungen über die Wirkungen an, die ein Paar schöne Augen nothwendig in uns hervorbringen müssen.«
Miß Bingley verwunderte sich und äußerte den Wunsch, den Gegenstand solcher tiefen Betrachtungen genauer bezeichnet zu hören, worauf Darcy mit großer Unerschrockenheit erwiederte – »Miß Elisabeth Bennet.«
»Miß Elisabeth Bennet! Ich bin erstaunt. Darf ich fragen, wie lange sie das Glück hat, zu Ihren Lieblingen zu gehören? und welchen Tag Sie zur Annahme der Gratulationen bestimmt haben?«
»Diese Frage konnte ich mir von Ihnen erwarten. Die Einbildungskraft der Damen liebt den rascher Flug; sie bedarf nur weniger Augenblicke, um von der Bewundrung zur Liebe, und von der Liebe zur Heirath überzugehen. Ich wußte, daß Sie mir Glück wünschen würden.«
»Nein, wenn sie die Sache so ernsthaft behandeln, werde ich sie als völlig abgeschlossen betrachten müssen. Sie bekommen eine allerliebste Schwiegermutter, die natürlich immer bei Ihnen in Pemberley leben wird – auch dazu muß man Ihnen Glück wünschen.«
Darcy hörte ihr mit der höchsten Gleichgültigkeit zu, als sie in dieser Art noch eine Zeitlang fort fuhr; und da diese Ruhe sie überzeugte; daß sie nichts zu fürchten habe, ließ sie ihrem Witz freien Lauf.