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Miß Bingley's Brief kam endlich, und machte allen Zweifeln ein Ende. Er bestätigte die Nachricht, daß sie sich sämtlich in London für den Winter eingerichtet, und schloß mit der Versicherung, daß ihr Bruder es sehr bedauert hätte, Netherfield verlassen zu müssen, ohne sich seinen dortigen Freunden vorher zu empfehlen.
Die Hoffnung ihn wiederzusehen war verschwunden; und Carolinens Freundschaftsversicherungen, obgleich Johannens Herzen wohlthuend, waren doch nicht im Stande, ihr Ersatz für die erlittene Täuschung zu gewähren. Der Rest des Briefs enthielt abermals Miß Darcy's Lob, und Caroline erzählte von ihrer täglich zunehmenden Vertraulichkeit, die sie zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Auch erwähnte sie mit großer Freude des Umstandes, daß ihr Bruder jetzt im Hause seines Freundes Darcy lebe, und dessen Einrichtung zum Modell zu der eignen genommen habe.
Elisabeth vernahm diese Nachrichten mit schweigendem Unwillen. Ihr Herz war getheilt zwischen Mitleid mit ihrer Schwester und Verachtung gegen die Urheber ihrer Leiden. Carolinens Versicherung von ihres Bruders wachsender Neigung zu Miß Darcy maaß sie keinen Glauben bei. daß er Johannen noch eben so zärtlich liebte, wie vorher, bezweifelte sie keinen Augenblick; diese Ueberzeugung vermehrte aber nur ihren Zorn, und so lieb er ihr früher gewesen, so hart beurtheilte sie ihn jetzt. Dieses schwankende Wesen, dieser Mangel an Festigkeit und Entschluß, und vor allem diese Bereitwilligkeit, den Eingebungen seiner Schwestern und seines herrschsüchtigen Freundes zu folgen, setzten ihn in ihren Augen tief herab. Mochte er immerhin ihr Sclave sein, und das eigne Glück ihren Launen aufopfern. daß er aber die Ruhe ihrer vielgeliebten Schwester dabei auf das Spiel setzte, dieses engelreine, arglose Gemüth so bitter täuschte – dieß konnte sie ihm nicht vergeben. Und so oft und lange sie auch über diesen Gegenstand nachdachte, blieb das Resultat doch immer dasselbe.
Mehrere Tage verstrichen, bis Johanne so viel Muth gefaßt hatte, mit Elisen hierüber zu sprechen. Dann erklärte sie ihr mit anscheinender Ruhe, daß sie die Bekanntschaft Bingley's wie einen schönen Traum betrachtete, der sie auf kurze Zeit beglückt, und ihr auch noch in der Erinnerung manche Freude gewähren würde.
»Er wird noch lange als der liebenswürdigste Mann, den ich je gekannt, in meinem Andenken fortleben,« sagte sie; »aber dieß ist auch alles. Wohl uns, daß wir uns Beide nichts vorzuwerfen haben. Von einem lebhaften jungen Mann ist nicht immer die gehörige Vorsicht im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht zu erwarten, und dieses ist oft nur zu geneigt, jede flüchtige Aufmerksamkeit für dauernde Neigung zu erkennen. Der Irrthum war auf meiner Seite, und mir bleibt der Trost, daß niemand, außer ich selbst, darunter gelitten hat.«
»Du bist zu gut!« rief Elisabeth mit Wärme. »Deine uneigennützige Liebe und Deine Sanftmuth sind wahrhaft engelgleich. Ich weiß nicht, was ich hierauf erwiedern soll, und fühle nur, daß ich weit unter Dir stehe und Dich noch lange nicht so liebe und ehre, wie Du es verdienst. Aber meine arme Johanne! mit solchen Gesinnungen wird es Dir im Leben nicht an bittern Täuschungen fehlen! Du hältst die Welt für vollkommen und traust jedem Deiner Mitmenschen so viel Güte, Nachsicht und Langmuth zu, als Du selbst besitzest. Meine Ansichten sind andrer Art. Es giebt nur wenig Menschen, die ich wahrhaft liebe, und noch weniger, von denen ich gut denke. Je mehr ich von der Welt und ihrem Treiben sehe, desto einleuchtender wird mir die Unbeständigkeit des menschlichen Charakters, der Mangel an festem Willen und an Vernunft. Erst kürzlich habe ich wieder zwei, mich in diesem Glauben bestärkende, Beispiele erlebt. Von dem Einen will ich nicht sprechen; das Andre ist Charlottens schneller Heirathsentschluß. Kann man sich etwas Unerklärlicheres, Vernunftwidrigeres vorstellen?«
»Liebste Lizzy! Nur nicht solchen Gefühlen Raum gegeben, oder Du untergräbst Deine ganze Glückseligkeit. Man muß bei diesem Fall doch auch Rücksicht auf Verhältnisse und Temperament nehmen. Bedenke Herrn Collins achtbaren Charakter und Charlottens Klugheit. Vergiß nicht, daß sie die älteste Tochter einer großen Familie ist, daß diese Heirath in pekuniärer Hinsicht bedeutende Vortheile bietet; und hoffe mit mir, daß sie unsern Cousin mit andern Augen ansieht, wie wir, und wenn auch nicht Liebe, doch Achtung für ihn fühlt.«
»Dich zu befriedigen, möchte ich gern alles glauben, was Du wünschest; aber gesetzt auch daß Charlotte ihn wirklich achtet, so sehe ich mich dadurch nur genöthigt, eben so gering von ihrem Verstand zu denken, als ich es schon von ihrem Herzen thue. Es ist doch nicht zu läugnen, daß Herr Collins ein sehr eingebildeter, hochtrabender und unbeschreiblich einfältiger Mann ist, den niemand heirathen kann, der seinen Verstand nur einiger Maaßen beisammen hat.«
»Du beurtheilst sie alle Beide zu streng«, entgegnete Johanne, »und ich hoffe, Du wirst Dich noch selbst davon überzeugen, wenn Du sie glücklich siehst. Aber Du sprachst noch von einem zweiten Beispiel, dessen Erwähnung mich noch weit mehr kränkt. Wir dürfen uns nicht gleich für zurückgesetzt halten, wenn auch der Anschein solchen Glauben manchmal bestärkt. Bingley hat gewiß nicht die Absicht gehabt, mit weh zu thun.«
»Solche Absicht setze auch ich nicht in ihm voraus«, erwiederte Elisabeth; »aber selbst ohne bösen Willen kann viel Unheil angerichtet werden. Gedankenlosigkeit, Mangel an Aufmerksamkeit auf sich selbst, und vor dem Mangel an eignem festen Entschluß sind hierzu allein schon hinreichend.«
»Du beharrst also in dem Glauben, daß seine Schwestern ihn beherrschen, und einen verderblichen Einfluß auf ihn ausüben?«
»Ja; und daß sein Freund ihnen hierbei treulich beisteht.«
»Ich kann es nicht glauben! Weshalb sollten sie es thun? Sie wünschen ja doch nur sein Glück, und wenn er mich wahrhaft liebt, wird ihn kein andres Mädchen glücklich machen.«
»Sein Glück ist in ihren Augen nicht das wünschenswert beste Gut, nicht das Einzige, wornach sie streben. Reichthum, Rang, Macht und Ehre gelten ihnen höher.«
»daß sie Miß Darcy für ihn bestimmt haben, gebe ich zu, nur aus bessern Motiven, als Du vermuthest. Sie kennen Georginen viel länger und genauer als mich, und so finde ich es sehr natürlich, daß sie sie mir vorziehen. Doch ihre Wünsche mögen sein wie sie wollen, so halte ich sie nicht für fähig, sie ihm aufdringen zu wollen. Welche Schwester würde sich auch dazu berechtigt halten! Wenn sie Liebe zu mir in ihm voraussetzten, würden sie gewiß nicht versuchen, uns zu trennen – auch könnte es ihnen ja dann nicht gelingen. Deine Voraussetzung einer solchen Neigung macht Dich aber hart und ungerecht gegen seine Umgebungen, und mich dadurch unglücklich. Betrübe mich nicht durch eine solche herabsetzende Meinung. Ich schäme mich nicht, meinen Irrthum selbst einzugestehen, und finde ihn weit leichter zu ertragen, als die Nothwendigkeit, schlecht von seinen Schwestern denken zu müssen. Laß mir meinen Glauben; laß mich die Sache im besten Lichte betrachten.«
Einem solchen Wunsche konnte Elisabeth nichts entgegenstellen, und von dem Augenblicke an ward Bingley's Namen sehr selten, und nicht mehr in dieser Beziehung von ihnen genannt.
Wickham's angenehme Gesellschaft und Unterhaltung eignete sich ganz dazu, die kleine Verstimmung, in welche einige Glieder der Bennet'schen Familie durch die letzten Nachrichten versetzt worden waren In der Vorlage: »war«., zu verbannen. Man sah ihn häufig in Longbourn und Meryton, und was er bis jetzt nur Elisen mitgetheilt, seine Ansprüche an Darcy und alles was er durch diesen erlitten und geduldet, ward jetzt ohne Rückhalt erzählt und öffentlich besprochen. Ein jeder freute sich des gerechten Vorwands, Herrn Darcy unangenehm und abstoßend nennen zu können, und Alle versicherten, diese schlechte Gemüthsart gleich Anfangs durchschaut zu haben. Nur Johanne vermochte es nicht, Bingley's Freund ungehört zu verdammen. Ihre Güte, ihre allgemeine Menschenliebe konnte einen solchen Grad von Schlechtigkeit nicht fassen; und wenn gleich unfähig, ihre Vertheidigung durch wahrscheinliche Gründe zu unterstützen, hielt sie doch fest an dem Glauben, daß nur Mißverständnisse, oder sonstige ungünstige Umstände den bösen Schein veranlaßt hätten.