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Elisabeth erwachte am folgenden Morgen mit denselben Gedanken und Betrachtungen, womit sie am Abend vorher die Augen geschlossen. Sie konnte sich immer noch nicht von ihrem Erstaunen erholen, es schien ihr unmöglich, an etwas Andres zu denken, und unfähig sich auf die gewöhnliche Weise zu beschäfftigen, beschloß sie nach dem Frühstück einen weitern Spaziergang zu machen. Schon war sie auf dem Wege zu ihrem Lieblingsplätzchen, als ihr plötzlich einfiel, daß auch Darcy manchmal hierher zu gehen pflegte; deshalb kehrte sie am Eingang des Parks wieder um und schlug einen Seitenpfad ein, der sie weiter von der Landstraße abführte. Nachdem sie diesen einige Mal auf und abgegangen war, lockte sie der schöne Morgen und das frische Grün der Bäume, noch einen Gang durch den Park zu machen, welcher jeden Tag an Pracht und Lieblichkeit zunahm. Vorsichtig schaute sie um sich, und als sie das Terrain sicher gefunden, schritt sie muthig vorwärts.
Doch nicht lange sollte sie sich dieser wohlthuenden Einsamkeit erfreuen: denn kaum war sie einige Schritte tiefer in das junge Gehölz hineingegangen, als sie von fern eine männliche Gestalt auf sich zukommen sah. Sie wandte schnell um, war jedoch schon gesehen und erkannt worden, und hörte jetzt zu ihrem nicht geringen Schrecken ihren Namen laut von Darcy rufen. Hier, half kein Widerstreben. Sie blieb stehen und erwartete den Gefürchteten, der ihr mit einem Brief in der Hand entgegentrat. Sie griff mechanisch nach dem ihr dargebotenen Blatt.
»Ich bin,« so hub er mit einem Blick stolzer Ruhe an, »schon einige Zeit hier auf und abgegangen, in der Hoffnung, Ihnen zu begegnen. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, diesen Brief zu lesen?«
Und hierauf wandte er sich nach einer leichten Verbeugung wieder in das Gehölz, und war bald aus ihren Augen verschwunden.
Ohne freudige Erwartung, doch voll Neugier eröffnete Elisabeth den Brief, und fand zu ihrer größten Verwundrung nicht allein zwei ganze Bogen, sondern auch sogar das Couvert eng vollgeschrieben. Sie las wie folgt:
»Rosings. 8 Uhr des Morgens.
Beunruhigen Sie sich nicht über den Anblick dieser Zeilen, welche weder eine Wiederholung meiner Gefühle, noch eine Erneuerung des Ihnen gestern Abend so unangenehm gewesenen Antrags enthalten. Auch geschieht es nicht in der Absicht, Sie zu kränken, oder mich zu demüthigen, daß ich noch ein Mal auf jene Wünsche zurückkomme, die zu unserm beiderseitigen Glück nicht zu bald vergessen werden können. Gern hätte ich mir die Anstrengung, diesen Brief zu schreiben, und Ihnen die Unbequemlichkeit ihn zu lesen, erspart; doch zur Rechtfertigung meines Charakters mußte er geschrieben und gelesen werden. Verzeihen Sie deshalb meiner Bitte um gütige Aufmerksamkeit; Ihr Gefühl wird sie mir ungern bewilligen, aber ich fordre sie von Ihrer Gerechtigkeit,
Sie haben mir gestern zwei Beleidigungen von sehr verschiedener Natur, und keineswegs von gleicher Wichtigkeit, zur Last gelegt. Die Erste bestand in dem Vorwurf, meinen Freund Bingley von Ihrer Schwester getrennt zu haben, ohne Rücksicht auf ihre beiderseitige Neigung; und die zweite, daß ich, der Ehre und Menschlichkeit zum Trotz, Herrn Wickhams gerechte Ansprüche an jetziges Glück und zukünftige Aussichten muthwillig zerstört hätte. – Muthwillig und grundlos den Gefährten meiner Kindheit, den anerkannten Liebling meines Vaters, einen jungen Menschen, der keine andre Stütze als unsre Gunst besaß, und in dem Glauben an unsern fernern Beistand aufgewachsen war – einen solchen Jüngling aus Laune oder Uebermuth von mir zu stoßen und meinem Schutz zu entziehen, würde einen Grad von Schlechtigkeit verrathen, der keinen Vergleich mit dem Vergehen, ein Liebespaar, dessen Neigung nur erst einige Wochen alt, zu trennen, aushält. – Doch diesen schweren Vorwurf, den Sie mir gestern so schonungslos machten, hoffe ich in Zukunft von mir abgewälzt zu sehen, wenn Sie folgenden Bericht meiner Handlungen und deren Motive gelesen haben werden. Sollte ich zu meiner eignen Rechtfertigung manchmal genöthigt sein, Empfindungen auszusprechen, welche den Ihrigen entgegen sind, oder sie sogar beleidigen: so kann ich nur versichern, daß mir diese Umstände sehr leid thun. Ich muß der Nothwendigkeit gehorchen, und allzugroße Schonung würde hier nicht am rechten Ort sein.
Ich war noch nicht lange in Hertfordshire gewesen, als auch ich, wie so viele Andre, die Bemerkung machte, daß Bingley Ihre älteste Schwester sehr auszeichnete. Doch nicht eher als am Abend des Balls in Netherfield erkannte ich sein Gefühl für eine ernstere Neigung, als manche frühere. Auf diesem Ball, während ich die Ehre hatte, mit Ihnen zu tanzen, ward ich zuerst durch Sir William Lukas darauf aufmerksam gemacht, daß Bingley's Galanterien gegen Ihre Schwester Veranlassung zu der Vermuthung einer daraus entstehenden Heirath gegeben hatte. Er sprach davon als von einer ausgemachten Sache, die nächstens bekannt werden würde. Von diesem Augenblick an beobachtete ich meinen Freund genauer, und bemerkte, daß seine Vorliebe für Miß Bennet tiefern Grund gefaßt hatte, als es sonst bei ihm der Fall zu sein pflegte. Auch Ihre Schwester ward nun von mir beobachtet; aber ihr offner Blick und ruhiges Wesen, die sich stets gleich bleibende heitre, liebenswürdige Unbefangenheit verriethen auch nicht das kleinste Symptom einer ernsten Neigung, und nach den Bemerkungen dieses Abends zu schließen, war ich fest überzeugt, daß ihr seine Huldigungen zwar Vergnügen machten, aber ihr Herz nicht tiefer berührten. Wenn Sie sich also in diesem Punkt nicht geirrt haben, muß ich mich selbst des Irrthums anklagen, und ich erkenne Ihre gründlichere Kenntniß des schwesterlichen Herzens. Wenn dem wirklich so ist, wenn ich, durch meinen Irrthum verleitet, Ihnen Summer verursacht habe, ist Ihre Erbitterung gegen mich nicht ohne Grund, Aber ich versichere nochmals, daß die gleiche Heiterkeit Ihrer Schwester den schärfsten Beobachter über den wahren Zustand ihres Herzens irre führen mußte. daß ich es wünschte, sie gleichgültig zu finden, läugne ich nicht; wohl aber, daß ich mich durch Furcht oder Hoffnung zu einem solchen Glauben bestimmen ließ. Ich glaubte es aus unpartheiischer Ueberzeugung, so gewiß als ich es aus Vernunft wünschte. Meine Einwendungen gegen diese Heirath waren nicht bloß die, welche ich gestern Abend im eignen Fall nur durch die Gewalt der Leidenschaft möglicher Weise zu überwinden im Stande erklärte; (der Mangel an Connectionen konnte meinem Freunde nicht so nachtheilig werden wie mir) ich hatte andre Gründe für meine Abneigung – Gründe, die zwar immer noch, und für beide Fälle im gleichen Grade fortdauern, die ich aber zu vergessen gesucht hatte, weil sie mir für den Augenblick ferner lagen. Diese Gründe muß ich leider genauer zergliedern. Der Stand Ihrer Mutter so wie deren Familie, obgleich ein großes Hinderniß, war doch nichts im Vergleich mit dem gänzlichen Mangel des Gefühls für Schicklichkeit, den ich sowohl bei Ihrer Mutter, als auch bei ihren jüngsten Schwestern und selbst zuweilen bei Ihrem Vater oft zu bemerken Gelegenheit hatte. – Verzeihen Sie. – Es thut mir leid, Sie zu beleidigen. Möge das tröstende, Sie und Ihre älteste Schwester durch das Leben begleitende Gefühl sich, umgeben von den Mängeln und Fehlern Ihrer nächsten Verwandten, frei von denselben erhalten zu haben, und sich in jeder Hinsicht höchst vortheilhaft vor ihnen auszuzeichnen, Ihnen eine Art Beruhigung gewähren, und meine willenlose Härte einiger Maaßen mildern! Ich habe nur noch hinzu zu fügen, daß meine Meinung durch alles, was an diesem Abend vorging, noch mehr Bestätigung erhielt, und daß ich es für heilige Pflicht erkannte, meinen Freund aus der, seiner in dieser Verbindung wartenden Gefahr zu erretten. – Er reiste am folgenden Tag nach London, wie Sie sich erinnern werden, in der Absicht, bald nach Netherfield zurückzukehren. – Was hierauf meinerseits geschah, sollen Sie nun erfahren, Bingley's Schwestern theilten meine Furcht hinsichtlich seiner Verbindung mit Miß Bennet. Unsre Uebereinstimmung that sich bald kund; und da keine Zeit zu verlieren war, beschlossen wir, ihm gleich nach London nachzufolgen. Dort angekommen, bemühte ich mich meinem Freunde die nachtheiligen Folgen einer solchen Wahl anschaulich zu machen. Ich schilderte sie mit nachdrücklichem Ernst. Doch, wenn gleich sein Entschluß durch meine dringenden Vorstellungen etwas wankend geworden war, würden sie ihm dennoch schwerlich von der Heirath abgehalten haben, hätte ich sie nicht durch die Versicherung von der Gleichgültigkeit Ihrer Schwester (an welch ich damals selbst keinen Augenblick zweifelte) unterstützt. Bis jetzt hatte er sich mit der Hoffnung geschmeichelt, Erwiederung seiner Liebe bei Ihrer Schwester zu finden; aber bei seiner großen natürlichen Bescheidenheit, und dem unbedingten Vertrauen zu meiner richtigern Erkenntniß ward es mir nicht schwer, ihn zu überzeugen, daß er sich in diesem Punkt geirrt. daß es nach solcher Aufklärung nur eines Wortes bedurfte, um seine Rückkehr nach Netherfield zu verhindern, werden Sie bei greifen. Ich kann mein Verfahren im Ganzen nicht tadelnswerth finden. Nur an einen einzigen Punkt denke ich mit Mißbilligung zurück, und dieser besteht darin, daß ich mich zu dem niedrigen Kunstgriff herabließ, ihm Ihrer Schwester Anwesenheit in der Stadt zu verheimlichen. Ich erfuhr sie sogleich durch Miß Bingley; ihr Bruder weiß aber noch jetzt nichts davon Vielleicht hätten sie sich ohne Gefahr sehen können; doch möchte ich fast das Gegentheil behaupten, da es mir schien, als ob seine Neigung noch nicht verflogen wäre. – Diese Verheimlichung, dieses Eingehen in den fremden Plan, war unter meiner Würde. Es ist indeß geschehen, und ich kann wohl sagen, daß ich die beste. Absicht dabei gehabt. Und somit bliebe mir über diesen Gegenstand nichts weiter zu sagen, keine Entschuldigung mehr zu machen übrig. Wenn ich so unglücklich gewesen bin, das Gefühl Ihrer Schwester zu verwunden, so versichere ich nochmals, daß es ohne meinen Willen geschah; und wenn die mich hierzu bestimmenden Gründe Ihnen auch nicht hinreichend erscheinen, habe ich doch nicht gelernt, sie zu verdammen.
Was nun die andre, ohne Zweifel viel wichtigere Beschuldigung, Herrn Wickham unverantwortlich behandelt zu haben, betrifft; so kann ich sie nur durch den treuen Bericht seiner Bekanntschaft und seines Benehmens gegen unsre Familie widerlegen. Ob er mich noch besonderer Unthaten beschuldigt hat, weiß ich nicht; doch von der Wahrheit dessen, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, können Sie sich durch das Zeugnis mehrerer wahrheitsliebender Männer überzeugen. Herr Wickham ist der Sohn eines sehr achtbaren Mannes, der mehrere Jahre die Verwaltung der Pemberley'schen Güter treu und redlich besorgt hat, wofür mein Vater sich ihm verpflichtet fühlte und seine Erkenntlichkeit an Georg Wickham, seinem Pathen zu beweisen suchte. Durch die Verschwendung seiner Frau außer Stand gesetzt, dem Sohn eine anständige Erziehung zu geben, erkannte er dankbar meines Vaters Beistand, der den jungen Menschen erst auf Schulen, und dann auf der Universität erhielt. Sein angenehmes Aeußeres, seine geselligen Tugenden so wie sein einschmeichelndes Wesen hatten ihn meinem Vater sehr empfohlen; er liebte ihn wie einen Sohn, hatte die beste Meinung von seinem Charakter und war entschlossen, ihm, falls er den geistlichen Stand erwählen sollte, in demselben beförderlich zu sein. Meine Ansichten über ihn waren schon seit mehreren Jahren verschieden von denen meines Vaters. Sein Hang zur Ausschweifung, der gänzliche Mangel an guten Grundsätzen, die er sorgfältig vor den Augen seines besten Freundes zu verheimlichen suchte, konnten mir, einem jungen, fast im gleichen Alter mit ihm stehenden Mann, der Gelegenheit hatte, ihn in unbewachten Augenblicken zu beobachten, nicht lange verborgen bleiben. Schon wieder muß ich Ihnen Schmerz verursachen – in welchem Grad kann ich nicht beurtheilen – doch von welcher Art die Gefühle auch sein mögen, die Herr Wickham so glücklich gewesen ist in Ihnen zu erregen, soll und darf diese Rücksicht mich doch nicht abhalten, seinen wahren Charakter zu enthüllen. Fünf Jahre darauf starb mein vortrefflicher Vater; und seine Vorliebe für Wickham hatte in dieser Zeit so zugenommen, daß er es mir in seinem letzten Willen zur Pflicht machte, ferner auf die beste Art für Georg zu sorgen und ihm, falls er wirklich noch das Studium der Theologie ergreifen sollte, bei der nächsten Vakanz eine sehr einträgliche Familienpfründe zu geben. Außerdem hinterließ er ihm noch ein Legat von tausend Pfund. Sein Vater überlebte den meinigen nicht lange, und ein halbes Jahr darauf erhielt ich einen Brief von Wickham, in welchem er mir seinen Entschluß, den geistlichen Stand aufzugeben, mittheilte und die Hoffnung aussprach, daß ich es unter solchen Umständen begreiflich finden würde, wenn er, zum Ersatz für die verheißene Pfründe, der er hierdurch förmlich entsagte, Anspruch auf eine Unterstützung in Geld machte. Schließlich fügte er noch hinzu, daß er sich nun entschlossen, Jura zu studiren, was indeß von den Interessen Damals auch in der Bedeutung »Zinsen«. von tausend Pfund unmöglich geschehen könne. Der Wunsch, diesen Plan ernsthaft von ihm verfolgt zu sehen, war größer, als mein Glaube daran, doch willigte ich mit Freuden in seinen Vorschlag. Ich glaubte ihn nicht für den geistlichen Stand geschaffen, und somit war das Geschäfft abgemacht. Er erhielt drei tausend Pfund und entsagte dagegen für die Zukunft allen Ansprüchen auf Beförderung im geistlichen Stand, falls er sich diesem wieder zuwenden sollte. Alle Verbindung zwischen uns schien nun aufgelößt. Meine Meinung von ihm war zu gering, um ihn nach Pemberley einzuladen, oder seine Gesellschaft in der Stadt zu suchen. Hier hielt er sich hauptsächlich auf, doch keineswegs studirend; sondern um frei von jedem Zwang ein müssiges, zügelloses Leben zu führen. Drei Jahre verstrichen, ohne daß ich viel von ihm gehört. Da starb der alte Prediger, dessen Stelle ihm in früherer Zeit versprochen gewesen, und nun wandte er sich wieder schriftlich an mich, und bat um dieselbe. Seine Versicherung, daß er sich in sehr schlechten Umständen befinde, glaubte ich gern. Er hatte das erwählte Fach nicht sehr einträglich gefunden, und sich nun entschlossen, sich ordiniren zu lassen, falls ich ihm mit der erwähnten Pfründe beschenken wollte, woran er nicht zweifelte, erstlich weil, wie er wohl wisse, Niemand auf meine Versorgung rechnete, und zweitens, weil ich meines ehrwürdigen Vaters Bestimmung darüber wohl nicht vergessen haben würde. Können Sie mich tadeln, daß ich diese Bitte, so wie alle Wiederholungen derselben unerfüllt ließ? Sein Zorn gegen mich nahm in dem Grade zu, als sich seine Umstände verschlimmerten, und seine Urtheile über mich waren, ohne Zweifel eben so ungerecht und hart, als die Vorwürfe, die er mir selbst darüber machte. Jeder Schein von Bekanntschaft hörte nach diesem Vorfall natürlich auf, und ich wußte lange nicht, wie und wo er lebte, bis die Gewißheit seiner Existenz mir vorigen Sommer auf eine sehr schmerzliche Weise kund gethan wurde. Ich muß nun eines Umstandes erwähnen, den zu vergessen ich mich schon länger bestrebe, und den ich nur durch diese Veranlassung bestimmt werden konnte, einem menschlichen Wesen mitzutheilen. Nach dieser Einleitung bedarf es keiner besondern Bitte um Ihre Verschwiegenheit. Meine Schwester, welche zehn Jahre jünger als ich ist, ward nach unsers Vaters Tode meiner und Oberst Fitzwilliams (Neffen meiner Mutter) Vormundschaft übergeben, Ungefähr vor einem Jahr verließ sie die Pension, um unter der Aufsicht von Mrß. Younge, einer ältern Dame, ihre Ausbildung in London zu vollenden. Mit dieser ging sie vorigen Sommer nach Ramsgate, wohin ihr Wickham bald nachfolgte, wahrscheinlich absichtlich, wie sich später ergab. Zwischen ihm und Mrß. Younge, über deren Charakter wir uns unglücklicher Weise sehr getäuscht hatten, schien schon früher eine Bekanntschaft Statt gefunden zu haben. Durch ihren Beistand gelang es ihm, sich Georginen, deren zärtliches Herz ihm noch aus der Kinderzeit, wo er sich viel mit ihr beschäfftigt hatte, gewogen war, zu nähern, und sie dergestalt zu bethören, daß sie ihn zu lieben glaubte und einwilligte, mit ihm zu entfliehen. Zu ihrer Entschuldigung, sage ich, daß sie damals erst funfzehn Jahr alt war, und freue mich hinzufügen zu können, daß ich aus ihrem Munde die erste Nachricht davon erhielt. Als ich nämlich ein Paar Tage vor der verabredeten Flucht unerwartet in Ramsgate eintraf, erkannte Georgine ihr Vorhaben, wodurch sie einen geliebten Bruder, den sie bis jetzt als Vater zu betrachten gewohnt gewesen, tief gekränkt haben würde, für schweres Unrecht und gestand mir das Ganze. Was ich dabei empfand, und wie ich verfuhr, können Sie sich leicht vorstellen. Aus Rücksicht für den Ruf meiner Schwester und um ihr Gefühl zu schonen, mußte ich vorsichtig auftreten und durfte Wickham nicht, wie er es verdiente, öffentlich zur Strafe ziehen. Aber ich schrieb ihm in ernsten Ausdrücken, worauf er Ramsgate sogleich verließ. Auch Mrß. Younge ward natürlich ihres Amts augenblicklich entsetzt. Wickhams Hauptzweck bei dieser Intrigue war ohne Zweifel meiner Schwester Vermögen, bestehend in 30,000 Pfund; doch kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß er nebenbei die Absicht gehabt, sich auf das Empfindlichste an mir zu rächen. Und wäre es ihm gelungen, so würde sein Triumph allerdings vollständig gewesen sein. – Somit hätte ich Ihnen also getreuen Bericht über alles, was vom Anbeginn unsrer Bekanntschaft zwischen mir und Wickham vorgefallen, abgestattet; und wenn Sie denselben nicht als falsch verwerfen, darf ich hoffen, in Zukunft nicht wieder der Grausamkeit gegen meinen Jugendfreund beschuldigt zu werden. In welcher Art, unter welcher Form der Falschheit er mich bei Ihnen angeklagt, ist mir unbekannt; doch wundre ich mich nicht über seinen glücklichen Erfolg, da Sie von dem Vorhergegangenen keine Kenntniß hatten und haben konnten. Ein solches Ahnungsvermögen war nicht in Ihnen vorauszusetzen, ebenso wenig wie Argwohn von Ihnen zu erwarten. Sie werden sich vermuthlich wundern, daß ich Ihnen diese Umstände nicht schon gestern Abend erzählt habe, aber in dem ersten Augenblick war ich noch nicht so vollkommen Herr meiner selbst, um entscheiden zu können, was hierauf erwiedert oder entdeckt werden mußte. Hinsichtlich der Wahrheit der so eben erzählten Begebenheiten berufe ich mich auf das Zeugniß des Obersten Fitzwilliam, der theils als naher Verwandter und genauer Freund, theils aber auch als einer der Vollstrecker des letzten Willens meines verstorbenen Vaters nothwendig von allen diesen Verhandlungen unterrichtet werden mußte. Sollte Ihr Widerwillen gegen mich Sie abgeneigt machen, meinen Versicherungen Glauben beizumessen, so kann derselbe Grund Sie doch nicht abhalten, meinem Vetter zu vertrauen. Und um Ihnen die Möglichkeit, sich mit ihm hierüber zu besprechen, zu verschaffen, werde ich mich bemühen, diesen Brief noch heute Morgen in Ihre Hände zu bringen. Gott segne Sie.
Fitzwilliam Darcy,«