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Oberst Fitzwilliams Liebenswürdigkeit fand vollkommene Anerkennung in der Pfarrwohnung, und die Damen freuten sich des angenehmen Zuwachses der Gesellschaft in Rosings. Es verstrichen indessen mehrere Tage, ohne daß sie eine Einladung dorthin erhalten hätten; (ein Zeichen, daß sie sonst nur in Ermangelung besserer Gesellschaft geheischt wurden) und erst am Osterfeiertag, beinah eine Woche nach der Ankunft der Neffen, erfolgte beim Herausgehen aus der Kirche eine Einladung, den Nachmittag nach Rosings zu kommen. Lady Katharine und ihre Tochter hatten sich während dieser Zeit gar nicht sehen lassen, so wie auch Darcy; Fitzwilliam hingegen war mehrere Mal im Pfarrhause gewesen.
Die Gesellschaft stellte sich zur bestimmten Stunde ein und ward von Lady Katharine zwar sehr höflich empfangen, doch nicht so herablassend wie sonst. Man merkte, daß sie jetzt nicht allein auf den Umgang mit ihrem Geistlichen und dessen Familie reducirt war, und sie unterhielt sich weit mehr mit den jungen Männern, besonders mit Darcy, als mit Herrn Collins oder den Damen.
Oberst Fitzwilliam schien sehr erfreut, sie zu sehen, jede Abwechselung war ihm in Rosings erwünscht, und Elisabeth hatte ihm gleich anfangs außerordentlich gut gefallen. Er setzte sich jetzt zu ihr und unterhielt sie so angenehm von Kent und Hertfordshire, von seinen Reisen, von neuen Büchern und Musik, daß Elisabeth sich selbst gestehen mußte, in diesen Zimmern noch nie so gut unterhalten worden zu sein; und das Gespräch wurde so lebhaft geführt, daß es nicht allein Lady Katharinens, sondern auch Herrn Darcy's Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hatte Elisen schon eine längere Zeit beobachtet und ihre Bewegungen mit einer gewissen Neugier verfolgt, ohne es jedoch zu wagen, sich unberufen in die Unterhaltung zu mischen. Lady Katharine hingegen kannte solche zarte Rücksichten nicht und rief, nachdem sie sich vergebens bemüht, aus der Ferne Antheil zu nehmen:
»Wovon ist die Rede, Fitzwilliam? Was erzählen Sie Miß Bennet? Lassen Sie mich es auch hören.«
»Wir sprachen von Musik, Madame,« sagte er, nicht länger im Stande, einer Antwort auszuweichen.
»Von Musik! dann muß ich bitten, laut zu sprechen – es ist mein liebstes Thema. Es giebt gewiß nur wenig Menschen in England, die so viel Freude an der Musik haben, und zu gleicher Zeit so vielen natürlichen Geschmack verrathen, als ich. Hätte ich mich früher damit beschäfftigt, würde ich ohne Zweifel einen hohen Grad von Virtuosität erreicht haben, so wie auch Anna, wenn es ihre Gesundheit gestattet hätte. Wie geht es in diesem Punkt mit Georginen, lieber Darcy?«
Er freute sich, versichern zu können, daß seine Schwester bedeutende Fortschritte gemacht.
»Das ist mir lieb zu hören;« fuhr Lady Katharine fort. »Sagen Sie ihr von mir, daß sie in diesem Punkt nicht zu viel thun könne, und daß ich ihr den Rath gebe, sich fleißig zu üben.«
»Ich kann versichern, Madam,« entgegnete er kalt, »daß sie eines solchen Raths nicht bedarf und ohne denselben aus freiem Antrieb sehr fleißig in der Musik ist.«
»Desto besser. Man kann hierin nicht zu viel thun. Ich werde es ihr nächstens selbst schreiben, daß ohne anhaltenden Fleiß keine Meisterschaft in der Musik zu erlangen ist. Miß Bennet habe ich schon mehrere Mal versichert, daß sie es auf dem Clavier nie weit bringen wird aus Mangel an Uebung. Nun fehlt es ihr freilich bei Herrn Collins an einem Instrument; doch habe ich ihr schon oft gesagt, daß sie jeden Tag nach Rosings kommen kann, sich dort zu üben. In Mrß. Jenkinson's Zimmer steht ein Instrument, und in diesem Theil des Hauses ist sie keinem Menschen in Wege.«
Darcy blickte beschämt über seiner Tante Unart nach einer andern Richtung und antwortete nicht.
Nach eingenommenem Kaffee erinnerte Fitzwilliam Elisen an ihr Versprechen, ihm etwas vorzuspielen. Sie setzte sich ans Clavier, und er rückte seinen Stuhl näher heran. Lady Katharine hörte einige Minuten zu, fuhr dann aber mit ihrem andern Neffen zu sprechen fort, bis dieser sich auch dem Instrumente näherte und seinen Platz so nahm, daß er der anmuthigen Spielerin gerade ins Angesicht schauen konnte. Elisabeth bemerkte es und wandte sich mit einem schlauen Lächeln zu ihm:
»Sie versuchen mich durch Ihr aufmerksames Zuhören aus der Fassung zu bringen, Herr Darcy; aber es wird Ihnen nicht gelingen. Es ist eine gewisse Hartnäckigkeit in mir, die sich alle Mal widersetzt, wenn ich bei andern den Willen, mich zu intimidiren, bemerke. In solchen Fällen nimmt mein Muth eher zu, als ab.«
»Ich sollte Ihnen eigentlich nicht widersprechen, wenn Sie mir solche bösliche Absichten zutrauen, indem ich, seit ich die Ehre habe Sie zu kennen, bereits oft zu bemerken Gelegenheit fand, daß es Ihnen Vergnügen macht, Meinungen auszusprechen, die im Grunde nicht die Ihrigen sind.«
Elisabeth lachte über diese Schilderung ihrer selbst und sagte zu Fitzwilliam: »Ihr Vetter wird Ihnen eine vortreffliche Beschreibung von mir liefern und Ihnen rathen, nicht ein Wort von dem, was ich sage, zu glauben. Ich betrachte es als einen unglücklichen Umstand in diesem Theil der Welt, wo ich hoffen konnte, mich in den besten Credit zu setzen, mit einem Manne zusammen zu treffen, der aus alter Bekanntschaft im Stande ist, meinen wahren Charakter zu entwickeln. In der That, Herr Darcy, es ist nicht edel von Ihnen gehandelt, alles zu berichten, was Sie Nachtheiliges von mir aus Hertfordshire wissen – und unhöflich dazu. Auch möchte mich ein solches Verfahren reizen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, bei welcher Gelegenheit Dinge an den Tag kommen könnten, die Ihre Verwandten nicht ohne Entsetzen anhören würden.«
»Ich fürchte Ihre Anklagen nicht,« sagte er lächelnd.
»Lassen Sie hören, welcher Unthaten er beschuldigt werden kann,« rief Oberst Fitzwilliam. »Ich brenne vor Begierde zu erfahren, wie er sich unter Fremden benimmt.«
»Sie sollen alles wissen – aber bereiten Sie sich auf etwas Schreckliches vor. Unser erstes Zusammentreffen war auf einem Ball – und was glauben Sie wohl, was er auf diesem Ball that? Er tanzte nicht mehr als vier Tänze! Es thut mir leid; solche unglaubliche Dinge berichten zu müssen; aber er tanzte wirklich nur vier Tänze, obgleich es sehr an Tänzern fehlte, und mehr wie eine junge Dame in Erwartung eines solchen da saß. Herr Darcy, können Sie es läugnen?«
»Ich hatte damals noch nicht die Ehre, mit irgend einer andern Dame außer meiner Gesellschaft bekannt zu sein.«
»Sehr richtig, und in einem Ballsaal giebt es auch keine Gelegenheit, sich den Tänzerinnen vorstellen zu lassen. Oberst Fitzwilliam, was soll ich nun spielen? Meine Finger erwarten Ihre Befehle.«
Vielleicht,« sagte Darcy, »würde ich milder beurtheilt worden sein, wenn ich Bekanntschaften zu machen gesucht; aber ich habe nicht die Gabe, mich bei Fremden zu empfehlen.«
»Sollten wir Ihren Herrn Vetter um die Ursache befragen?« sagte Elisabeth, sich fortwährend an Fitzwilliam wendend. »Sollen wir ihn fragen: weshalb ein gebildeter, wohlgezogener Mann, welcher lange genug in der großen Welt gelebt, sich nicht bei Fremden empfehlen kann?«
»Diese Frage kann ich Ihnen ohne seine Hülfe beantworten. Weil er es nicht will, und es meistens nicht der Mühe werth hält.«
»Mir geht,« sagte Darcy, »allerdings das Talent gewisser Personen ab, mich mit Leichtigkeit mit Menschen zu unterhalten, die ich nie vorher gesehen. Ich kann mich nicht gleich in Jedermanns Ton finden, oder mich für seine Angelegenheiten zu interessiren scheinen, wie ich so viele thun sehe.«
»Meine Finger,« sagte Elisabeth, »behandeln dieses Instrument nicht so meisterhaft, wie so manche andre junge Damen. Sie haben nicht dieselbe Kraft und Fertigkeit, verstehen auch nicht den Tönen den rechten Ausdruck zu geben; aber dieses mangelhafte Spiel betrachte ich nur als eigne Schuld, als Folge versäumter Uebung, und glaube nicht, daß meine Finger unfähiger als andre sind, eine gewisse Virtuosität zu erlangen.«
Darcy erwiederte lächelnd: »Sie haben Recht. Sie haben Ihre Zeit besser angewendet. Wer das Glück hat, Ihnen zuzuhören, wird sicher nichts vermissen.«
Er schien noch mehr sagen zu wollen, ward aber durch Lady Katharine unterbrochen, welche laut nach dem Gegenstand ihrer Unterhaltung fragte. Elisabeth begann wieder zu spielen und Ihro Herrlichkeit sagte zu Darcy, nachdem sie einige Minuten zugehört:
»Miß Bennet würde ungleich besser spielen, wenn sie sich mehr übte und einen guten Londoner Lehrer haben könnte. Ihre Fingersatzung ist nicht übel, obgleich sie hinsichtlich des Geschmacks und Vortrags Annen weit nachsteht. Diese wäre gewiß eine ausgezeichnete Clavierspielerin geworden, wenn ihre Gesundheit ihr gestattet hätte fortzufahren.«
Elisabeth warf einen Blick auf Darcy, um den Eindruck zu sehen, den das freigebige mütterliche Lob seiner Braut auf ihn gemacht; aber er verrieth weder bei dieser, noch bei irgend einer andern Veranlassung das geringste Zeichen von Liebe; und aus seinem ganzen Benehmen gegen Miß von Bourgh schöpfte sie für Miß Bingley den Trost, daß er sie, wenn sie seine Verwandte gewesen, eben so gern oder ungern heirathen würde, als seine Cousine Anne.
Lady Katharine fuhr fort, Bemerkungen über Elisens Spiel zu machen, und sie mit manchen guten Lehren in Betreff des Ausdrucks und Vortrags zu beehren, die sie mit höflicher Nachsicht ertrug. Auf Bitten der beiden Herrn blieb sie am Flügel sitzen, bis der Wagen die Gesellschaft nach Hunsford führte.