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Neuntes Capitel.

Lydiens Hochzeitstag erschien, und ihre ältern Schwestern fühlten mehr für sie, als sie wahrscheinlich selbst. Der Wagen ward dem jungen Paar einige Meilen entgegengeschickt, um es bis Mittag nach Longbourn zu bringen.

Die Familie hatte sich eben zum Empfang im Frühstückszimmer versammelt, als die Gäste ankamen, Mrß. Bennets Gesicht überzog ein selbstzufriedenes Lächeln; ihr Gatte blickte ernst vor sich hin, seine Töchter voll unruhiger Erwartung nach der Thür. Jetzt erscholl Lydiens Stimme auf dem Vorsaal, die Thüre flog auf und sie herein. Ihre Mutter lief ihr entgegen, umarmte sie und bewillkommte sie mit allen Zeichen des Entzückens; hierauf reichte sie Wickham, der seiner jungen Frau folgte, mit zärtlichem Lächeln die Hand, und wünschte Beiden mit einer Heiterkeit Glück, als ob sie keinen Augenblick an der Erfüllung desselben zweifelte.

Der Empfang des Vaters, an den sie sich jetzt gewendet, war nicht ganz so freundlich. Seine Züge hatten einen sehr ernsten Ausdruck angenommen und er öffnete kaum die Lippen. Die Ruhe und Sicherheit des jungen Paares war schon hinreichend, ihn zu erbittern. Elisabeth ärgerte sich, und selbst Johanne konnte ihre Mißbilligung nicht ganz verbergen. Lydia war immer noch Lydia, ohne Furcht und ohne Schaam; wild und unbändig. Sie ging von einer Schwester zur andern, um sich Glück wünschen zu lassen; betrachtete hierauf alle Gegenstände im Zimmer und bemerkte lachend, daß es lange her sei, seit sie zuletzt darin gewesen.

Auch Wickham schien keineswegs verlegen oder beschämt und sein Benehmen hatte etwas so Gefälliges und Anziehendes, daß, wenn sein Charakter und seine Heirath so gewesen wären, wie sie hätten sein sollen, ein Jeder ihn mit Freuden als Mitglied der Familie empfangen haben würde. Elisabeth hatte es nicht für möglich gehalten, ihn mit solcher Sicherheit auftreten zu sehen; sie sah jetzt, daß sie in Zukunft nicht voraus berechnen könne, wie weit die Unverschämtheit eines unverschämten Mannes zu gehen vermöge. Sie erröthete und Johanne mit ihr; aber auf den Wangen der beiden Personen, die hierzu Veranlassung gegeben, war kein Farbenwechsel zu bemerken.

Die Unterhaltung ging nicht aus, Lydia und ihre Mutter konnten nicht schnell genug reden. Wickham, der seinen Platz neben Elisen genommen hatte, begann mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit nach allen Bekannten in der Nachbarschaft zu fragen. Sie schienen Beide die vortrefflichsten Gedächtnisse von der Welt zu besitzen und keinen Umstand ihres frühern Zusammentreffens vergessen zu haben; und Lydia leitete das Gespräch fortwährend auf solche Gegenstände, die ihre Schwestern nimmermehr berührt haben würden.

»Bedenkt nur, daß es erst drei Monate her sind,« sagte sie, »seit ich von hier fortging. Mit kommt es vor, als wäre es kaum 14 Tage, und doch ist so viel in dieser Zeit vorgefallen! Ich hätte mir es nimmermehr träumen lassen, daß ich verheirathet zurückkehren würde, obgleich ich wohl manchmal daran dachte, welch einen Spas es geben würde.«

Ihr Vater erhob den Blick vom Boden, Johanne betrübte sich, Elisabeth sah Lydien bedeutungsvoll an; diese aber, die nie zu sehen und zu hören pflegte, was ihr nicht anstand, fuhr im fröhlichen Ton fort:

»Mama! wissen die Leute hier schon, daß ich heute copulirt worden bin? Ich fürchtete, es möchte ihnen noch nicht bekannt sein, und als wir William Goulding diesen Morgen in seinem Curricle begegneten, ließ ich das Fenster an meiner Seite herunter, zog den Handschuh aus und legte meine Hand so weit heraus, daß er den Trauring sehen konnte.«

Jetzt ertrug es Elisabeth nicht langer. Sie verließ das Zimmer und kehrte nicht eher zurück, bis sie die Familie zum Essen gehen hörte. Auch hier kam sie noch zur rechten Zeit, um Lydien ihr Vorrecht, an der Mutter Seite zu gehen, mit lächerlichem Stolz behaupten zu sehen, und um zu hören, wie sie ihrer ältesten Schwester zurief:

»Jetzt, Johanne, nehme ich Deinen Platz ein und Du mußt weiter unter sitzen; denn mir als verheiratheten Frau gebührt die oberste Stelle.«

Da sich im ersten Augenblick keine Spur von Verlegenheit bei dem jungen Paar gezeigt, war auch für die Folge nichts dergleichen zu befürchten. Lydiens Heiterkeit und Selbstzufriedenheit nahm vielmehr immer noch zu. Sie sehnte sich, Mrß. Philips, Lukasens und alle ihre andern Nachbarn zu sehen und sich Mrß. Wickham nennen zu lassen; und verschmähte es selbst nicht, der Haushälterin und den übrigen Domestiken ihren Trauring zu zeigen, und sich ihnen als Mrß. Wickham vorzustellen.

Nachdem sie wieder ins Frühstückszimmer zurückgekehrt waren, sagte sie zu ihrer Mutter: »Nun, Mama! Wie gefällt Ihnen mein Mann? ist er nicht allerliebst? Meine Schwestern müssen mich beneiden; und ich wünsche ihnen nur halb so viel Glück, als ich gehabt habe. Sie müssen alle nach Brighton; das ist der beste Ort, um sich Männer auszusuchen. Schade, daß wir nicht alle hingingen.«

»Ja wohl,« entgegnete die Mutter; »es war ja auch mein Wille. Aber, liebe Lydia! ich kann Dein Verfahren im Ganzen doch nicht billigen. Mußte es auf solche Weise geschehen?«

»Und warum nicht? Es ist ja nichts Böses dabei, und mir gefiel diese Weise ganz außerordentlich. Sie, der Papa und die Schwestern müssen uns nun recht bald besuchen. Wir werden den Winter in Newcastle zubringen, woselbst es uns an Bällen nicht fehlen soll; auch will ich schon dafür sorgen, daß es den Schwestern nicht an guten Tänzern mangelt.«

Auf diese Weise ging die Unterhaltung fort, und Elisabeth tröstete sich mit der Aussicht, das der Besuch nicht länger als zehn Tage bleiben konnte. Wickham hatte sein Officierspatent bekommen, ehe er London verlassen, und mußte sich nach Verlauf von 14 Tagen beim Regiment einstellen. Mrß. Bennet allein beklagte die Kürze ihres Aufenthalts, sie benutzte die Zeit zu Besuchen mit ihrer Tochter und zu häufigen Gesellschaften in ihrem eigenen Hause, die, obgleich nicht sehr unterhaltend, dennoch allen lieber waren, als der bloße Familiencirkel.

Wickham's Liebe für Lydien war, wie Elisabeth vorausgesehen, bei weitem nicht der ihrigen gleich; und es ließ sich aus dieser Bemerkung sowohl wie aus manchen andern Gründen schließen, daß diese unglückselige Flucht mehr Folge ihrer Neigung als der seinigen gewesen war, und daß es vielleicht nie dazu gekommen wäre, wenn ihn nicht seine Schulden zu diesem Schritt getrieben hätten. Daß er unter solchen Umständen die Begleitung einer jungen Dame nicht verschmähte, war ihm nicht zu verdenken.

Lydia liebte ihn zärtlich; er war ihr geliebter Wickham, mit dem kein Andrer einen Vergleich aushielt. Er machte alles am Besten, und sie war überzeugt, daß er den ersten September mehr Vögel schießen würde, als irgend jemand in der ganzen Umgegend.

Am Morgen des zweiten Tages, als sie sich mit ihren ältesten Schwestern allein befand, sagte sie zu Elisen:

»Lizzy! ich glaube, Du hörtest noch nichts von meiner Hochzeit. Du warst nicht gegenwärtig, als ich der Mutter und den andern Schwestern davon erzählte. Bist Du nicht neugierig zu erfahren, wie es dabei herging?«

»Durchaus nicht,« erwiederte Elisabeth; »ich glaube, es läßt sich nicht viel davon sagen.«

»Ei warum nicht! Wir sollten zu St. Clement's copulirt werden, weil Wickham's Wohnung in diesem Bezirk lag. Alles war vorher verabredet, wir sollten um eilf Uhr dort sein, Onkel, Tante und ich wollten zusammen hinfahren und die Andern uns in der Kirche treffen. Der Montag Morgen kam, und ich war in großer Angst, daß etwas dazwischen kommen möchte. Während ich mich anzog, sprach und predigte die Tante unaufhörlich – es war, als ob ich eine Predigt läse. Doch Ihr so könnt wohl denken, daß ich nicht darauf hörte, und nur an meinen lieben Wickham dachte. Ich brannte vor Verlangen zu wissen, ob er sich in seinem blauen Rock copuliren lassen würde. Das Frühstück wollte kein Ende nehmen. Beiläufig muß ich auch bemerken, daß Onkel und Tante die ganze Zeit sehr ungefällig gegen mich waren. Nicht ein einziges Mal durfte ich zum Hause hinaus, obgleich ich vierzehn Tage dort war. Keine Gesellschaft, keine Parthie, nichts der Art! Und als ich nun endlich erlößt zu werden hoffte, als der Wagen schon vor der Thüre hielt, wurde der Onkel in Geschäfftsangelegenheiten zu dem fatalen Herrn Stone gerufen, von dem nie wieder loszukommen ist. Ich war außer mir; denn der Onkel sollte mich zum Altar führen, und wenn wir zu spät kamen, konnten wir an diesem Tage nicht mehr copulirt werden. Aber glücklicher Weise kehrte er schon nach zehn Minuten zurück. Später fiel mir auch noch ein, daß die Ceremonie deshalb doch nicht aufgeschoben zu werden gebraucht hätte, da Herr Darcy dabei war, und seine Stelle vertreten konnte.«

»Herr Darcy!«, wiederholte Elisabeth im Ton des höchsten Erstaunens.

»Ja, er kam mit Wickham, wie Du weißt. Aber, o Himmel! Ich vergaß ganz, daß ich nichts hiervon sagen sollte. Ich versprach es ihnen feierlich! Was wird Wickham sagen? Es sollte ein Geheimniß bleiben!«

»Dann schweige,« entgegnete Johanne, »und sei versichert, daß wir Dich nicht auffordern werden, mehr zu verrathen.«

»Nein, gewiß nicht,« sagte Elisabeth vor Neugier brennend; »wir wollen keine Fragen weiter an Dich richten.«

»Ich danke Euch.« erwiederte Lydia; »denn wenn Ihr mich darum bätet, würde ich Euch gewiß alles erzählen und Wickham dadurch böse machen.«

Bei solcher Aufforderung zu fernern Fragen sah sich Elisabeth genöthigt, die Flucht zu ergreifen, und sie verließ die Schwestern plötzlich unter einem scheinbaren Vorwand.

Aber lange in Unwissenheit über diesen merkwürdigen Umstand zu bleiben, erschien ihr unmöglich; wenigstens mußte sie einen Versuch wagen, Aufschluß zu erhalten. Darcy war bei ihrer Schwester Trauung gegenwärtig gewesen! Dieß konnte nur aus einer besondern Veranlassung geschehen sein. Unzählige Vermuthungen entstanden in ihrem Gehirn; aber keine befriedigte sie, und die einzige, die sein Betragen in das edelste Licht setzte, erschien ihr zu unwahrscheinlich. Sie konnte solche Ungewißheit nicht ertragen, und schrieb ganz kurz an ihre Tante, sie um eine Erklärung der Worte bittend, die Lydia in ihrer Unbedachtsamkeit ausgesprochen, falls sie nämlich nicht auch versprochen, das Geheimniß zu bewahren.

»Und sollte dieß der Fall sein,« fügte sie zum Schluß hinzu, »so muß ich mich einiger Kriegslisten bedienen, um die Sache auf eine andre Weise herauszubringen.«

Johannens Zartgefühl erlaubte ihr nicht, mit Elisen über diesen Gegenstand zu sprechen, und dieß war ihr lieb. Bis sie nicht wußte, ob sie eine befriedigende Antwort auf ihre Fragen erhalten würde, konnte sie keine Vertraute brauchen.


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