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Nachdem Herr Collins acht Tage lang den zärtlichen Liebhaber gespielt, und seiner theuren Braut mit bekannter Weitschweifigkeit die künftige häusliche Glückseligkeit mit brennenden Farben ausgemalt hatte, mußte er sich abermals von ihr losreißen. Doch wurde ihm der schwere Abschied dadurch einiger Maaßen versüßt, daß er die kurze Zwischenzeit bis zu seinem nächsten Besuch in Hertfordshire mit Vorbereitungen zum Empfang der geliebten Charlotte ausfüllen, und nach seiner baldigen Zurückkunft hoffen konnte, dieselbe zum Altar führen zu dürfen. Er nahm von seinen Verwandten in Longbourn mit derselben Förmlichkeit, wie das erste Mal, Abschied, wünschte seinen Cousinen von Neuem viel Glück und Gesundheit, und versprach ihrem Vater einen abermaligen Danksagungsbrief.
Wenige Tage darauf hatte Mrß.. Bennet die Freude, ihren Bruder und dessen Frau in Longbourn zu sehen, welche das Weihnachtsfest gewöhnlich daselbst zuzubringen pflegten. Herr Gardiner, ganz das Gegentheil von seiner Schwester, war ein so feiner, gebildeter Mann, daß selbst die Damen in Netherfield ihn nicht für einen, Angesichts feines Waarenlagers wohnenden Kaufmann gehalten haben würden, eben so wenig, wie Mrß. Gardiner für die Frau eines Mannes aus diesem Stande. Sie war mehrere Jahre jünger als Mrß. Bennet und Mrß. Philips, höchst liebenswürdig, unterrichtet und lebendig, und besaß die Gunst ihrer Nichten in einem sehr hohen Grade. Zwischen ihr und den beiden Aeltesten, welche häufig in der Stadt bei ihr gewesen, fand ein wahrhaft freundschaftliches Verhältniß Statt.
Nachdem Mrß. Gardiner die mitgebrachten Geschenke ausgetheilt und die neuesten Moden beschrieben hatte, wartete ihrer eine weniger angenehme Unterhaltung. Mrß. Bennet hatte viel zu berichten, und noch mehr zu klagen. Zwei ihrer Töchter waren auf dem Punkt gewesen, sich zu verheirathen; sie hatte die Sache schon als gewiß betrachtet, im Geist bereits alle Vorkehrungen getroffen, als ein ungünstiges Geschick ihre schönsten Hoffnungen zerstörte.
»Johanne ist hierbei nicht zu tadeln,« sagte sie mit Heftigkeit, »wohl aber Lizzy, dieses eigensinnige, halsstarrige Geschöpf! Ach, Schwester! Du kennst es nicht das bittre Gefühl der Täuschung. Sie hätte in diesem Augenblick schon Mrß. Collins sein können, wenn sie gewollt. Hier in diesem Zimmer, auf demselben Platz, wo Du jetzt sitzest, bot er ihr Herz und Hand, und sie verwarf den Antrag so schonungs- und rücksichtslos, daß auch jede Aussicht auf eine mögliche Wiederholung verschwand. Was ist die Folge hiervon? daß ich das Herzeleid erleben muß, Charlotte Lukas früher als meine eignen Töchter verheirathet – und was noch schlimmer ist – künftig als Besitzerin von Longbourn zu sehen! Der Gram über diese vielen unverdienten Unglücksfälle hat meine armen Nerven gänzlich zerrüttet; ich fühle mich über alle Beschreibung schwach und angegriffen, und nur Dein erheiternder Besuch, liebe Schwester! und was Du mir so eben von den jetzigen langen Ermeln erzählt hast, sind im Stande, mich einiger Maaßen zu zerstreuen.«
Mrß. Gardiner, schon früher durch ihre ältesten Nichten brieflich von allen diesen Umständen, so wie von der Mutter Betrübniß darüber in Kenntnis gesetzt, erwiederte ihre Klagen nur oberflächlich, und bemühte sich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Doch suchte sie später, theils durch genaue Beobachtung, theils durch Elisens Beistand, den wahren Zustand von Johannens Herz zu ergründen. Ihre Ruhe hatte offenbar einen Stoß erlitten; und so sehr sie auch an sich arbeitete, das verlorne innere Gleichgewicht wieder herzustellen, wollte es ihr doch nicht sogleich gelingen.
»Arme Johanne!« sagte Mrß. Gardiner zu Elisen, nachdem sie ihre Schwester beobachtet und durchschaut, »arme Johanne! Deine weiche Seele ist nicht für solche bittre Erfahrungen geschaffen, und wird sie schwerlich so bald verwinden können. Du, meine Lizzy! würdest leichter über dergleichen hinweggehen und Dich wahrscheinlich bald wieder aus dem liebenden Zustand herauslachen, falls Du auf Augenblicke hineingerathen wärst. Nicht so Johanne mit ihrem reizbaren Gemüth und tiefem Gefühl. Ich erkenne die Nothwendigkeit, sie aus dieser Lage herauszureißen, und werde das Meinige dazu thun. Glaubst Du, daß eine Ortsveränderung wohlthätig auf sie wirken und sie zerstreuen würde?«
Elisabeth freute sich über diesen Vorschlag und war im Voraus der Einstimmung ihrer Schwester gewiß.
»Ich hoffe,« fügte Mrß. Gardiner hinzu, »daß sie sich nicht aus Rücksicht für Bingley abhalten lassen wird, uns nach London zu begleiten. Wir leben in einem ganz andern Theil der Stadt, verkehren mit lauter Menschen, die ihm unbekannt sind, und gehen im Ganzen so wenig aus, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß sie ihn sehen sollte, falls er nicht in dieser Absicht zu uns käme.«
»Für diesen Fall glaube ich einstehen zu können,« entgegnete Elisabeth mit einiger Wärme; denn jetzt lebt er ganz unter der Herrschaft seines Freundes, und Herr Darcy würde ihm nimmermehr gestatten, Johannen in diesem Theil der Stadt aufzusuchen. Er hat vielleicht kaum von der Existenz einer solchen Straße als der Grace-church street gehört, und würde sich feiner höhern Cirkel auf längere Zeit für unwürdig halten, wenn er sie jemals betreten. Und Bingley wagt gewiß nicht, ohne seinen Mentor auszugehen.«
»Desto besser. Aber correspondirt Johanne nicht mit seiner Schwester? In diesem Fall würde Miß Bingley doch nicht umhin können, sie zu besuchen.«
»Da haben Sie nichts zu befürchten!« erwiederte Elise mit Bitterkeit. »Miß Bingley wird die Bekanntschaft wahrscheinlich ganz fallen lassen.«
Doch so bestimmt sie sich auch über die Unwahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens zwischen Johannen und Bingley aussprach, hoffte sie dennoch im Geheim, daß ein günstiger Zufall hierzu behülflich sein würde. Und von des jungen Mannes Neigung zu ihrer Schwester war sie so fest überzeugt, daß es, ihrer Meinung nach, nur eines Wiedersehens bedurfte, um ihn zu ihren Füßen zurückzuführen.
Miß Bennet nahm ihrer Tante Einladung mit Freuden an. Der Gedanke an Bingley's hatte hieran nur in so fern Theil, daß sie hoffte, bei Carolinen, welche nicht dasselbe Haus mit ihrem Bruder bewohnte, dann und wann einige Morgenstunden zubringen zu können, ohne Gefahr ihn dort zu treffen.
Die Familie Gardiner blieb eine Woche in Longbourn und Mrß. Bennet trug Sorge, daß kein Tag einsam verlebt wurde. Wenn nicht nach Meryton oder Lukas-Lodge eingeladen, unterbrachen einige Officiere die Einförmigkeit des Familienmahls, und unter dieser Anzahl befand sich fast immer Herr Wickham. Durch Elisens wiederholtes Lob seiner liebenswürdigen Eigenschaften aufmerksam geworden, begann Mrß. Gardiner die jungen Leute genauer zu beobachten. An eine ernstliche Neigung schienen beide Theile für den Augenblick nicht zu denken; doch war ein gegenseitiges Wohlgefallen und Auszeichnen nicht zu verkennen, welche Bemerkung schon hinreichte, die sorgsame Tante zu beunruhigen. Sie beschloß noch vor ihrer Abreise mit Elisen darüber zu sprechen, und ihr die Thorheit, ein näheres Verhältniß anzuknüpfen, vorzustellen. Wickham hatte zwar auch auf sie den angenehmen Eindruck gemacht, den er selten zu machen verfehlte; aber seine Lage war nicht von der Art, eine Verbindung mit einem unbemittelten Mädchen zu gestatten, und so wünschte sie dem Uebel vorzubeugen, ehe es zu weit um sich gegriffen. Außer seiner allgemeinen Liebenswürdigkeit hatte er in ihren Augen noch einen Vorzug, der ihr besonders seine Unterhaltung sehr angenehm machte. In demselben Theil von Derbyshire; wo sie mehrere Jahre vor ihrer Verheirathung gelebt und viel liebe Freunde zurückgelassen, war er geboren und erzogen; und wenn gleich nicht kürzlich von dort hergekommen, konnte er ihr doch neuere Nachrichten mittheilen. – Auch in Pemberley war Mrß. Gardiner oft gewesen, und hatte den verstorbenen Herrn Darcy persönlich gekannt, bei dessen Erwähnung Wickham nicht versäumte, sein Klagelied über die vom Sohn erlittene unwürdige Behandlung anzustimmen: Sie hatte den jungen Darcy nie gesehen, erinnerte sich jedoch seiner als eines stolzen, hochmüthigen Knaben erwähnt gehört zu haben.