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Der Tag der Abreise kam, und Mrß. Gardiner benutzte eine Stunde des Alleinseins mit Elisen, um sie auf die ihr bevorstehende Gefahr aufmerksam zu machen. Sie lobte Wickhams Charakter, fand es begreiflich, daß er ein junges Gemüth zu beschäfftigen im Stande sei; warnte jedoch ein solches Gefühl nicht überhand nehmen zu lassen, indem der gänzliche Mangel des Vermögens von seiner wie von ihrer Seite eine Verbindung unmöglich machte.
»Ich baue auf Deinen Verstand,« fuhr sie fort, »und hoffe, daß Herz und Fantasie ihm nicht allzusehr entgegen handeln mögen. Dieß erwartet auch Dein Vater. Es ist ein ernster Punkt, und Du wirst seine Erwartungen doch gewiß nicht täuschen wollen!«
»Liebste Tante, Sie behandeln die Sache so wichtig, daß ich fast selbst ernst dabei werde.«
»Dich so zu stimmen, ist auch meine Absicht.«
»Wohlan! Ich bin jetzt so ernsthaft wie Vetter Collins in dem wichtigen Augenblick, als er um mich anhielt, und gelobe in dieser Stimmung über mich und Herrn Wickham zu wachen. Er soll sich nicht in mich verlieben, wenn ich es verhindern kann.«
»Elisabeth! das ist noch nicht der rechte Ton.«
»Verzeihen Sie, wenn es nicht so schnell gelingen will; aber nun bin ich wirklich ernsthaft und versichere, daß ich Herrn Wickham noch nicht liebe, obgleich ich eingestehen muß, daß er der angenehmste, liebenswürdigste Mann ist, den ich bis jetzt kennen gelernt. Und wenn er sich wirklich zu mir gezogen fühlen sollte, möchte ich lieber wünschen, daß wir uns nie gesehen. O, über den abscheulichen Herrn Darcy! Wie so ganz anders könnte manches sein! Meines Vaters gute Meinung von meinem Verstand ehrt und freut mich, und ich werde alles thun, sie zu erhalten. Uebrigens ist Herr Wickham sein wie der ganzen Familie Liebling, und die Aufgabe, ihn mit gleichgültigen Augen zu betrachten, deshalb nicht ganz leicht. Jedoch verspreche ich zu Ihrer Beruhigung, alles zu thun, was in meinen Kräften steht. Da aber die tägliche Erfahrung lehrt, daß ein Paar junge, auf dem Wege der Liebe begriffenen Leute sich selten durch den Mangel irdischer Güter abhalten lassen, in ein näheres Verhältniß zu treten: so würde es Anmaaßung von mir sein, mich weiser und stärker als meine Nebenmenschen dünken zu wollen. Deshalb kann ich nichts unbedingt versprechen und nur versichern, daß ich mich nicht übereilen, und mich nicht zu früh für den erwählten Gegenstand halten will. Mehr können Sie nicht verlangen.«
»Es möchte vielleicht rathsam sein, ihn nicht zum öftern Kommen aufzufordern – die Mutter wenigstens nicht daran zu erinnern, ihn einzuladen.«
»Wie ich es gestern gethan,« entgegnete Elisabeth lächelnd. »Sie mögen wohl Recht haben, liebste Tante! und es soll auch nicht wieder geschehen. Uebrigens muß ich bemerken, daß er früher nie so oft hier gewesen, und daß die wiederholten Einladungen nur Ihretwegen erfolgt sind. Sie kennen ja der Mutter Begriffe von guter Unterhaltung ihrer Gäste, und so glaubte sie sich Ihnen hierdurch gefällig zu bezeigen. Doch genug. Ich gebe Ihnen mein Wort, mich möglichst vernünftig und weise zu benehmen, und so werden Sie hoffentlich beruhigt sein.«
Mrß. Gardiner fühlte sich durch diese Versicherungen befriedigt, und beide Theile trennten sich gegenseitig zufrieden mit einander.
Herr Collins kehrte, gleich nach Gardiners und Johannens Abreise, nach Hertfordshire zurück; da er aber dieses Mal den Aufenthalt in Lukas-Lodge vorgezogen, verursachte sein Besuch der Bennet'schen Familie keine große Unbequemlichkeit. Der Tag seiner Verbindung rückte heran, und Mrß. Bennet war doch endlich so weit gediehen, die Sache als unvermeidlich zu betrachten und dem Brautpaar, wenn gleich nicht mit der besten Art, doch leidlich höflich alles mögliche Glück zu wünschen.
Als aber Miß Lukas am Tage vor der Hochzeit nach Longbourn kam, Abschied von der Familie zu nehmen, hielt die mühsam errungene Fassung nicht länger aus, und Elisabeth mußte ihrer Mutter kaltes, unfreundliches Benehmen durch verdoppelte Herzlichkeit wieder gut zu machen suchen. Der Gedanke einer längern Trennung von der Jugendgefährtin ergriff sie mächtig, und wenn Charlotte ihrem Herzen auch nicht mehr so nahe stand, wie sonst, fühlte sie den Verlust doch schmerzlich. In dieser weichen Stimmung konnte sie ihr daher auch nicht die Bitte, sie im März, wenn Vater und Mutter nach Hunsford kämen, zu besuchen, abschlagen, so wenig Freude sie sich auch von diesem Aufenthalt versprach.
Gleich nach vollzogener Trauung reisten Braut und Bräutigam ab, und Mrß. Bennet genoß nun wenigstens, in so fern Ruhe, daß sie die verhaßten Gegenstände nicht mehr in ihrer Nähe zu dulden brauchte.
Die erstern Briefe von Mrß. Collins, an Elisen wurden von der Bennet'schen Familie mit großer Ungeduld erwartet. Man wünschte zu erfahren, wie sie sich über ihre neue Heimath aussprechen, wie ihr Lady Katharine gefallen, und was sie über ihr eheliches Glück sagen wurde, Charlottens Aeußerungen entsprachen Elisens Erwartungen in jeder Hinsicht; sie schrieb sehr heiter, schien alles so gefunden zu haben, wie sie gehofft, und pries ihr Loos glücklich. Haus, Garten, Einrichtung, Nachbarschaft, Wege – kurz alles entsprach ihren Wünschen, und Lady Katharinens Aufnahme war äußerst freundlich und huldreich gewesen. Ihre Beschreibung von Hunsford und Rosings lieferte mit schwächern Farben dasselbe Bild, was Collins mit den lebhaftesten ausgemalt hatte.
Johanne hatte ihre glückliche Ankunft in London mit wenigen Worten gemeldet, und Elisabeth sah ihrem nächsten Brief mit ungeduldiger Erwartung entgegen. Endlich kam er und berichtete, daß sie eine ganze Woche in der Stadt gewesen, ohne Carolinen zu sehen, oder von ihr zu hören, welchen Umstand sie sich nur dadurch zu erklären vermochte, daß ihr letzter, von Longbourn geschriebener Brief verloren gegangen sein mußte.
»Meine Tante,« so fuhr sie fort; »hat morgen ein Geschäft in diesem Theil der Stadt, und so werde ich die Gelegenheit benutzen, meinen Besuch in Grosvenor-street zu machen.«
Nachdem sie von dort zurückgekehrt, schloß sie ihren Brief:
»Ich fand Caroline nicht recht heiter; doch freute sie sich, mich wieder zu sehen und machte mir Vorwürfe, ihr nicht vorher Nachricht von meiner Ankunft in London gegeben zu haben. So hatte ich also doch Recht, daß mein Brief verloren gegangen war. Auf meine Fragen nach ihrem Bruder erfuhr ich, daß er sehr wohl sei und fast beständig in Darcy's Gesellschaft, so daß sie ihn selten zu sehen bekäme. Miß Darcy wurde zum Mittagsessen erwartet; und da Caroline und Mrß. Hurst im Begriff standen, auszugehen, kürzte ich meinen Besuch sehr ab. Ich hoffe nun die Damen bald bei mir zu sehen.«
Elisabeth schüttelte den Kopf beim Lesen dieses Briefs. Sein Innhalt bestärkte sie in ihrem Glauben, daß nur ein glücklicher Zufall Bingley'n ihrer Schwester Anwesenheit in London verrathen könne.
Vier Wochen verstrichen, ohne daß Johanne ihn oder seine Schwestern gesehen. Sie suchte sich selbst zu überreden, daß sie sich durch diese Vernachlässigung nicht gekränkt fühlte, konnte aber doch nicht länger in ihrer Verblendung über Miß Bingley's Unhöflichkeit verharren. Nachdem sie 14 Tage lang jeden Morgen in Erwartung des Besuchs zu Hause geblieben, und jeden Abend eine neue Entschuldigung für das Ausbleiben desselben erfunden, stellte sich Miß Bingley endlich ein. Aber die Kürze dieser Visite, und noch mehr die sichtbare Veränderung in Carolinens Benehmen, benahmen Johannen jeden noch übriggebliebenen Zweifel. Sie schrieb an Elisen:
»Caroline erwiederte meinen Besuch nicht eher als gestern, und in dieser langen Zwischenzeit hörte ich kein Wort, erhielt ich keine Zeile von ihr. daß sie auch jetzt nur aus Pflichtgefühl und nicht aus freier Wahl zu mir kam, sprach sich deutlich genug aus. Sie machte eine leichte Entschuldigung, nicht früher gekommen zu sein, sagte aber nicht, daß sie mich öfterer zu sehen wünschte und erschien mir im Ganzen so verändert, daß ich fest beschloß, diesen Umgang ganz aufzugeben. Ich bedauere und tadle sie zugleich. Es war offenbar Unrecht von ihr, mich so auszuzeichnen, wie sie es gethan, mir mit so vieler Freundlichkeit und Liebe entgegen zu kommen. Und doch muß ich sie auch bedauern, weil sie ihr Unrecht gewiß später erkennen wird. Es geschieht alles nur aus Angst für ihren Bruder; und wenn wir diese Angst auch als völlig grundlos erkennen, müssen wir sie doch in der liebenden Schwester verzeihlich finden. Er weiß, daß ich hier bin – so muß ich wenigstens aus ihren Aeußerungen schließen – und hat dennoch keinen Versuch gemacht, mich aufzusuchen. Caroline ist bemüht, sich und mich fortwährend von ihres Bruders aufkeimender Liebe zu Miß Darcy zu überzeugen, und erwähnt ihrer häufig in dieser Beziehung. Zu welchem Zweck? Ich kann ihn nicht ergründen. Fürchtete ich mich nicht zu streng zu urtheilen, so möchte ich fast sagen, daß aus diesem Allen eine gewisse Absichtlichkeit, ein gewisses zweideutiges Wesen spricht. Doch ich will jeden schmerzlichen Gedanken zu verbannen suchen, und nur an das denken, was mich beglückt, an Deine aufopfernde, treue Schwesterliebe, meine theuerste Lizzy! und an die stets gleichbleibende Güte meines Onkels und meiner Tante. Laß bald von Dir hören. MiB Bingley erwähnte beiläufig, daß ihr Bruder schwerlich wieder nach Netherfield zurückkehren und wahrscheinlich die Pachtung ganz aufgeben würde. Sprich lieber hiervon nicht gegen die Mutter. Es freut mich, daß die Nachrichten von unsern Freunden aus Hunsford gut lauten. Ich rathe Dir sehr, Charlottens Einladung zu folgen und Sir William zu begleiten. Du wirst Dich gewiß recht wohl dort befinden.«
Dieser Brief erfüllte Elisens Herz mit Betrübniß, aber zugleich auch mit Freude über Johannens endlicher Erkenntniß des Unwerths ihrer vermeintlichen Freundin. Von Bingley hoffte und erwartete sie nichts mehr; ja, sie wünschte selbst eine Erneuerung seiner Aufmerksamkeiten nicht mehr. Ihr Glaube an seine Vortrefflichkeit hatte einen bedeutenden Stoß erlitten; sie konnte seinen Charakter nicht mehr achten und sah seine bevorstehende Verbindung mit Miß Darcy (eingedenk Wickhams Schilderung dieser jungen Dame) für eine wohlverdiente Strafe an.
Unterdessen hatte Mrß. Gardiner nicht versäumt, Elisen an das Versprechen ihr Nachricht über Wickhams ferneres Benehmen zu geben zu erinnern; und die Nichte konnte der Tante befriedigend darauf antworten. Seine anscheinende Vorliebe für Elisen war vorüber, er zollte seine zarten Aufmerksamkeiten einer Andern. Sie hatte sich ihre Unbefangenheit, in so weit zu erhalten gewußt, um diesen Wechsel bemerken, und ihn ihrer Tante ohne Schmerz melden zu können. Ihr Herz war nur leicht berührt gewesen und ihre Eitelkeit flüsterte ihr zu, daß sie unstreitig von ihm erwählt worden wäre, wenn sie Vermögen besessen. Eine unerwartete Erbschaft von zehntausend Pfund war der hauptsächlichste Reiz derjenigen jungen Dame, welcher er jetzt sein Herz zugewendet. Doch zeigte sich Elisabeth bei diesem Fall weniger hellsehend als bei Charlotten, und verzieh ihm den Wunsch, sich durch diese Verbindung einige Unabhängigkeit zu sichern, großmüthig. Nichts konnte natürlicher sein! In der festen Ueberzeugung, daß ihm dieser Entschluß hinsichtlich seiner Vorliebe für sie schwer geworden, war sie sogar im Stande, die Wahl vernünftig zu finden, und ihm von Herzen Glück dazu zu wünschen.
Nachdem sie ihrer Tante alles dieses mitgetheilt, fuhr sie fort –
»Ich bin fest überzeugt, ihn nicht wahrhaft geliebt zu haben: denn wäre dieß der Fall gewesen, würde ich jetzt seinen Namen nicht mit Ruhe aussprechen hören, und ihm nicht alles Gute wünschen können. Aber mein Gefühl für ihn ist nicht allein herzlich geblieben, auch Miß King wird mit unpartheiischen Blicken von mir beurtheilt, und für ein harmloses, gutmüthiges Geschöpf erklärt, gegen welches ich keinen Groll hege. Kitty und Lydia nehmen sich die Sache mehr zu Herzen, als ich. Sie sind noch zu jung und unerfahren in der Welt, um es zu begreifen, daß die hübschen und liebenswürdigen Jungen Männer (wenn sie leben wollen) eben so gut auf Vermögen Rücksicht nehmen müssen, als die häßlichen und unliebenswürdigen.«