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Max stand bewegt und ergriffen da. Die Worte der Biene, die beim Beginn der Darlegungen herb und spottlustig klangen, wurden im Laufe ihrer Rede liebenswürdig und sogar herzlich. Der aufgeregte Ton, der zu Anfang des Gespräches geherrscht hatte, war einer artigen und zarten Stimmung gewichen.
»Nein, wieviel des Schönen hast du erzählt!« nickte Max beifällig ihr zu.
Es zog ihn mächtig zu der lieben Biene, und er fragte sie:
»Wollen wir miteinander gut sein?«
»Gerne«, antwortete schlicht die Biene.
»Das ist lieb von dir! Um dir zu beweisen, wie sehr ich deine Freundschaft schätze, werde ich sofort die Rose verlassen; aber nicht wahr, du weihst mich noch in das Geheimnis ein, wie du Honig und Wachs bereitest?«
»Das ist nicht schwer für mich. Mit meinem Rüssel sauge ich die Honigdrüse aus, die meist am Fuße der Staubfäden zu finden ist. Dieser Saft fließt in meinen Honigmagen und wird hier zum fertigen Honig. Was das Wachs betrifft, so schwitzen wir es in unserem Hause an der Unterseite des Hinterleibes aus.«
»Noch eine Frage«, bat Max wißbegierig.
»Aber schnell, bitte. Die Sonne geht bald unter, und wir haben strenge Hausordnung in unserem Stock.«
»Was ist denn das, euer Stock?«
»Wie, das weißt du auch nicht? Der Stock ist unser Dorf, unsere Gemeinde. Nun? Was noch?«
»Ach, deinen Namen möchte ich gar gerne wissen.«
»Ich heiße Süßchen.«
Die Biene mit dem reizenden Namen flog davon, und Max mochte die Augen nicht von ihr wenden, bis er sie hinter einem Baume entschweben sah. Dann stieg unser Held vom Rosenstrauch herab, um seinen Weg wieder zu suchen. Er war aber nicht der einzige gewesen, der den Flug Schönsüßchens verfolgt hatte. In der Nähe schrillte eine kreischende Stimme, die von einem Rosenzweig zu kommen schien.
»Ha, ha«, so verstand Max, »endlich habe ich herausgekriegt, wo du, teure Frau Biene, wohnst! Heute abend werde ich mir einmal gütlich tun an deinem Honig!«
Bestürzt, ja entsetzt sah Max um sich. Angeklammert am Rosenzweig sah er vor sich ein schwarzes Ungetüm von düsterem Aussehen. Es hatte einen dicken, behaarten, braunen Rücken und mitten drauf – ein schauriger Anblick – war in gelber Farbe ein Totenkopf gemalt. Als Max das fürchterliche Insekt gewahrte, erschrak er heftig. Das Untier aber fuhr mit seiner schrillen Stimme fort:
»Vortrefflich! Donner und Doria! Wenn's dunkel wird, werde ich mir, so wahr ich Atropos heiße, das Leben versüßen.«
Es war wahrhaftig ein Acheronte, einer jener großen Schmetterlinge, welche man Totenkopf nennt wegen der düstern, gelben Zeichnung auf ihrem Rücken, und die, wenn sie gereizt werden, einen pfeifenden, schrillen Ton ausstoßen, der bisweilen so unheimlich wie das Bild wirkt. Die düstere Färbung, die unheimliche Zeichnung, die Größe des Schmetterlings und sein Erscheinen im Dunkeln sind die Ursache, daß dumme, abergläubische Menschen sie für Unglückstiere halten, wie es auch mit Eulen und Käuzchen geschieht. Die Angst solcher einfältigen Leute ist unsinnig, aber andere Geschöpfe können sich mit gutem Recht vor diesem Schmetterling fürchten. Wie die Vöglein gut tun, sich vor der Eule zu verstecken, welche sie nur allzusehr liebt und sie recht wohlschmeckend findet, so müssen die Bienen vor dem Totenkopf auf der Hut sein, da er nach ihrem Honig lüstern ist.
Max hatte die bösen Absichten des Insektes wohl verstanden, und da er für Bienen im allgemeinen und für Süßchen im besondern eine warme Zuneigung verspürte, so sagte er jetzt für sich:
»Der Stock ist in der Nähe, ein günstiger Zufall hat mich eingeweiht in die Einbruchspläne des schwarzen Diebes; wie wäre es, wenn ich eilte, Süßchen zu warnen?«
Er warf einen Blick auf den Baum, dem die Biene zugeflogen war, und richtete seine Schritte gegen Süßchens Wohnung. Er rannte, was er konnte, achtete kein Hindernis und sagte sich: Das Untier ist ein gerissener Dieb; es will erst einbrechen, wenn es finster ist. Wenn ich auch keine Flügel habe wie dieser Gauner, so werde ich trotzdem vor ihm dort anklopfen können. Da – was war das? Er hielt überrascht im Laufe inne. Hatte er nicht rufen hören:
»Hurra! Es lebe der Kaiser!«
Er spähte und konnte niemand entdecken. Schon wollte er Weiterwandern, im Glauben, daß er sich getäuscht habe, als er den Ruf ein zweites Mal hörte, und diesmal konnte es gewiß keine Sinnestäuschung sein.
»Max Butziwackel! Hoch!«
Zwischen Schreck und Freude verlor er schier die Besinnung. Zu seiner linken Seite lag ein dichter Graswald, aus dem hervor keuchend zwei Ameisen auf ihn zustürzten, in denen er sofort seine zwei Adjutanten erkannte. Ein gemeinsamer Freudenschrei:
»Unser Kaiser!«
»Dickkopf! Großzang!«
Ein unbeschreibliches Bild! Die drei Ameisen fielen sich gegenseitig in die Arme. Eine Sintflut von Fragen folgte der zärtlichen Umarmung; Erklärungen, Berichte und Erzählungen regnete es nur so, und nach der ersten Pause ging es von neuem los:
»Unser Kaiser! Er ist's! Hier steht er vor uns! Wer kann es glauben!« so rief Großzang, und Dickkopf setzte hinzu:
»Wir beweinten ihn als tot!«
»Eure Teilnahme ehrt mich«, sprach Max gerührt, »und ich kann euch versichern, jetzt fühle ich mich wie neu geboren durch euern Anblick. Wie kommt ihr hierher? Wie ist es euch ergangen?«
»Ach, wir sind nur durch ein Wunder gerettet worden. Kaum weiß ich's, wie wir entwischt sind. Eine Schar Roter verfolgte uns mit aufgesperrten Zangen und schimpfte unglaublich roh hinter uns drein. – Welche Schlacht! Ist es möglich, daß wir sie verlieren konnten, trotz deines erhabenen Einfalles, unser Heer durch die Bombardiere zu verstärken!«
Feierlich sprach Max:
»Was wollt ihr? Das Glück ist nicht immer die Freundin großer Geister. Genug! Ihr stellt euch nicht vor, wie ich mich freue, euch wiederzusehen!«
»Wie froh sind erst wir! Wir wollen bis ans Ende unserer Tage bei dir bleiben.«
»So begleitet mich«, sprach Max väterlich zu den beiden. »Während wir raschen Schrittes gehen, könnt ihr eure Geschichte erzählen.« So schritten sie alle drei dem Bienenstock zu.
»Denke dir nur«, fing Dickkopf an.
»Stelle dir vor«, sprudelte zu gleicher Zeit Großzang.
»Einer nach dem andern«, entschied Max.
»Großzang, dir erteile ich zuerst das Wort.«
»Stelle dir also vor«, fing er an, »daß wir bis jetzt ein Landstreicherleben führen mußten, umlauert von tausend Gefahren!«
»Wie auch ich!«
»Ohne je zu wissen, wo man nachts sein müdes Haupt hinlegen könne!«
»Wie ich!«
»Keine Ahnung, wo eine Mahlzeit hernehmen!«
»Euer Kaiser aß nichts mehr seit heute früh!«
»Kurz, wir haben das elendeste Leben geführt, das man sich denken kann. Aber jetzt, wo wir dich wiedergefunden haben, wo wir bei dir bleiben können, jetzt fürchten wir nichts mehr. Nicht wahr, Dickkopf?«
»Jawohl!«
Max frohlockte, und die zwei Adjutanten schrien:
»Es lebe Kaiser Butziwackel I.!«
Da hagelte wie eine Antwort auf diesen Ruf ein Steinregen hernieder und hüllte den Kaiser samt seinem Gefolge ein. Unser Held, der die Erde unter seinen Füßen wanken fühlte, hatte kaum Zeit, sich an einen Grashalm festzuklammern, während Großzang ihm um den Hals fiel und rief:
»Halte mich, ich falle!«
Es war das Werk eines Augenblicks. Wie durch Zauberschlag hörte der Steinregen auf, und Max und Großzang hörten eine schwache Stimme, die unter der Erde um Hilfe zu rufen schien. Fest umschlungen blickten sie unwillkürlich unter sich und erschauderten. Ein schreckliches Bild bot sich ihren Blicken.
Sie befanden sich auf dem Rande eines trichterförmigen Loches, auf dessen Grunde der arme Dickkopf vergeblich kämpfte, gepackt von den riesigen Zangen eines furchtbaren Tieres, das den Unglücklichen aussaugte und dazwischen hin und wieder ausrief:
»Hm, die schmeckt fein!«
»Ein Ameisenlöwe!« stammelte Großzang zitternd.
»Ameisenlöwe!« wiederholte Max, und er erinnerte sich seines Abenteuers mit dem libellenähnlichen Insekt. – »Ah, nun verstehe ich dessen Worte! Ich sah das vollkommene Insekt, und hier unten sehe ich die Larve. Also deshalb wünschte mein damaliger Gefährte seinen Kindern, sie sollten vielen Ameisen begegnen, die so gut seien wie ich!«
Das Scheusal saugte unterdes sein Opfer aus und warf dann die Hülle über seinen Sandtrichter hinaus. Als ob es aus Maxens Betrachtungen antworten wollte, rief es befriedigt aus:
»Die war ausgezeichnet!«
Jetzt erst konnte Max den blutdürstigen Löwen in all seinen Schrecknissen genauer betrachten. Aus dem Grunde des Loches, wo er sich fast bis zur Hälfte des Körpers eingegraben hatte, ragte das entsetzliche Tier heraus. Es hatte ein schwarzes, bedrohliches Maul, sieben Augen auf jeder Seite und war mit mächtigen Zangen bewaffnet. Sein Leib war mit schwarzen borstigen Haaren besetzt. Die zwei mit Krallen bewaffneten Beine krabbelten neben dem Kopfe aus dem Abgrund hervor. Es wandte seine vierzehn Augen auf die zwei entsetzten Ameisen und sprach mit Grabesstimme:
»Jetzt werdet ihr beide da oben bald herunterkommen, wie ich hoffe! Heute hätte ich bei später Stunde nicht mehr an eine so saftige Abendmahlzeit gedacht. Ich jage sonst nur, wenn die Sonne scheint.«
Wie es so sprach, krallte es die Tatzen ein, und mit außerordentlicher Kraft und Gewandtheit schleuderte es die sandige Erde, in der es saß, wie eine Flut von Steinregen auf die zwei erschrockenen Zuschauer. Max fühlte sich schon durch die fallenden und rutschenden Sandkörnchen in den Schlund des Trichters hinabgezogen; mit der äußersten Anstrengung hielt er Großzang an sich gepreßt, und mit ihm klammerte er sich verzweifelt an den Grashalm, der beide bis jetzt getragen hatte, und es gelang ihm, sich zitternd vor Aufregung daran emporzuziehen.
Die beiden Ameisen waren gerettet.
»O je, o je!« rief Großzang, »das war ein böses Abenteuer. Dir allein, mein Kaiser, danke ich das Leben!«
»Und ich verdanke dir einen steifen Hals, so hast du dich an mir festgeklammert! Aber das macht nichts. – Dem da ist es schlimmer ergangen!«
Er deutete dabei auf die Hülle Dickkopfs, die mit den Beinen in der Luft neben ihnen lag.
»Der Ärmste!« rief Großzang tiefbewegt. »Von ihm ist nichts geblieben als die Haut. Das Untier hat ihn ausgesaugt ohne Rücksicht. Jetzt freut es mich doch, daß wir seit zwei Tagen nichts gegessen hatten; sein Körper muß hübsch trocken gewesen sein. Aber daß der arme Freund so wie ein ausgeblasenes Ei werden könnte, das hätte ich doch nie geglaubt!«
Beim Weitergehen wandte sich Kaiser Butziwackel sehr ernst zu seinem Gefährten und sprach:
»Adjutant, hast du den Straßenränder da drunten in seinem Trichter gesehen?«
»Leider! Es ist eine für uns Ameisen schreckliche Larve.«
»Sehr wohl! Sobald wir einem zweiten von dieser Sorte begegnen, befehle ich dir, ihn mir fünf Minuten vorher zu melden! Gehen wir! – Vorwärts, marsch!«