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Das schauerliche Erlebnis mit dem Ameisenlöwen und vorher das Wiederfinden und die Begrüßung der beiden Adjutanten hatte Max kostbare Zeit gekostet. Als er endlich in der Nähe des Bienenstockes ankam, war es bereits dunkel geworden.
»Wie ich fürchte, bin ich zu spät gekommen«, murmelte in Sorge der entthronte Kaiser, während er den Baum erkletterte.
»Aber wohin gehen wir denn?« wagte Großzang zu fragen, der wohl sah, wie gedankenvoll Max geworden war.
»Wir wollen ein Bienendorf retten, das von einem schwarzen Dieb bedroht ist.«
»O wie fein! Da kann man vielleicht ein bißchen Honig bekommen?«
Mit strengem Blick aber rügte Max:
»Adjutant! Es handelt sich jetzt um ein ruhmreiches Abenteuer zu edlem Zwecke; und du denkst ans Essen!«
»Es ist wahr; aber daran ist mein knurrender Magen schuld; er ist so leer, als ob er – Gott behüte uns davor – von einem Ameisenlöwen ausgesaugt worden wäre.«
Die beiden Ameisen standen endlich vor dem Eingang zum Bienenstock.
Mit verzweifelten Gebärden stürzten eben einige Bienen daraus hervor und summten in höchster Aufregung:
»Der Totenkopf! Der Totenkopf!«
Man sah sogleich, daß es im ganzen Bienendorf entsetzlich toll zuging. Gefolgt von seinem Adjutanten stürmte Max hinein. Die verwirrten und erschreckten Schildwachen beachteten ihn nicht, und bald stand er an der Stelle, wo sich eben das bedrohlichste Schauspiel abwickelte.
Der entsetzliche Totenkopf war in den Stock eingedrungen. Da saß er mit seinem großen plumpen Leib, bebend vor Gier; die riesigen Flügel zitterten, sein Rüssel zuckte, und vergebens versuchte das Bienenvolk, das ihn umgab, sein verderbliches Vordringen zu verhindern.
Vergebens bemühten sich die Überfallenen, den elastischen Panzer zu durchstechen, von dem der dicke Körper des Tieres weich und nachgiebig wie von einem Gummimantel umschlossen war. Angstvolle Stimmen schrien in all diese Verwirrung hinein:
»Er wird alle unsere Lagerräume plündern!«
»Er frißt unsere Kinder!«
Max wandte sich zu seinem Adjutanten und sagte leise zu ihm:
»Hörst du, um eine Königin handelt es sich! Um jeden Preis muß diese gerettet werden!«
»Aber wie? Wenn schon die Bienen mit ihrem Stachel nichts vermögen?« fragte Großzang ratlos.
»Dummkopf! Was der Stachel nicht kann, tut die Zange.«
Unbekümmert und rücksichtslos schlürfte inzwischen der Totenkopf so viel Honig, als er nur konnte, trotz des lauten Protestes des Bienenvolks. Da gellte plötzlich ein Schrei aus dem vollen Munde des Räubers:
»Au, mein Bein!«
Ein zweiter ungeduldiger Schmerzensruf folgte:
»Zum Kuckuck, wer schneidet mir denn meine Fühler ab?«
Zu gleicher Zeit rief Max, der sich rittlings auf den Totenkopf gesetzt hatte:
»Großzang, wenn du ihm nur ein einziges Glied am Körper läßt, bist du nicht länger mein Adjutant!«
Bei diesem ebenso unerwarteten als heftigen Angriff der Ameisen versuchte der abscheuliche Totenkopf sich nach Kräften zu wehren. Er schlug um sich und schleuderte dabei die armen Bienen umher, daß sie mit den Beinchen nach oben herumwirbelten.
Der Kampfplatz war eng, und die gespreizten Flügel des Totenkopfes versperrten den Weg. Aber schon hatte jemand an Abhilfe gedacht; denn siehe, einer der Flügel fiel ab, und gleich löste der zweite, dritte und vierte sich los. Das hatte Großzang mit seinen scharfen Zangen wahrlich gut gemacht.
Ohne Flügel und ohne Fühler wollte sich der Totenkopf an dem einzigen Bein, das ihm geblieben war, aufrichten. Doch auch dieses zwickte Großzang unbarmherzig ab. Der verstümmelte Rumpf des Untiers lag nun da, ohne sich bewegen zu können. Im Nu hatte sich die Nachricht davon in allen Ecken und Winkeln des Bienenstockes verbreitet, und ein hellstimmiger, unbeschreiblicher Siegesjubel brach los:
»Viktoria! Viktoria!«
Allen Lärm übertönend rief eine Stimme:
»Wer hat diesen Dieb auf solche Weise unschädlich machen können?«
Max erkannte die Stimme und rief:
»Süßchen, Süßchen! Bist du's?«
»Ei, ei!« sagte die Biene erstaunt und setzte sich zu Max auf den Rücken des Totenkopfes, »das ist ja die Ameise, der ich auf dem Rosenstock begegnet bin! Wie kommst denn du hierher zu uns?«
»Ich kannte die Absichten dieses schwarzen Herrn und bin herbeigeeilt, das Bienendorf zu retten.«
»Du!« rief Süßchen und sah ihn gerührt an. »Schwestern«, rief sie, »verneigt euch vor dieser Ameise. Ihr verdanken wir unsere Rettung!«
Ein schallendes »Hurra« folgte dieser Bekanntgabe.
Max dankte tief bewegt und sprach:
»Haltet ein! Nicht ich allein habe ein Recht auf euern Beifall. – Großzang, Großzang, tritt vor!«
Aber Großzang antwortete nicht.
»Dieser Vielfraß«, dachte Max, »wird schon in eine Honigkammer eingefallen sein. Aber er soll was hören, wenn er zurückkommt!«
Inzwischen hatte Süßchen mit der zärtlichen und liebevollen Stimme, die sie sich im Umgang mit den Blumen angewöhnt hatte, gesagt:
»Du bleibst doch bei uns, nicht? Es ist zu spät geworden, um heimzukehren!«
»O wie gerne!« beeilte sich Max zu antworten, »um so lieber, als ich zurzeit keine Wohnung besitze.«
Süßchen schien sehr erstaunt über diese Erklärung und war nahe daran zu fragen, wie und warum; denn sie war neugierig, über ihren Befreier Näheres zu erfahren, aber da sie eine höchst taktvolle Biene war, überwand sie sich und sagte nur:
»Wie gerne hörte ich deine Geschichte; morgen erzählst du sie mir vielleicht? Selbstverständlich bleibst du und jene Ameise, der du eben gerufen hast, hier, d. h. wenn sie noch bei uns herinnen ist. Ich selbst muß jetzt den Schwestern helfen, das Haus von diesem Eindringling zu säubern.«
Max stieg mit ihr vom Rücken des Totenkopfes herunter. Süßchen gesellte sich aber zu den andern Bienen, die mit vereinten Kräften den Körper des Untiers fortzuschaffen versuchten.
Aber dessen Gewicht und Umfang war derart, daß es keine leichte Sache war, ihn zu bewegen. Schließlich rief eine Biene:
»Hört mich an, ihr Lieben! Diesen greulichen Wicht aus dem Stock hinauszuschaffen, ist ein Ding der Unmöglichkeit; ich schlage vor, ihn auf die Seite des Ganges zu schleppen und ihn dort luftdicht abzuschließen.«
Der Vorschlag wurde sofort angenommen. Alle Bienen stellten sich an der einen Seite des schweren, häßlichen Körpers auf, hoben und schoben mit verdoppelten Kräften den Dieb, bis es ihnen schließlich gelang, den Koloß von der Stelle zu rücken. Nach dem ersten Ruck ließ sich unter dem Tier eine schwache Stimme vernehmen:
»Gottlob! Länger hätte es nicht mehr dauern dürfen, sonst wäre ich unter dieser Schuttmasse erstickt!«
Der mutige Großzang war unglücklicherweise unter den mächtigen Schmetterling zu liegen gekommen, als er ihm das letzte Bein abgezwickt hatte. Max half ihm hervor und rief mit feierlicher Gebärde:
»Adjutant! Du bist ein tapferer Soldat!«
»Ich folgte deinem Befehl; du hattest mich ja mit dem Verluste meiner Stellung bedroht, wenn ich diesem Frechling ein einziges Bein lassen würde.«
»Du hast männlich deine Pflicht getan; zum Lohne ernenne ich dich in Gegenwart dieses edlen Volkes zum erlauchten Grafen aller Hautflügler.«
Großzang verstand kaum die volle Bedeutung dieser Auszeichnung; so viel aber war klar für ihn, daß sein Kaiser ihm eine hervorragende Stellung im Reiche der Insekten zugedacht hatte. Untertänig stammelte er mit tiefer Verneigung:
»Majestät, ich danke!«
Der Körper des Totenkopfes war jetzt auf die Seite gerollt. Max setzte im Triumphgefühl seinen rechten Fuß auf des Tieres Kopf, wies auf die düstere, gelbe Schädelzeichnung über dem Rücken des Tieres und machte dabei die Bemerkung:
»Der ehrsame Herr hat allem Anschein nach bei Lebzeiten schon an seinen Tod gedacht; um uns die Kosten zu ersparen für einen Grabstein, ließ er sich die Inschrift auf den Buckel malen!«