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(1775-1828)
An dem klarsten Maienmorgen
Schritt den Laubgang auf und nieder
In dem Park des Belvedere,
Seine Predigt überdenkend,
Weimars würdger Kanzelredner.
Grad' und schlicht wie seine Züge
War sein Sinn für's Wohl der Brüder.
Schon bedacht auf seinen Heimweg
Bog er rechts um eine Hecke,
Als im zugeknöpften Jagdrock,
Auf dem Haupt das grüne Mützchen,
Weimars vielgeliebter Herzog
Vor ihm stand mit trautem Gruße:
»Lieber Röhr, seid mir willkommen!
Habt ihr Lust und Zeit, so leistet
Mir Gesellschaft bei dem Frühstück!«
Jener neigt sich, gern gewährend.
Unterdessen Trank und Speise
Aufgetragen ward zum Imbiß,
Winkte seinem Gast der Herzog
Zum Gewächshaus: »Folgt und traut mir
Als erfahrnem Cicerone!«
Und der Fürst zeigt drauf dem Andern
So Europa's wie der Tropen
Seltenste Gestäud' und Ranken,
Nannt' ihm jeder Pflanze Namen,
Lebensgang und Class' und Abart,
Kurz erwies sich dem erstaunten
Geistlichen des Linné würdig
Als Vertrauter der Botanik.
Zwischen beiden Männern kreuzte
Rasch sich Frag' und Unterweisung;
Endlich rief der würdge Pred'ger
Voll Bewundrung ob des Fürsten
Nie bedrängter Wissensfülle:
»Eurer Hoheit Sinn und Liebe
Für die Pflanzen ist bekannt längst,
Doch solch allumfassend-tiefe
Kenntniß dieses seltnen Wissens
Hätt' ich nimmer mir geträumt wol,
Sie für möglich kaum gehalten.
Nur zu gern wüßt' ich den Anlaß,
Der Eur' königliche Hoheit
Angeregt zur strengen Forschung.«
Karl August blickt ernst dem Redner
In das Auge, mild entgegnend:
»Nun, mein lieber Röhr, so wißt denn,
Als zu Anfang des Jahrhunderts
Jenes große folgenreiche
Unheil über unser Land zog,
Und ich rings Verrath und Untreu,
Ringsum Falschheit und Betrug sah,
Da verzweifelt ich im Herzen
An der Menschheit. Nur die Liebe
Zur Natur erhielt mich aufrecht
In der gräßlichen Verzweiflung.
Tief in ihre Lebensquellen
Senkt' ich mich; und da die Menschen
Mir zuwider, sucht' und fand ich
Bei den Pflanzen meine Zuflucht.
So verkehrt ich mit den Blumen;
Und die Blumen, treuen Auges
Haben
niemals mich betrogen!«